Baerbock und Faeser in der Türkei: Zwischen Hilfsgütern und Bürokratie
Die deutschen Ministerinnen versprechen im Erdbebengebiet neue Hilfen und preisen neue Visaverfahren. Kritiker finden die Regeln zu streng.
Im Schatten der Fracht stehen am Mittag Nancy Faeser, die deutsche Innenministerin, und Annalena Baerbock, die Außenministerin. Mit einem zweiten Bundeswehr-Airbus – einem VIP-Transporter der Flugbereitschaft – sind sie gerade gelandet. Zwischen den Paletten tauschen sie sich mit deutschen Katastrophenhelfer*innen aus: Mit der Hilfe für die Türkei gebe es keine Probleme, erzählt ein Mann in THW-Uniform. Die Deutschen übergeben das Material an türkische Partnerorganisationen, die kümmern sich um die Verteilung. „Wir vertrauen darauf, dass sie sauber arbeiten.“
Das Material für Nordsyrien aber? Motorenlärm überdeckt das Gespräch, aber die Wortfetzen, die zu verstehen sind, ergeben einen klaren Eindruck: „keine Staatlichkeit“ – „schwieriges Setting“ – „kommen nicht rein“. Und: „Von der Welt vergessen.“
Für einen Tag sind Faeser und Baerbock in den Südosten Anatoliens geflogen. Offiziell, um einen Überblick über die deutsche Hilfe nach dem verheerenden Erdbeben zu bekommen. „Wir wollen uns ein Bild machen und schauen, wie wir auch weiter bestmöglich helfen können“, sagte Baerbock vor dem Abflug in Berlin. Hilfe im Wert von rund 58 Millionen Euro hat die Bundesregierung nach eigenen Angaben bisher schon geleistet, weitere 50 Millionen kündigen die Ministerinnen vor Ort an.
Ein möglicher zweiter Zweck der Reise, zumindest aber ein willkommener Nebeneffekt: Zur Abwechslung gibt es – bei aller Tragik der Erdbebenkatastrophe – auch mal positive Bilder der deutsch-türkischen Zusammenarbeit. Die vielen Probleme in den bilateralen Beziehungen sind am Dienstag kein Thema. Baerbock und Faeser treffen noch nicht einmal auf Vertreter*innen der AKP-Regierung, dem Vernehmen nach im beidseitigen Einverständnis: Die türkische Regierung habe im Moment natürlich anderes zu tun.
Zeltstadt und Zerstörung
Stattdessen auf dem Reiseprogramm: Ein Rundgang durch eine Zeltstadt in der Provinz Kahramanmaraş, in der seit dem Erdbeben 6.000 Menschen hausen. Eine Tour durch die Einkaufsstraße der Stadt Pazarcık, wo in den Gebäuden, die noch stehen, die Schaufensterpuppen auf dem Boden zwischen Glasscherben liegen. Und vorab eben die Besichtigung der deutschen Hilfsgüter auf dem Flughafen.
Was die Ministerinnen dort über die Probleme mit der Syrienhilfe hören, ist keine Überraschung. Schon seit Längerem blockiert die Assad-Regierung humanitäre Hilfe für die Rebellengebiete. Seit 2020 ist regulär nur ein Grenzübergang aus der Türkei geöffnet. Die Forderung des Regimes: Die Lieferungen sollen nicht direkt in die abtrünnigen Regionen gehen, sondern über die Hauptstadt verteilt werden.
Das verweigert aber der Westen, Vertrauen in die Assad-Regierung gibt es schon seit Jahren nicht mehr. Neue Bombardierungen nach dem Erdbeben haben ihr übriges getan. Das Regime instrumentalisiere Hilfsbemühungen, sagt Baerbock.
Seit einer Woche gestattet Assad zumindest einige weitere Lieferungen. Nicht entlang der ganzen Grenze, sondern nur an zwei zusätzlichen Übergängen, und auch nicht unbefristet, sondern nur für drei Monate. Aber immerhin: Auch Hilfsgüter aus Deutschland gelangen so inzwischen aus der Türkei weiter nach Nordsyrien. An der Grenze werden sie an UN-Organisationen oder NGOs übergeben, mit denen die Bundesregierung in den langen Bürgerkriegsjahren gute Erfahrungen gemacht hat.
Visa sollen schneller kommen
Dennoch: In den syrischen Gebieten, die lange ganz ohne Hilfe von außen auskommen mussten, ist die Lage noch weit dramatischer als in der schon schwer genug getroffenen Türkei. Und auch der Weg raus aus dem Krisengebiet ist dort schwieriger.
