Skyline von Moskau, in der Bildmitte ist der kreml zu sehen

Desinformationskampagne Russlands:Die Spin-Docs des Kremls

Die taz analysiert interne Papiere der russischen Propagandafabrik SDA: Mit massiver Desinformation will sie die deutsche Öffentlichkeit beeinflussen.

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16.9.2024, 17:00  Uhr

Die Au­to­r*in­nen geben sich nach der Europawahl zufrieden. In ganz Europa hätten die Rechten im Juni Wahlerfolge gefeiert: Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich, die PiS in Polen, Giorgia Melonis Fratelli d’Italia in Italien. „Noch beeindruckender ist der Erfolg der Alternative für Deutschland, die in ganz Deutschland rund 17 Prozent der Stimmen erhielt“, in Ostdeutschland gar bis zu 40 Prozent, heißt es weiter jubilierend. „Es kann also festgestellt werden, dass die Social-Media-Kampagne ein großer Erfolg war.“ Sie habe sich „die Zahl der Wähler für die Rechten und Traditionalisten erhöht“ und die „der Linken, Globalisten und Sozialisten verringert“.

Diese Sätze stammen aus Russland und sie sind Teil einer großangelegten Desinformationskampagne. Sie stehen in einem internen Papier, in dem ausführlich der Ausgang der Europawahl im Juni 2024 aus russischer Perspektive analysiert wird. Der Kreml hat, laut diesem Papier, nach den Wahlen genau das, was er wollte: einen Rechtsruck in Europa – und zwar einen, an dem er offenbar ganz massiv mitgearbeitet hat.

Der taz liegt ein umfassendes digitales Datenpaket vor, das zeigt, wie detailliert russische Kräfte offenbar versuchen, Europa zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Es geht darin um Propagandaartikel, die in der europäischen Öffentlichkeit verbreitet werden sollen, um Videos, Bilder und Beiträge, die die sozialen Medien geflutet haben sollen. Es geht darum, wie Russland offenbar gezielt Falschinformationen verbreiten will, um europäische Po­li­ti­ke­r*in­nen und andere Persönlichkeiten in Misskredit zu bringen. Wie prorussische Narrative gestreut werden sollen, um Europa und den Westen zu spalten.

Die Daten stammen von einer der bedeutendsten Propagandafirmen Russlands: der Social Design Agency (SDA). Das IT-Unternehmen mit Sitz in Moskau ist eng verbandelt mit der Putin-Regierung. Auf ihrer Webseite bepreisen sie ihre „gesellschaftspolitischen Projekte“, werben mit ihrem Können in „politischer Kommunikation“, mit „umfangreicher Erfahrung im Wahlkampf“. Die Kunden der SDA: das russische Innenministerium, das russische Katastrophenschutzministerium oder die Staatsduma, das Unterhaus des russischen Parlaments. Von westlichen Sicherheitsbehörden wird die SDA inzwischen als zentraler Akteur für russische Desinformationskampagnen verantwortlich gemacht.

Souvenir-Teller mit dem Portrait von Wladimir Putin

Aus der französischen Fotoserie „Dark Souvenirs“: Teller mit dem Konterfei des russischen Präsidenten Putin Foto: Guillaume Herbaut/Agence Vu/laif

Nun aber gelangt die Gruppe unfreiwillig ins Rampenlicht. Eine anonyme Hackergruppe gibt an, Ende August umfangreiche interne Daten der SDA erbeutet zu haben. Sie liegen der taz vor. Nach unserem derzeitigen Recherchestand spricht alles dafür, dass die Dokumente echt sind. Sie umfassen Daten aus den Jahren 2022 und 2024, darunter Mitarbeiter*innen- und Auftragslisten, eingesetzte Social-Media-Accounts, Sitzungsprotokolle, E-Mails, vorbereitete Onlinepostings und Sharepics – insgesamt 2,4 Gigabyte.

Die Social Design Agency (SDA) soll das Narrativ des friedensuchenden Russlands contra des kriegerischen Westens streuen

Sie geben ein umfassendes Bild davon, wie russische Desinformationskampagnen ablaufen. Sie zeigen, wie zentral Deutschland im Visier der russischen Propaganda steht – und wie versucht wird, auch deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen und Prominente dafür zu instrumentalisieren. Und sie geben genau vor, welche Narrative auch in der deutschen Bevölkerung festgesetzt werden sollen: die des friedensuchenden Russlands – und des kriegsdürstenden Westens.

