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Kontrollen an deutschen AußengrenzenScharfer Protest aus Athen

Griechenlands Premier macht ordentlich Druck gegen die verschärfte Asylpolitik Deutschlands. Mitsotakis fordert zudem mehr Geld von der EU.

Warten auf die Weiterfahrt: Geflüchtete Ende August auf der griechischen Insel Lesbos Foto: IMAGO/Hami Roshan

Athen taz | Griechenlands konservativer Premierminister Kyriakos Mitsotakis hat sich gegen die Durchführung von Grenzkontrollen an allen deutschen Außengrenzen ab dem 16. September ausgesprochen. Ferner forderte er EU-Gelder für den Ausbau des Grenzzauns an der griechischen Festlandsgrenze zur Türkei und mehr EU-Gelder für den Betrieb der Aufnahmezentren für Flüchtlinge und Migranten auf den griechischen Inseln in der Ägäis.

Wie der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis am späten Mittwochnachmittag nach Gesprächen in Wien mit seinem österreichischen Amtskollegen Karl Nehammer erklärte, sei „es nicht möglich, dass die erbärmlichen Menschenhändler bestimmen, wer in die Europäische Union einreist“. Dies sei vielmehr eine Entscheidung, die von den europäischen Mitgliedsstaaten selbst getroffen werden müsse, so Mitsotakis.

„Deshalb ist ein wirksamer Grenzschutz eine Priorität, nicht nur für die Staaten an der Front, sondern auch für die Staaten in der geografischen Mitte Europas“, fügte er hinzu.

Mitsotakis forderte die Bereitstellung von EU-Geldern für den Ausbau des Grenzzauns an der insgesamt rund 200 Kilometer langen griechischen Festlandsgrenze zur Türkei. „Griechenland baut eine abschreckende Barriere an seiner Grenze zur Türkei. Es ist sinnvoll, dass sie mit europäischen Mitteln finanziert wird. In jedem Fall werden wir sie entweder mit europäischen oder mit nationalen Mitteln bauen. Aber es ist nur fair, dass die Last des Grenzschutzes gerecht verteilt wird“, sagte Mitsotakis.

Europa soll Aufnahmezentren weiter finanzieren

Er betonte zudem, dass die Einrichtung und der Betrieb von Aufnahmezentren für Flüchtlinge und Migranten auf den griechischen Inseln „ein aufwändiger und kostspieliger Prozess“ sei. Es sei vernünftig, dass Europa wie gehabt diesen Prozess finanziere. Dafür sei jedoch mehr Geld nötig. „Die finanziellen Mittel, die im aktuellen mehrjährigen EU-Finanzrahmen dafür zur Verfügung stehen, reichen sicher nicht aus, um diese Mission durchführen zu können.“

Scharfe Kritik übte Mitsotakis an den von der deutschen Ampelkoalition angekündigten Kontrollen an allen deutschen Außengrenzen ab dem 16. September. „Ich halte den Übergang zu einer Logik der Ad-hoc-Ausnahmen von Schengen für nicht richtig, mit Grenzkontrollen, die vielleicht doch keine Freizügigkeit der Bürger ermöglichen und eine der grundlegenden Errungenschaften der Europäischen Union beschädigen“, sagte Mitsotakis.

Zwar habe die EU „neben dem aktiven Schutz der Grenzen“ in Sachen „effektive Rückführung“ von Migranten, die keinen Anspruch auf Asyl haben, „viel mehr zu tun“. Mit Blick auf die von der Ampelkoalition angepeilte umfassende Ausweitung der Zurückweisungen von Flüchtlingen und Migranten und einen damit voraussichtlich einhergehenden erhöhten Druck auf Griechenland erklärte der griechische Regierungschef:

„Was ein Land wie Griechenland aber sicherlich nicht akzeptieren kann, ist, dass es allein aufgrund seiner geografischen Besonderheit, aufgrund der Tatsache, dass es an den Außengrenzen der Europäischen Union liegt, eine unverhältnismäßige Last tragen soll.“

Eindeutiger Appell an Deutschland

Es sei „die Realität, dass es Länder in Europa gibt, die eine sehr starke Anziehungskraft haben und nicht nur illegale Einwanderer anziehen, sondern auch Flüchtlinge, die in einem europäischen Land einen Flüchtlingsstatus haben und in ein anderes europäisches Land ziehen, worauf sie ein legales Recht haben, um dort Asyl zu beantragen“.

Dies sei etwas, „worüber sich Deutschland selbst Gedanken machen sollte“. „Es ist sicherlich nicht unsere Aufgabe, Deutschland, das auch verfassungsmäßige Beschränkungen hat, zu sagen, wie es seinen Sozialstaat organisieren soll. Keiner kann erwarten, dass Griechenland, das erst vor einigen Jahren eine beispiellose Krise überwunden hat, einen günstigeren Sozialschutzrahmen für Flüchtlinge haben soll als für griechische Bürger“, sagte Mitsotakis.

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12 Kommentare

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  • Da hat er recht. Griechenland bietet den Flüchtlingen nicht viel, Deutschland bietet fast alles. Kein Wunder wenn die uns die Bude stürmen.

  • Union, SPD und Grüne verspielen hier gerade den kleinen Rest von Sympathie, den Deutschland in der EU noch genießt.

    Die Griechen hatten wegen Hrn Schäuble zwar ohnehin keinen Grund zu besonderer Dankbarkeit.



    Wenn dort jetzt schon die Konvervativen gegen uns (berechtigterweise) auf die Barrikaden gehen, verheißt das jedoch nichts Gutes.



    Und wird eine Herausforderung für eine schwache Außenministerin.

