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Gedruckte ZeitungenEndlich nicht mehr herumdrucksen

Alles hat ein Ende, nur die … Nein, jetzt geht es nicht mit dem üblichen Spruch weiter. Denn die gedruckte taz hat ein Ende, zumindest wochentags.

Papier ist geduldig: taz-Zeitungsstapel in den Redaktionsräumen in der Rudi-Dutschke-Straße, Mai 2014 Foto: Karsten Thielker

P apier ist geduldig, heißt es, und das Schöne ist: Es stimmt. Wenn Sie zum Beispiel gerade die wochentaz durchblättern, aber keinen Bock haben, jetzt ausgerechnet diesen Text zu lesen, dann können Sie das auch morgen tun. Oder übermorgen. Oder irgendwann. Er wartet hier auf Sie.

Die meisten, vor allem die jüngeren Menschen sind allerdings nicht ganz so geduldig wie Papier. Sie wollen sofort wissen, was auf der Welt los ist und was das um alles in der Welt schon wieder zu bedeuten hat. Es ist deshalb kein Wunder, dass immer weniger gedruckte Tageszeitungen verkauft werden. Mein Sohn fragte mich schon als kleiner Junge: „Papa, warum macht ihr eigentlich eine Zeitung für den nächsten Tag? Da steht doch immer nur drin, was am Tag davor passiert ist.“

Nun ja, ich wusste damals nicht so recht, was ich sagen sollte, schließlich hatte mein Sohn einen Punkt, dem man nicht widersprechen konnte. Wenn Kamala Harris im TV-Duell über Donald Trumps Behauptung lacht, dass Migranten die Haustiere von Amerikanern essen, kann eine deutsche Printzeitung sogar erst am übernächsten Tag davon berichten.

Mit seiner berechtigten Frage zog mein Sohn aber unser bisheriges Geschäftsmodell in Zweifel, mit dem auch sein Taschengeld finanziert wurde. Also druckste ich herum und sagte, viele Menschen seien das Gedruckte eben so gewöhnt, wollten das so und bezahlten sicher weiter gern dafür. Ähm. Ich glaube, er hat gemerkt, dass ich es selbst nicht glaubte. Eine klare Antwort gibt ihm erst jetzt die taz, wenn sie am Wochenende bekannt gibt, wann die tägliche Printausgabe eingestellt wird.

Die Nürnberger Abendzeitung gibt auch nicht mehr

Da kann man schon mal melancholisch werden. Ich habe Zeitungen geliebt, fast seit ich lesen konnte. Was darin stand, kam mir super spannend, frisch und neu vor, weil wir keinen Fernseher zu Hause hatten, geschweige denn ein Smartphone. Morgens habe ich meinen Eltern den Sportteil aus der Hand gerissen und auf dem Schulweg die boulevardeske Abendzeitung aus dem stummen Verkäufer geklaut, was ich jetzt gestehen kann, weil es die Nürnberger Abendzeitung schon lange nicht mehr gibt. Ich war eben jung, zeitungssüchtig und hatte kein Geld. Zur Strafe bekam ich nur einmal einen Verweis wegen „seelenruhigen Zeitunglesens im Unterricht“. Immerhin diente es der Berufsvorbereitung.

Dass aus meinem Hobby mein Job wurde, empfinde ich als großes Glück. Also ja, der Abschied von der gedruckten tageszeitung fällt mir schwer. Aber das erhellende Gespräch mit meinem Sohn vor ein paar Jahren hat mir geholfen, mich auf diesen Moment vorzubereiten. Es ist auch beruhigend, dass viele Menschen in der taz, die deutlich geschäftstüchtiger sind als ich, schon deutlich früher mit den Vorbereitungen begonnen haben.

Es hat keinen Sinn, unwiederbringlich Vergangenem nachzutrauern. Ist doch gut, dass man die taz digital schon abends lesen kann und im schnelleren Netzbetrieb Schlagfertigkeit gefragt ist, das war schon immer die taz-Stärke. Wenn die „VW-Belegschaft unter die Räder“ kommt, sitzt so ein schöner Titel am selben Tag noch besser, kriegt vielleicht sogar ein „Like“ von meinem Sohn. Und auf Menschen mit mehr Muße wartet auch die App geduldig.

Unersetzbar ist nur Klopapier

Ja, Papier lässt sich ersetzen. Seine Halbwertzeit hat ohnehin abgenommen. Die Welt dreht sich zu schnell, um noch irgendetwas in Schriftsätzen festhalten zu können. Der Koalitionsvertrag der Ampel war praktisch sofort obsolet, als Putin die Ukraine überfiel. Auch im Parteiprogramm der Grünen stand nichts von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, schon gar nicht für Angriffe auf Gaza oder russisches Gebiet. Die Presseerklärungen von Innenministerin Nancy Faeser kann man gar nicht schnell genug ausdrucken, bevor die nächste gerade noch abgelehnte Verschärfung der Asylregeln wenig später doch verkündet wird.