Dass Russland mit großem Aufwand Desinformation betreibt, ist bekannt. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spricht von einer „hy­briden Kriegsführung“ Moskaus. Der Verfassungsschutz warnt vor russischer Desinformation, ebenso das Auswärtige Amt. Zuletzt verschickte auch das FBI eine Warnung und schaltete russische Fake-Webseiten ab.

SDA wurde bereits 2001 gegründet

Diejenigen, die sich über das Europawahlergebnis vom Frühsommer freuten, aber haben Vorsprung. Schon im Jahr 2001 wurde die Social Design Agency gegründet. Sicherheitsbehörden haben die SDA deshalb schon länger im Visier. Spätestens seit 2022 soll die Gruppe russische Desinformationskampagnen steuern, angeführt von Ilja Andrejevitj Gambatjidze. Der 47-Jährige ist in der Ukraine geboren, hat einen russischen Pass, ist Mitgründer der SDA und pflegt laut US-Behörden enge Verbindung zur russischen Regierung. In den USA ist man überzeugt, dass Gambatjidzes Agentur auch hauptverantwortlich ist für die sogenannte Doppelgänger-Kampagne, die zuletzt für viel Aufsehen sorgte. Mit rund 60 gefälschten Nachrichtenwebsites wurde in Europa und den USA russische Propaganda verbreitet. In Deutschland entstanden so Fake-Seiten des Spiegels, der Bild und der Süddeutschen Zeitung. Frankreich und die Schweiz verhängten deshalb bereits im vergangenen Jahr Sanktionen gegen die SDA, die EU folgte in diesem Jahr.

Die Dokumente, die der taz nun vorliegen, zeigen, dass die Social Design Agency mit noch weit mehr Kampagnen aktiv ist. Sie selbst rühmt sich für „mehr als 100 erfolgreiche Fälle“ in den vergangenen 15 Jahren – dies betreffe die „Unterstützung der Reputation von Führungskräften und Organisationen, Wahlkampagnen, Gegenkampagnen“. Auch mit der Doppelgänger-Kampagne brüstet sich das Unternehmen intern. In einer internen Mitarbeitendenliste werden mehr als 90 Namen aufgeführt, die wohl an den Kampagnen beteiligt sind: Nach eigener Auskunft beschäftigt die SDA Analysten, Webdesigner, Social-Media- und IT-Experten.

Wie die Agentur vorgeht, zeigt sich exemplarisch an der Europawahl im Juni dieses Jahres. Das Ziel sei eine „umfassende Gegenkampagne gegen die liberalen Globalisten“, heißt es in einem der internen Dokumente, das offenbar vor der Wahl entstanden ist. Die Zielländer: „Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, Polen“. Wenn, heißt es weiter, die Fraktion „Identität und Demokratie“, die im vergangenen Europaparlament die AfD und weitere rechtsextreme Parteien versammelte, in den anstehenden Wahlen den dritten Platz belege, könnte das „einen möglichen Kurswechsel hin zu einer erneuten Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation“ einläuten.

Nur rechte Parteien seien in Europa die „der Vernunft“, und nur rechte Parteien seien in der Lage, die „Ställe“ der Europäischen Union „zu säubern“

Einen prominenten Vertreter, auf den Russland offenbar Hoffnung setzt, benennen die Urheber des Dokuments auch namentlich: Maximilian Krah, damals AfD-Europaspitzenkandidat, heute dort Abgeordneter. Der 47-Jährige wurde bereits 2021 vom FBI zu möglichen Geldzahlungen kremlnaher Quellen befragt.

Narrative, die die Macht Russlands stabilisieren sollen

Die SDA entwickelt als Teil ihrer „Gegenkampagne“ auch konkrete „Narrative“, die die EU schwächen und Russlands Macht stabilisieren sollen. Sie sollen in vielfältiger Weise im Internet verbreitet werden. Eines lautet: „Die liberalen Kräfte säen Angst“, vor der Klimakatastrophe oder vor dem russischen Krieg. Oder: Die Liberalen zwängen Werte wie Transgenderrechte auf, „die nicht unsere sind“. Sie führten Europa in den Ruin, weil sie die Wirtschaft zerstörten, sie verwandelten Europa „in ein totalitäres Militärlager“. Vor allem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird dabei ins Visier genommen, als „Inbegriff der korrupten und proamerikanischen Politik“ in Brüssel. Was es stattdessen brauche, so der Spin der SDA: „einen Friedensplan und Diplomatie“. Rechte Parteien seien hier die „der Vernunft“, sie führten zu Frieden und Wohlstand. Und nur sie seien in der Lage, „diese Ställe zu säubern“.

