BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter: Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Der Familienrichter Dettmar stoppte 2021 die Maskenpflicht an Weimarer Schulen. Dafür wurde er zu Recht verurteilt, entschied der Bundesgerichtshof.
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Dettmar ist schon seit 1996 Richter am Amtsgericht Weimar und dort für Familienrecht zuständig. Anfang 2021 fasste er den Entschluss, die Maskenpflicht an Weimarer Schulen zu untersagen, weil sie nach seiner Auffassung gegen das Kindeswohl verstößt. Deshalb streute er in Kreisen der Maßnahmen-Gegner:innen, an deren Demonstrationen er auch regelmäßig teilnahm, ein Musterschreiben, mit dem Eltern ein Eingreifen des Amtsgerichts anregen konnte. Er teilte Vertrauten auch mit, für welche Anfangsbuchstaben er zuständig ist. Als eine Mutter im März für ihre beiden Kinder ein Kindeswohlverfahren anregte, besserte er das Schreiben nach und gab es ihr zum endgültigen Einreichen zurück.
Im April verfasste er dann eine einstweilige Anordnung, mit der er die Maskenpflicht, Abstandsregeln und weitere Maßnahmen an zwei Weimarer Schulen untersagte. Der Beschluss bestand im Wesentlichen aus den Gutachten von drei Sachverständigen, die Richter Dettmar zuvor beauftragt hatte. Der Richterspruch sorgte bundesweit für Aufsehen, wurde einen Monat später aber vom Thüringer Oberlandesgericht aufgehoben, weil ein Familiengericht nicht für die Kontrolle staatlicher Maßnahmen zuständig ist – dies sei Aufgabe der Verwaltungsgerichte.
Zwei Jahre später, im August 2023, verurteilte das Landgericht Erfurt Dettmar wegen Rechtsbeugung zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wurde. Dettmars Revision dagegen hatte nun ebenso wenig Erfolg, wie die Revision der Staatsanwaltschaft, die aber nur Kleinigkeiten gerügt hatte.
Richteramt missbraucht
Der Bundesgerichtshof bestätigte nun das Erfurter Urteil in vollem Umfang. Dettmar habe sich schwerwiegend über die Pflicht zur richterlichen Unabhängigkeit hinweggesetzt und die Neutralitätspflicht massiv verletzt. Er habe dabei so elementar gegen Verfahrensregeln verstoßen, dass es nicht mehr darauf ankomme, ob die Eilverfügung in der Sache richtig war oder nicht. Auch die Motive des Richters seien angesichts der elementaren Pflicht-Verletzungen nicht mehr relevant, so der BGH.
Dettmar hatte stets betont, dass es ihm nur um das Kindeswohl gegangen sei. Dazu sagte nun aber die Vorsitzende BGH-Richterin Eva Menges: „Der Wunsch, das Richtige und Gerechte zu tun, schließt eine Rechtsbeugung nicht aus.“ Dettmar habe sein Richteramt missbraucht, um manche Eltern, die die Corona-Maßnahmen kritisch sahen, zu bevorteilen und den Freistaat Thüringen sowie andere Eltern, die die Corona-Maßnahmen unterstützten, benachteiligt.
Konkret wurden Dettmar vor allem drei Verfahrensverstöße vorgeworfen. Zum einen habe er selbst ein Verfahren initiiert, von dem er schon wusste, wie es ausgehen sollte, weil er damit öffentliche Diskussionen anregen wollte. Dass er selbst im Vorfeld des Verfahrens aktiv war, hätte er in den Akten vermerken müssen, damit andere Verfahrensbeteiligte seine Voreingenommenheit rügen können.
„Danke, Herr Dettmar“
Zweitens habe er bei der Auswahl der Sachverständigen die Verfahrensregeln verletzt, weil er nur solche Sachverständige beauftragte, deren Haltung mit seinen Überzeugungen übereinstimmte. Die Expert:innen suchte er schon, bevor überhaupt ein konkretes Verfahren bei ihm anhängig war, kritisierte BGH-Richterin Menges. Die Korrespondenz mit den Sachverständigen habe Dettmar über sein privates E-Mail-Konto geführt, um die Art der Zusammenarbeit zu verschleiern.
Drittens habe Dettmar auf die Anhörung der betroffenen Kinder und anderer Eltern verzichtet, um möglichst schnell nach Ostern seine einstweilige Anordnung veröffentlichen zu können. Dettmar sei es nicht um ein sachgerechtes Ergebnis im Einzelfall gegangen, sondern nur darum, ein bereits von vornherein feststehendes Ergebnis medienwirksam zu veröffentlichen.
Das Urteil ist nun rechtskräftig. Dettmar könnte dagegen allenfalls noch eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Das Publikum im BGH, das im Wesentlichen aus Sympathisanten bestand, war mit dem BGH ersichtlich unzufrieden. „Danke, Herr Dettmar“, riefen mehrere nach der Verkündung des Urteils.
Mit dem Urteil verliert Dettmar automatisch sein Richteramt. Das Deutsche Richtergesetz sieht diese Rechtsfolge vor, wenn ein Richter rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wurde. Er ist schon seit Januar 2023 suspendiert.
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