Automesse IAA in München: Drinnen Kresse, draußen Protest
Die IAA präsentiert sich als Mobilitäts-Zukunftslabor. Klimaschützer*innen wittern Greenwashing und gehen in München auf die Straße.
Klimaschützer*innen hatten bundesweit nach München mobilisiert, der Protest gegen die internationale Autoausstellung IAA sollte ihr größtes und radikalstes Protestevent in diesem Spätsommer werden. Seit der Besetzung des Dannenröder Forsts hat das Thema Verkehr bei Klimaschützer*innen Hochkonjunktur. Die Messe vom 7. bis 12. September, bei der Spitzenpolitiker*innen gemeinsam mit den CEOs großer Konzerne die Autorepublik Deutschland feiern, ist da ein perfektes Ziel.
Dabei hat sich die IAA in diesem Jahr stark verändert: Sie will keine reine Automesse mehr sein, sondern heißt jetzt „IAA Mobility“, der Fokus liegt auf Elektromobilität. Auch gibt sich die Messe offen und dialogbereit – in so genannten „Open Spaces“ präsentieren Mercedes, BMW und Co ihre neusten Modelle in der Münchner Innenstadt, frei zugänglich für jede*n. Man kann es aber auch so sehen: Die IAA beschränkt sich in diesem Jahr nicht auf die Messehallen, sondern hat die halbe Stadt vereinnahmt. Die Ausstellungsbereiche sind mit Gittern abgesperrt, Passant*innen müssen Umwege in Kauf nehmen.
Den Klimaschützer*innen reicht die Neuausrichtung der Messe nicht, „Autokonzerne entmachten“ ist ihr Motto. Sie fordern eine radikale Abkehr von der auf das Auto zentrierten Verkehrspolitik. „Klimaschutz ist nur gegen, nicht mit der Autoindustrie zu machen“, sagt Lou Winters, die Sprecherin des Bündnisses „Sand im Getriebe“. Das neue Messekonzept ist in ihren Augen reines Greenwashing.
In der vorübergehenden Hausbesetzung sehen die Aktivist*innen eine Rückeroberung des von der Messe vereinnahmten Raumes. „Wir haben einen echten Open Space für alle eröffnet, im Gegensatz zur IAA“, sagt Lou Schmitz, Sprecherin des Bündnisses „No Future for IAA“. Man werde nicht zulassen, dass sich die Autobranche die ganze Stadt unterordne.
Rekordgewinne dank SUVs
Einer Branche, der es ausgesprochen gut geht. Vom Coronakrisenjahr 2020 hat sie sich längst erholt, das Beratungsunternehmen Ernst & Young errechnete in einer Studie, dass die 16 größten Autokonzerne der Welt in der ersten Jahreshälfte 2021 zusammen Betriebsgewinne von 71,5 Milliarden Euro einfuhren – so viel wie nie zuvor. Dabei liegen die Verkaufszahlen der Pkw noch unter Vorkrisenniveau. Dass die Wirtschaft trotzdem brummt, liegt laut Analyst*innen an den hohen Gewinnmargen, die vor allem beim Verkauf von besonders großen und teuren Autos winken. Also am SUV-Trend.
Um 15.30 Uhr kommt die Nachricht von Michael Trammer: „Fahre ein. Bis dann.“ Der Journalist, der die Besetzung von innen, also im Haus, dokumentiert hat, wird von der Polizei in die Gefangenensammelstelle gebracht. Dabei hatte es vorher von Seiten der Beamt*innen geheißen, wenn er seine Personalien angebe, könne er gehen. Trammer wies sich als Journalist aus, gehen gelassen wurde er nicht. Die Polizei wirft ihm Hausfriedensbruch vor. Aus dem Gefangenentransporter postet Trammer noch ein Foto und schreibt: „Melde mich später, wenn ich raus bin.“ Nach über drei Stunden in Gewahrsam lässt die Polizei Trammer am Freitagabend mit einem zeitweisen Platzverweis für die gesamte IAA gehen. (ksch)
Und der ist auf der IAA ziemlich präsent: IX3, Mustang Mach-E oder EQA heißen die neusten Modelle. Sie fahren mit Strom, wiegen über zwei Tonnen und kosten um die 70.000 Euro. Auf schwarzen Podesten stehen die schweren Maschinen in den Hallen der IAA, in ihrem Lack spiegelt sich der ganze Stolz der Autoindustrie. An den Wänden jagen rote und lilafarbene Laserblitze über die Bildschirme, und in fast jeder Ecke steht irgendetwas Besonderes: ein Stück seltenes Holz in einer Glasvitrine, eine Chilipflanze in einem Topf, ein gläsernes Automodell oder eine plätschernde Wasserinstallation. Die Türen der Autos sind offen, man kann sich reinsetzen, die Garnituren befühlen, die Innenausstattung begutachten. Viele Besucher*innen machen das auch, vor allem die Modelle von Mercedes, BMW und VW sind heiß begehrt.
