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Lassen sich Smartphones komplett verbieten? An der Leipziger Leibniz-Schule dürfen Kinder und Jugendliche sie zwar dabeihaben, aber nicht nutzen Foto: Charlotte Sattler

Handyverbote an SchulenLernen, offline zu sein

Viele europäische Länder haben Handys an Schulen verboten, auch in Deutschland wird es wieder diskutiert. Eine Schule in Leipzig probiert es aus.

Von Amelie Sittenauer aus Leipzig

A ls es zur ersten Pause klingelt, sind schon zwei Handys eingezogen. Jetzt liegen sie in einer Holzbox im Büro von Diana Schneider, der Leiterin des Leibniz Gymnasiums in Leipzig. Auf einem Stück Papier sind Name und Klasse ihrer Be­sit­ze­r:in­nen vermerkt.

„Wir hatten ein Erweckungserlebnis diesen Sommer beim Hoffest“, erzählt Schneider. „Die Schüler haben nicht miteinander gesprochen, alle waren nur an ihren Handys, die haben gar nichts mehr mitbekommen.“ Wie einige andere Schulen startete das Leibniz Gymnasium deshalb nach den Herbstferien ein Pilotprojekt: Private Smartphones sind auf dem Schulgelände nun untersagt.

Die Kinder waren ununterbrochen am Handy.

Diana Schneider, Schulleitung des Leibniz Gymnasiums

Die Auswirkungen von Smartphones im Schulalltag machen sich in allen Ländern, Schulformen und Jahrgangsstufen bemerkbar: Durch Smart­phones wird die Aufmerksamkeitsspanne kürzer, Schü­le­r:in­nen interagieren weniger, Mobbing nimmt zu. Studien zufolge beeinflusst bereits die bloße physische Präsenz von Smartphones die kognitive Leistungsfähigkeit ihrer Be­sit­ze­r:in­nen negativ, insbesondere Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit.

Erst Ende Oktober hatte das Bündnis gegen Cybermobbing eine Studie vorgelegt, der zufolge je­de:r fünfte Schü­le­r:in in Deutschland schon einmal von Cybermobbing betroffen war – über 2 Millionen Kinder und Jugendliche. Und auch die OECD hat vor den negativen Auswirkungen von unreguliertem Smartphone-Gebrauch in Schulen gewarnt.

In Nachbarländern wie Frankreich, Spanien, Niederlande und der Schweiz gibt es eine Regelung zu Smartphone-Verboten an Schulen. Insbesondere seit dem schlechten Abschneiden in der Pisa-Studie 2022 werden Handyverbote an Schulen auch in Deutschland wieder diskutiert.

Handybox für konfiszierte Handys im Büro der Schulleiterin Foto: Charlotte Sattler

Auch am Leibniz Gymnasium von Diana Schneider war das soziale Klima vor dem Verbot schwierig geworden. „Die Kinder waren ununterbrochen am Handy“, erinnert sich die Schulleiterin. Die Mädchen vor allem in den sozialen Netzwerken, die Jungs beim Spielen. Wie an fast jeder Schule hatte es außerdem Fälle von verbotenen Handyaufnahmen von Lehrkräften oder Schü­le­r:in­nen gegeben, die online kursierten.

Forderungen aus der Politik werden lauter

Von den deutschen Landesregierungen, die für die Bildungspolitik zuständig sind, gibt es keine allgemeinen Regelungen. Den Umgang mit Smartphones überlässt man den Schulen, zu individuell die Situation der Schulen, zu hoch der personelle und finanzielle Aufwand, ein Verbot flächendeckend durchzusetzen. In einem Blog des sächsischen Bildungsministeriums hieß es 2018 noch: „Schwer durchsetzbar und realitätsfern erscheint etwa ein Handyverbot auf dem Pausenhof.“

Doch mittlerweile werden auch aus der Politik die Forderungen nach Handyverboten an Schulen lauter. Von SPD, CDU über AfD bis BSW sprechen sich Par­tei­po­li­ti­ke­r:in­nen in sämtlichen Bundesländern dafür aus, Handys an Schulen zu verbieten. Manchen geht es dabei um einen bewussten pädagogischen Einsatz der digitalen Geräte und um begrenzte handyfreie Orte. Anderen geht es um mehr: Bei der vergangenen Landtagswahl in Brandenburg forderte das BSW beispielsweise, Handys und Tablets mindestens bis zur vierten Klasse komplett zu verbieten.

