Baerbock beim UN-Menschenrechtsrat: Welten prallen aufeinander
Beim Besuch internationaler Institutionen sucht Außenministerin Baerbock im UN-Menschenrechtsrat Gemeinsamkeiten – findet aber wenige.
Dass der Krieg auch vor der Ministerin nicht Halt machte, musste sie in der südukrainischen Stadt Mykolajiw selbst erleben, als eine russische Drohne Baerbocks Delegationskolonne verfolgte. Eine Machtinszenierung gegenüber der deutschen Ministerin, die in den vergangenen Tagen deutliche Worte an Putin und sein Regime richtete, und gegenüber der Bundesregierung, die weitere Waffenpakete versprochen und weitere 100 Millionen Euro für den Wiederaufbau des Kriegslandes zugesagt hat.
„Wir versuchen seit zwei Jahren, dass dieses Leiden ein Ende hat“, sagt Baerbock in Genf. Und sie verweist auf Friedensbemühungen in aller Welt – aber auch auf die Kriegsverbrechen in Butscha oder Irpin. Es gebe keinen Weg für Verhandlungen derzeit.
Auch der Tod des Kremlkritikers Alexei Nawalny vor rund einer Woche habe erneut gezeigt, zu welchen Taten Putins Regime fähig ist. Auf die Frage, ob vor Nawalnys Tod ein Gefangenentausch gegen den sogenannten Tiergarten-Mörder geplant war, schweigt die Außenministerin. Weder sie noch die Bundesregierung würden das kommentieren, sagt sie.
Deutschland wird Messen mit zweierlei Maß vorgeworfen
Während Putin weiter bombt und Präsident Wolodymyr Selenskyj weltweit um Waffen, Geld und humanitäre Hilfe bittet, verdrängt der gewaltsame Konflikt im Nahen Osten in den Debatten des Menschenrechtsrats die ausweglose Lage in der Ukraine. Israels drohende Militäroperation in Rafah stößt bei etlichen Redner:innen auf Unverständnis, insbesondere bei Vertreter:innen aus dem globalen Süden. „Waffenstillstand jetzt“ lautet die Forderung.
Der saudi-arabische Vertreter, der vor Baerbock im Plenum spricht, prangert das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza an und fordert die Weltgemeinschaft auf, sich für Frieden in der Region einzusetzen. Die Außenministerin weiß, dass Deutschland auf internationalem Parkett doppelte Standards vorgeworfen werden. Zu wenig Kritik an Israels Kriegsführung, zu schwache Aufforderungen an die israelische Regierung, die Zivilbevölkerung in Gaza besser zu schützen. „Mehr Hilfe muss zu den Menschen in Gaza gelangen. Ein Leben ist ein Leben, in Tel Aviv wie in Rafah“, betont Baerbock gewohnt emotional vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf.
Die humanitäre Lage in Gaza sei katastrophal. Und sie appelliert an Israel: Die israelische Regierung dürfe sich verteidigen, aber sie müsste dies innerhalb des humanitären Völkerrechts tun. Kurz nach Baerbock spricht der palästinensische Vertreter. Dass eine Zweistaatenlösung in weite Ferne gerückt ist, dass ein Ende des Krieges nicht bevorsteht und auch Verhandlungen über die Freilassung der Hamas-Geiseln stocken, daran lässt auch er keinen Zweifel.
Baerbocks Stopover beim Menschenrechtsrat wirkt in diesen Zeiten nahezu schal und wie ein Ausdruck des verzweifelten Wunschs, es möge doch noch so etwas wie einen gemeinsamen Wertekompass in der Welt geben. Die Kriegslage in der Ukraine wie im Nahen Osten lässt auf anderes schließen.
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