BiPoC-Geflüchtete in Berlin: Wie eine Ersatzfamilie

Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine werden auch in Berlin anders behandelt als weiße. Die Initiative CUSBU setzt sich dagegen ein.

Schwarze Geflüchtete aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof

BERLIN taz | Es ist Mittagszeit im Hotel Ravenna in Berlin-Steglitz. Aus dem Frühstücksraum weht ein deftiger Essensgeruch. Stu­den­t:in­nen und Familien strömen in den Frühstückssaal. Dabei herrscht hier kein Regelbetrieb. Hotelgäste gibt es hier bereits seit einem Jahr nicht mehr, ein großes Poster an der Scheibe verrät, dass das Hotel zuletzt vor allem eine Corona-Teststation war.

Die Menschen hier sind keine Tourist:innen, sondern Geflüchtete aus der Ukraine. Erst seit zwei Nächten wohnen sie im Hotel. In Berlin können laut dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) Geflüchtete, Obdachlose und Wohnungslose Gutscheine für die Unterbringung in Hostels oder Hotels in Anspruch nehmen. Hotelbesitzer Malik Küçük öffnete spontan seine Türen, als er von der Initiative CUSBU hörte, die sich explizit für Schwarze und People of Color (BIPoC) aus der Ukraine einsetzt. Die Initiative hat im Speisesaal ihr provisorisches Büro eingerichtet. Unter den Tischen stehen noch Farbeimer von der Renovierung des Hotels.

Zehn Freiwillige und vier Hauptverantwortliche engagieren sich derzeit bei der CUSBU. Der Name ist ein Akronym für „Communities Support for BiPoC Refugees Ukraine“. 115 Geflüchtete werden von der Initiative betreut und untergebracht. Die Hälfte davon kann im Hotel Ravenna Unterkunft finden, die anderen leben mithilfe von Gutscheinen in Airbnb-Wohnungen oder Wohnungen privater Gastgeber:innen. Die Initiative unterstützt die Geflüchteten bei der Ankunft am Hauptbahnhof, bei der Suche nach Unterkünften, bei rechtlichen und behördlichen Fragen und bietet psychische Beratung und warme Mahlzeiten an. Ziel ist, dass die Geflüchteten eine dauerhafte Unterkunft in Berlin finden können, die Hotelunterbringung ist nur eine Zwischenlösung.

Seit Anfang des Ukrainekrieges setzt sich CUSBU als gemeinsames Projekt der Organisationen Each One Teach One (EOTO) e.V., Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD Bund), International Women* Space, Migrationsrat und der Dachverband der Mi­gran­t*in­nen­or­ga­ni­sa­tio­nen in Ostdeutschland DaMOst e.V. für die Belange von BIPoC aus der Ukraine ein. Entstanden ist die Initiative als Reaktion auf die rassistische Ungleichbehandlung, die die Menschen bei ihrer Flucht aus der Ukraine erfahren mussten, erklären Vicky Germain und Jennifer Kamau, zwei der Hauptorganisatorinnen von CUSBU.

„Das ist rassistisch“

In Deutschland angekommen, geht die Diskriminierung der Geflüchteten weiter. Für sie gelten andere Rechte als für Geflüchtete, die eine ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen. In Deutschland gelten sie laut der sogenannten „Richtlinie Massenzustrom“ als Drittstaatsangehörige. „Drittstaatsangehörige werden anders behandelt als andere Drittstaatsangehörige, aufgrund ihrer Hautfarbe und ihrem Herkunftsland. Das ist rassistisch“, erklärt Kamau. Während ukrainischen Staats­bür­ge­r:in­nen ohne Asylantrag eine Aufenthaltserlaubnis inklusive uneingeschränkten Rechts auf Arbeit zusteht, können Geflüchtete aus Drittstaaten laut Ukraine-Aufenthalts-Übergangsverordnung ohne Visum nur bis Ende August in Deutschland bleiben, für sie gilt ein ­Tourist:innen-Visum.

Unter den Geflüchteten, die im Hotel Ravenna untergebracht sind, sind junge Familien, aber vor allem Studierende, die sich in der Ukraine eine bessere Zukunft versprachen als in ihren afrikanischen Heimatländern. „Wir haben Weltraumingenieure, Maschinenbauingenieure, Medizinstudenten, Computerspezialisten. Das sind teilweise Menschen mit Fähigkeiten, wie ich sie in meinen über 20 Jahren in Deutschland selten angetroffen habe“, erklärt Germain.

Zwei dieser jungen Talente sind Melissa und Gospel. Die 28-jährige Melissa aus Zimbabwe hat kurz vor dem Krieg ihren Doktor in Medizin gemacht. 2014 zog sie nach Charkiw, ausschlaggebend war das Renommee der ukrainischen Universitäten. Die 18-Jährige Gospel zog erst im Februar von Nigeria nach Zaporizhzhia, um ihr Medizinstudium aufzunehmen. Die beiden Studentinnen erzählen im Frühstücksraum des Hotels, dass sie anfangs nicht glauben konnten, dass Russland die Ukraine überfallen würde. Sie berichten von Bombenangriffen und Bunkern, aber auch von der Diskriminierung, die sie während der Flucht erlebten. „An den Zugtüren standen ukrainische Männer mit gezückten Messern. Sie meinten, dass keine Ausländer reinkommen, bis ihre Leute im Zug sind“, berichtet Melissa.

