Aufklärung nach Tod von Journalistin: Israel ermittelt nun doch nicht
Als die Journalistin Shireen Abu Akleh erschossen wurde, beschuldigte Israel militante Palästinenser. Nun kommt doch keine Untersuchung.
Das Militär begründet die Entscheidung damit, dass die Untersuchung wohl keine definitive Antwort geben werde. Die Weigerung der Palästinensischen Autonomiebehörde, eine Autopsie vorzunehmen und Israel die tödliche Kugel auszuhändigen, erschwert eine unabhängige Untersuchung.
Yifat Tomer-Yerushalmi ist als Generalstaatsanwältin des israelischen Militärs dafür verantwortlich, die Untersuchung einzuleiten. Denn es gebe nicht genug Anhaltspunkte dafür, dass ein Verbrechen vorliege. Abu Akleh war, als sie über Zusammenstöße zwischen bewaffneten Palästinensern und dem israelischen Militär in einem Geflüchtetenlager nahe Jenin im Westjordanland berichtete, von mehreren Schüssen getroffen worden. Die Soldaten gaben an, dass sie die mit einer Presseweste bekleidete Abu Akleh nicht gesehen hätten und auf militante Palästinenser gezielt hätten.
Bis jetzt ist – trotz einer ersten vorläufigen Untersuchung – nicht abschließend geklärt, wer Abu Akleh erschossen hat: Gleich nach ihrem Tod beschuldigte das israelische Militär militante Palästinenser und teilte ein Video, das einen bewaffneten Mann zeigt, der ruft, dass er einen israelischen Soldaten getroffen habe. Da niemand aus ihrer Truppe verletzt sei, müsse er wohl Abu Akleh meinen, folgerte das Militär.
Analysen bekräftigen Verdacht
Augenzeugen hatten dagegen berichtet, dass das israelische Militär die tödlichen Schüsse abgegeben habe. Die israelische Zivilorganisation B'Tselem analysierte das vom Militär geteilte Video und stellte darauf basierend eine Karte zusammen: Demnach sei es nicht möglich, dass Abu Akleh von den militanten Palästinensern getroffen wurde. Die Situationsanalyse spreche eher dafür, dass das israelische Militär sie getötet habe.
Auch das Investigativportal Bellingcat, das unter anderem auf Geolokalisierungen spezialisiert ist, schreibt: Von ihrer Position aus hätten die israelischen Sicherheitskräfte eine klare Schussbahn gehabt. Sie seien außerdem näher an dem Ort gewesen, an dem Abu Akleh erschossen wurde. Dies stehe im Gegensatz zu den unübersichtlicheren und weiter entfernten Positionen der bewaffneten Palästinenser.
Ein vom katarischen Fernsehsender Al Dschasira verifiziertes Video zeigt zudem, dass in den Minuten vor Abu Aklehs Tod keine Schüsse von den bewaffnete Palästinensergruppen abgefeuert wurden. Für den Sender hatte Abu Akleh aus den palästinensischen Gebieten berichtet.
Bei der Beerdigung von Abu Akleh auf dem protestantischen Mount Zion Friedhof in Jerusalem gingen israelische Sicherheitskräfte außerdem hart gegen die Trauernden vor, unter anderem gegen die Sargträger, wobei dieser fast zu Boden fiel.
Verhärtete Fronten in sozialen Medien
Der Tod von Abu Akleh – und das Vorgehen bei ihrer Beerdigung – wurde auch in den Sozialen Netzwerken kontrovers diskutiert: Viele warfen dem israelischen Militär „Mord“ vor, und betonten, dass Israel bereits seit Jahren ohne juristische Konsequenzen unbewaffnete Palästinenser sowie Journalisten verletze und töte.
Auf der anderen Seite kreideten Kritiker der Palästinensischen Autonomiebehörde an, eine mögliche Mitschuld durch die Verweigerung der gemeinsamen Untersuchung vertuschen zu wollen. Dass die Untersuchung nun abgesagt wurde, bestätigt beiden Seiten ihre Vorwürfe.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott