Negative Nachrichten: Jagd nach der nächsten Katastrophe

Der mögliche Kollaps des Golfstroms war im Februar eine große Nachricht. Eine neue Studie weckt daran Zweifel – doch in den Medien kommt sie kaum vor.

Eine Person mit Skiern auf einer Straße in New York im Schnee.

Ein Schneesturm in New York City im Jahr 2003 Foto: Stefan Falke/laif

Dramatischer geht es kaum: In Europa drohe ein ­„Temperatursturz von minus 30 Grad in weniger als einem Jahrhundert“, war im Februar in Medienberichten zu lesen. Zuerst berichtete CNN, im deutschsprachigen Raum griffen unter anderem Spiegel, Focus, RND, T-Online, Tagesspiegel, taz, sowie aus Österreich Heute, profil, Standard und Express diese Zahl auf. Teils hieß es gar – wie beim MDR – „auf der ganzen Nordhalbkugel könnte es im Durchschnitt bis zu 30 Grad kälter werden“. Natürlich machte die Meldung auch in den sozialen Medien die Runde, angeschoben unter anderem von einem Tweet des Gesundheitsministers Karl Lauterbach.

Vor den fatalen Folgen eines Kollaps’ des Golfstroms wird – völlig zurecht – seit Jahren gewarnt. Vereinfacht gesagt droht durch die Erhitzung der Meere eine Abschwächung oder ein Abreißen der Ozeanströmung, die warmes Wasser in den Nordatlantik bringt. Die Folge könnte tatsächlich eine drastische Abkühlung in Europa sein.

Im Februar dieses Jahres erschien dann die bisher umfassendste Simulationsstudie zum Thema. Sie wurde von Wissenschaftlern der Universität Utrecht verfasst und erschien im renommierten Magazin Science. Diese Studie war es, auf die sich die genannten Medienberichte bezogen.

Was aber in so gut wie keinem davon stand: Die minus 30 Grad gelten nur für eine Zeit von etwa 1.800 Jahren nach Beginn der Modellrechnung. Zudem prognostizierte die Studie den extremen Temperatursturz lediglich für den Monat Februar, und nur für die Nordmeerregion zwischen Bergen in Norwegen und Island. Für den Rest Europas sahen die Prognosen deutlich moderater aus, für Wien etwa minus 8 Grad im Februar und minus 1 Grad im August. Auch das könnte gefährliche Folgen haben. Doch eben bei Weitem nicht so starke wie der Extremwert, der in der Berichterstattung so prominent herausgestellt wurde, und das meist ohne Einordnung.

Durch mediale Anspitzerei wird aus Angst vor dem Klima-wandel noch mehr Panik

Kein Einzelfall

Der Fall ist symptomatisch für die mediale Neigung, katastrophisch zuzuspitzen. Die zieht sich durch fast alle Themen, doch sie wirkt sich umso problematischer aus, je schlimmer die zugrundeliegenden Fakten an sich sind. Und beim Klima ist zweifellos alles ziemlich schlimm.

Die Folgen solch medialer Zuspitzerei? Viele, die vor dem Klimawandel Angst haben, bekommen noch mehr Panik. Nach den Minus-30-Grad-Meldungen sorgten sich im Internet Menschen darüber, in Europa bald zu verhungern, oder zu „Klimaflüchtlingen“ zu werden, die das eiskalte Europa nicht mehr verlassen können, weil wärmere Weltregionen ihnen die Grenzen verschließen.

Gleichzeitig glaubten viele, die den Klimawandel anzweifeln, noch stärker daran, belogen zu werden. Ihr Tenor: Weil die Menschen noch nicht genug Angst vor dem Hitzetod hätten, komme die grün-rote Klima­lobby nun mit einem neuen Schauermärchen um die Ecke, um ihre politische Agenda leichter durchdrücken zu können. „Gestern war man sich zu 125 Prozent sicher dass es das hottest year ever war – und nun steht der Kältetod unmittelbar bevor“, schrieb etwa ein User auf Twitter. „Dieser Klima Fear Porn interessiert nur noch ein paar irre Luisas.“ So befeuert eine katastrophisierende Berichterstattung eine sich weiter polarisierende Wahrnehmung.

Anfang September kam nun eine neue Studie zum Golfstrom heraus. Geschrieben haben sie For­sche­r:in­nen der Universität Miami, publiziert wurde sie in Nature, neben Science die weltweit angesehenste Zeitschrift für Naturwissenschaften. Die Ver­fas­se­r:in­nen stellen hier – wieder vereinfacht gesagt – fest, dass eine Änderung des Erdmag­netfelds in einem wichtigen Element des Golfstrom, dem sogenannten Floridastrom, bisher nicht berücksichtigt worden war.

