Solarausbau in Berlin: Rechtsbruch auf dem Dach
Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist nur ein kleiner Teil der Schuldächer mit Photovoltaik bestückt. Selbst bei Neubauten wird häufig darauf verzichtet.
Die SPD-Abgeordnete Linda Vierecke sagt, da müsse man sich nichts vormachen: „Berlin wird sein eigenes Gesetz brechen, und zwar massiv.“ Die umwelt- und klimapolitische Sprecherin der SPD-Fraktion hat sich beim Senat nach dem Stand der Dinge bei den Dächern der vor allem in die Zuständigkeit der Bezirke fallenden Schul- und Sportgebäude erkundigt.
Das Resultat ihrer jetzt veröffentlichten parlamentarischen Anfrage: „Note mangelhaft“, sagt Vierecke. Nur ein geringer Teil der landeseigenen Schulbauten ist mit Photovoltaikanlagen ausgestattet. In Pankow etwa sind es 27 Prozent, in Tempelhof-Schöneberg sogar nur 2 Prozent. „Aber wo sollen wir denn anfangen mit dem Solarausbau, wenn nicht auf den landeseigenen Gebäuden?“, so Vierecke zur taz. „Die Klimakrise drängt, hier sollten wir endlich vorankommen.“
Selbst mit Blick auf Schulneubauten werden die gesetzlichen Vorgaben in zahlreichen Bezirken nicht eingehalten. Fast alle in der Senatsantwort zitierten Bezirksämter geben an, in den vergangenen beiden Jahren auch neue Gebäude einfach nur „PV-Ready“ gemacht, also „für die Errichtung einer Photovoltaikanlage vorgerüstet“ zu haben.
Die „Trendwende beim Solarausbau in Berlin“, die Wirtschafts- und Energiesenatorin Franziska Giffey (SPD) bereits im Dezember 2023 ausgerufen hatte – zumindest beim Milliardenprojekt Schulbauoffensive ist sie nicht zu erkennen.
Teils irritierende Begründungen
Die Begründungen, warum auf die Module selbst verzichtet wird, sind vielfältig. In Marzahn-Hellersdorf verweist das Bezirksamt auf „Lieferengpässe“ und ungeklärte Finanzierungsfragen. Treptow-Köpenick beruft sich auf einen Passus im Energiewendegesetz, wonach Anlagen auch erst „ein Jahr nach Bauabnahme“ errichtet werden können.
Reinickendorf interessiert das Gesetz überhaupt nicht, sondern sieht sich nur an die 2019 von der Bildungsverwaltung veröffentlichten „Vorgaben zur Errichtung neuer Schulgebäude“ gebunden. Dort gehe es schließlich nur um „PV-Ready“ und nicht um die Installation einer Anlage.
„Solche Antworten gehen mir nicht in den Kopf“, sagt Linda Vierecke. Sie habe Verständnis dafür, wenn im Rahmen der Schulbauoffensive bei erst noch anstehenden Sanierungen die Installation zeitlich bis zum Start der Maßnahmen verschoben wird. „Aber wie wenig das Energiewendegesetz ansonsten umgesetzt wird, das erschreckt mich schon“, so die SPD-Politikerin.
Ähnlich reagiert Daniel Buchholz, Leiter des Kompetenzzentrums Klimaneutrale Schulen des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen. Er nennt die Untätigkeit in den Bezirken „ein absolutes Armutszeugnis“. Als ehemaliger klimapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus war er an der Novelle des Gesetzes 2021 „nicht unbeteiligt“, wie er sagt.
„Das Ziel, möglichst alle öffentlichen Dächer mit Solaranlagen zu bestücken, war ambitioniert, das war auch allen klar“, so Buchholz zur taz. Aber es wäre machbar gewesen, wenn man es wirklich gewollt hätte. „Da braucht es den politischen Willen“, sagt der Energieexperte.
Es geht auch anders
Immerhin drei Bezirke ragen aus der allgemeinen Lethargie heraus. Sowohl im CDU-geführten Spandau als auch in den Grünen-dominierten Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf sind ausnahmslos alle 2023 und 2024 neu errichteten Schul- und Sportgebäude mit einer Solaranlage ausgestattet. „Das hat weniger etwas mit Parteifarben zu tun, sondern damit, wie stark sich die zuständigen Stadträte für Facility Management und Schule wirklich darum kümmern“, sagt Daniel Buchholz.
Im Haus von Wirtschafts- und Energiesenatorin Franziska Giffey übt man sich trotz der ernüchternden Befunde aus den Bezirken in Zweckoptimismus. „Die Bezirke bauen den Anteil von Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden kontinuierlich aus“, heißt es auf die Frage, wie der Senat die Aktivitäten vor Ort bewertet.
Kleiner Schönheitsfehler: Zu den tatsächlichen Fortschritten beim Ausbau „fehlen noch valide Daten“. Die Erhebung befinde sich, so die Senatsverwaltung, „aktuell in Bearbeitung“.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen