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Ausstellung bei MoskauDie Russland-Illusion

Mit einer großen Ausstellung preist Russland seine Errungenschaften. Eine oberflächliche Schau der Eitelkeit – und plötzlich fällt das Wort „Ukraine“.

Anlegen, zielen, Schnappschuss: der Stand der Republik Tschetschenien Foto: Ilya Pitalev/sputnik/ap

Moskau taz | Im „Herzen Russlands“ blinkt es und piept es, es leuchtet gelb und orange und blau, es stürmt der Steppenwind über digitale Leinwände, und auf Bildschirmen in dunklen Räumen speien Geysire. Es grinsen Damen in bunten Trachten und winken Eisbären mit Kunstfellbezug. Hier stehen Dinosaurier und Mammuts, nicht weit von Schnellzügen und Flugzeugcockpits. Mu­se­ums­be­su­che­r*in­nen sind damit beschäftigt, Papierfische mit Pailletten zu bekleben und Tee aus einem Riesensamowar zu trinken. „Es ist so schön hier, wir haben so viel erreicht“, sagen viele Gäste. Aber wenn sie das „viele Erreichte“ konkret beschreiben sollen, ziehen sie verschämt grinsend davon.

„Russland, ein Land der Möglichkeiten“, so präsentiert der Kreml noch bis in den April hinein sein „Forum Rossija“, eine Ausstellung, die die Errungenschaften seiner Regionen zeigen will. Er tut es auf dem Ausstellungsgelände WDNCh im Norden Moskaus, der Name ist eine Abkürzung für „Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft“, zu Sowjetzeiten bekam hier jede sowjetische Republik und jede Wirtschaftsbranche Häuser und zeigte darin ihre Besonderheiten. Jahrelang lag das Gelände nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Reiches brach, später wurden die Häuser renoviert, es ist neues Leben hinter die alten Fassaden eingezogen, eines, das vom Geist der Vergangenheit lebt.

Die „Expo“ knüpft an die „glanzvollen Errungenschaften“ des modernen Russland an. Die Ausstellung ist als Teil der Wahlkampagne für die Präsidentschaftswahl 2024 zu sehen. Hier soll den Menschen vorgegaukelt werden, wie viel das Land unter Wladimir Putin erreicht hat. Eine Art Wohlfühlaktion in Zeiten des Krieges, um den hier genauso ein großer Bogen gemacht wird wie auch sonst im Alltag des Landes. Die vom Westen sanktionierte Sberbank zeigt ihr Smarthouse und das selbstfahrende Auto, das Aufklärungsministerium ein paar Pavillons weiter alte sowjetische Plakate von „Kollektiv“, „Patriotismus“, „Familie“. Staatsfirmen präsentieren auf dem weitläufigen Gelände ihre Entwicklungen der vergangenen Jahre, das Staatsfernsehen überträgt live. Selbst die riesige Schlittschuh-Eisfläche, in die sich ein Teil des WDNCh-Geländes im Winter verwandelt, musste weichen für „Rossija“.

Als „international“ haben die Ma­che­r*in­nen die Schau überschrieben, doch das Internationale fehlt hier genauso wie das Zukunftsgerichtete. Die Menschen strömen dennoch in Massen in den Norden der Stadt, am Eröffnungswochenende soll eine halbe Million Be­su­che­r*in­nen über das Forumgelände gelaufen sein. Selbst mitten in der Woche stauen sie sich zwischen den Ständen in den Ausstellungshallen.

Lenin blickt herab

„Das Land der Ersten“ wird auf ein Gebäude projiziert. Davor steht die Lenin-Statue, sie war hier nie weg. Der Kommunistenführer blickt von seinem Granitsockel auf die Menschen, Schnee liegt auf seinen bronzenen Schultern, dahinter weht die russische Trikolore. Entwicklung bedeutet nicht immer einen Fortschritt. Die „Junarmisten“, Putins Jungsoldaten in ihren roten Baretten, marschieren im Gleichschritt am Gebäude entlang. Die Neu-Pioniere stehen in der Kälte Schlange und warten auf die Show hinter dem alten Lenin. Sie wollen hier stolz sein auf ihr Land. Stolz auf ihre Fabriken, ihre Schulen, ihre Touristenattraktionen. Selbst an den Ständen der von Russland besetzten Gebiete der Ukraine, schwer bewacht von bewaffneten Einheiten des Innenministeriums, wollen sie sich selbst bestätigen, wie toll sie sind. „Ich, ich, ich, Russland, Russland, Russland“, heißt es überall.

Tscheljabinsk – die Region liegt am Ural – will Menschen „zum Träumen“ bringen, es ist nur unklar, womit. „Burjatien“, die Region an der Grenze zu China, hat die höchsten Verluste an Soldaten in der Ukrai­ne, lässt die Be­su­che­r*in­nen traditionelle burjatische Kleider anlegen und sie vor dem digitalen Steppenpanorama fotografieren. Am Kurgan-Stand – die Region liegt im Südwesten Sibiriens – erzählen sie etwas von „Macht der Gesundheit, Macht der Wirtschaft, Macht des Geistes“ und zeigen ein Plüscheichhörnchen neben einem Plastikpanzer. Die Region Jamal, die bis ins Nordpolarmeer reicht, präsentiert sich als „der beste Platz zum Leben“ und vergisst zu erwähnen, dass sie eine der abwanderungsstärksten Regionen des Landes ist.

In Tomsk, der Studentenstadt in Sibirien, heißt es, es gebe „nichts Unmögliches“, und in Kolyma, der Region im Fernen Osten des Landes, in der sich die härtesten stalinistischen Lager befanden, besingen sie die „Magie“ des Landstrichs. An nahezu jedem Stand hängt ein Putin-Spruch, es geht meist um touristische Sehenswürdigkeiten, um Ausbildungsmöglichkeiten und Unternehmen in den Regionen. Das Forum ist eine Ansammlung von Bekanntem, die Region Irkutsk zeigt Bilder des berühmten Baikalsees im Winter, am Stand der Region Komi (im Norden Russlands) steht ein ausgestopfter Elch. In „Tschetschenien“ klettert Jung wie Alt in einen Militärbuggy, und in Belgorod – die Grenzregion zur Ukraine erlebt seit Monaten wie kaum eine andere Gegend in Russland heftigen Beschuss – lassen sich Schulklassen salutierend vor Plastiksoldaten-Männchen mit einem Z ablichten. Über ihren Köpfen kreisen Metalltauben in Weiß.

Traditionelle Gewänder aus Burjatien – die Region hat die höchsten Verluste an Soldaten in der Ukraine Foto: Yuri Kochetkov

„All diese Entwicklungen zu sehen, vor allem im Binnentourismus, ist schon toll“, sagt Galina. Aus dem Moskauer Umland ist sie an einem Mittwoch hierhergeeilt. Die Enkelin habe Ferien, also wolle sie „den Glanz unseres Landes“ anschauen. „Wir wollen in Frieden leben und hoffen, dass die ‚Spezialoperation‘ ganz schnell aufhört, natürlich zu unseren Gunsten“, sagt Galina. Noch aber seien es „schwere Zeiten, also erfreuen wir uns daran, was man uns hier zu bieten hat“. Die elfjährige Warja zieht sie am Pullover: „Komm, Oma, wir gehen spielen.“

Die Menschen drücken Knöpfe, sie mähen am Bildschirm Weizen, sie „radeln“ digital durch die Städte. Der 48-jährige Witali versucht sich am Melken einer Kuh. Aus ihrem Euter tropft Wasser. „Lustig“, sagt der Händler aus dem Moskauer Umland. Was für ihn die größte Errungenschaft Russlands sei? Witali schaut erschrocken. „Das ist eine provokative Frage. Wir sind friedliche Menschen“, sagt er schnell und läuft davon.

Inessa Schabatko redet dagegen ausführlich. Sie schwärmt geradezu – vom Naturschutzgebiet Askanija-Nowa. „Diese Steppenlandschaft! Die Przewalski-Pferde! Die Bisons! Das muss man gesehen haben“, sagt die junge Frau am Stand von Cherson. Dass die Region in der Ukraine teils von russischen Truppen besetzt ist, erwähnt sie genauso wenig wie, dass all die Landschaften, die Pferde, die Bisons nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms schwer gelitten haben.