Am Dienstagabend sind Baerbock und Faeser zurück in Gaziantep. Einen letzten Termin haben sie vor dem Rückflug: Sie besuchen die örtliche Filiale der Firma iData, in der Innenstadt zwischen einem Fitnessstudio und einem Kiosk gelegen. An das Unternehmen hat das Auswärtige Amt einen Teil seines Konsularwesens ausgelagert: Wer als Türke ein Visum für Deutschland will, muss seinen Antrag dort einreichen.
Nach dem Erdbeben wurde das Gebäude zunächst auf Schäden geprüft, erst seit Sonntag ist die Filiale wieder geöffnet. Im Angebot ist seitdem ein neues Visa-Verfahren, auf das sich Außen- und Innenministerium geeinigt haben: Erdbebenopfer mit nahen Verwandten in Deutschland sollen unkompliziert für drei Monate in die Bundesrepublik reisen dürfen. Das Visum dafür – 96 Stück wurden bis Montagabend bewilligt – soll es schneller geben als vor dem Beben.
Während die Ministerinnen die iData-Filiale besichtigen, wartet vor dem Gebäude ein Mann aus Ulm. Seine Eltern leben im stark verwüsteten Antakya. Ihr Haus steht zwar noch, darin schlafen wollen sie aber nicht mehr. Der Sohn möchte sie nach Deutschland holen.
Bei der Ausländerbehörde in Deutschland hat er sein Einkommen nachgewiesen und versichert, für die Kosten aufzukommen. Die entsprechende Bescheinigung, die im Original vorliegen muss, hat er im Auto von Baden-Württemberg in die Türkei gefahren. Die Unterlagen seiner Eltern hat er aus dem Haus geholt. Jetzt wartet er seit vier Stunden in der Schlange vor der Filiale darauf, den Antrag einreichen zu dürfen. Am nächsten Tag, so hofft er, könnten seine Eltern die Einreisegenehmigung haben.
Kritik an Bürokratie
Klappt das, gehören sie zu den Glücklicheren. Kritiker*innen monieren: Einfach und unbürokratisch sei das Verfahren keineswegs. Es würden zu viele Unterlagen verlangt, die im schlechtesten Falle gerade unter Gebäudetrümmern liegen. Wer keine sehr nahen Angehörigen in Deutschland hat, sondern beispielsweise nur Tante und Onkel, scheidet sowieso aus.
Und: Grundsätzlich steht das Programm nur türkischen Staatsangehörigen offen, syrischen nicht (mit Ausnahme möglicherweise für Syrer*innen mit festem Aufenthaltsstatus in der Türkei, für die das Außenministerium widersprüchliche Angaben macht).
Die Kritik kommt unter anderem aus der Linkspartei. „Es sollte die Möglichkeit bestehen ein Visum bei der Einreise in Deutschland zu beantragen“, sagt die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger. „Statt jetzt mit persönlichen Bestürzungsbekundungen und Bildern von Opfern des Erdbebens vermeintliche Hilfsbereitschaft zu fingieren, sollten Innenministerin Faeser und Außenministerin Baerbock endlich den Weg freimachen für eine schnelle Aufnahme aus den Erdbebengebieten.“
„Krasse Kategorisierung“
Selbst innerhalb der Ampel sind die Regeln umstritten. „Visa für Syrer*innen sind quasi ausgeschlossen“, sagt der Grünen-Abgeordnete Julian Pahlke. „Das ist eine krasse Kategorisierung von Erdbebenopfern.“ Auch für syrische Staatsangehörige brauche es „ernsthafte Visaerleichterungen“.
Baerbock und Faeser dagegen wirken am Dienstag mit den geltenden Regeln zufrieden. Am Nachmittag geben sie vor einem Trümmerhaufen in Pazarcık ein Pressestatement ab. Für diejenigen, behauptet die Außenministerin, die gar nichts mehr haben, die massive Traumata hätten oder verletzt seien, „für die haben wir unbürokratisch ein Verfahren auf den Weg gebracht“.
Liege ein Reisepass unter Trümmern, sei das auch kein Hindernis, ergänzt die Innenministerin: Die türkischen Behörden seien sehr hilfreich und würden die nötigen Daten in diesen Fällen digital übermitteln. Die Vorgaben aber weiter absenken? „Sie müssen mitbedenken: Ich bin für die Sicherheit in Deutschland verantwortlich“, sagt Nancy Faeser. Sie müsse Vorkehrungen treffen. Sogar nach einem Erdbeben.
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