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Lage in der UkraineDer Zermürbungskrieg

Kurz vor den US-Wahlen ist die militärische Lage der Ukraine unsicher. Indessen bekommt Russland Unterstützung durch Tausende Soldaten aus Nordkorea.

Wie lange noch und zu welchem Preis? Ein Gebäude in Kyjiw nach einem Drohnenangriff am 25. Oktober 2024 Foto: Foto: Thomas Peter/reuters

Der Oktober war für die Ukraine ein Monat voller Herausforderungen. Die Lage an der Front ist schwierig, die Regierung macht militärische und politische Fehler, der tägliche Beschuss und die Aussicht auf Stromausfälle im Winter haben große Auswirkungen auf die Moral. Der Krieg dauert nun schon sehr lange und die Erschöpfung fordert ihren Tribut.

Allzu sehr erwarteten manche, Präsident Wolodymyr Selenskyj würde mit seinem „Siegesplan“ ein magisches Rezept erfinden, um die Kriegsmaschinerie des Kremls ohne große Anstrengungen der Partner zu stoppen. Er präsentierte den Plan zuerst in Washington, dann in Europa und schließlich im ukrainischen Parlament. Die eher verhaltene Reaktion darauf war eine kalte Dusche.

Selenskyjs Plan löste keine große Euphorie aus, da er lediglich die Schritte systematisiert, die die Ukraine in den letzten zweieinhalb Jahren bereits mehrfach als Weg zum Frieden geäußert hat – Nato-Beitritt, Lieferung aller heute notwendigen Waffen und Abschreckungsmittel für die Zukunft.

Was wirklich neu war und zum ersten Mal geäußert wurde, waren die Bereitschaft des ukrainischen Militärs, nach dem Krieg die US-Truppen in Europa zu ersetzen, und die Forderung, die natürlichen Ressourcen der Ukraine für eine zukünftige gemeinsame Nutzung zu schützen. Der Schlüssel zu diesen Schritten bleibt die formelle Einladung der Ukraine in die Nato, um ein klares Signal an Wladimir Putin zu senden.

Die US-Wahlen verlangsamen alles

Doch auch wenn diese Schritte aus militärischer Sicht durchaus logisch erscheinen, haben die wichtigsten Partner – die USA und Deutschland – keine Eile, eine solche politische Entscheidung zu treffen. Alle warten die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen ab. Die Unsicherheit über die weitere Unterstützung des Landes durch die USA ist in der Ukrai­ne deutlich zu spüren. Es ist offensichtlich, dass die Demokratische Partei beschlossen hat, im Wahlkampf keine lauten Aussagen zur Ukraine zu machen, und Donald Trumps Äußerungen zur Beendigung des Krieges stimmen bisher wenig mit der Vision der Ukrainer überein.

Eines ist sicher: Nach den Wahlen könnte sich das Tempo der Waffenlieferungen an die Ukrai­ne weiter verlangsamen. So hat US-Präsident Joe Biden die Lieferung von JASSM-Langstreckenraketen, die für den effektiven Einsatz von F16-Kampfflugzeugen notwendig sind, noch nicht genehmigt. Auch hat er die westlichen Waffen nach wie vor nicht für den Angriff auf Militärziele auf russischem Territorium zugelassen, von denen die ukrainische Seite den Partnern eine Liste vorgelegt hat.

Verspätete Waffenlieferungen, verzögerte Entscheidungsfindung und das Fehlen einer westlichen Vision gehören zu den Hauptgründen, warum sich der Zermürbungskrieg in die Länge zieht. Die Strategie „Die Ukraine darf nicht verlieren und Russland darf nicht gewinnen“ ist weder zielführend noch realistisch. Russland, der Iran und Nordkorea, zweifellos mit Billigung Chinas, treten als geschlossene Front gegen die Ukraine auf. Die Allianz der autoritären Staaten macht sich nicht nur lustig über die westlichen Demokratien, sondern zeigt ganz offen ihre Schwäche auf, sich gegen äußere und innere Bedrohungen zu verteidigen. Die russische Armee nutzt diese Schwäche direkt auf dem Schlachtfeld in der Ukraine aus.

Im Oktober machte die russische Armee die schnellsten Vorstöße seit den ersten Kriegswochen und besetzte 470 Quadratkilometer ukrainischen Territoriums, darunter die Großstädte Wuhledar, Selidowe, Nowohrodiwka, Otcheretyne, Hirnyk, Ukrajnsk und Dutzende weiterer Dörfer. Die russischen Truppen haben ihre taktischen Offensiven in vielen Richtungen gleichzeitig wieder aufgenommen.

