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Ausverkauf linker Kultur in HamburgInvestor entdeckt Rote Flora

Der Eigentümer plant mit einer Investmentfirma einen Neubau auf dem Areal im Schanzenviertel. Die Besetzer kündigen Widerstand an.

Unterstützerinnen des Flora-Protestes Bild: dpa

HAMBURG taz | Seit 24 Jahren ist die Rote Flora besetzt. Über die Zukunft des autonomen Zentrums, das auf einem Filetgrundstück mitten im Hamburger Schanzenviertel steht, wurde in den vergangenen Wochen viel spekuliert. Nun kommt Bewegung in die Sache.

Der Eventmanager Klausmartin Kretschmer hat am Freitag beim Bezirksamt Hamburg-Altona einen Vorbescheidsantrag für eine Baugenehmigung für ein großes Kultur- und Veranstaltungszentrums auf dem Terrain gestellt. Kretschmer, der die Immobilie besitzt, arbeitet mit dem international tätigen Hamburger Projektentwickler Gert Baer von „Baer & Baer Consulting“ zusammen.

Die Besetzung der Roten Flora solle damit beendet werden, hieß es. Gleichzeitig legte Baer Beschwerde gegen den sogenannten Bebauungsplan „Sternschanze 7“ ein. Mit ihm wollte der Bezirk die Nutzung der Flora als Kulturzentrum für den Stadtteil festschreiben und den Spekulationseskapaden des egozentrischen Kretschmer ein Ende setzen.

Der Plan befindet sich noch in der Beschlussfassung, er wurde jedoch fraktionsübergreifend vom Bezirksparlament unterstützt, ebenso vom SPD-geführten Senat der Stadt.

Kretschmer hatte in der Vergangenheit immer wieder mit Verkaufs- oder Räumungsszenarien für Unruhe gesorgt. Kretschmer, der vor einem Jahr kurz vor der Insolvenz stand, hatte mehrfach gedroht, die Rote Flora zu verkaufen, um den SPD-Senat zum Rückkauf des Areals zu bewegen. Er hatte es 2001 von der Stadt für 370.000 D-Mark gekauft.

Die Rotfloristen dürfen mitgestalten

Nunmehr seien die Verkaufsabsichten definitiv vom Tisch, erklärte Baer. Und begründete: Kretschmer habe mit einer US-Investmentfirma „einen interessanten und flexiblen Partner für die Realisierung dieses großartigen Projekts gefunden“.

Konkret planen Kretschmer und Baer einen sechsgeschossigen Neubau, in den die Altbausubstanz der alten Roten Flora integriert werden soll. Den von der Räumung bedrohten Rotfloristen bieten Kretschmer und Baer an, den Komplex mitzugestalten und später Räume kostengünstig anzumieten.

Auf dem Areal soll eine Konzerthalle für 2.500 Besucher mit einer Tiefgarage entstehen. Außerdem sind Veranstaltungsräume, ein Stadt- und Kulturzentrum, Gastronomie, Büros und Läden geplant.

Grotesk klingt der Plan schon deshalb, weil 1987 der Bau des Musical-Theaters „Phantom der Oper“ wegen der auftretende Verkehrs- und Gentrifizierungsprobleme nach heftigen Protesten scheiterte und zur Besetzung und Verankerung der Roten Flora führten.

Der Unternehmer droht mit dem Europäischen Gerichtshof

Um Kretschmers Pläne zu verfolgen, kündigte Baer eine handfeste juristische Auseinandersetzung an. Denn der neue Bebauungsplan „Sternschanze 7“ käme einer „Enteignung“ gleich, in dem die Rote-Flora-Besetzung auf Jahre „unter Ausschaltung der Eigentümerrechte des Klausmartin Kretschmer zementiert“ würde, sagte Baer.

Dazu habe er, Baer, selbst Volljurist, internationale und renommierte Anwälte für Verwaltungsrecht in der Hinterhand. Er drohte, den Rechtsstreit notfalls bis vor den Europäische Gerichtshof zu bringen.

