piwik no script img

Soziologe über Wahlen im Osten„Bei den Jungen habe ich Hoffnung“

Viele Ostdeutsche wissen genau, wie man der rechten Unterwanderung begegnet, sagt der Soziologe Daniel Kubiak. Ihnen müsse man zuhören.

The kids are alright: Drei junge Leute beim CSD in Bautzen Foto: Michael Danner

taz: Herr Kubiak, vor den Wahlen in Sachsen und Thüringen haben Sie getwittert: „Ich hoffe, dass die Demokratie diese Wahlen übersteht“. Hat sie sie überstanden?

Daniel Kubiak: Kurzfristig: Es hat eine demokratische Wahl ohne größere Störungen stattgefunden. Langfristig können wir es heute noch nicht beantworten. Entscheidend wird zum einen sein, ob es in beiden Ländern gelingt, eine stabile Regierung zu bilden. Zum Anderen kommt es darauf an, was die Wahl für die Zivilgesellschaft bedeutet – bekommen Projekte weiterhin Förderung, steigt die Bedrohungslage für Menschen, die sich engagieren, trauen sie sich weiter, sich öffentlich gegen Rechts zu positionieren – und sind es noch genug, die das tun? Ich war im Sommer auf dem CSD in Angermünde, dort waren gerade einmal 48 Leute.

Im Interview: Daniel Kubiak

ist Soziologe am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migra­tionsforschung an der Humboldt-Universität. Er forscht zu ostdeutschen Identitäten, Rechtsextremismus und Migration in Ostdeutschland

taz: Aber sind nicht gerade die CSDs ein gutes Beispiel dafür, wie sich auch der Osten in Teilen wandelt hin zu einer freien, pluralen Gesellschaft? Vor fünf Jahren gab es noch keine CSDs in Angermünde, Bernau, Plauen oder Bautzen.

Kubiak: Ja, wobei ein CSD in der ostdeutschen Provinz anders funktioniert als in Berlin. In Berlin feiert ein CSD das Thema sexuelle Vielfalt, in vielen Orten in Ostdeutschland tun CSDs das auch, aber sie sind außerdem als Zeichen gegen Rechtsextremismus entstanden, oft aus einer prekären Situation heraus. Mehrere gesellschaftliche Organisationen mit unterschiedlichen Zielen schließen sich zusammen und treten als die progressive Zivilgesellschaft auf, weil sie einzeln nicht durchdringen.

taz: In Thüringen haben 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen AfD gewählt. Wie erklären Sie sich das?

Kubiak: Junge Leute sind eher bereit, nicht die etablierten Parteien zu wählen, und sie wechseln auch häufiger zwischen den Parteien. Bei den letzten Bundestagswahlen haben junge Leute vor allem die Grünen und die FDP gewählt, jetzt steht die AfD für das Anti-Establishment. Das liegt unter anderem daran, dass jüngere Menschen stärker dafür empfänglich sind, welche Themen gesellschaftlich und medial verhandelt werden. Das war bei dieser Wahl ganz klar das Thema Migration. Und dann kommt dazu, dass wir eine tradierte Identifizierung der jungen Generation mit dem eigenen Ostdeutschsein beobachten.

taz: Woher kommt diese junge Ostidentität?

Kubiak: Daher, wie über den Osten gesprochen wird. Der Osten gilt häufig als der abgehängte Teil Deutschlands. Es geht um Abwertungserfahrung, um die Veränderungen im Osten, es werden Witze darüber gemacht.

Es gibt eine Opfererzählung aus und über Ostdeutschland, die gar nicht der Realität entspricht. Den meisten Leuten im Osten geht es heute materiell viel besser als vor 30 Jahren. Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Löhne sind gestiegen. Und trotzdem gibt es Abwertungsnarrative auch bei jungen Ostdeutschen, die die Umbrüche der 90er Jahre nicht selbst erlebt haben – auch, weil es eine Partei gibt, die dieses Narrativ für sich missbraucht: die AfD.

taz: Spielt der Rechtsextremismus der AfD keine Rolle dafür, dass junge Menschen die AfD wählen?

