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Autorin über Mobilmachung im Patriarchat„So wird Männlichkeit politisch“

Incels, Rechte, Islamisten: Susanne Kaiser über den Männlichkeitsdiskurs, sein Erstarken und seine Schnittstellen zur islamistischen Ideologie.

Atl-Right-Aktivisten bei einem Fackelzug in Charlottesville Foto: Stephanie Keith/Polaris/laif
Interview von Nina Rossmann

taz: Frau Kaiser, in Ihrem Buch „Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“ beschäftigen Sie sich mit dem autoritären Backlash der vergangenen Jahre und spannen einen weiten Bogen von Incels über religiöse Hardliner, Maskulinisten, Alt-Right-Aktivisten hin zu Rechtspopulisten – welche Verstrickungen gibt es zwischen den verschiedenen Gruppen?

Susanne Kaiser: Auf den ersten Blick sind diese Akteure sehr disparat. Was sie jedoch eint, ist: Sie alle propagieren reaktionäre Männerbilder und streben eine Rückkehr zur „natürlichen“ patriarchalen Ordnung an. Diese Anti-Gender-Ideologie ist wahnsinnig anschlussfähig – hin zu Incels (Anm. d. Red.: Involuntary Celibate, unfreiwilliges Zölibat) auf der einen und fundamentalen Christen auf der anderen Seite. Andrea Pető spricht von „Kitt“. Vor der Trump-Wahl 2016 zum Beispiel haben Alt-Right-Akteure ganz massiv in Incel-Foren nach Wählerstimmen gefischt.

Was ist Ihre Erklärung für das Erstarken des Antifeminismus?

Bild: Anja Martin, Büro Freisti
Im Interview: Susanne Kaiser

geboren 1980, ist Journalistin und politische Beraterin. Sie schreibt unter anderem für die Zeit, die Neue Zürcher Zeitung und den Spiegel.

Männliche Herrschaft wird heute mehr denn je in Frage gestellt. Männer verlieren ihre dominante Rolle in Familie und Gesellschaft, die zunehmend gleichberechtigt wird. Das empfinden viele als Kontrollverlust und es entsteht, was der Männerforscher Michael Kimmel „aggrieved entitlement“ nennt: Die Ansprüche, die Männer gewohnt sind, einfach weil sie Männer sind – auf gesellschaftlichen Status, gut bezahlte Arbeit, Frauenkörper –, werden gekränkt. So wird Männlichkeit politisch, denn diese in ihrer Männlichkeit Verunsicherten sind leicht mobilisierbar für autoritäre Bewegungen und offen für antifeministische Männerbünde.

Warum löst Gleichberechtigung so starke Widerstände aus?

Diese Dynamiken finden ja nicht im luftleeren Raum statt, sondern im Patriarchat. Männer müssen Privilegien abgeben und dazu sind viele nicht bereit. Dass es mittlerweile diese massive reaktionäre Bewegung gibt, ist allerdings das deutlichste Zeichen für die Erosion des Patriarchats: Früher waren weiße Männer die Norm, da musste man gar nicht drüber sprechen. Wenn Maskulinisten nun das Bild vom soldatischen und natürlicherweise starken Mann heranziehen müssen, um ihre überlegene Stellung noch rechtfertigen zu können, dann stellen sie sich als Norm in Frage und positionieren sich als Minderheit.

Ein letztes Aufbegehren? Das ist doch eigentlich eine gute Nachricht.

Auf jeden Fall. Gleichzeitig ist diese Bewegung aber auch sehr stark. Wir wissen noch nicht, wohin das führt. Gerade gab es wieder islamistische Anschläge, von so etwas zehrt die AfD, wie auch der Skandal um den AfD-Pressesprecher Christian Lüth gezeigt hat (Anm. d. Red.: der gesagt hat, „je schlechter es Deutschland geht, desto besser geht es der AfD“).

