BIPoCs aus der Ukraine: Aufschub für Studenten-Flüchtlinge
Drittstaatler*innen, die aus der Ukraine flüchten mussten, bekommen in Berlin mehr Zeit, um ihr Bleiberecht zu verfestigen. Doch es gibt viele Hürden.
Linken-Abgeordnete Elif Eralp, die bei den Verhandlungen zum Beschluss einbezogen war, zeigt sich gegenüber der taz erleichtert: „Damit wird es bis auf Weiteres keine Ablehnungen für Drittstaatsangehörige und keine Ausweisungen geben.“ Sie sei sehr froh, „dass wir das noch erreicht haben, bevor wir aus der Regierung fliegen“. Auch Vicky Germain, Vorstandsmitglied im Migrationsrat und Aktivistin im Bündnis CUSBU, das sich speziell um BIPoC-Geflüchtete aus der Ukraine kümmert (BIPoC ist die Abkürzung für Black, Indigenious and People of Colour), freut sich über den Beschluss: „Das ist wirklich eine Erleichterung für die Betroffenen.“
Ohnehin sei der Umgang mit Drittstaatler*innen aus der Ukraine in Berlin deutlich besser als in anderen Bundesländern, sagt Germain. Zwar gebe es auch beim Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) bisweilen problematische Einzelfall-Entscheidungen. „Aber wir haben Ansprechpartner beim LEA, bei denen wir intervenieren können. Und es gibt immerhin ein geregeltes Verfahren.“ Dennoch, betont sie, hätten viele Menschen aus dieser Gruppe i Berlin große Probleme, was Aufenthaltserlaubnis, Unterbringung und finanzielle Unterstützung angeht.
Dazu muss man wissen: Nichtukrainer*innen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, werden rechtlich anders behandelt als Ukrainer*innen. Zu der Gruppe gehören vor allem Studierende aus afrikanischen und asiatischen Ländern – in der Ukraine gab es zu Kriegsbeginn über 150.000 ausländische Studierende aus zahlreichen Ländern. Drittstaatler*innen sind auch Migrant*innen, die dort teils seit Jahrzehnten als Arbeiter*innen, Angestellte oder Selbstständige lebten.
Flüchtlinge zweiter Klasse
Laut Bundesinnenministerium haben etwa 29.000 der knapp eine Million Ukraine-Flüchtlinge in Deutschland eine andere Staatsbürgerschaft als die ukrainische. In Berlin dürften sich ein paar tausend Drittstaatler*innen aufhalten, genaue Zahlen gibt es nicht. CUSBU hat im vorigen Jahr 2.700 Beratungen mit Klient*innen aus 38 Ländern durchgeführt.
Rechtlich schlechter gestellt sind Drittstaatler*innen seit Inkrafttreten der EU-„Massenstromrichtlinie“ Ende März 2022. Sie besagt, dass ukrainische Staatsbürger*innen eine Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 24 AufenthG bekommen – womit ein gesicherter Aufenthalt, Sozialleistungen und Arbeitserlaubnis verbunden sind. Drittstaatler*innen bekommen „den 24er-Aufenthalt“ nur unter bestimmten Voraussetzungen: etwa als Partner*in, Vater/Mutter eine*r Ukrainer*in oder als Personen mit unbefristeter Niederlassungserlaubnis in der Ukraine.
Jene, auf die dies nicht zutrifft, müssen individuell darlegen, warum eine „sichere und dauerhafte“ Rückkehr in ihr Heimatland nicht möglich ist, um in den Genuss von Paragraf 24 zu kommen. Dies prüft das Bundesamt für Migration (BAMF), unterdessen haben die Personen in Berlin für ein Jahr eine „Fiktionsbescheinigung“ bekommen.
Da diese Bescheinigungen im vergangenen Herbst ausgegeben wurden, haben die Betreffenden doch bis kommenden Herbst einen legalen Aufenthalt. Entscheidungen des BAMF gibt es zu Berliner Fällen noch nicht. In anderen Bundesländern hat das Amt dagegen schon Anträge abgelehnt, und Drittstaatler*innen wurden zur Ausreise in ihr Heimatland aufgefordert.
Sperrkonto mit 11.000 Euro
Die dritte Möglichkeit für Nichtukrainer*innen auf legalen Aufenthalt ist ein Studierenden- oder Arbeitsvisum. Doch auch hier sind die Hürden hoch, bei Studierenden etwa ein Sperrkonto mit 11.000 Euro für die Sicherung des Lebensunterhalts, eine Studienplatzzusage oder zumindest ein vorbereitender Sprachkurs.