Russischer Durchbruch in Pokrowsk

Im Gebiet Charkiw rücken die Russen auf die Stadt Kupjansk vor, die bereits 2022 einige Monate unter ihrer Kontrolle war. Ihr unmittelbares Ziel ist es, das Ufer des Flusses Oskil zu erreichen und dort Fuß zu fassen. Die Grenzstadt Wowtschansk im Norden der Region wurde von russischen Bomben völlig zerstört, aber die ukrainische Armee konnte die Offensive dort stoppen.

Am schwierigsten ist die Lage nach wie vor in der Region Donezk, wo von einst 1,9 Millionen Menschen nur noch 340.000 dort leben. Während die ukrainische Armee den russischen Vormarsch bei Siwersk auf dem Weg zu den Großstädten Slowjansk und Kramatorsk sowie bei Tschasiw Jar stoppen konnte, gelang den russischen Streitkräften im weiteren Verlauf ein Durchbruch.

Toretsk ist bereits zur Hälfte unter russischer Kontrolle. Die Eroberung der Stadt Wuhledar, einer wichtigen Anhöhe in der Region, sowie der Stadt Hirnyk, die ebenfalls auf einer Anhöhe liegt und von den Ukrainern nicht nur für den Abschuss von Drohnen, sondern auch für den Funkverkehr genutzt wurde, öffnet den Weg nach Kurachowe. Die Einnahme von Kurachowe, um das bereits blutige Kämpfe im Gange sind, wird den Verlust der Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte über den gesamten Süden der Region Donezk und ihren Rückzug an die Grenze der Region Dnipro bedeuten.

Der größte Durchbruch gelang den Russen in Richtung der nur etwa zehn Kilometer entfernten Stadt Pokrowsk. Die Stadt ist ein wichtiger logistischer Knotenpunkt für die ukrainische Armee. Außerdem befindet sich in Pokrowsk das einzige Bergwerk der Ukraine, das Kokskohle abbaut, die für die Stahlproduktion unerlässlich ist. Die Ukraine müsste ihre Stahlproduktion um die Hälfte reduzieren, wenn die Besatzer dieses Bergwerk einnehmen. Obwohl sich der direkte russische Vormarsch verlangsamt hat, gehen Experten davon aus, dass die Schlacht um Pokrowsk noch vor dem Winter beginnen wird.

Ein zweiter Staat an Russlands Seite

Neben dem seit Langem bekannten Problem des Muni­tionsmangels hat die ukrainische Seite eine Reihe von Fehlern bei der Vorbereitung der Verteidigungslinien gemacht, die es den zahlenmäßig deutlich unterlegenen Russen ermöglicht haben, die Front zu durchbrechen. Ein weiteres gravierendes Problem auf ukrainischer Seite ist die oft unkoordinierte Führung der Truppen vor Ort. Hinzu kommt ein drastischer Personalmangel. Die Soldaten, erschöpft von zwei Jahren harter Kämpfe, können nicht für eine Rotation oder eine kurze Pause und Erholung ausgewechselt werden. Die ukrainische Militärführung will nun weitere 160.000 Soldaten mobilisieren, um die Einheiten wenigstens zu 85 Prozent zu besetzen.

Vor diesem Hintergrund hat die russische Armee auch eine Offensive in der russischen Region Kursk gestartet, wo die Ukraine seit mehr als zwei Monaten rund 1.000 Quadratkilometer unter ihrer Kontrolle hält, und unter erheblichem Kräfteeinsatz einen Teil des Gebietes zurückerobert. Nach offiziellen Angaben sind auf ukrainischer Seite mehr als zehn Brigaden an der Operation Kursk beteiligt. Kritiker bezweifeln die Sinnhaftigkeit dieser Operation auf russischem Gebiet angesichts der Lage im Donbas. Andere verweisen auf die Bedeutung asymmetrischer Aktionen, bei denen die Einnahme russischer Gebiete Teil eines größeren militärischen Plans sein könnte.

Gleichzeitig meldet der ukrainische Militärgeheimdienst, dass bereits mehrere tausend nordkoreanische Soldaten in der Region Kursk eingetroffen seien. Darunter sollen sich auch mehrere hundert Offiziere befinden, was darauf hindeuten könnte, dass sie als selbständig operierende Einheiten eingesetzt werden sollen – zum Beispiel, um bereits von den Russen zurückeroberte Gebiete zu halten und so Tausende russische Soldaten für weitere Offensivoperationen freizusetzen. „Das ist de facto bereits die Beteiligung eines zweiten Staates am Krieg gegen die Ukraine an der Seite Russlands“, sagte kürzlich Selenskyj. Offensichtlich hat Wladimir Putin den Moment genutzt, in dem sich die USA auf den Wahlkampf konzentrieren.