Auf die Beziehung von Islamisten und Rechtsextremen beziehungsweise auch Rechtspopulisten gehen Sie in Ihrem Buch ein. Einerseits sind sie Feindbild, andererseits werden sie für ihr vermeintlich funktionierendes Patriarchat bewundert. Wie erklären Sie sich dieses Paradox?

Innerhalb rechter Theorien ist das überhaupt kein Widerspruch, sondern sogar sehr kohärent: Im Sinne des biologistischen Arguments herrschen Männer über Frauen, aber müssen auch Hierarchien ausfechten, mit Männern aus anderen Gruppen kämpfen. Dass dieser Kampf auf Augenhöhe unter „Alphamännern“ stattfindet, ist sogar das Ideal, das heißt, sie müssen gar keinen Hehl aus ihrer Bewunderung machen. Diese Theorie ist wiederum anschlussfähig mit der Idee des Ethnopluralismus, der von sich behauptet, kein Rassismus zu sein, sondern neue Kulturen zu schätzen, solange jeder auf seinem Territorium bleibt – und anschlussfähig auch zur rechtsextremen Idee der weißen Scharia, die den Rassenkrieg zwischen Rechtsextremen und Dschihadisten herbeiführen will, um die Welt neu aufzuteilen.

Welche Funktion erfüllt die patriarchale Ideologie bei radikalen Gruppierungen wie Dschihadisten und Rechtsterroristen?

Tunesien hat gemessen an seiner Bevölkerung die meisten Dschihadisten exportiert – vor allem aus dem wirtschaftlich schwachen Süden des Landes. Die wenigen Jobs in Tourismus und Bildung, die es dort gibt, übernehmen häufig Frauen. Die salafistische Ideologie kann da ein praktisches Mittel sein, um sich Privilegien zurückzuholen. Menschen mit rechtsextremen Einstellungen kommen nicht unbedingt aus prekären Verhältnissen, wie es das Klischee will. Sondern eher aus der Mittelschicht, haben aber starke Abstiegsängste.

Auch daraus kann eine Spannung entstehen zwischen ihrem Anspruch auf Privilegien und der Realität, in der sie um eben jenen bangen müssen. Am Beispiel des Attentäters von Halle, Stephan Balliet, sehen wir das ganz deutlich: Als jemand, der die Incel-Ideologie teilt, hat er eine Vorstellung vom Alphamann, der er aber – er ist recht klein und schmächtig – überhaupt nicht entspricht. Seine eigenen zutiefst patriarchalen Ansprüche – auf Frauenkörper und gesellschaftliche Dominanz – stehen im Widerspruch zum eigenen Auftreten. Dieses Spannungsverhältnis kompensiert er mit seinem Hass.

Das Buch

„Politische Männlichkeit. Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen“. Suhrkamp, Berlin 2020, 268 Seiten, 18 Euro

Sie beschreiben, wie dieser „gekränkte Anspruch“ auf verschiedenen Ebenen funktioniert: Bei häuslicher Gewalt spielt er ebenso eine Rolle wie – in abgeschwächter Form – auch in der Wirtschaft, wenn ein Mann denkt, eine (Quoten-)Frau nähme ihm den Job weg. Wie kommen Männer aus dieser Anspruchshaltung heraus? Brauchen wir ein neues Männerbild?

Ich fürchte, das alleine reicht noch nicht aus. Mir fällt dazu der Autor JJ Bola ein, der sich mit dem Thema Männlichkeitsbilder auseinandersetzt. Bola hat kongolesische Wurzeln und lebt in London. Im Kongo ist es normal, dass Männer sich an den Händen halten, in London wird er dafür als Schwuchtel beschimpft. Patriarchale Strukturen gibt es im Kongo aber trotzdem. Letztendlich ist nicht das Bild vom „starken Mann“ das Problem, sondern der damit verbundene Anspruch. Trotzdem ist es ein wichtiger erster Schritt, die Norm in Frage zu stellen, denn an die ist der Anspruch letztendlich gekoppelt.