Derweil suchen immer mehr Schulen nach eigenen Wegen. In Dresden experimentiert eine Schule mit Handysafes: Das sind durch einen Magnet verschließbare Taschen, die von den Schü­le­r:in­nen selbst nicht geöffnet werden können. An einer Kölner Schule werden die Geräte vor dem Unterricht in einem Schrank weggeschlossen.

Verändert ein Handyverbot das soziale Miteinander?

Am Leibniz Gymnasium in Leipzig wurde für die Pilotphase erst mal eine sanftere Herangehensweise gewählt. Die Schü­le­r:in­nen dürfen ihre Handys bei sich haben, nur benutzen dürfen sie diese nicht. Tun sie es doch, ziehen die Lehrkräfte sie ein und bringen sie in Schneiders Büro. Am Tagesende können sie dann abgeholt werden.

Einen Freischuss gibt es, beim nächsten Mal müssen dann die Eltern das Smartphone einsammeln. „Uns geht es nicht darum, digitale Geräte komplett zu verbieten“, so Schneider, „im Unterricht arbeiten wir auch mit Ta­blets und anderen Medien, aber dafür braucht nicht jeder Schüler sein privates Handy.“ Primär ginge es um das soziale Miteinander.

Stellvertretende Schulsprecherin Luise Fröhlich und Schulleiterin Diana Schneider im Pausenhof Foto: Charlotte Sattler

Die Tür zu Schneiders Büro geht auf, Hubertus Wagler kommt herein und stellt zwei weitere Smartphones in die Holzbox. Der Mathe- und Physiklehrer hat das Projekt angestoßen. Er berichtet von einer wahrnehmbaren Veränderung im Klassenzimmer: „Es wird deutlich mehr kommuniziert“, stellt er fest. Und letztens hätte seine 9. Klasse auf einmal in der Pause Skat gespielt, das sei schön zu beobachten gewesen.

Bereits die bloße Präsenz von Smartphones beeinträchtigt die kognitive Leistung ihrer Be­sit­ze­r:in­nen negativ, insbesondere Gedächtnisleistung und Aufmerksamkeit.

Schneider und Wagler wollen sich zugleich nicht nur auf anekdotische Evidenz stützen. Zusätzlich haben sie einen Evaluationsbogen für die 650 Kinder und Jugendlichen erstellt, um die Veränderungen im sozialen Miteinander zu prüfen. Erst danach soll zusammen mit den Schü­le­r:in­nen entschieden werden, ob ein Handyverbot langfristig in die Schulordnung mitaufgenommen wird.

Bildungswissenschaftler empfehlen Handyverbot

Es gibt auch aus der Wissenschaft Hinweise, dass ein Verbot sinnvoll sein kann. Zwei Augsburger Bildungswissenschaftler haben in einer Überblicksstudie die Ergebnisse von fünf Untersuchungen aus Norwegen, Spanien, Tschechien, England und Schweden verglichen. Demnach habe sich insbesondere das soziale Miteinander durch ein Handyverbot verbessert. Der Schritt sei deshalb sinnvoll. Entgegen Forderungen wie jener des BSW empfehlen sie aber auch, dass Tablets und Smartphones gezielt als Unterrichtshilfen eingesetzt werden sollten.

Positiv sind auch Erfahrungen aus den Niederlanden. Anfang 2024 führte die Regierung ein Handyverbot für die Sekundarstufe ein. Seit September gilt die Regelung auch für Grundschüler:innen. Wie die Regel umgesetzt wird, entscheiden die Schulen dabei selbst.