Gegenüber der taz bekräftigte Baer, dass das Kooperationsangebot an die Rotfloristen „ernst gemeint“ sei. Für die Rote Flora ist indes „Gert Baer die Schlüsselfigur der Investitionspläne, die den Fortbestand der Roten Flora in Frage stellen“.

Schon zuvor hatte die Rote Flora gegen Räumungspläne politischen Widerstand angekündigt. Es zeuge von einem „totalen Realitätsverlust“ Baers, dass er glaube, die Rote Flora beteilige sich an Plänen, „die sich gegen all das richten, wofür wir seit Jahrzehnten politisch und praktisch kämpfen“, so die Besetzer.

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23 Kommentare

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  • O
    Opa

    Verkauf ist gut! Die Apo in Hamburg muss weg!

  • H
    Hamburger

    Die Gentrifizierung schreitet voran und es wird die Flora und genauso die Esso-Häuser über kurz oder lang erwischen. Ich als Hamburger sehe diese Entwicklung ausdrückliche als positiv an. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass man momentan ernsthaft auf der Schanze leben möchte, sofern man etwas "gesetzter" ist und evtl. auch eine Familie hat.

     

    Wie hat hier ein Kommentator richtigerweise geschrieben: "That's life!". Ich würde dem allerdings hinzufügen: "Stop whining and move on!"

  • Wenn ich mir hier so die Kommentare unter dem Artikel ansehe, komme ich nicht umhin, mich zu fragen, was die taz wohl für eine erzkonservative Leserschaft haben muss. Da muss ich mich fast ein bisschen erbrechen...

     

    FLORA BLEIBT!

    Unkommerzielle Freiräume statt Profitwahn!

  • L
    Lars

    Grotesk, welche Leserschaft die taz offenbar inzwischen mehrheitlich hat.

     

    Aber gut, dass es durch die unzensierten Kommentare so offensichtlich wird.

     

    *** Flora bleibt! ***

    • O
      Ora-Ïto
      @Lars:

      "die unzensierten Kommentare " – das sollte jetzt der Witz des Monats werden‽ Aber gutes Thema: Warum weist die taz nicht zu jedem Artikel zumindest aus, wieviele Lk-e NICHT freigeschaltet wurde!?

    • @Lars:

      Die Leute kapieren endlich, dass Links nicht einen Deut besser ist als Rechts. Und erst recht nicht -radikalismus!

      • HB
        Hans Beimler
        @8ack80n3:

        Troll woanders du xxxx. Kämpfen für soziale Gerechtigkeit ist natürlich keinen deut besser als die industrielle Vernichtung von Juden. Okay.

        • @Hans Beimler:

          Mir vorzuschreiben was ich hören, essen, tragen soll, fremdes Eigentum zu zerstören und Gewalt-Demos zu initiieren hat natürlich etwas seeehr soziales an sich. Ebenso wie die Ermordung von Politikern.

  • K
    kacktus

    Schon interessant wie ein privat Streit ordentlich ausgetragen wird und jeder seinen Senf dazu gibt obwohl es jedem nicht betroffenen egal sein kann was der Eigentümer uns seine Besetzer machen. Aber so macht man halt ein Politikum aus einem privat Streit.

    • @kacktus:

      Von einem "privaten Streit" kann hier keine Rede sein. Auch mit "links" und "rechts" hat die Sache nur wenig zu tun. Der Eigentümer hätte das Gebäude von der Stadt niemals erwerben können, wenn er einer öffentlichen Nutzung damals nicht zugestimmt hätte. Seine Spekulation nach dem allseits bekannten Muster - billig Kaufen, Verfallenlassen, Abreißen, teuer Weiterverkaufen, oder neu Bauen - ist schlicht nicht aufgegangen. Pech gehabt! That's life! Um den Erhalt des Gebäudes haben sich seit 24 Jahren ausschließlich die Besetzer in Eigenregie gekümmert - auch nach einem Gebäudebrand. Es gibt ein vielfältiges Kulturprogramm, zahlreiche Konzerte, eine offene Zweiradwerkstatt zur Selbsthilfe, ein Kinderspielplatz im Garten u.a. Die Flora ist seit 24 Jahren ein autonomes Kulturzentrum und wird es auch in den nächsten 24 Jahren sein.