Um da noch mitzukommen, hilft Papier wenig. So lieb es mir immer war, inzwischen ist es auch schlicht zu teuer, um es täglich zu verwenden. Unersetzbar ist eigentlich nur noch Klopapier. Und natürlich die wochentaz.

Links lesen, Rechts bekämpfen

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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19 Kommentare

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  • "Die Welt dreht sich zu schnell, um noch irgendetwas in Schriftsätzen festhalten zu können."

    Gerade weil die Welt sich so schnell dreht (und offensichtlich niemand mehr sich die Zeit nimmt, gründlich nachzudenken), brauchen wir Journalist*innen, die dem Trend trotzen. Die hysterischen Teile des Internets werden immer schneller sein als die mit einem gewissen Anspruch an sich selbst.

    Der Verzicht auf Schnappatmung heißt aber nicht zwingend "Papier".

  • Jetzt frage ich mich, warum die Taz mit großer Begeisterung bei anderen Unternehmen die Maßnahmen zur Digitalisierung (z.B. BahnCard, Tickets im Nahverkehr, elektronische Rezepte usw.) kritisiert hat…was ist da anders?

  • "Unersetzbar ist nur Klopapier"

    Kauf dir ne WC Brause, ist hygienischer.

  • Schön das die taz nun auch ins digitale wechselt - zumindest von Montag bis Freitag. Wichtig wäre nur dadurch nicht die Tiefe und Ernsthaftigkeit zu verlieren. Vielleicht setzt sich für die Papierfetischisten noch der regionale Zeitungsdrucker durch, bei dem sich jeder seine Zeitungspdf auch ausdrucken lassen kann. Natürlich nur auf Zeitungspapier, damit die Fettfinder und Kaffeeränder auch ihren Abdruck finden, und die unterschwellige Werbung als Secondlife-wrap zu ermölgichen.

    • @Sonnenhaus:

      Wie stehen Sie zu Büchern?

    • @Sonnenhaus:

      Spannend, dass man sich jetzt schon als Papierfetischist beschimpfen lassen muss, nur weil man keinen Bock hat, 24/7 vor dem Bildschirm zu sitzen. Ich glaube, Elon Musk hat das identische Verständnis von Moderne wie Sie.

  • Denkfehler. Einen Artikel zu recherchieren geht nicht deswegen schneller, weil er online erscheinen soll. Wenn er schneller erscheint, ist er mit großer Sicherheit schlecht recherchiert. Wenn er gut recherchiert ist, wird er auch online nicht zeitgleich mit dem Ereignis erscheinen.

  • "geschäftstüchtiger" - genau darum geht es leider.



    Die taz soll am Zeitungsmarkt ein erfolgreiches Produkt werden. Dazu hat sie aufgehört, ein Teil der linken Bewegung zu sein (denn dann wäre sie ja sicherlich in dieser Zeiten erstmal kleiner geworden). Jetzt ist sie eine Tageszeitung wie jede andere auch.



    Nachdem man dort nun auch z.B. Interviews lesen kann, in denen rechte Politiker (vielleicht nicht im Sinne der Bundestagssitzordnung, aber das kommt sicher auch noch) ihre menschenverachende Politik breittretten können, ist auch sie leider zu einem "Instrument der herrschenden Klasse" geworden.

    • @CorinnaH24:

      "Die taz soll am Zeitungsmarkt ein erfolgreiches Produkt werden"

      Nun, irgendwie müssen die Gehälter der Menschen, die die taz machen, bezahlt werden. Und die Büros, in denen das geschieht. Und die Druckmaschinen bzw. Server, über die das Produkt dann verbreitet wird.

    • @CorinnaH24:

      Sie wollen nur Interviews von Personen lesen, die Ihre Meinung abspulen? Das Leben in der bubble.

  • Wer wollte denn wohl am Frühstückstisch mit fettigen Fingern Artikel auf dem Smartphone durchscrollen? Nee danke...

  • Die 'Kunst' Sätze aufzuschreiben, die das Papier wert sind, auf das sie gedruckt werden, ist selten. Vor allem braucht es Zeit, passende Sätze zu finden und zu formulieren. Wenn die Zeit und die Kunst abhanden gekommen sind, sollte man nicht mehr so tun, als ob man irgendetwas in ein neues Zeitalter retten wollte, was man längst verloren hat. Man sollte endlich verstummen.