Bildungswissenschaftlerin Loes Pouwels von der Radboud-Universität in Nijmegen hat die Einführung der handyfreien Schulen wissenschaftlich begleitet. Ihre Befragungen ergaben, dass die Hälfte der Schü­le­r:in­nen nach Einführung des Handyverbots bessere Leistungen erzielten, 40 Prozent fanden, das soziale Klima habe sich verbessert, und 20 Prozent fühlten sich weniger abgelenkt.

„Trotzdem sind die Verbote nicht die Lösung für alles, aber sie könnten positive Effekte haben“, so Pouwels. Wenn man das soziale Klima verändern wolle, dürfe man nicht einfach Smartphones verbieten. Vor allem müsse man sich mit dem Wohlbefinden der Schü­le­r:in­nen beschäftigen. Für diese sei das Handy auch ein wichtiges Mittel, mit ihren Freun­d:in­nen und Familien in Kontakt zu bleiben. „Es ist vor allem wichtig, dass sich die Schü­le­r:in­nen einbezogen fühlen“, so Pouwels.

Unmut unter Schü­le­r:in­nen

Das hat in Leipzig noch nicht ganz geklappt. Zwischen Schülerrat und Schulleitung gab es im letzten Jahr zwar Gespräche zu einer „Schule ohne Smartphone“, dennoch sorgt die neue Regel für Unmut.

Für die stellvertretende Schülersprecherin Luise Fröhlich kam das Verbot dann doch sehr plötzlich: „Vor den Herbstferien wurde uns einfach gesagt, dass wir nach den Ferien keine Handys mehr benutzen dürfen. Da wurde gar nicht mehr darüber gesprochen. Wir hätten uns gewünscht, einen Kompromiss zu finden“, meint sie. Jetzt hingegen sei vieles schwieriger geworden – man könne nicht mehr den Vertretungsplan auf dem Handy nachsehen oder sich leicht mit Freun­d:in­nen verabreden.

Doch es gibt auch positives Feedback. Auf die Frage, wie er die Pilotphase erlebt habe, antwortet ein 10.-Klässler: „Wir unterhalten uns mehr als sonst miteinander.“ Zustimmendes Nicken von seinen Freunden. Nur einen aus der Gruppe stört das Handyverbot. Er hatte am Morgen am Handy „gezockt“, dann sei ihm sein Smartphone abgenommen worden. „Ich hab das mit dem Verbot vergessen, ist ja noch ganz neu“, meint er.

Auch Yara aus der 11. Klasse hält wenig von der neuen Regel: „Es gibt hier Leute, die sind 18 Jahre alt, die nicht auf ihr Handy gucken dürfen.“ Dass man nicht die ganze Zeit während des Unterrichts das Handy in der Hand habe, sei bei den höheren Jahrgangsstufen auch so klar. Das Verbot führe jetzt nur dazu, dass die Älteren noch häufiger als zuvor ihre Pausen außerhalb des Schulgeländes verbrachten, wo das Handyverbot nicht greift, meint Yara.

Dann klingelt es zur Pause. Während sich die einen also aufmachen „zum Konsum“, sitzen auf der Bank vor dem Schuleingang fünf Siebtklässler. Auf dem Rücken haben sie noch ihre Rucksäcke. Sie zocken.

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6 Kommentare

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  • Ich wünsche Australien die nötigen Hühnerprodukte, um den Plan, Unter-16-Jährigen die Geißel der Menschheit "Social Media" (der Begriff schreit förmlich nach einem Missbrauchsbeauftragten für Sprache) zu verbieten, in die Tat umzusetzen. Es wäre ein Anfang, der dann für die gesamte Menschheit umgesetzt werden sollte.

  • Das so was noch ne Meldung wert ist.