Kubiak: Sicher, der Ostaspekt ist sowieso immer nur ein Puzzleteil für die Erklärung von Wahlverhalten. Wir sehen ja in letzter Zeit ein Erstarken rechter Jugendkultur, vor allem im Internet, etwa bei Tiktok. Aber man muss auch beachten, dass die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen im Osten sehr klein ist. Die sind nicht die, die den großen Erfolg der AfD erklären. Dafür ist eher die Gruppe der 40- bis 60-Jährigen verantwortlich, und die wissen genau, wen sie wählen und sind teilweise selbst aus der rechten Jugendkultur der 1990er – den Baseballschlägerjahren – entsprungen.

taz: Die ostdeutsche Opfererzählung hält sich schon seit Jahren, trifft sie doch einen wahren Kern – Ostdeutsche sind weniger repräsentiert, verdienen im Schnitt weniger. Wie kommen wir da aber raus?

Kubiak: Ich glaube, es gibt mindestens eine Generation, bei der eine so große Anstrengung über die vergangenen 35 Jahre geherrscht hat, dass man dagegen kaum ankommt. Sie haben es gewuppt, aber sie wissen genau, zu welchen biografischen Konditionen. Bei den Jungen habe ich Hoffnung. Die kriegt man mit den vielen berechtigten progressiven Erzählungen über den Osten.

Es gibt auch im Osten selbst verwaltete, progressive Projekte auf dem Land, die Leute zusammenbringen. Die Fusion, das Festival in Mecklenburg-Vorpommern, ist ein ostdeutsches Projekt. Seit den 90er Jahren gibt es Leute im Osten, die genau wissen, wie man den Rechten begegnet. Sie wissen, wie man damit umgeht, wenn der Jugendklub oder das Stadtfest von Rechten unterwandert ist. Denen müssen wir zuhören, von denen können wir lernen.

taz: Aber wieso werden sie nicht gehört?

Kubiak: Provokant heruntergebrochen: Weil das völkische Denken immer noch alles andere überlagert. Die Täter aus dem eigenen Kreis sind anscheinend weniger problematisch als die, die mir fremd sind. Schuld wird externalisiert auf Migranten zum Beispiel. Was zurzeit passiert, erinnert mich stark an die 90er Jahre: Nach den rechten Gewaltanschlägen in Rostock und Solingen reagierte die Politik mit Asylrechtsverschärfung. Man dachte, man könnte Rechtsextremismus bekämpfen, indem man die Zugewanderten bekämpft.

In die Köpfe zu investieren, in politische Bildung, in Demokratieförderung, das ist eben viel anstrengender und langwieriger. Die Demokratisierung einer Gesellschaft schafft man nicht in fünf Jahren – das ist eine Daueraufgabe.

taz: Die Nachwahlanalysen zeigen, dass die AfD vor allem dort gewählt wird, wo ein großer Teil der lokalen Bevölkerung keinen akademischen Abschluss hat. Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?

Kubiak: Es kann jedenfalls nicht die Lösung sein, noch mehr Akademiker auszubilden. Sonst müsste man auch darüber sprechen, wie wir das finanzieren, damit sich wirklich alle Leute ein Studium leisten können. Trotzdem ist Bildung natürlich ein Schlüssel, nur muss man dann auch über Inhalte reden. Sachsen hat bei Pisa sehr gut abgeschnitten, aber Mathe- und Deutschkenntnisse allein reichen für eine funktionierende Demokratie eben nicht aus.

taz: Bildung ist der Schlüssel?

Kubiak: Einer, ja. Leider spielten landespolitische Themen in diesem Wahlkampf kaum eine Rolle. Insgesamt geht es immer viel um Gefühle, auch bei Politikern. Wir als Wissenschaftler dringen da mit Fakten zu wenig durch.