  • K
    Karl

    Endlich kommt Bewegung in die Sache und den Rotfloristen wird mal entgegengetreten.

     

    Eigentum, Brandschutz, Denkmalschutz sind schliesslich Fremdworte für diese Menschen.

    • M
      Marx
      @Karl:

      Naja, im Vergleich zu Herrn Kretschmer tun diese Leute ja was für den Denkmalschutz du Schwätzer...

  • Die "Rote Flora" hat eine lange und wechselvolle Geschichte, die bis in die Zeit zurückreicht, als Altona noch dänisch war. 1835 war dort ein Sommertheater mit Ausflugsgarten, 1859 eröffnete der Gastronom H.F.P. Schmidt ein Lustspiel- und Opernhaus unter dem Titel "Schmidt’s Tivoli", 1869 wurde unter neuer Leitung daraus "Damm's Tivoli" mit Brillantfeuerwerk und italienischen Nächten, 1888 war da das "Gesellschafts- und Concerthaus Flora", 1890 baute man eine zweite Konmzerthalle an und im Garten entstand der "Crystallpalast", eine Eisenfachwerkkonstruktion im Jugendstil, nach Verkauf und Umbau 1895 florierte hier ein Theater und Varieté, dem zu Ehren der Komponist Paul Linke den "Flora-Marsch" komponierte, nach dem ersten Weltkrieg richtete sich eine Tabak- und Cigarettenfabrik im Obergeschoss ein, später die Berlitz School of Languages bis 1926 ein modernes Kinovarieté daraus wurde, in dem sich alles die Klinke in die Hand gab, was damals Rang und Namen hatte. Im Café Stenzel nebenan kann man heute noch zahlreiche handsignierte Fotos der damaligen Stars (z.B. Hans Albers, Siegfried Arno, Zarah Leander, Johannes Hesters etc.) bewundern. Später wurden auch Ringkämpfe geboten. Während des Krieges war im Garten ein Hochbunker für 700 Personen. Die Flora blieb weitgehend unbeschädigt und so konnte nach dem Krieg 1949 mit der "Lustigen Witwe" eine Revue dort einziehen und später wieder Kino dort laufen.

    Angesichts der wechselvollen Geschichte des Hauses bin ich immer davon ausgegangen, dass das Gebäude unter Denkmalschutz steht. Dazu finde ich aber nix. Kretschmer hat allerdings beim Kauf des Gebäudes dem Hamburger Senat ein weitgehendes Mitspracherecht über die weitere Nutzung einräumen müssen. Davon will er offenbar heute nichts mehr wissen.

    • K
      Kommerz
      @Rainer B.:

      Meine Mutter hat da seinerzeit Haushaltsschnickschnack eingekauft . in den 70ern war da "1000 Töpfe" drin.

  • I
    ion

    Das soll ein "Filetgrundstück" sein? Bei DER ‘sozialen’ Umgebung?!

    Auch interessant, dass die taz die Meinung vertritt, dass ein Immo.-Eigentümer "immer wieder" durch: "Verkaufs- oder Räumungsszenarien für Unruhe gesorgt hatte" – was doch eigentlich seit Jahrzehnten das Alleinstellungsmerkmal der dort nach und nach zugezogen(!) konzentriert siedelnden, so genannten autonomen Szene ist, die die vormaligen Arbeiter- und späters Gastarbeiter-familien sehr konseguent verdrängten.

    Und kein Wort zu den (zumindest annualen) Straßenschlachten, Gewalttaten und Messerstechereien der vergangenen Jahre‽ Cf. n.a.:

    https://www.taz.de/Gerbrauchsanweisung-1-Mai-in-Hamburg/!115438/

    https://www.taz.de/Schanzenfest-steht-vor-Absage/!119420/

    etc..