    Bei meinem Kind an der weiterführenden Schule in Hamburg ist das Handy schon lange auf dem Schulgelände verboten. Etwas was alle Schülerinnen und Schüler akzeptieren, zu schätzen wissen und sich alle dran halten.



    Also etwas völlig normales. Und wenn digital im Unterricht gearbeitet wird gibt es die Computer der Schule oder ggf. darf dann mit dem Handy gearbeitet (recherchiert) werden.

  • Das hat ganz viel von "Wasch mir den Pelz aber mach mich nicht nass."



    Wir wollen die Digitalisierung der Klassenzimmer voran treiben, aber andererseits wollen wir sie von digitalen Medien fern halten. Das verstehen am allerwenigsten die Kinder selber. Denn was in deren Köpfen nicht logisch klingt, wird nicht akzeptiert werden.



    Und dass dadurch beispielsweise das Mobbing weniger werden wird, ist stark zu bezweifeln. Das Mobbing macht dann nur eine Pause zwischen 8 Uhr und 14 Uhr.

    Die Nutzung von Smartphones erfordert eigentlich eine geschulte Einführung. Wir werfen Kinder beim Schwimmunterricht auch nicht einfach so ins Wasser und rufen hinterher: das klappt schon. Auch den Führerschein gibt es nicht einfach so. Beim Smartphone gibt es jedoch so eine Art "Gottvertrauen", und weil es zum wichtigen Bestandteil der Lebensweise geworden ist.

    Und ganz ehrlich: viele Eltern sind im Verhalten diesbezüglich so gruselig wie ihre Kinder. Das Handy immer in der Hand. Auf dem Sofa wird zusammen nicht geredet sondern getrennt gechattet. Auch die haben die neue Technik ohne schulische Einführung erhalten.

    • @Mopsfidel:

      Auf der einen Seite haben Sie recht. Auf der anderen Seite muss ich aber darauf hinweisen, dass Sie einem zehnjährigen auch keinen Fahrunterricht geben, sondern damit warten, bis das Kind alt genug ist, um mit einem Auto umgehen zu können.



      Natürlich ist es sinnvoll an Schulen die Digitalisierung voranzutreiben und trotzdem den unkontrollierten privaten Umgang mit Internetfähigen Geräten zu verbieten.



      Das beschreibt genau das, was Sie verlangen: Die Kinder langsam ans Thema ranzuführen und ihnen den richtigen Umgang beizubringen.



      Das kann man kaum den Eltern überlassen, die es größtenteils ja selbst nie gelernt haben.

      • @Herma Huhn:

        Ihre Idee gleicht einer Quadratur des Kreises. Zwischen 8 Uhr und 14 Uhr (in der Schule) wird die private Nutzung reglementiert und dazwischen heißt es trotzdem weiterhin "Feuer frei".



        Die Kinder von heute erhalten zwischen ihrem 6. und 12. Lebensjahr ihr erstes Smartphone (www.marktforschung...genes-smartphone/). Und damit beginnt sukzessive auch der Einstieg in die sozialen Medien, WhatsApp und Co. Bevor die Schule hier überhaupt pädagogisch wirken kann, sind die Kinder an die Nutzung bereits gewöhnt beziehungsweise haben sich ihr Nutzungsverhalten selber erlernt.

  • Jede Lehrkraft kann aus eigener Erfahrung von den fast ausschließlich negativen Folgen des Handygebrauchs berichten. Es geht so weit, dass SchülerInnen teilweise gar nicht mehr in der Lage sind, in kleinenn Gruppen oder zu zweit zu kommunizieren.

    Darunter leidet auch extrem die Sprachfähigkeit ganz allgemein. Wer diese von SchülerInnen produzierten "Texte" lesen muss, erschrickt. Man muss das Handy ein Stück weit als Verblödungsinstrument sehen, vor allem, weil die SchülerInnen den sinnvollen Umgang damit ja nicht beigebracht bekommen und so hauptsächlich bei tictoc und Konsorten landen.