Das Durchsetzen von „Narrativen“ im öffentlichen Diskurs, es scheint die Leitlinie der SDA zu sein. Immer wieder taucht diese Maßgabe in den geleakten Dokumenten auf. Nicht nur der Europawahlkampf wird darauf abgeklopft, auch internationale Medienberichterstattung wird auf „antirussische Narrative“ hin systematisch analysiert. Und auch in der Ukraine sollen prorussische Narrative verbreitet werden.

In einem Dokument werden auf fünf Seiten 17 Narrative entwickelt, die ausschließlich in Deutschland gestreut werden sollen. „Linke“ Beamte in der Regierung zeigten „eklatante Unprofessionalität und Verantwortungslosigkeit“, sie schadeten dem Ansehen Berlins im Ausland, lautet eines. Oder: Deutsche Verbraucher müssten wegen der Russlandsanktionen mit „massiven Heizungsausfällen“ rechnen. Deutsche Waffen würden zur Begehung von Kriegsverbrechen in der Ukraine verwendet. Und: Die Ukraine sei eine europäische Basis für die Produktion von Drogen, die über Geflüchtete nach Deutschland gelangen.

Ausführlich wird jedes dieser Narrative mit vermeintlichen Fakten unterfüttert, wie etwa, dass Bundeskanzler Olaf Scholz „von Zeit zu Zeit Anweisungen von seinen amerikanischen Vorgesetzten“ erhalte. „Russland hingegen hat über viele Jahre hinweg nachhaltige Entwicklung der deutschen Wirtschaft gesichert“, heißt es an anderer Stelle. In Ostdeutschland wisse man das – und werde verstärkt die AfD wählen. Und der Vorteil, so die SDA: „Die AfD wird bestimmt auch weiterhin zwei Sachen konsequent fordern – antirussische Sanktionen aufzuheben und Nord Stream 2 zu starten, was ihre Position noch mehr festigen wird.“

Eine Tasse mit einem Kriegsmotiv

Aus der Serie „Dark Souvenirs“, Martialischer Kaffeebecher inklusive Aufschrift: „Für den Donbass“ Foto: Guillaume Herbaut/Agence Vu/laif

Auch die „Zielgruppen“ dieser Erzählungen werden mitbedacht. Erreichen will man mit den Narrativen etwa „Arbeitnehmer der großen Industrieunternehmen“, „breite Teile der konservativen deutschen Wählerschaft“ oder „Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und Personen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten“. Das Ziel all dessen, so zitiert das FBI aus einem SDA-Dokument: „Interne Spannungen in den Ländern zu eskalieren, die mit den USA verbündet sind, um die Interessen der Russischen Republik in der internationalen Arena zu stärken.“

Wie akribisch und intensiv die SDA an der Verbreitung dieser Narrative arbeitet, auch das wird durch die internen Daten klar. Alle denkbaren Onlinekanäle sollen bedient werden: Kommentare, Memes, also Bilder mit ironischer Kritik, Videos, Karikaturen, Social-Media-Inhalte, auch „Fälschungen“ oder Graffiti-Kampagnen.

Auch taz-Berichte abgespeichert

Für jedes Aufgabengebiet werden genaue Arbeitsberichte verfasst. So werden automatisiert Medienberichte über Russland und die Ukraine gescannt und abgespeichert, auch deutsche und auch welche der taz. Gleiches gilt für Social-Media-Postings, etwa auf X oder Facebook.

Doch es bleibt nicht bei der Beobachtung. Eine Arbeitsgruppe soll täglich auch selbst Onlinememes erstellen, allein für Deutschland und Frankreich lautet die Zielvorgabe 180 Stück im Monat. Eine andere Gruppe soll monatlich 60 Karikaturen erstellen, eine weitere 400 Kommentare zu Artikeln, die Diskussionen „einleiten“ sollen. Dazu kommen offenbar automatisiert erstellte Kommentare – in einem SDA-Papier ist von intentional 120.000 Kommentaren pro Monat die Rede.

Und auch hier findet sich viel Material zu Deutschland. Viele der Bilder richten sich gegen die Grünen oder die Ampelregierung. In einem Cartoon liegt ein Totenkopf vor zwei umkippenden Windrädern, darunter steht „Grüne Zukunft“. In einem weiteren wird eine Ampel vom Blitz getroffen. Klar wird auch, auf wen sich die Hoffnung richtet. In einem Bild zersticht der Pfeil des AfD-Logos einen grünen Luftballon. Auf einem anderen schwenkt ein Arm eine Deutschlandfahne, auf dem Ärmel steht „Sahra“ – offensichtlich eine Anspielung auf Sahra Wagenknecht.