Die entsprechende Korrektur zeige, dass der Floridastrom „bemerkenswert stabil“ geblieben sei. Die daraus folgenden Schätzungen zur künftigen Entwicklung des Golfstroms insgesamt „ergeben einen deutlich schwächeren negativen Trend“ als die Berechnungen mit den unkorrigierten Floridastrom-Transporten. Soll heißen: Womöglich schwächt sich der Golfstrom sehr viel weniger ab, als angenommen.

In Klimaskeptikerkreisen wurde die neue Studie aus Miami begeistert herumgereicht. Die ganze Golfstromverlangsamung sei „nur ein Messfehler“ gewesen, hieß es da. In großen Medien hingegen findet sich zu der Studie – nichts. Dabei wüsste man doch gern, wie es kommt, dass ein solch starker Effekt bisher offenbar übersehen wurde. Oder was das für die Klimaentwicklung bedeuten könnte.

Anfrage bei Jochem Marotzke, Direktor des Hamburger Max-Planck-Instituts für Meteorologie. Marotzke ist auf dem Gebiet einer der meistzitierten Wissenschaftler, er wird auch in der Utrechter Studie vom Februar zweimal zitiert. Die neue Untersuchung aus Miami habe „Hand und Fuß, und die Schlussfolgerungen sind robust“, sagt Marotzke. Der Golfstromstransport habe „nicht abgenommen“. Diese Korrektur sei nicht durch einen „Messfehler per se“ notwendig geworden, „sondern durch einen Fehler in der Analyse“. Die Änderung des Erdmag­netfelds sei nicht berücksichtigt worden, das wäre jetzt der Fall. Marotzkes Fazit: „Alles sehr überzeugend.“

Das klingt nach einer potentiell guten Nachricht. Aber solche haben es schwer. Weit schwerer, als Schocker wie die „minus 30 Grad“. Und das ist ein Problem.

Eine der Ursachen dafür liegt im Auftrag der journalistischen Medien. Sie sind dazu da, Risiken und Gefahren aufzudecken, zu zeigen, was falsch läuft. Gute Nachrichten haben wenig Priorität und werden darum kaum transportiert.

Negatives verkauft sich besser

Zudem sind Medienmärkte und die Aufmerksamkeit in der Gesellschaft immer härter umkämpft. Und durchsetzen im Kampf um Aufmerksamkeit könnten Medien sich am zuverlässigsten mit „Nachrichtenfaktoren wie Konflikt, Dramatisierung, Negativismus“, wie die Kommunikationswissenschaftler Lutz Hagen schreibt. Alarmistische Töne finden leichter Gehör, sie werden schneller verbreitet als ruhige und sachliche Berichte, die auf mögliche Verbesserungen, Fortschritte oder Handlungsmöglichkeiten hinweisen.

Dass es Kollapsphänomene geben könne, sei klar, sagt Jürgen Renn, Direktor am Jenaer Max-Planck-Institut für Geoanthropologie. Kipppunkte, die Klima- und Erd­sys­tem­for­sche­r:in­nen ausgemacht haben, könnten „alle möglichen kaskadenartigen Dominoeffekte im ganzen Erdsystem“ haben, sagt Renn. „Das sind ja nichtlineare, hoch­komplexe Systeme.“ Doch eben deshalb verbiete es sich zu sagen: „Wir wissen gerade, wie es ausgeht, nämlich: Kollaps.“ Das sei ein „unzulässiger Kurzschluss“.

Medien gehen mit diesem Problem nicht sensibel genug um. Gefahren werden weiter dramatisiert, was Hoffnung macht, fällt oft unter den Tisch. „Minimieren Sie apokalyptische Botschaften, die zu Öko-Angst und Öko-Lähmung führen können“, schreibt hingegen das International Journalism Network in einer Handreichung zur Berichterstattung über die Klimakrise.

Die Naturwissenschaft vermag – fraglos exakter als je ­zuvor –, Aussagen über die Zukunft zu treffen. Ihre Vor­hersagen scheinen in ihrer ­rationalen Autorität unerbittlich. Doch so umfangreich das gesammelte Wissen heute auch sein mag – nicht alles tritt ­genau so ein, wie vorhergesagt. So hat etwa kaum jemand so klar auf die existenziellen ökologischen Risiken hingewiesen wie der Club of Rome. Und doch hat er die Entwicklung nicht kommen sehen, dass nur kurze Zeit später erneuerbare Energien in Massen verfügbar sein würde.

An der Notwendigkeit, auf Grundlage des aktuellen Wissensstandes gegen die Klimakrise vorzugehen, ändert das nichts. Doch wer von Klimaangst geplagt ist, kann sich so oft kaum noch vorstellen, dass sich manche Dinge auch wieder zum Besseren wenden können. Und wem der Glauben daran fehlt, dem fehlt auch schnell die Kraft, sich für Verbesserungen einzusetzen.

So kann es helfen, sich die begrenzte Aussagekraft düsterer Prognosen immer mal wieder vor Augen zu führen. Um sich von ihnen nicht lähmen zu lassen, und um Vertrauen in den Selbsterhaltungstrieb der Menschheit zu bewahren.

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