    Vor fast 30 Jahren habe ich Abonnements von drei internationalen Wochenzeitungen abbestellt, weil in allen nur die gleichen Nachrichten und gleichlautende Kommentare und immer weniger Hintergrund zu lesen waren.

    Wer im Chor singt, versinkt im Chor.

  • Der Zwang immer aktueller sein zu wollen wirkt hier problematisch. Die Wiederentdeckung der Langsamkeit wäre auch mal was 'Neues'. Dann gäbs auch nicht immer mehr Menschen mit ADHS - meine Vermutung.

    Peergroup pressure oder was ist hier der Ursprung? Verstehen kann ichs nur für manche Berufe.

  • Nicht alles was aktuell in Funk und Fernsehen, teils auch aktuell im Internet zu lesen ist, wird in einer gedruckten Ausgabe am nächsten 1 : 1 zu lesen sein. Eine Printausgabe geht teils deutlich tiefer, neben der Meldung werden noch Kommentare zu lesen sein. Und eine gedruckte Ausgabe berichtet auch teils regional und teils auch Meldungen die eben nicht als Aufhänger für Funk, Fernsehen oder Internet taugen. Ich bin mit Zeitung lesen aufgewachsen, lese täglich eine regionale Zeitung und meist auch eine überregionale Zeitung. Das wird auch so bleiben. Die Printausgabe hat hier klar den Vorteil. Eine digitale Ausgabe meiner abonnierten Zeitung habe ich zwar auch, ist im Preis inklusive, aber die nutze ich vielleicht zweimal im Jahr. Print geht vor.

    • @Mouse:

      Als Boomer habe ich mich mittlerweile auch dran gewöhnt, die Zeitung auf dem Smartphone zu lesen, zumal die PDF im Regelfall mit der Druckausgabe identisch ist und ich sie immer dabei habe. Die Papierausgaben sind früher oftmals nur angelesen liegen geblieben, weil ich die nicht immer mitnehmen konnte. Jetzt lese ich mehr vom Inhalt, weil ich immer wenn irgendwo Leerlauf ist, z.b. in der Videokonferenz, wenn ich mal wieder eine Stunde warten muss bis meine Punkte dran sind.



      Außerdem kann ich das auch einfach digital archivieren und schnell mal was nachlesen ohne Papierberge.



      Die Mitgliederzeitschriften von Verbänden lese ich mittlerweile alle als PDF, bei Umweltverbänden kann man die Papierversion meist einfach vermeiden, die Gewerkschaft schafft das noch nicht ganz, da gibts PDF und Heft, letzeres lege ich dann für die Kollegen aus.



      Für die, die unbedingt die Druckausgabe benötigen, u.a. zum Auslegen in Cafes und Kneipen, könnte man sich ja was wie Print on Demand überlegen.

      • @Axel Schäfer:

        Das mit dem Auslegen ist ein interessantes Argument.



        Wie das zu verwirklichen ist, darüber sollten sich "schlaue Köpfe" mal Gedanken machen.

  • seit ich wieder zurück aus usa bin (anfang 80er letztes jahrhundert) lebe ich in hamburg + habe öfter mit der hamburger taz zusammen projekte gehabt.



    ergaben sich aus politischen bewegungen: werftbesetzung HH + B, 35-stundenwoche-tarifrunde der ig metall + anderer dgb-gewerkschaften.



    sonder-nummern, die z.b. umsonst verteilt wurden an jungfernstieg, rathausmarkt.



    das ist aber eh sehr lange her, wer erinnert sich schon daran?

    lese seit langem taz nur noch digital,da printausgabe eben hinterherhinkt, höchstens beim rechtsanwalt aus nostalgischen gründen ...

    glückauf für die neue phase mit wochenausgabe usw. + digital.

    • @Brot&Rosen:

      Dann solltest du dich doch eher darüber ärgern, dass die taz kein Medium der Bewergung mehr ist, sondern eine ganz normale Tageszeitung, die meint, die Welt 'objektiv' beurteilen zu können und auch noch stolz darauf ist, ein Interview mit dem Bundeskanzler im Blatt zu haben.

  • Und worin wickle ich mein Gemüse ein wenn es mal keine gedruckten Zeitungen mehr gibt?

    Im Ernst: Auch eine digitale Zeitung, also ein E-Paper ist ein Anachronsimus. Gute Recherche, Hintergrundberichte, etc. sind es nicht. Aber die Präsentation einzelner Artikel auf einer Website ist flexibler als ein Zeitungslayout.