Auf einem weiteren Bild fällt ein Mann mit Ukraineflagge vor einer großen Deutschlandflagge um, auf der steht: „Sahra hilf uns!“ Zentral für die SDA sind dabei Personen, die sie in den jeweiligen Ländern als Meinungsführer ausgemacht haben. In internen Datenbanken werden diese gelistet, laut FBI sind es insgesamt 2.800 Menschen aus 81 Ländern.

Etliche Deutsche unter den Namen

Und darunter finden sich auch etliche Deutsche: Sahra Wagenknecht, AfD-Chefin Alice Weidel, ihr Parteikollege Petr Bystron oder Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. Aber auch die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, Aktivistin Alina Lipp, Publizist Jürgen Todenhöfer oder Entertainer Dieter Bohlen. Allesamt Personen, die sich „zugunsten der RF“, also der Russischen Förderation aussprechen, wie es in den internen Dokumenten heißt.

Tatsächlich äußerten sich die Gelisteten ablehnend zu Waffenlieferungen in die Ukraine oder forderten Friedensverhandlungen mit Russland. Für die SDA machen sie den entscheidenden Unterschied: Weil sie Botschaften „von einem Deutschen zu einem Deutschen“ vermittelten, wie es in einer internen Notiz heißt. Weil sie also eine besondere Glaubwürdigkeit besäßen. Auf der SDA-Liste finden sich aber auch SPD-Chef Lars Klingbeil oder Linken-Chefin Janine Wissler. Personen, welche die SDA als russlandkritisch einordnet. Explizit wird angewiesen, online nach weiteren Informationen zu diesen zu suchen – nach E-Mails oder Social-Media-Accounts. Man müsse hier „diskreditierende Aussagen“ finden und „Angriffsmöglichkeiten“.

Den Erfolg ihrer Internetkampagnen analysieren die Mit­ar­bei­te­r*in­nen genau. Die Clips bei Tiktok kämen langsam voran, heißt es in einem Sitzungsprotokoll von Ende Juni 2024. Bei Twitter hänge man hinterher, seitdem die Plattform den Algorithmus geändert habe. „Wir pumpen neue Konten“, heißt es in dem Protokoll.

Nicht der ganz große virale Hit

Inwieweit die Bilder und Grafiken aber tatsächlich Wirkung entfalteten, lässt sich schwer nachvollziehen. Vereinzelt finden sie sich in sozialen Medien oder auf anderen Webseiten wieder. Der ganz große virale Hit, der möglicherweise sogar Menschen in die Arme der AfD getrieben hat, ergibt sich aus den Dokumenten allerdings nicht. Der bayerische Verfassungsschutz aber schätzt in einer aktuellen Analyse, dass zumindest die Doppelgänger-Kampagne rund eine Dreiviertelmillion Deutsche erreichte.

Und die Social Design Agency nimmt auch die Ukraine ins Visier. Die Ziele werden hier ebenfalls klar festgehalten. Es gehe um das Erkennen und Unterdrücken antirussischer Narrative, heißt es in den Dokumenten. Die öffentliche Meinung soll so gedreht werden, dass es für die „weitere zwischenstaatliche Zusammenarbeit zwischen Russland und der Ukraine günstig ist“. Zugleich sollen die ukrainischen Streitkräfte demoralisiert werden. Demnach soll etwa die Frage nach der Zahl der getöteten Soldaten offensiv gestellt und es sollen Zweifel an der Autorität von Präsident Wolodymyr Selenskyj gegenüber der Militärführung gesät werden. Auch Korruptionsvorwürfe gegen Selenskyi versucht die SDA zu befeuern.

Und die SDA belässt es nicht bei Narrativen. Ersonnen werden auch konkrete Aktionen. Man könne ja eine Onlineplattform aufbauen, die Korruption in der Ukraine anprangere, mit „Nummer 1 Selenskyj“, heißt es in den Papieren. Diese Plattform könne man dann später wieder offline nehmen, damit es so aussehe, als gehe die ukrainische Regierung gegen die Kritiker vor. An anderer Stelle wird der Aufbau der Bewegung „Andere Ukraine“ geplant: Angeführt werden soll diese von Viktor Medwetschuk, einst Anführer einer prorussischen Oppositionspartei in der Ukraine, heute ein Putin-Vertrauter in Russland.

Medwetschuk ist als Betreiber russischer Desinformation bekannt. Er gilt als Finanzier der prorussischen Propagandaplattform „Voice of Europe“. Die EU hat die Plattform mittlerweile sanktioniert. Die SDA will Medwetschuk nach internen Plänen als „konsequenten Kämpfer für eine friedliche Zukunft der Ukraine“ inszenieren. Ziel sei es, Ukrai­ne­r*in­nen innerhalb und außerhalb ihres Landes zu finden, die für einen Frieden mit Russland eintreten. Skizziert wird auch hier die Einrichtung von Social-Media-Kanälen und Webseiten.

