Baerbock im Nahen Osten: Zwischen Beistand und klarer Kante
Die Außenministerin fordert Israel bei ihrem Besuch auf, Hilfen für Gaza zu erleichtern. Eine Besatzung des Küstenstreifens dürfe es nicht geben.
Es gibt also viel zu besprechen für Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Auf ihrer vierten Reisen in den Nahen Osten seit dem 7. Oktober 2023 will sie die anhaltende Solidarität der Bundesregierung für Israel zeigen, aber auch klare Botschaften senden – an die israelische Regierung, an die Terrororganisation Hamas, an die Verbündeten in der Region. So ist es keine Überraschung, dass bereits am ersten Tag ihrer Reise in Israel der Zeitplan auseinanderfällt und es stundenlange Verzögerungen gibt.
In Jerusalem traf Baerbock am Sonntagabend ihren neuen israelischen Amtskollegen Israel Katz. Seit Anfang Januar ist er im Amt – und nun zum zweiten Mal Außenminister Israels. Gemeinsam mit Angehörigen von Hamas-Geiseln empfängt er Baerbock in Westjerusalem. Sie setzen auf die deutsche Außenministerin, dass sie sich bei ihren Terminen und Reisen für die sofortige Freilassung der Geiseln ausspricht. Rund 130 Menschen werden von der Terrororganisation noch festgehalten. Über ihren Zustand ist wenig bekannt. Ob sie noch leben oder nicht, ist unklar. Je länger der Krieg fortschreitet, desto mehr schwindet die Hoffnung, dass sie freikommen. Und damit wächst auch die Verzweiflung der Angehörigen.
Nach ihrem Gespräch mit Katz wird Baerbock an diesem Abend eindringlich an die Hamas appellieren, die Geiseln unverzüglich freizulassen. Und sie skizziert – wie so oft – auf sehr persönliche Weise, was es bedeutet, einen engen Menschen in Terrorgefangenschaft zu wissen. „Jeder, der bereit ist, hinzuschauen, sich vorzustellen, es sei die eigene Familie, kann und darf dazu nicht schweigen.“ Deshalb steht es für Baerbock und die Bundesregierung auch außer Frage, Israel im Kampf gegen die Hamas weiter beizustehen. „Wenn die Hamas diesen Kampf nicht fanatisch fortsetzen würde, wäre der Krieg schon längst vorbei.“
Deutschland will mehr humanitäre Hilfe bereitstellen
Das ist die Brücke, die die deutsche Außenministerin nutzt, um den Blick nach Gaza zu richten. Tausende sind dort in den vergangenen 12 Wochen durch die Bombardierungen Israels gestorben. Die humanitäre Lage vor Ort ist katastrophal. Von den rund 2,2 Millionen Palästinenser:innen ist ein Großteil innerhalb des abgeriegelten Küstenstreifens auf der Flucht. Im Norden Gazas sollen mehr als 50 Prozent der Häuser zerstört sein, es fehlt an Lebensmitteln, an Trinkwasser, die Gefahr, dass sich Seuchen ausbreiten, ist hoch.
Und um das Leid der Menschen im Gaza zu adressieren, setzt Baerbock auf die persönliche Bindung: „Jeder, der sich vorstellt, es wären die eigenen Angehörigen, kann dazu nicht schweigen.“ Die Bundesregierung sei bereit, zu unterstützen – mit Geld für humanitäre Güter, ganz praktisch mit Lastwagen, mit Scannern für die Sicherheitskontrollen. Die Grünen-Politikerin sieht allerdings auch die Bemühungen Israels, einzulenken und humanitäre Hilfe zuzulassen. Doch es muss mehr passieren.
Es sei ein wichtiges Zeichen, dass nicht nur der Grenzübergang Rafah zu Ägypten für Hilfslieferungen offen sei, sondern auch der Übergang Kerem Shalom, so Baerbock. Allerdings dauert die Verteilung von Gütern viel zu lange; die Kontrollen und Verladeverfahren verzögern, dass Lebensmittel, Trinkwasser, Decken oder Zelte schnell zu den Menschen im Gazastreifen kommen. Und wie sieht die Zukunft Gazas aus? „Gaza gehört den Palästinensern, sie dürfen nicht aus Gaza vertrieben werden“, drückt sich Baerbock unmissverständlich aus. Auch eine Besatzung dürfe es nicht geben.
Das Leid der Palästinenser:innen zu lindern und die Freilassung der Geiseln aus der Geiselhaft der Hamas – das gehört für die deutsche Außenministerin zusammen. Und könne auch bei Verhandlungen der Vermittler aus den Golfstaaten helfen. Derzeit ist der Gesprächsfaden unterbrochen – und damit gibt es praktisch keine Hoffnung auf die Freilassung der Geiseln.
Verbündete pflegen, neue Allianzen
Die Verbündeten seit dem 7. Oktober 2023 wollen und müssen pfleglich behandelt werden. Insbesondere die Golfstaaten. So gibt Baerbock überraschend in Jerusalem zu, dass Saudi-Arabien im Kampf gegen die jemenitische Rebellengruppe Huthis auch deutsche Eurofighter einsetzt. „Die ist ein offenes Geheimnis“, so die Außenministerin. Und noch mehr sollen folgen, wenn Saudi-Arabien dies einfordert. In jedem Fall will sich die Bundesregierung dem nicht weiter entgegenstellen und damit auch dem Wunsch der Briten nachkommen. Die Huthis, unterstützt von Iran, greifen seit Wochen mit Drohnen und Raketen Handelsschiffe im Roten Meer an. Zusammen mit den Angriffen der Schiitenmiliz Hisbollah auf Israel droht der Konflikt im Nahen Osten weiter zu eskalieren.
Was konkret Baerbocks Aussage für die Ankündigung bedeutet, Rüstungsexporte in Staaten zu begrenzen, die gegen die Menschenrechte verstoßen, dazu verhält sie sich bedeckt. In Saudi-Arabien hat sich zwar einiges getan. Doch nach wie vor wird die Todesstrafe ausgeübt, werden die Rechte von Frauen oder LGBTIQ-Personen eingeschränkt. Auch ob es einen Konsens darüber innerhalb ihrer eigenen Partei der Grünen gibt – auch dazu gibt es keine eindeutigen Aussagen. Nur das: „Die Welt ist seit dem 7. Oktober eine andere geworden.“
Am Montag wird Baerbock in die palästinensischen Gebiete reisen und unter anderem den palästinensischen Außenminister Riad al-Maliki treffen. In den vergangenen drei Monaten hat auch die radikale Siedlergewalt im Westjordanland zugenommen. Baerbock verurteilte die Übergriffe scharf und forderte die israelische Regierung auf, für die Sicherheit der Palästinenser:innen zu sorgen.
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