„Cherson ist eine russische Stadt“, steht auf einem Schildchen, mit dem sich die Be­su­che­r*in­nen nahezu ununterbrochen fotografieren lassen. Dass die Stadt inzwischen wieder von der Ukraine kontrolliert wird, interessiert sie nicht. „Gerade jetzt würde ich nicht empfehlen, dorthin zu reisen“, sagt Inessa Schabatko. „Aber bald! In Zukunft wird es hier nur blühende Landschaften geben. Sie müssen unbedingt dorthin, das Naturschutzgebiet ist einmalig, es ist das größte der Ukraine“, sagt sie, stockt, schaut zu Boden. „Der ehemaligen Ukraine, also … der Neuen Territorien, na, Sie wissen schon.“

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5 Kommentare

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  • Auch ich plädiere für ein möglichst schnelles Ende der sog. 'Spezialoperation' zugunsten Russlands.

    Was bedeutet dies: Einen möglichst sofortigen Rückzug aus dem grundlos angegriffenen Land, ein Ende der barbarischen Verbrechen gegen das Völker- und Menschenrecht und einen sofortigen Wiederbeginn eines normalen Lebens in dem Staat.

    Russland hat danach viel zu meistern: Es sind große finanzielle Anstrengungen nötig, um die Schäden (und Entschädigungen für Tote und Verletzte) in der Ukraine zu stemmen. Auch der durch die kriminelle Handlung des dann früheren Präsidentenverbrechers Putin verursachte Keimschädigung muss finanziell ausgeglichen werden. Als Ziel bietet sich der neu gegründete Klimafonds für vom Klimawandel besonders betroffenen Staaten an.

    Auch ein finanziell kleineres Übel ist zu finanzieren: Die geistig verblendeten Mitwirker des Putin-Clans müssen versorgt werden. Dafür wird es viele freie Plätze von freigelassenen politischen Gefangenen in den Gefängnissen Sibiriens geben.

  • Nur nochmal zur Erinnerung. Es gab eine beeindruckende Abstimmung pro Unabhängigkeit der Ukraine am 1.12.1991.



    Im Artikel wird Cherson erwähnt: dort stimmten 90,13% der Wähler und Wählerinnen für eine unabhängige Ukraine.



    (Im Detail: Oblast Cherson: 753.843 insgesamt abgegebene Stimmen, 83,40% Wahlbeteiligung, 679.451 Ja-Stimmen = 90,13% Ja-Stimmen, 54.248 Nein-Stimmen = 7,20% Nein-Stimmen, 20.144 ungültige Stimmen = 2,67% ungültige Stimmen)

    • @ferry:

      Immer wieder wichtig, daran zu erinnern! Auch in diesem Forum.

  • Ja muss schon eine irritierende ode gar abstoßende nationalkonservative Propaganda-Show sein. Traurigerweise hat sich die Perspektive für Russland im scheinbar Krieg gebessert und sooo international isoliert ist Russland nun auch wieder nicht (siehe beispielhaften Tagesschau-Link unten). Was ich damit sagen will: wie jede Propaganda hat auch diese irgendwo leider eine reale Komponente und das absehbare Kriegsgeschehen dürfte dies noch unterfüttern.

    www.tagesschau.de/...interview-100.html

    • @vøid:

      Mag sein. Mit Ruhm bekleckert hat sich Russland militärisch nicht. Dank zögerlicher Waffenlieferungen aus dem Westen ist die Situation so wie sie ist. Wären diese schneller und entschlossener erfolgt hätte Russland keine Zeit gehabt sich in den eroberten Gebieten einzugraben und die Ukraine hätte weit mehr Territorium zurückerobert und es hätte wahrscheinlich schon Verhandlungsbereitschaft von Russland gegeben. Aber so zahlen die Ukrainer jetzt den Preis und Russland denkt nicht an Verhandlungen sondern hält an seinen Maximalforderungen fest.