    Gut möglich, das die antieuropäischen Kräfte sich hier das Versagen der deutschen Politik zueigen machen, um die EU nachhaltig zu schädigen.

    • @hsqmyp:

      So so, die Konservativen, die selbst beim Thema Migration gegen Recht verstoßen gehen gegen uns auf die Barrikaden.



      Warum wohl? Denn wenn diese sich an das EU Recht halten würden, müssten Sie die Migranten vor Ort aufnehmen und noch wichtiger, gut behandeln.



      Die stehen eher auf "aus den Augen aus dem Sinn", soll sich doch Deutschland darum kümmern.



      Das hat mit unserer Regierung, egal wer da in Verantwortung ist rein gar nichts zu tun.

  • Der Mann hat Recht. Man könnt aber auch insgesemt anders mit dem Thema umgehen. Jedes europäische Land hat ja ein bestimmtes Kontingent an Asylsuchenden aufzunehmen. Warum nicht in die außereuropäischen Flüchtlingslager gehen und dort bereits diejenigen mitnehmen, die Anspruch auf Asyl haben? Das würde den Schleusern die Kundschaft entziehen und Tote verhindern. Beispiel Island.

    • @Squirrel:

      Jedes europäische Land hat ja ein bestimmtes Kontingent an Asylsuchenden aufzunehmen

      Aber genau das ist die Utopie die nie passieren wird.

      Nennen Sie mir ein Land, welches aktiv verhindert, dass Migranten, das Land verlassen.



      Denn dann müsste es Grenzkontrollen geben, allerdings gegen Ausreise, statt gegen Einreise.

      Denn so brutal sich das anhört, bei der Migration ist sich jedes Land selbst das nächste.



      Und das wird sich niemals ändern, leider.

      • @weather2018:

        Ihre Replique habe ich nicht verstanden.

        Die Kontingentlösung praktizieren mehrere Länder bereits. Kanada gehört dazu.

        Voraussetzung ist natürlich, dass man den Asylantrag nur im Ausland stellen kann.

        Dann ist es relativ egal, ob das Land außerhalb der EU die Ausreise verstärkt kontrolliert.

        Solchen Ländern kann man Einwanderungsmöglichkeiten für die eigenen Staatsbürger und Abnahme besonders vulnerabler Flüchtlingsgruppen entgegenkommen, die sie dann nicht mehr versorgen müssen.

  • Fort Europa is coming

    • @PartyChampignons:

      Ihr realistischer Gegenvorschlag, aber bitte nicht in Dekaden denken, sondern in Monaten.

  • Es sei „Realität, dass es Länder in Europa gibt, die eine sehr starke Anziehungskraft haben und nicht nur illegale Einwanderer anziehen, sondern auch Flüchtlinge, die in einem europäischen Land einen Flüchtlingsstatus haben und in ein anderes europäisches Land ziehen, worauf sie ein legales Recht haben, um dort Asyl zu beantragen“.

    Mitsotakis will sagen: Deutschland ist das gelobte Land („Anziehungskraft“), und obwohl die Flüchtlinge einen „Flüchtlingsstatus“ in einem „anderen europäischen Land“ hätten, zögen sie weiter Richtung Deutschland um (erst dort??) Asyl zu beantragen, worauf sie wiederum ein „legales Recht“ hätten. Das dies „Realität“ sei, bestreitet er offenkundig nicht. Aber genau diese Realität ist das Problem.



    Wer wissen möchte, welche Länder in den letzten Jahren beim Flüchtlinge Durchwinken gen Deutschland besonders selbstbewusst waren, muss sich nur anschauen, wer gerade alles so protestiert. Freilich alles keine Lösung, aber endlich kommt Bewegung in Debatte.

  • Tatsächlich gibt es mehrere Möglichkeiten der Grenzländer der EU auf die - nach ständiger Rechtsprechung illegale - Zurückweisung an der deutschen Grenze zu reagieren.



    In einem Dominoeffekt werden alle Durchreiseländer die Grenzen schließen. Die Grenzstaaten können die gnadenlose Härte weitergeben und Menschen zwischen Stacheldrahtmeeren und entsicherten Maschingewehren verrecken lassen. Das hält keine Demokratie lange aus. Sie können aber auch, insbesondere Länder, in die wegen der unmenschlichen Bedingungen nicht abgeschoben werden kann, einfach allen sofort und unproblematisch Asyl erteilen, damit sie dann ganz legal über alle Grenzen hinweg nach Deutschland weiterreisen können. Stellen diese Personen dann einen zweiten Asylantrag in Deutschland, so müssen die nationalen Stellen zwar nicht den gleichen Schutzstatus erteilen, wie das Land der ersten Entscheidung. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf eine Vorlage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Az. 1 C 16.21) entschieden (Urt. v. 18.06.2024, Az. C-753/22). Aber zurückschicken nach Griechenland kann Deutschland diese Flüchtlinge dann auch nicht mehr. Denn laut EUGH ist Dublin III-Abschiebung dahin ausgeschlossen.

  • Recht hat er, also bleibt nur maximale Abschottung an den Aussengrenzen, oder?

    • @vieldenker:

      Das ist für hier Lebende die freundlichere Lösung.

      Die andere spricht Mitsotakis im letzten Absatz an.

      Länder, wie Griechenland oder auch Bulgarien tun für Flüchtlinge wenig, weil ihre eigenen Bürger dann einen schlechteren "Sozialschutzrahmen" hätten als die Flüchtlinge im Land.

      Deshalb wollen die meisten Flüchtlinge weiter.

      Da diese Länder sich aber den besseren "Sozialschutzrahmen" für ihre Bürger nicht leisten können, müsste Deutschland den eigenen absenken.

      Dann wäre auch No border kein Problem mehr.

      Das wünscht sich hier nur keiner.