Christoph A. ist spät dran an diesem Donnerstag, um 18 Uhr schließt die Messe, und auch in der letzten halben Stunde gibt es für den Automechaniker aus Karlsruhe noch viel zu sehen. Der 22-Jährige mit schwarzem Cap und schwarzem T-Shirt rennt fast über das Gelände, vorbei an den tiefergelegten Sportwagen, durch die Nachhaltigkeitshalle, in der die meisten Flächen weiß oder grün sind und überall Bambusbüsche herumstehen, hinüber zu den dunkleren Farben und den großen E-Autos. Er ist mit Bus und Bahn angereist, obwohl er ein Auto hat – einen BMW mit Verbrennermotor. „Ich möchte mir anschauen, wie die Zukunft aussehen könnte“, sagt A., als er schon fast das andere Ende der Messehallen erreicht hat.
Und die IAA ist gern bereit, ihm Antworten zu geben. Die elektrische Zukunft, das intelligente und CO2-neutrale Fahren scheinen hier schon längst Realität zu sein. Wer daran zweifelt, ist eingeladen, sich in ein Flugtaxi zu setzen – okay, nur ein Prototyp und der bleibt am Boden – oder sich in einem eiförmigen Mercedes ein Sensorenstirnband aufzusetzen und per Signalreiz ein Auto auf einem Bildschirm durch eine futuristische Märchenlandschaft zu steuern.
Buzzwards und Bienenhonig
So penetrant wird die Erzählung von der nachhaltigen und intelligenten Mobilität auf der Messe verbreitet, dass man schon ein wenig misstrauisch werden kann. Buzzwords wie „Sustainability“, „Future“, „Together“ leuchten das Publikum von den Ausstellungsflächen an, an den Ständen eines Autoteile-Zulieferers werden Blumensamen, Kressesaat und Bienenhonig verschenkt, Mercedes hat neben seinen neusten Elektro-SUVs Plastiklautsprecher aufgestellt, aus denen Vogelgezwitscher tönt. „So einfach geht die Verkehrswende wohl nicht, mit einem Pieps“, merkt eine Frau in Leggings und neonpinkem Funktionsoberteil auf einer Außenfläche spitz an.
Es ist außerdem auch nicht so, dass es keine klassischen Verbrennerautos auf der Messe mehr gibt – man muss sie bloß etwas suchen. Wer die Ausstellung durch den Osteingang betritt, muss erst durch zwei Hallen voller Fahrräder, wer durch den anderen Eingang kommt, muss sogar das komplette Programm an Nachhaltigkeit, Start-up und Podiumsdiskussionen zu Technologien der Zukunft absolvieren. Oder sich auf der Überholspur daran vorbeimogeln.
In Halle B4 finden Fans der klassischen Modelle dafür dann die „Tuner“, die tiefergelegten Sportwagen. Eine Gruppe von vier jungen Erwachsenen geht an einem roten Wagen mit 1.001 PS vorbei, bleibt kurz stehen. „Zu teuer“, sagt einer von ihnen schließlich und drängt die anderen weiter.
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Christoph A. würde sich wiederum kein Elektroauto kaufen – „zu unausgereift“ sei die Technologie, zu viele Fragen offen, sagt er. So argumentieren viele Besucher*innen der Messe, wenn man sie fragt. Die Entsorgung der Lithiumbatterien ist ein ungelöstes Problem, denn die ist teuer und der Rohstoff selten. Wie das mit dem Aufladen gehen soll, wenn der Ausbau der Infrastruktur weiterhin so schleppend vorangeht, ist ein weiteres Problem. Und rechnet man die Produktion und den Abbau von Lithium, Nickel, Mangan oder Kobalt im Kongo, Chile oder China mit ein, ist die Umweltbilanz von E-Autos auch nicht mehr so gut.
Christoph A. bezweifelt, ob sich Elektroantriebe angesichts dieser Fragen auf Dauer überhaupt durchsetzen werden. Die Protestierenden in der Münchener Innenstadt sind sich da sicherer: „Elektroautos sind kein Teil der Lösung, sondern befeuern die Klimakrise nur mit einem anderen Antrieb.“
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