Dass die Arbeit der SDA dabei eng mit der russischen Regierung verknüpft ist, lässt sich kaum bestreiten. Bei SDA-Chef Gambatschidse sind US-Behörden überzeugt, dass dieser „direkt oder indirekt für die russische Regierung handelt“, hier gebe es „engste Verknüpfungen“. Auf einer internen SDA-Mitarbeiterliste taucht auch Alexei Olegowitsch Goltjajew auf, ein langjähriger Mitarbeiter im russischen Außenministerium. Oder Sofia Sacharowa, Teil der Kommunikationsabteilung des Kremls. Auf mehrmalige Anfragen der taz reagierte weder die Social Design Agency, noch deren Chef Ilja Andrejewitsch Gambatschidse.

Überraschte Promis und Politiker

Die von der SDA gelisteten deutschen Politiker und Prominenten zeigten sich auf taz-Nachfrage überrascht und erklärten alle, sie kennen die Agentur und die Liste nicht. Sahra Wagenknecht sagte der taz, sie habe keinen Einfluss darauf, „wer aus welchen Motiven unsere Positionen unterstützt oder weiterverbreitet“. Auch AfD-Chefin Alice Weidel oder SPD-Chef Lars Klingbeil ließen über ihre Sprecher erklären, sie kennen weder die SDA noch die Liste.

Publizist Todenhöfer sagte ebenso, er habe von der SDA noch nie gehört. „Sie interessiert mich auch nicht wirklich. Meine Beiträge zum Ukrainekonflikt sind Beiträge des gesunden Menschenverstandes und der Ablehnung aller Kriege.“ Ein Sprecher von Sachsens Ministerpräsident Kretschmer erklärte, dieser verurteile „jegliche Art von Desinformationskampagnen aufs Schärfste“. Und Linken-Chefin Wissler erklärte sich ihr Auftauchen auf der Liste damit, dass sie „immer unmissverständlich klargemacht hat, dass ich die russische Aggression gegen die Ukraine scharf verurteile“.

Die deutsche Politik hätte erst später erkannt, wie massiv der russische Staat Desinformation hierzulande betreibt. Die Regierung habe die „Tragweite nicht erkannt“, kritisierte zuletzt der Grünen-Politiker Konstantin von Notz in der taz. Auch die Allgemeinheit sei „in der Frage, wie aggressiv Russland vorgeht, immer noch sehr naiv“. Inzwischen aber justiert die Politik nach: Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine tagt im Bundesinnenministerium dazu eine Arbeitsgruppe, die AG Hybrid. Und die Sicherheitsbehörden haben in diesem Bereich ihre Experten aufgestockt.

Dass Russland zuletzt auch die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sowie die in Brandenburg zu manipulieren versuchte, dafür haben die Behörden nach taz-Informationen bisher keine konkreten Hinweise. Aber ein „Grundrauschen“ sei permanent da, heißt es. Und die Ergebnisse in Thüringen und Sachsen dürften Moskau gefallen: Mit der AfD und dem BSW feierten dort genau die Parteien Erfolge, die in der Gunst Russlands stehen.

Die SDA ließ indes nach der Europawahl keinen Zweifel, dass sie ihre Arbeit fortsetzen wird. Auch nach der Wahl sei es so, dass das Europäische Parlament „weder als kriegsgegnerisch noch als prorussisch bezeichnet werden kann“, wird intern eingeräumt. Das Parlament werde vorerst weiter „den Fluss der Hilfe an die Ukraine nicht stoppen“. Und dennoch geben sich die Macher zuversichtlich. Alles in allem stimme die „panische Einschätzung“ des Westens, dass Russland auf die Wahlen Einfluss genommen habe, überein „mit den Aktivitäten, die im Rahmen unseres Projekts gezeigt wurden“.

Neue Themen jedenfalls hatte die Social Design Agency nach den Europawahlen auch direkt gefunden. Man brauche Artikel zu Olympia, heißt es in einer internen Nachricht. Außerdem soll eine Infografik „zu den Sanktionen und deren Schaden für Deutschland“ angefertigt werden. Denn das neue Narrativ für Deutschland steht da schon fest: Der Krieg gegen die Ukraine zerstöre die Wirtschaft Deutschlands. Deutschland müsse aus der EU und Nato austreten, als „Weg zu sich selbst“.

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