    Wie eine Sternschanze-Hamburg-Aktivistin* ja selbst online zu re-zitieren beliebt:

    «Die Menschen, nicht die Häuser, machen die Stadt." (Perikles)»

    Wo also ist das Problem mit dem "Filetgrundstück" der seit einer kleinen Ewigkeit illegal zwangsbesetzten Immo.: "Rote Flora", die legal von der Hansestadt verkauft worden war?! In der Farbe des dort immer wieder fließenden Blutes und brennenden Autos, etc.?

    "Grotesk" liest sich vielmehr die Headline – seit wann handelt es sich um "Ausverkauf linker Kultur in Hamburg" oder die in Frage Stellung eines "autonomen Zentrums", wenn ein Immo.-Eigentümer ein solches Projekt realisieren will‽ Stimmungsmache unter, oder Anbiederung an eine potentielle Leserschaft vorvergangener Tage. Schönen Tag noch.

     

    *) http://sternschanzehamburg.wordpress.com/

  • MM
    Mario Miesel

    Das zum Thema Haus-Besetzung.In unserer Momentanen Neosozialdemokratischen Zeitalter wo Profit über soziale Belange geht.Und von denen die wir als Volksvertreter wählen nicht mehr vertreten fühlen! Das ist schon Traurig

     

    Mario Miesel

  • Z
    Zeigefinger

    "Linke Kultur"

     

    Das ist ein Widerspruch in sich!

     

    :o)

    • HB
      Hans Beimler
      @Zeigefinger:

      Sie müssen ja ein ziemlicher Cretin sein. Was ist mit Brecht, Kreisler, Eisler, Orwell, Heartfield, usw.? Das ist in ihren Augen wohl "entartete Kunst"?

  • A
    abrissbirne666

    bye bye schanzenviertel. DAS wird teuer. dresden 45 wird ein witz dagegen sein.

  • EG
    Ewiges Gegreine

    Seit 24 Jahren ist die Rote Flora besetzt. Wenn es so ein unglaublich wichtiger Bauteil linker Kultur ist, dann hätte man in 24 Jahren das Ding längst kaufen können. Mir geht das ewige Gegreine über fehlende "Freiräume" und dauerbedrohte linke "Projekte" auf den Keks. Jede Bauernhof-Kommune hat sich ihren Hof gekauft. Jeder bessere Dorfverein baut sich ein Vereinsheim. Das geht nicht durch Labern sondern durch Arbeiten. Letztendlich will man von anderen etwas umsonst haben weil es so waaaahnsinnig wichtig für linke Kultur, den Weltfrieden oder die Weltrevolution ist. Dann gibts Konzerte, Saufen und Kiffen. Das ist Ausbeutung. Ganz einfach. Egal wieviele Transparente man schwenkt und welche sprachlichen Nebelkerzen man zündet.

    • @Ewiges Gegreine:

      Ohne Zustimmung des Senats kann die Rote Flora gar nicht weiterverkauft werden. Kretschmer hat die Flora nur unter dieser Voraussetzung seinerzeit "kaufen" können.

      Schon damals bestand Einigkeit darüber, dass allein eine Nutzung als autonomes Kulturzentrum infrage kommt. Bezirk und Senat wollen dies nun auch im Bebauungsplan so festschreiben. Die Rote Flora gehört zu Altona wie das Brandenburger Tor zu Berlin. Würde ein Privatmann das Brandenburger Tor zum Hochregallager umbauen wollen, würden die Berliner dies auch zu verhindern wissen.

  • A
    Anette

    Damit wird mal wieder deutlich, dass es den Besetzern nur um ihre Eigeninteressen geht und das ganze "aber hier muss ein Kulturzentrum sein"-Gerede nur vorgeschoben ist. Es geht um billiges "Soli-Bier" und kostenloses Wohnen.

    • G
      gastkeks
      @Anette:

      in der flora wohnt aber gar keiner... aber hauptsache, man kann gegen die "bösen" linken wettern und so mal wieder seinen faschistoiden geltungsdrang darstellen..