Nicht zuletzt setzt die russische Armee ihre täglichen Raketen- und Drohnenangriffe auf ukrainische Städte fort. Allein in der vergangenen Woche wurden 1.100 gelenkte Luftbomben, mehr als 600 Angriffsdrohnen und mehr als 20 Raketen verschiedener Typen auf das Land abgefeuert. Die Städte Cherson, Sumy und Charkiw werden mehrmals täglich angegriffen. Im Durchschnitt werden in der Ukraine täglich etwa ein Dutzend Menschen durch Beschuss getötet und Dutzende verletzt, regelmäßig sind auch Kinder unter den Opfern.

Es ist ein Zermürbungskrieg. Eine völlige Erschöpfung der einen oder anderen Seite ist jedoch noch nicht abzusehen, sodass trotz der schwierigen Lage noch nicht von einer bevorstehenden Niederlage oder einem Ende des Krieges gesprochen werden kann. Pawlo Palisa, Kommandeur der 93. Brigade der ukrainischen Streitkräfte, die seit drei Jahren im Donbass im Einsatz ist und unter anderem um die Stadt Bachmut gekämpft hat, meint: „Frieden und Sieg sind sehr unterschiedliche Konzepte. Wenn wir die Hälfte der Ukraine verlieren, ist das kein Sieg. Ein solcher Frieden ist nur eine Zeit vor dem nächsten Krieg.“

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17 Kommentare

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  • Wie wäre es mit einem „unmoralischen Angebot“ an die nordkoreanischen Soldaten: Sie müssen nicht zurück ins Hungerland, wenn sie die Seite wechseln. Das könnte eine ungeahnte Dynamik auslösen.

    • @vieldenker:

      Ich könnte mir vorstellen, dass explizit Soldaten ausgewählt wurden, die noch Familienangehörige im Heimatland haben...

      • @Encantado:

        Ist so und so ein gewisses Risiko für Kim. Selbst Russland ist im Vergleich mit Nordkorea ein freies Schlaraffenland. Wie will er sicherstellen, dass die Soldaten zu Hause davon nichts erzählen?

  • Vielen Dank für die realistische und traurige Darlegung dieses Konflikts in ihrem Artikel! Danke für ihren Einsatz für das Richtige!

  • "Was wirklich neu war und zum ersten Mal geäußert wurde, waren die Bereitschaft des ukrainischen Militärs, nach dem Krieg die US-Truppen in Europa zu ersetzen..."

    Mal abgesehen davon, dass die Ukraine weder die personellen, noch die wirtschaftlichen Ressourcen dafür hat. Bevor wir ukrainische "Schutztruppen" in Deutschland zulassen, sollten wir lieber die Bundeswehr auf Vordermann bringen.

  • Versagen der westlichen Industriestaaten auf voller Linie. Es ist klar, dass das faschistische Russland die Ukraine nur als Teilschritt sieht. Vor allem jetzt, wo die Kriegswirtschaft am Brummen ist. Aber genau wie beim Klimawandel sind unsere inkompetenten, korrupten Politiker innen nicht in der Lage über die nächste Wahl hinauszuschauen und langfristige Entscheidungen zu treffen.



    Natürlich werden die Diktatoren und Faschisten dieser Welt glauben, dass ihnen zusteht zu machen was immer sie wollen.

    • @Okti:

      "über die nächste Wahl hinauszuschauen und langfristige Entscheidungen zu treffen."

      Vielleicht machen das aber gerade die entscheiden Politiker!? Eine aktzeptieren der russischen "Einflusszone" bis zu einem gewissen Grad ist schließlich kein legetimieren. Was würde ein dritter Weltkrieg bringen? Im Umgang mit der UDSSR hatte man sich dazu entschieden deren riesige "Einflusszone" zu aktzeptieren - was meinen Sie wäre passiert, wenn man das zb beim Prager Frühling 1968 nicht gemacht hätte? Oder wenn man die ukrainischen Kämpfer, die bis weit in die 50er gekämpft hatten groß unterstüttt hätte?

  • Südkorea sollte die russischen Truppen mit Propaganda-K-Pop beschallen, bis sie auf dem Zahnfleisch winseln. Ballons mit Kimchi sorgen dann für den Rückzug.



    Rache ist süß.

    • @Janix:

      Ist ein echter Krieg. Keine Spaßveranstaltung.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Ja. Welche anderen Optionen sehen Sie für Südkorea unterhalb der selbstgesetzten Grenzen?