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9 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    "Diese Dynamiken finden ja nicht im luftleeren Raum statt, sondern im Patriarchat. Männer müssen Privilegien abgeben und dazu sind viele nicht bereit."



    Ich sehe es so, das Pendel hat unverhältnismäßig in der Vergangenheit nach einer Seite ausgeschlagen, nun passiert die Gegenbewegung.

    Eines der wichtigsten Bücher, die ich gelesen habe ist "Das Patriarchat" v. E. Bornemann. Kann ich sehr empfehlen.

  • Sozialpsychologische Hypothesen mögen gut taugen, um den Gegner besser einschätzen zu können. Zum gesellschaftspolitischen Argument taugen sie nicht, denn sie sind - in ihrer Verallgemeinerung und dann wieder bezogen auf das Individuum - reine Spekulation. Beispiel:

    "Seine eigenen zutiefst patriarchalen Ansprüche – auf Frauenkörper und gesellschaftliche Dominanz – stehen im Widerspruch zum eigenen Auftreten. Dieses Spannungsverhältnis kompensiert er mit seinem Hass."

    Apropos Verallgemeinerung: Ich finde es besser, auf Massenausdrücke wie "die Männer", "die Frauen", "viele Männer", "die meisten Frauen" zu verzichten. Es untergräbt die Einigkeit und Solidarität mit / von denjenigen, die Gleichberechtigung längst nicht als bloß hinzunehmende, zeitgeistige Entwicklung sehen, sondern die es sich anders gar nicht mehr vorstellen mögen.

    Ich kann rückblickend für mich nur sagen: Nichts hat mich als Mann um so viel weitergebracht wie die Emanzipation der Frauen. Ihnen sei bis in alle Ewigkeit Dank dafür.

  • Frau Kaiser beschreibt hier sehr schön das unaufgeräumte, unterentwickelte Innenleben derjenigen, die den Abgesang des Patriarchats nur schmerzlich verkraften bzw. verzweifelt dagegen ankämpfen.

    Dass wir heute in einer deutlich gleichberechtigteren Welt leben, kommt genauso klar zum Audruck wie die Beschreibung der Einzelpersonen und Kleingruppen, die diesen archaischen Zeiten nachtrauern. Man bekommt ein sehr klares Bild von der Art "Mann", der hier zum Kampf gegen den zivilisatorischen Fortschritt mobilisiert.

    Eigentlich können einem diese Männlein nur leid tun, dass sie nicht die Möglichkeit hatten, zu selbstbewussten Mitmenschen heranzureifen. Sicherlich wird deren Gruppe mit den nächsten Generationen kleiner werden und weiter an Bedeutung verlieren, trotz aller aktuellen scheinbaren Vorstöße reaktionärer, faschistischer Strömungen - die diese überholten Gesellschaftsvorstellungen am Leben halten wollen.

  • In welcher düsteren Wirklichkeit lebt Frau Kaiser? Ich kann mich da nicht wiederfinden mit dem Deutschland, in dem ich lebe. In meinem Umfeld sieht es zum Glück anders aus. Ein paar Spinner und Verrückte gibt es natürlich immer. Aber hat Frau Kaiser sich eigentlich in ihrem Bekanntenkreis umgeschaut und vielleicht übersehen, wie viele selbstbewusste und emanzipierte Frauen es in unserer Gesellschaft gibt? Ich behaupte, es ist die übergrosse Mehrheit, genau wie die übergrosse Mehrheit der Männer sich nicht als "Alphamann" definiert.

    Sorry, es gibt bei uns keine patriarchale Norm mehr, die erst noch in Frage gestellt werden muss.

    Kann es sein, dass da absichtlich sehr schwarz gemalt wird, frei nach dem Motto "je schlechter es den Frauen geht, desto besser geht es dem Feminismus" ??

    • 9G
      90564 (Profil gelöscht)
      @Winnetaz:

      schauen sie sich doch bitte, einfach mal spasseshalber, die aufsichtsräte der deutschen dax-konzerne oder die zahlen zum thema sexualisierte gewalt an, danke

  • Danke, das Buch gönn ich mir zu Weihnachten.