Daher haben die eingangs erwähnten 123 Drittstaatler*innen, die weder beim LEA erklärt haben, eine Rückkehr sei für sie unmöglich, noch die Voraussetzungen für ein Studentenvisum erfüllen, im vorigen Herbst eine Fiktionsbescheinigung für sechs Monate bekommen. Wie manche schon damals befürchtet hatten, haben sie es aber bislang nicht geschafft, die Voraussetzungen für ein Studierendenvisum zu erfüllen – weshalb die Frist für sie nun verlängert wurde.
Wie viele Nichtukrainer*innen in Berlin derzeit versuchen, mit einer der anderen Möglichkeiten einen Aufenthalt zu bekommen, oder dies bereits erfolgreich getan haben, kann das LEA nicht sagen – diese Daten würden nicht erhoben.
Fest steht: Einen legalen Aufenthalt zu erhalten ist für diese Gruppe schwierig. So verlangt das LEA, wie andere Ausländerbehörden auch, häufig die Vorlage von Dokumenten im Original, die auf der Flucht verloren gingen oder zurückgelassen werden mussten, etwa ukrainische Aufenthaltserlaubnisse oder Studienbescheinigungen. „Manchen Menschen wird zugemutet, ins Kriegsgebiet zu reisen, um Papiere zu besorgen, auch wenn wir darauf hinweisen, dass die erneute Einreise in die EU für diese Personen nicht gesichert ist“, sagt Germain.
Dokumente aus dem Kriegsgebiet holen
Schon seit Kriegsbeginn würden ukrainische Grenzbeamte Drittstaatler*innen oft nicht ausreisen lassen, wenn sie kein Schengen-Visum im Pass haben, berichtet die CUSBU-Leiterin. In letzter Zeit komme es zudem immer wieder zu Pushbacks auf der Seite Polens oder Ungarns, die Drittstaatler*innen nicht mehr in die EU hinein ließen.
Ein weiteres Problem von BIPoC-Studierenden aus der Ukraine, die ihre Studiennachweise nicht mehr haben: „Viele Universitäten verlangen Gebühren für die Zusendung von Unterlagen“, erzählt Germain. Viele BIPoC-Studierende könnten daher keine Nachweise über ihre Zeit in der Ukraine erbringen und hätten entsprechend Probleme, hier einen Auftenthaltstitel zu erlangen oder weiter zu studieren.
Auch Elif Eralp von der Linken weiß um das Problem mit den fehlenden Dokumenten, nimmt jedoch das LEA in diesem Fall in Schutz. Dass bestimmte Unterlagen wie Identitätsnachweise und Aufenthaltserlaubnisse im Original vorliegen müssen, seien Vorgaben des Bundesinnenministeriums. „Das LEA hat da kaum Spielraum.“ Hierzu müsste der Bund eigentlich eine Vereinbarung mit der Ukraine treffen, etwa dass die ukrainische Botschaft auch für Drittstaatler*innen zuständig werde und dann die Dokumente besorge. „Davon habe ich aber noch nichts gehört.“
Ein weiteres Problem, das auch Ukrainer*innen haben, das aber aufgrund von Rassismus für BIPoCs bisweilen verschärft wird, ist die verzögerte Hilfe durch überlastete Behörden. So berichtet ein junger Mann, der aus Angst vor Nachteilen für sein Aufenthaltsverfahren anonym bleiben möchte, der taz, dass er – obwohl schon im Dezember in Tegel registriert – seither nur einmal „ein bisschen“ Geld vom Sozialamt bekommen habe. „Sie wollen uns Afrikanern nichts geben“, ist er überzeugt. Auch auf seinen Termin beim LEA wartet er ungeduldig: Ohne Aufenthaltserlaubnis oder wenigstens eine Fiktionsbescheinigung kann er sich keine Arbeit suchen.
Drei Monate ohne Geld
Auch Chrissy, eine nigerianische Studentin, die ebenfalls anonym bleiben möchte, wäre ohne Hilfe von Freunden und Bekannten schon lange aufgeschmissen. Im Dezember, berichtet sie, habe sie beim Sozialamt Treptow-Köpenick vorgesprochen: „Die Sozialarbeiterin dort war von Anfang an sehr unfreundlich. Obwohl ich gesagt habe, dass ich keinen Cent mehr habe, wollte sie mir kein Bargeld geben.“ Die Überweisung dauere nur ein paar Tage, habe die Mitarbeiterin gesagt – aber bis Februar habe sie nichts bekommen. Als sie wieder beim Amt vorsprach, erklärte dieselbe Frau, ihre Akte sei verloren gegangen, sie müsse den Antrag noch mal stellen.
Schließlich ging Chrissy zusammen mit Vicky Germain zum Amt, die eine Beschwerde verfasste. Jetzt – nach über drei Monaten – soll das Geld angeblich kommen.
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