        • @Janix:

          Jedenfalls nicht rumalbern. Dazu ist das Thema zu ernst. Im Zweifelsfall könnte Südkorea z.B. seine Armee von ukrainischen Offizieren schulen lassen. Dann wäre wieder Gleichgewicht

  • „Die Ukraine darf nicht verlieren und Russland darf nicht gewinnen“

    Das furchtbare Dilemma ist, dass es momentan nicht wirklich eine praktikable Alternative gibt, außer vielleicht Verhandlungen bei denen die Urkaine, dass müsste man natürlich ehrlicherweise sagen, nicht auf Augenhöhe mit dem Agressor Russland wäre.



    Vielleicht erinnern sich noch manche noch an Bidens Armageddon Rede aus dem Herbst 22, als er davor warnte, dass die Welt seit der Kubakrise nicht mehr so nah am nuklearen Abgrund stand. Die Aussagen wurden zwar im Nachhinein relativiert, aber vieles spricht dafür, dass Biden entsprechende Geheimdiensterkenntnisse vorlagen und er unter Umständen schlimmeres verhindert hatte:

    www.fr.de/politik/...g-zr-93353317.html

    Wenn Putin, aber bereits nach einer Niederlage wie der Charkiw-Offensiv ernsthaft über eine nukleare Eskalation nachdachte was würde erst passieren, wenn Russland wirklich am Rande einer Niederlage stehen würde?



    Vielleicht kann man bei Berücksichtigung dieser Umstände besser das maßvolle Vorgehen von Biden und Co verstehen, was man ja noch vom Umgang mit der UDSSR kennt.

    • @Alexander Schulz:

      Laut Oberst Reisner muss damals der Atomwaffeneinsatz geplant gewesen sein, weil die Elite der Russen in Cherson festsaß. Die Inder und andere haben dann den Abzug vermittelt.

  • Danke für diesen umfangreichen Bericht!



    Neu ist, dass neben der üblichen Kritik an den Unterstützern der Ukraine, auch mal homöopathische Dosen an Kritik über Selenzky gestreut werden.



    Die Situation in Kursk verläuft wie erwartet:



    die von der Front abgezogenen Truppen fehlen und ermöglichten das breite Vorrücken der russischen Armee.



    Nun wird nebenbei das Kursker Gebiet zurück erobert.



    "Die Hoffnung" dass die russische Armee signifikant Kräfte von der Front abzieht, um im Kursker Gebiet vorzugehen, hat sich nicht erfüllt.



    Selensky hat hiermit die zweite taktische Niederlage erlitten, nach der erfolglosen Frühjahrsoffensive im vergangenen Jahr.



    Es steht natürlich Jedem frei, einen "großen geheimen Plan" hinter dem militärischen Vorgehen herbeizuwünschen, ich halte mich lieber an die Tatsachen.



    Es ist offenbar wenig hilfreich, Kompetenz zu entlassen und sich mit Ja Sagern zu umgeben.



    Nun wird also Personalaufstockung geplant.



    Die letzte Planung hat ein Jahr bis zum Gesetz gedauert, da war noch kein einziger neuer Rekrut ausgebildet.



    Vielleicht sollte Selensky in diesen Zusammenhängen mal selbst ein wenig schneller agieren.



    Ich bin , im Übrigen, weiter gegen einen dritten Weltkrieg.

    • @Philippo1000:

      Auch ich sehe einen dritten Weltkrieg sehr kritisch. Vielleicht muss man wie bei der UDSSR Moskau nachwievor eine gewisse "Einflusszone" zugestehen. Man sollte vielleicht nicht das Schicksal der Menschheit von (berechtigten) ukrainischen Maximalförderungen abhängig machen.

      • @Alexander Schulz:

        Würden Sie den Satz auch als Ukrainer, Balte oder Georgier schreiben? Wenn nein, was ist Ihre Begründung, scheinbaren "Frieden" auf dem Rücken Dritter anzustreben? Ist die universal verallgemeinrbar?

  • Ich habe Selenskis "Siegesplan" so verstanden, dass er maximale Kriegsziele von maximaler ausländischer Unterstützung abhängig macht. Da diese aber nicht in einem zur Erreichung der Ziele notwendigen Maße erfolgen kann, eröffnet ihm das einen Ausweg nach innen hin, wenn es denn zu Friedensverhandlungen kommen muss: - "Wir wollten siegen, aber der Westen hat uns nicht gelassen." - Das für ihn vielleicht politisch überlebenswichtig.