Bauern verhindern Agrarwende: Traktoren im Rückwärtsgang
Die erfolgreichen Bauernproteste schaden vor allem der Landwirtschaft selbst. Dabei liegt gerade bei ihr die Hoffnung auf eine ökologische Wende.
N ach heftigen Bauernprotesten in mehreren europäischen Ländern will die EU-Kommission den Bauern „entgegenkommen“. Geplant ist eine Vielzahl von Ausnahmen und Aufweichungen, was Brachen, Fruchtfolgen, Bodenbedeckung und andere ökologische Standards betrifft.
Unter dem Deckmantel von Bürokratieabbau und Flexibilitätsversprechen, garniert vom hehren Anspruch, „unsere Landwirte in schwerer Zeit zu unterstützen“ (Ursula von der Leyen), wird der Green Deal teilweise abgewickelt. Agrarpolitik im Rückwärtsgang. „Bei widrigen Witterungsverhältnissen“ können die EU-Mitgliedstaaten künftig in Eigenregie „befristete Ausnahmen“ von ökologischen Auflagen beschließen. Und das werden sie auch tun, zumal die Krise das neue Normal ist. Vor einem „Wettbewerb nach unten“ warnt daher Bioland-Vizepräsidentin Sabine Kabath.
Der Kniefall der EU-Kommission vor der Wut aufgebrachter Bauern und Bäuerinnen zeigt, wie unendlich schwierig es ist, die dringend notwendige Transformation des Agrar- und Ernährungssystems durchzusetzen. „Wir wissen genau, was eigentlich zu tun wäre“, hieß es vergangene Woche auf einer großen Konferenz zu Klima und Landwirtschaft in Potsdam. Aber wir tun es trotzdem nicht, darf man hinzufügen. Die Politik verlässt der Mut, sobald die Traktoren rollen. Und die Medien nutzen die aufrührerisch schillernden Proteste, um die Politik vorzuführen.
Dabei war die Einkommenssituation der Landwirtschaft gerade in den letzten Jahren relativ gut, die schrittweise Streichung der Agrardiesel-Subvention alles andere als existenzgefährdend. Doch die Stimmung in der Landwirtschaft ist sehr viel schlechter als die finanzielle Lage. Betriebe beklagen die hohe Regulierungsdichte ebenso wie den enormen Bürokratieaufwand. Vor allem aber quält die fehlende gesellschaftliche Anerkennung.
Es ist typisch, dass sich die Ampel den Agrarsektor zum Subventionsabbau ausgesucht hat und nicht etwa das Milliarden verschlingende Dienstwagenprivileg oder die Befreiung der Luftfahrt von der Kerosinsteuer. Landwirtschaft ist pfui, Landwirtschaft ist der Killer der Artenvielfalt und für hohe Klimaemissionen verantwortlich. Sie ist Giftspritzer, Tierquäler, und sie versaut mit Düngeorgien unser Wasser, bekommt dazu noch riesige Subventionen nachgeworfen. So das Negativimage in Kurzform.
Leidtragende Landwirtschaft
Richtig: Landwirtschaft ist Täter. Sie ist aber zugleich Opfer. Der Klimawandel mit 1,48 Grad Erwärmung im Jahr 2023 knallt voll in die Betriebe rein, sie ächzen unter Dürren und Ernteverlusten oder monatelang überfluteten Feldern in weiten Teilen Deutschlands zu Beginn dieses Jahres. „Wie will die Landwirtschaft durch das nächste Jahrzehnt kommen?“, fragt der Klimawissenschaftler Hans Joachim Schellnhuber. Auch die Verluste an Bodenfruchtbarkeit und biologischer Vielfalt, die Pestizidrückstände und die sich zuspitzende Wasserkrise fallen auf den eigenen Sektor zurück. Der muss im ureigensten Interesse umwelt- und klimaverträglicher und damit weniger verwundbar werden. Das heißt: Jede grüne Kurskorrektur hilft. Und umgekehrt: Das durch die Bauernproteste ausgelöste Rollback ist gerade für die Landwirtschaft lebensgefährlich.
Teil der Lösung
Landwirtschaft ist aber nicht nur Täter und Opfer, Verursacher und Leidtragender. Sie ist, drittens, auch Teil der Lösung. Es wäre deshalb zwingend, das gewaltige Potenzial der Landwirtschaft für die Transformation zu nutzen: Wiedervernässung der Moore, Rückgang und Verbesserung der Tierhaltung, Humusaufbau, CO2-Speicherung im Boden, ein anderer Umgang mit tierischen Exkrementen, bessere Fütterungsmethoden, Hecken und Blühstreifen, neue Wälder, Freiflächen-Photovoltaik an Weidezäunen und über Kulturen, die Schatten und Hagelschutz brauchen. Die Möglichkeiten der Landwirtschaft, Klima, Umwelt, biologischer Vielfalt und Energiewende – und dem eigenen Ansehen – zu helfen, ist gewaltig.
Die beiden wichtigsten klima- und umweltwirksamen Stellschrauben sind dabei der Rückgang der Tierbestände, begleitet von einer stärker pflanzenbasierten Ernährung und die Wiedervernässung der Moore. Allein 5,5 Prozent aller Treibhausgase in Deutschland kommen aus der landwirtschaftlichen Nutzung der mehr als 900.000 Hektar trockengelegter Moore. Der Agrarwissenschaftler Alfons Balmann rechnet vor, dass die „volkswirtschaftlichen Kosten der Moornutzung ein Vielfaches der Wertschöpfung auf diesen Flächen ausmachen“.
Das Potenzial muss also gehoben und die Bauern müssen für die Gemeinwohl-Leistungen anständig honoriert werden. Das heißt: Umweltschonende, klimafreundliche Produktionsweisen müssen rentabel sein. Seit Jahrzehnten steht diese Forderung im Raum und wird allenfalls im Schneckengang umgesetzt.
Die gesellschaftlichen Kosten dieser Verschleppung gipfeln in einer schwindelerregenden Zahl. Der Potsdamer Agrarökonom Hermann Lotze-Campen zitierte vergangene Woche auf der Potsdamer Konferenz konservativ angesetzte Rechenmodelle, wonach die versteckten Kosten des globalen Agrar- und Ernährungssystems auf mehr als 10.000 Milliarden Dollar jährlich taxiert werden. So halsbrecherisch solche Abschätzungen sein mögen, so zeigen sie doch die Größenordnung des Desasters und seiner finanziellen Folgen.
Was Lotze-Campen aber auch sagte: „Wir können diese Kosten massiv reduzieren. Wir können die Stickstoffüberschüsse halbieren. Wir können die Biodiversitätsverluste stoppen. Wir können es schaffen, dass der Agrar- und Ernährungssektor zur Klimasenke wird.“
Dazu braucht es Steherqualitäten der Politik und eine klare Zielsetzung hin zu einer klima- und naturverträglichen Landwirtschaft. Die Kapitulation der Politik, die jetzt den ökologischen Umbau abbremsen und ein nur leicht moduliertes Weiter-so durchwinken will, ist fatal.
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