Gospel berichtet von ähnlichen Erfahrungen. Im Zug brach sich Melissa eine Rippe. Nach einem Krankenhausaufenthalt floh sie über Ungarn, Rumänien und Österreich nach Berlin. Gospel floh zunächst nach Rumänien, anschließend nach Ungarn. „Die Person am Grenzübergang war nicht nett. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen kann. Eine solche Erfahrung wünsche ich niemandem“, sagt Gospel mit leiser, aber bestimmter Stimme. Der Mann am Grenzübergang habe ihr befohlen, nach Nigeria zurückzukehren. Sie musste mehrere Stunden in der Kälte ausharren, bis eine Grenzerin Mitleid mit ihr hatte und sie an eine Mitfahrgelegenheit vermittelte, die nur aus Männern bestand. Sie berichtet von der unheimlichen Angst, die sie in der Kälte und im Auto mit den fremden Männern hatte. Während der Flucht stand sie im dauerhaften Kontakt mit Germain.

Tatsächlich war es das Wissen über die Initiativen für Schwarze Menschen, das für Gospels Flucht nach Berlin ausschlaggebend war

Tatsächlich war es das Wissen über die Initiativen für Schwarze Menschen, das für Gospels Flucht nach Berlin ausschlaggebend war. Die vielen Freiwilligen am Hauptbahnhof, die sich explizit für Schwarze Geflüchtete engagierten: Das war für die beiden Studentinnen eine Erleichterung. Insgesamt fühlen sie sich willkommen in Berlin. „Alle hier sind wundervoll“, resümiert Gospel die Betreuung durch die Initiative. Die beiden jungen Frauen berichten, wie unermüdlich sich die Organisatorinnen für sie einsetzen. „Es ist, als ob man ein sehr enges Familienmitglied oder ein Elternteil hat, das man immer kontaktieren kann“, erklärt Melissa.

An diesem Dienstagnachmittag Ende Mai sind die Organisatorinnen im Dauereinsatz. Mal muss ein Anruf oder ein Zoom-Call entgegengenommen, mal etwas ausgedruckt werden, mal müssen ankommende Geflüchtete eingecheckt oder Behördenunterlagen ausgefüllt werden. Auf einmal steht Polizei vor der Tür. Auch wenn sie angeblich nicht wegen der Geflüchteten da sind, hinterlässt der Besuch ein ungutes Gefühl. Kamau und Germain sind selbst nach Deutschland migriert. Ihre eigenen Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland haben sie geprägt, sie wollen ihr Wissen gern weitergeben. „Aber wir wissen auch, dass sie am Ende ihre eigenen Erfahrungen machen werden. Wir können nur helfen und ihren Weg leichter machen“, erklärt Kamau.

Initiativen wie CUSBU sind derzeit deshalb so wichtig, weil sie Aufgaben übernehmen, die eigentlich die der Politik wären. „Wir möchten die Politik darauf aufmerksam machen, dass sie endlich ihre Verantwortung übernehmen soll“, erklärt Kamau. Eine der größten Herausforderungen für die Organisatorinnen sei, dass immer noch täglich Hunderte Geflüchtete aus der Ukraine ankommen. Und trotzdem: „Der Senat fährt Strukturen zurück, die für Sicherheit oder Verpflegung im Hauptbahnhof direkt gebraucht werden. Die Strukturen wurden ins Ankunftszelt ausgelagert, wo alle Menschen Richtung Tegel geleitet werden. Wir sorgen uns darum, ob Aspekte wie Teilhabe, Partizipation, Information und Selbstbestimmung überhaupt noch beachtet werden, und dass die Situation der besonders vulnerablen Gruppen hinten angestellt wird“, erklärt Germain.

Zudem sollen die meisten Geflüchteten, die sich in Tegel registrieren, in andere deutsche Bundesländer verteilt werden. Zwar sei das laut dem Königsteiner Schlüssel, der für die Verteilung von Geflüchteten verantwortlich ist, für besonders schutzbedürftige Gruppen und Geflüchtete gar nicht vorgesehen. Doch in Tegel werde diese Regelung nicht beachtet. Berlin gelte als „überfüllt“, Platz für weitere Geflüchtete sei nicht vorgesehen. In den vergangenen Wochen sei zudem die Spenden- und Hilfsbereitschaft in der Zivilbevölkerung deutlich zurückgegangen, berichten Germain und Kamau. Die Ini­tiative sei aber weiterhin auf private Geldspenden und Unterkünfte angewiesen, regelmäßig wird auf ihren sozialen Netzwerken zur Freiwilligenarbeit aufgerufen.

Hoffnung auf einen Sprachkurs

Gospel und Melissa hoffen derweil, dass sie sich bald für einen Sprachkurs anmelden können. Seit ihrer Ankunft in Berlin waren sie zu sehr mit Behördengängen eingespannt. Und längerfristig? „Wir bleiben entweder hier oder gehen zurück nach Hause“, erklärt Gospel. Melissa unterbricht sie. „Mit Zuhause meinst du die Ukraine, oder?“ Sie lacht. „Da merkt man, dass die ­Ukraine unser zweites Zuhause ist.“

Die Rückkehr nach Nigeria oder Zimbabwe ist keine Option für beide, zu viel haben sie für ihren Traum vom Studium in Europa geopfert. Wie lange die beiden im Hotel Ravenna und in Deutschland bleiben können, ist ungewiss. Bis sie eine langfristige Wohnung gefunden haben, ist es fraglich ob der Senat die Kosten für die Unterbringung im Hotel übernimmt. Gospel möchte an einer deutschen Universität ihr Medizinstudium fortsetzen, Melissa den Master machen.

„Doch auch wenn die Zukunft ungewiss ist, können sich die jungen Frauen auf zweierlei verlassen: Auf ihre Freundschaft und die Ersatzfamilie, die sie dank der Initative in Berlin gefunden haben. „Die Initiative ist das Beste, das uns seit dem Krieg passiert ist“, erklärt Gospel mit einem schüchternen Lachen.

Dann verabschieden sich die beiden, sie müssen das Abendessen im Hotel vorbereiten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.