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Sanktionen gegen GeflüchteteHannover Bezahlkarte ist zu sozial

Nadine Conti
Kommentar von Nadine Conti

Vor einem Jahr stellte die Stadt Hannover eine Karte vor, mit der Flüchtlinge ganz normal bezahlen konnten. Damit ist nun Schluss.

Oberbürgermeister Onay mit seiner Social Card Foto: Julian Stratenschulte/dpa

D ie meisten haben es wahrscheinlich längst wieder vergessen: die endlose und oft hässliche Debatte um die Bezahlkarte für Asylbewerber. Anfang dieses Jahres drehte sich alles darum, wie man verhindern kann, dass Geflüchtete von ihren mickrigen Asylbewerberleistungen etwas in die Heimat oder an Schlepper überweisen. Und ob sie sich auf ihrer Suche nach Sicherheit und so etwas wie einer Zukunft wohl davon abschrecken lassen, dass man ihnen möglichst wenig Bargeld und Selbstbestimmung zugesteht. Am Ende einigte sich die Mehrheit der Bundesländer auf ein gemeinsames Modell: eine einheitliche Plastik-Bezahlkarte, maximal 50 Euro in bar pro Monat.

Die Umsetzung verzögerte sich allerdings. Ein unterlegenes Unternehmen hatte die Ausschreibung angefochten. In der Zwischenzeit fielen außerdem ein paar Sozialgerichtsurteile, die klarmachten, dass die pauschale 50-Euro-Grenze so nicht zu halten sein dürfte. Es müssen nämlich individuelle Mehrbedarfe und die Lebenssituation berücksichtigt werden.

Aber jetzt kommt sie, verkündete das Innenministerium in Niedersachsen in der vergangenen Woche. Ab Dezember werden die Bezahlkarten in den Landesaufnahmestellen ausgegeben, ab Januar sollen die Kommunen schrittweise folgen. Kommunen, die schon eigene Modelle aufgelegt hatten, müssen die Verträge nun kündigen und eine Umstellung in die Wege leiten. Was sie vermutlich gar nicht so ungern tun: denn immerhin bedeutet die Anweisung von oben auch, dass das Land die Einführungskosten übernimmt.

Schwieriger wird es allerdings für das Modell, das eigentlich beweisen wollte, dass es auch anders geht. In Hannover hatte der grüne Oberbürgermeister Belit Onay schon im Dezember 2023 eine „SocialCard“ eingeführt. Die sollte Integration und Teilhabe ausdrücklich fördern und nicht behindern. Und die Erfahrungen, sagt die Stadt, waren ziemlich gut, und zwar auf beiden Seiten des Schreibtisches.

Endlose Warteschlangen

Sechs bis sieben Mitarbeiter waren vorher damit beschäftigt, jeden Monat die sogenannten Verpflichtungsscheine auszugeben, mit denen sich die Leistungsberechtigten ihr Geld bei der Sparkasse holen konnten. Was für die meisten bedeutete, sich jeden Monat gleich zweimal in endlose Warteschlangen einzureihen. Diesen unsinnigen Aufwand hat man sich gespart, die Mitarbeiter konnten dort eingesetzt werden, wo sie dringender gebraucht werden, die Leistungsberechtigten ganz normal mit der Karte bezahlen oder Geld aus dem Automaten ziehen wie jeder andere auch.

Dieses Win-win hat sich nun wohl erledigt, fürchtet die Stadt. Sie wird künftig zwei Kartensysteme bedienen müssen, weil die SocialCard auch an Sozial­leistungsempfänger ausgegeben wurde, die über kein eigenes Konto verfügen. Außerdem müssen künftig die Anträge auf eine Erhöhung der Bargeldgrenze individuell geprüft werden, wobei noch völlig unklar ist, welche Spielregeln für diese Ermessensentscheidung gelten. Das wiederum zerstört die eigentlich gewünschte Einheitlichkeit. Zwar bekommen alle Empfänger die gleiche Plastikkarte, die aussehen soll wie eine normale Visa-Karte. Aber sobald es um Mehrbedarfe geht, hängt dann eben doch viel davon ab, in welcher Gemeinde man gelandet ist und wie restriktiv Ermessensspielräume gehandhabt werden.

Immerhin haben die Grünen in Niedersachsen darauf gepocht, dass man von ein paar der sonstigen Schikanen abgesehen hat, die mit der Karte möglich wären: Es gibt keine geografischen Einschränkungen, keinen Ausschluss bestimmter Waren und Dienstleistungen, auch online einkaufen ist möglich.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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12 Kommentare

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  • Schön für Visa, dass Visa aus öffentlichen Gelder ein unnötiges Geschäft zum Verdienen geschenkt bekommen hat.



    In Kommunen, in denen Asylbewerber völlig selbstverständlich ein Girokonto bei Sparkasse und Volksbank eröffnen können, geht es übrigens noch einfacher für die Verwaltung: Bankdaten, Überweisung mit dem regulären Zahlungslauf, fertig. Aber warum einfach, wenn man mit den winzigen Leistungen nach AsylbLG und mit rassistischer Konnotation (nix anderes ist das) auf dem Rücken der Schwächsten (weil die sich nämlich überhaupt nicht trauen, was zu sagen, weil sie ja noch im Verfahren sind und der Sprache noch nicht hinreichend mächtig) noch Politik machen kann...

    Sieht man sogar an den Kommis hier in der taz, dass diese depperte "Mir egal, betrifft mich nicht"-Haltung weite Gesellschaftsteile erfasst.

    Bis dann die Zahlkarte für Bürgergeld kommt und für Sozialhilfe und man im Sozialkaufhaus dann steht und nicht zahlen kann, weil "nur Bares bitte".