    Folgender Satz war der Ausschlaggeber: "Die wenigen Jobs in Tourismus und Bildung, die es dort gibt, übernehmen häufig Frauen."



    Gut beobachtet, und aus eigener Erfahrung kann ich ergänzen: auch die Polizei war in Tunesien viel früher integriert als in anderen arabischen Ländern. Eine ältere Tounsiya meinte, das sei ein Herzensanliegen von Habib Bourguiba gewesen; wie dem auch sei, von einer bewaffneten Frau in Uniform Befehle zu bekommen, muss für einen Islamistenmacho so was wie die Apokalypse sein.

    In den USA dürfte es mit Minderheiten nicht anders liegen. Wie würde ein Kyle Rittenhouse reagieren, wenn ihn ein Schwarzer mit Polizeiabzeichen auf der Brust wegen Geschwindigkeitsüberschreitung rauszieht? Dem bricht doch glatt seine sorgsam gehütete Weißbrotwelt zusammen...

    Und von der Verachtung für emanzipierte Menschen zur Verachtung des Systems, das diese Emazipation ermöglicht hat, ist es nur eine kleine Transferleistung. Und dieser Mechanismus funktioniert kulturübergreifend. Das wird aber selten klar herausgearbeitet. In Frau Kaisers Buch offenbar schon. Insofern freue ich mich auf eine spannende Lockdown-Lektüre.

  • Ich kann vieles nachvollziehen - es ist ok.



    Ich sehr gerne 2 Seiten einer Medaille und möchte darauf hinweisen das in den Schulen Jungen seit Jahren benachteilgt werden.

    www.spiegel.de/leb...ssiv-a-612997.html

    www.focus.de/famil...ht_id_9495586.html

    www.swr.de/swr2/wi...rib-swr-11198.html

    Ich bin der Meinung alle Menschen sollten gleiches Recht haben - was hier aber passiert das es nicht auf gleiches Recht hinausläuft.

    Es wäre besser wenn Jungen in Schulen nicht benachteiligt werden.

  • "Die Ansprüche, die Männer gewohnt sind, einfach weil sie Männer sind ..."

    Ist dieses Hin-und-Herspringen zwischen Extremen und Verallgemeinerungen auf "DIE Männer" gerechtfertigt? Frau Kaiser sagt auch, dass die männlichen Privilegien "langsam bröckeln": also noch ein weiter Weg zu gehen? Für alle oder nur die extremen Gruppen?

    Indem man das so schwammig hält, dann aber auch wieder gezielt vermischt, macht man es wirklichen Konsequenzen aus dem Gesagten eher schwer. In nicht so wenigen Teilen der Gesellschaft herrscht schon ziemlich viel Gleichberechtigung, in einigen Bereichen auch Überkompensation. Da würde es heute auch darum gehen, wie Frauen mit Rollen umgehen, in denen sie Rücksicht nehmen müssen, Führung zeigen müssen und andere Punkte, die auch interessant sind, aber nicht einfach mit dem Männlichkeitsproblem erschlagen werden. In anderen Teilen gibt es "wohl" (kann ich nicht so beurteilen, weil ich es selber nicht kenne, aber ich sehe, dass es ziemlich sicher so ist) noch heftige Männlichkeitsprobleme, aber wenn die nur dasselbe sind, wie das allgemeine Männlichkeitsproblem immer und überall, wird es auch schwer darüber zu reden.

    Auch bei den schlimmen Fällen: ob es Sinn macht die alle in einen Topf zu stecken? Geht es immer nur um Männlichkeit oder so dominierend, dass es Sinn macht das herauszuheben. Hat die AfD zuerst ein Männlichkeitsproblem oder verschleiert das mehr? Da kann man sich zum Teil wieder leicht herausreden, weil es die eigentlichen Punkte nicht trifft und dieser Punkt leicht parierbar ist.