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Aufarbeitung der Affäre GelbhaarDie Grünen-Spitze laviert weiter herum

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Nach sechs Monaten veröffentlicht der Bundesvorstand der Grünen einen Bericht zur Gelbhaar-Affäre. Ihrer Verantwortung wird sie damit nicht gerecht.

Der frühere Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar (Bündnis 90/Die Grünen) in Berlin, Februar 2025 Foto: Bernd Elmenthaler/imago

D as Fazit soll niemandem richtig wehtun. Ein halbes Jahr ist es her, dass Belästigungsvorwürfe die Karriere des Grünen-Abgeordneten Stefan Gelbhaar beendeten. Kurz darauf wurde offenbar, dass die heftigsten Anschuldigungen fingiert waren. Nach knapp sechs Monaten Abklingzeit veröffentlichte der Bundesvorstand jetzt Ergebnisse einer eigens eingesetzten Ju­ris­t*in­nen­kom­mis­si­on sowie eigene Schlussfolgerungen. In diesem Resümee laviert die Grünen-Spitze herum. Sie präsentiert sich etwas zerknirscht, aber nicht zu sehr, und gibt sich ansonsten Mühe, niemanden komplett zu verärgern.

Das gilt für die Bewertung von Vorwürfen gegen Gelbhaar, die auch bestehen blieben, nachdem andere schon als Lügen aufgeflogen waren. Entgegen einer Ankündigung heißt es vom Vorstand, man könne den Fall nicht aufklären. Weder eine „Rehabilitation“ noch eine (weitere) „Sank­tio­nierung“ Gelbhaars werde man liefern.

Das gilt aber auch für die Schlüsse, die der Vorstand für den Umgang mit künftigen Fällen zieht. Als zentrale Konsequenz aus dem Bericht der Kommission setzt er eine neue Kommission ein. Sie soll ein neues Regelwerk erarbeiten und dabei Unmögliches leisten: im Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen einer „sich sowohl feministisch als auch rechtsstaatlich verstehenden Partei“ eine Lösung finden, die Widersprüche zwischen beiden Prinzipien „auflöst“.

Sowohl-als-auch ist nicht möglich

Die Parteispitze wünscht sich ein Sowohl-als-auch. Das kann aber nicht in jeder Hinsicht funktionieren, was sich gerade an zwei nicht entschiedenen Grundsatzfragen zeigt, die den Grünen auch nach Monaten ein Urteil im Fall Gelbhaar unmöglich machen.

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Erstens: Welches Ausmaß muss ein Fehlverhalten annehmen, damit für den Verursacher gravierende Konsequenzen folgen? Sollte er Posten oder Mitgliederrechte verlieren, wenn sich ein Vorfall zwar weit unterhalb der Strafbarkeit bewegt, aber die Betreffende gemeinsame Parteiaktivitäten trotzdem unerträglich findet? Falls ja, wäre die Verhältnismäßigkeit gefährdet – falls nein, kommt es zwangsläufig zu Situationen, in denen sich die betreffenden Frauen nicht ausreichend beschützt fühlen.

Zweitens: Wenn Aussage gegen Aussage steht und keine Beweise vorliegen – hat dann unbedingt das mutmaßliche Opfer recht? Falls ja, haben Einzelne die Macht, Existenzen willkürlich zu vernichten – falls nein, bleiben zwangsläufig tatsächliche Vorfälle ungesühnt.

Keine triviale Frage. Richtig wäre, wenn die Grünen im Zweifel die rechtsstaatliche Antwort wählten und nur den Rahmen, der so entsteht, möglichst feministisch ausfüllten. Eine Partei mit dem Anspruch, den Staat zu gestalten, kann sein zentrales Prinzip nicht ignorieren. Klarheit in diesem Sinne hätte Defizite, würde Widersprüche provozieren und am Selbstbild kratzen. Aber noch einen Fall Gelbhaar kann auch keiner wollen. Um noch mal den Vorstand zu zitieren: In dieser Affäre wurde die Partei „ihrer Verantwortung gegenüber allen Beteiligten nicht gerecht“.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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4 Kommentare

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  • Sollte sie Posten oder Mitgliederrechte verlieren, wenn sich ein Vorfall zwar weit unterhalb der Strafbarkeit bewegt, aber der Betreffende gemeinsame Parteiaktivitäten trotzdem unerträglich findet? Falls ja, wäre die Verhältnismäßigkeit gefährdet – falls nein, kommt es zwangsläufig zu Situationen, in denen sich die betreffenden Männer nicht ausreichend beschützt fühlen.

  • "Das Fazit soll niemandem richtig wehtun"

    Na genau das ist der Punkt. Das ist der Kern, dieser ganzen Geschichte. Es wird sich groß diskriminierungssensible Sprache auf die Fahne geschrieben. Es soll gegendert werden um niemanden auszuschließen. Die Anliegen von Opfern sollen ernstgenommen werden. Slogans wie "Diskrimierung ist, wenn sich jemand diskrimiert fühlt" werden vorsichergetragen und man verwehrt sich vehement gegen Vorwürfe wie Cancel Culture. Alle haben sich lieb, niemanden wird weh getan.



    Aber sobalds ernst wird damit, den moralisch hohen Maßstäben, die man selbst anlegt gerecht zu werden, gibt man so ein jämmerliches Bild ab. Nicht einmal eine Enschuldigung kann man sich abringen, so korrekt ist man unterwegs.



    Und als ob diese Bigotterie noch hervorgehoben müsste, werden Feminismus und Rechtssaatlichkeit als Grundwerte dieser Enscheidung bemüht, zwischen denen irgendwie vermittelt werden müsste, während man beide gleichzeitig mit Füßen tritt. Das Ganze ist ein Bärendienst. Sowohl für das Vertrauen in die rechtsstaatliche Integrität linksliberaler Politik, als auch für die Glaubwürdigkeit der metoo Bewegung.

  • In dem Artikel geht es zu viel um mögliche Vorwürfe gegen Gelbhaar und kaum um die Ergebnisse der Kommission.



    Und mit keinem Wort wird erwähnt, daß die Kommission zu dem Schluss gekommen ist, daß die Vorwürfe gegen Gelbhaar auf einer organisierten Intrige basieren, wobei die Kommission die Urheber bei der Grünen Jugend verortet..

    Aufgabe der Partei, aber auch der Medien wäre es jetzt, aufzuklären, wer diese Intrige organisiert hat. Um dann entsprechende Konsequenzen zu ziehen, bei den Urhebern und den Nutznießern.

    Stattdessen befaßt man sich scheinbar mit den paar übrig gebliebenen Vorwürfen gegen Gelbhaar, die noch nicht als Lügen aufgeflogen sind.

  • "Um noch mal den Vorstand zu zitieren: In dieser Affäre wurde die Partei „ihrer Verantwortung gegenüber allen Beteiligten nicht gerecht“.": Das hilft jetzt Herrn Gelbhaar nicht wirklich weiter. Und abgesehen davon, daß man nur genügend Dreck auf jemanden werfen muss, damit sicher etwas hängen bleibt: Es ist erschütternd, wie viele Karrieren nur auf Grund von Anschuldigungen vernichtet werden. Weltweit, in allen Berufsgruppen. Das Ignorieren der Unschuldsvermutung war früher die Spezialität eines Teils der Boulevardpresse, heute erledigen das die Grünen gleich selber.

    Allen Grünen sei hiermit die Lektüre des Buches " Die verlorene Ehre der Katharina Blum" empfohlen. Eigentlich Böll allgemein. Auch wenn manch frosch-forsch-grüner Nachwuchs vielleicht garnicht mehr weiß, wer oder was Böll eigentlich ist.