  • So lange hat der Grüne in Hannover noch nicht regiert und aufgeräumt: Nach Hannover und seiner berüchtigt "autofreundlichen" Innenstadt kam gewiss noch kein Migrant aus Spaß.

    Es ist immer ein wenig traurig, wenn Bürokratie aufgetakelt wird, um ein schlechteres Ergebnis zu erreichen, wenn man's doch besser weiß, nur um zu vergrämen. Erinnert mich an diverse künstliche Schikanen im sonstigen Sozialsystem, die auch Ressourcen für nix saugen.

  • Es ist zum Verrückt werden, wie hier wieder nicht gesehen wird, dass es letztlich auch für alle anderen Sozialleistungsempfänger so weit kommen wird dass sie diese Karten aufgezwungen bekommen werden.



    AOC z.B. hatte das tatsächlich einmal in Hinblick auf Puerto Rico in ihrem Stream bei dem Walz später dazu kam, kundgetan mit der Meinung alles was daunten ausgetestet wird an Repressionstaten gegen die Unter und Unterstschicht auf irgendwann auf den Rest der Staaten ausgebreitet würde.

    Ein solches Statement hatte ich in der Debatte damals vermisst hierzulande von Politikerseite.

  • Egal was die Grünen anpacken - es endet in der Vollkatastrophe.



    Wer kommt nun für die Einführungskosten der Social Card auf?



    Bleibt das etwa beim Steuerzahler hängen?

    • @Andere Meinung:

      Ach, die Grünen haben sich die Bezahlkarte ausgedacht in ihrer unendlichen Allmacht als alleinige Legislative und Exekutive? Oh, äh...

    • @Andere Meinung:

      Die Grünen haben eine Karte eingeführt, die Bürokratie abbaut, Teilhabe ermöglicht und darüber hinaus die geschaffene Infrastruktur auch anderen Menschen sinnvoll zur Verfügung stellt.



      Eine Karte einzuführen ist ein relativ fixer Preis (Software, Verträge, etc); je mehr Karten ausgegeben werden, desto niedriger die Kosten pro Karte.



      7 Mitarbeiter, die 12 Arbeitstage in Jahr mit unnötigen Aufgaben (damals: Geld zuteilen, das Leuten ohnehin zusteht) zubringen, kosten auf lange Sicht sehr viel mehr, als ein neues System mit beliebig großem Implementierungsaufwand, dass geringere laufende Kosten verursacht. Nennt man in der Privatwirtschaft Investion in die Produktivität.



      Jetzt müssen alle Bescheide individuell geprüft werden, was lächerlich viel Zeit kostet und damit Geld.



      Aber klar: wenn den Grünen verboten wird, eine sinnvolle, kostengünstige und sozial gerechte Politik zu machen, dann ist das auch deren Schuld.



      Was für ein Unsinn.

    • @Andere Meinung:

      Ich bewundere Ihre immer wieder ausgestellte Differenzierungsfähigkeit.



      Nicht.

      Hier hat jemand laut Artikel eine bessere Methode gefunden und probiert. Da könnte man ja auch dankbar für die Erkenntnisse sein.

    • @Andere Meinung:

      Was genau ist die „Vollkatastrophe“ in diesem Fall? Die Hannoveraner Karte hat bewiesen, dass sie funktioniert, aber eine übergeordnete Stelle – Mehrheit der Bundesländer – hat sich für ein anderes Modell entschieden. Das ist Hannover und dem grünen OB doch nun nicht anzulasten. Und dass es max. 50 Euro Bargeld pro Monat geben sollte, war ja nun auch nicht auf grünem Mist (den es ja durchaus auch gibt) zurückzuführen, sondern im Gegenteil Forderung der anderen beteiligten Parteien. Oder verbirgt sich hinter „Andere Meinung“ doch nur wieder der berüchtigte Grün-Bashing-Man?

    • @Andere Meinung:

      Das ist ein Missverständnis. Die von einem Grünen geführte Stadtregierung in Hannover hat diese Sozialkarte ja eingeführt, die eben anders als die von der Landesregierung vorgeschriebene Karte keine Vollkatastrophe ist, sondern ein Erfolg. Von daher müssten Sie die Grünen eher loben als tadeln, wenn Sie den Artikel ernstnehmen wollen. Die Einführungskosten sind auch nicht in den Wind gesetzt, denn wie der Artikel verdeutlicht, wird diese Sozialkarte auch von Sozialleistungsempfängern ohne eigenes Konto genutzt, die keine Asylbewerber sind und folglich auch nicht zu dem auf Landesebene eingeführte schlechteren Modell wechseln müssen.

    • @Andere Meinung:

      Auf jeden Fall. Die Grünen sind sowieso an allem Schuld, inkl. Klimawandel, dem Unfall von Schumacher und dem Abstieg des HSV.



      … selten so einen dämlichen Kommentar gelesen…

  • "Es gibt keine geografischen Einschränkungen, keinen Ausschluss bestimmter Waren und Dienstleistungen, auch online einkaufen ist möglich." Damit ist eine ausreichende Flexibilität und Grundlage zum Leben gegeben und erinnert auch nicht mehr an ähnliche ausgrenzende Verfahren im Dritten Reich. Die unterschiedlichen Betragsgrenzen sind doch in unserer "volldigitalen" Verwaltungswelt sicher kein großer Aufwand mehr.



    Der Stadtrat inkl. Bürgermeister in Hannover hat wohl geschichtlich gelernt und zieht Konsequenzen.

    • @Sonnenhaus:

      Wo Sie Recht haben, haben Sie Recht: Gelernt ist gelernt. Die Grundlage zum Leben ist ja wohl abgestandenes Wasser und Brot von letzter Woche, mehr nicht. Und Flexibilität besteht darin: entweder das eine - oder das andere.