Mein Lieblingsbeispiel: Es gibt diese Erzählung, dass Geflüchtete den Sozialstaat nur etwas kosten. Und es stimmt ja: Es kostet erstmal Geld, Geflüchtete aufzunehmen. Die Zahlen zeigen aber auch, dass syrische Männer mittlerweile sehr gut in den Arbeitsmarkt integriert sind. Teilweise ist die Beschäftigungsquote unter syrischen Männern höher als der Bundesdurchschnitt. Die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt also und damit auch die gesellschaftliche Integration. Es wurde geschafft. Die Erzählung ist aber eine andere.

taz: Sie beschäftigen sich mit der postmigrantischen Gesellschaft in Ostdeutschland. Kann man als Mensch mit nicht-weißer Hautfarbe überhaupt noch in Schleiz in Thüringen wohnen?

Kubiak: Das tun ja ganz viele Menschen und viele wollen und können auch nicht weg. Sie wollen ihre Heimat mitgestalten. Aber die Entscheidung des Gehens oder Bleibens ist auch hier, wie allgemein im Osten, eine relevante. Das ist problematisch, weil die Leute sich nicht sicher fühlen und gleichzeitig Talente den Raum verlassen, die man eigentlich dort braucht.

Das ist auch ein spezifisches Thema für den schrumpfenden ländlichen Raum. Geflüchtete verlassen in Westdeutschland viel seltener den ländlichen Raum als Menschen in Ostdeutschland – nur etwa 29 Prozent blieben im Landkreis Bautzen, im niedersächsischen Landkreis Vechta blieben 77 Prozent. Aber: Nicht alle können gehen. Und diejenigen, die bleiben, brauchen besonderen Schutz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

30 Kommentare

 / 
  • Viele ungebildete junge Männer. Die wählen AfD. So ist das bei 50 Jahre mieserabler Schulpolitik. Viel zu große Klassen statt Lerngruppen, zu wenig Lehrer.

  • Es sind leider gerade die jungen Menschen, die die AfD wählen.

  • Die Jungen haben im Osten überproportional AFD gewählt

  • "Mein Lieblingsbeispiel: Es gibt diese Erzählung, dass Geflüchtete den Sozialstaat nur etwas kosten. Und es stimmt ja: Es kostet erstmal Geld, Geflüchtete aufzunehmen. Die Zahlen zeigen aber auch, dass syrische Männer mittlerweile sehr gut in den Arbeitsmarkt integriert sind".



    Ok und wenn ich mir jetzt eine andere Migrantengruppe raussuchen würde, könne ich das Gegenteil belegen.

    Bitte ich nicht falsch verstehen, ich freue mich über diese Erfolge, aber gerade so ein Cherry Picking von beiden! Seiten! bei diesem Thema vergrößert nur die Gräben.

  • Das einzige, was ich noch grusliger finde als die Gestalten, die sich jetzt im Osten auch noch in Parlamenten breit machen, ist die "Reaktion" der Regierung darauf. Dazu fällt mir nur Willhelm Busch ein: "und die Mutter guckte stumm, auf dem leeren Tisch herum". Nichts.

    Ich hätte schon vor Jahren eine Task Force eingerichtet, Historiker, Soziologen, Politologen herangezogen, die analysieren, was der Grund für diesen abscheulichen Rechtsruck ist (und man kennt die Gründe ja inzwischen hinreichend) und dann massiv versucht, etwas dagegen zu unternehmen.

    Aber in unserem Land ist es so, dass wegen des einen Messerattentats in Solingen Politiker auf die Idee kommen, das sei Anlass, eine nationale Notlage auszurufen. Wegen dreier Morde. Was tun sie erst wenn sie herausfinden, dass es jedes Jahr ca. 2000 Morde in Deutschland gibt?

    Eine Notlage ist also ein psychisch gestörter Syrer, der drei Menschen umbringt (so schrecklich da auch ist), aber nicht die Klimakatastrophe oder das Wiedererstarken des Faschismus in Deutschland.

    Die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes rotieren im Grab. Selbst die von ihnen eingebauten Notbremsen werden nicht benutzt (Parteiverbot).

    • @Jalella:

      "Ich hätte schon vor Jahren eine Task Force eingerichtet ... und dann massiv versucht, etwas dagegen zu unternehmen."

      Ach ja, was denn so?

    • @Jalella:

      Vergleichen Sie die Reaktion z.B. der taz auf Nazi-Anschläge mit ähnlichen Opferzahlen, und Sie erkennen das Problem.

  • "Die Zahlen zeigen aber auch, dass syrische Männer mittlerweile sehr gut in den Arbeitsmarkt integriert sind. Teilweise ist die Beschäftigungsquote unter syrischen Männern höher als der Bundesdurchschnitt. Die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt also und damit auch die gesellschaftliche Integration. Es wurde geschafft."



    Und nach den Aussagen der mir bekannten ArbeitgeberInnen kann dies in der Regel ein Erfolgsmodell werden, die Zufriedenheit im Handwerk oder im Krankenhaus ist oft spürbar und sogar hörbar. Auch dies ist Teil einer Realität, über die oft zu wenig oder falsch kommuniziert wird. Wären für viele Urlaubsreisen in den letzten Dekaden nicht transatlantische oder mediterrane Destinationen gebucht worden, sondern Ziele in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg ausgewählt worden, sähe vielleicht auch der Informationsstand vieler BundesbürgerInnen anders aus.



    taz.de/Tag-der-Deu...-Einheit/!5885110/



    /



    (Die Integration im SED-Regime war als Blaupause aber auch ein "Totalausfall des Sozialismus")

  • "Sie wissen, wie man damit umgeht, wenn der Jugendklub oder das Stadtfest von Rechten unterwandert ist." Wenn das so wäre, gäbe es doch nicht so viele rechte Jugendliche dort.

    Was mich immer wieder wundert, ist, dass so gar nicht wahrgenommen wird, dass die Neuen Rechten im Grunde nur wegen ihrer Propaganda so stark geworden sind. Argumente, Fakten bringen gar nichts. Tatsächlich muss man vor allem die rechte Propaganda bekämpfen.

  • "Sachsen hat bei Pisa sehr gut abgeschnitten, aber Mathe- und Deutschkenntnisse allein reichen für eine funktionierende Demokratie eben nicht aus."

    Ich finde die AfD-Ergebnisse sehr schlimm, aber den Leuten zu sagen, Ihr seid einfach doof und ungebildet, wird das Problem wie genau lösen?

    Ich sehe hier bei der AfD ein "othering" wie es diese in Bezug auf Ausländer etc. tut. Ich kann und will nicht glauben, dass 30+% ganzer Bundesländer hoffnungslose Faschisten sind.

    "Die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt also und damit auch die gesellschaftliche Integration. Es wurde geschafft. Die Erzählung ist aber eine andere."



    Also mit arbeitenden Arabern, mit denen ich zu tun hatte, konnte ich mich nur mit dem Einsatz von Händen und Füßen verständigen. Da würde ich jetzt nicht von gelungener "gesellschaftlicher Integration" sprechen wollen...

    Es müssen auch mal Probleme bei der Migration angesprochen und eingeräumt werden. Viele Kommunen sind an der Belastungsgrenze; die Statistiken belegen klar erhöhte Straffälligkeit und Gewaltbereitschaft.



    Wenn ich inmeiner Stadt zunehmend voll verhüllte Frauen sehe, fällt es mir persönlich schwer, das als Gewinn an Vielfalt und Freiheit zu sehen.

  • Bei den Mädchen gibt es keine Hoffnung?

  • Stellt sich nicht eine ganz andere Frage, die dringend und zwingend beantwortet werden sollte?

    Warum heißt es in unserer Zivilgesellschaft nach nun mehr als 79 Jahren immer noch „NIE WIEDER!“?

    Die Mitte unserer Zivilgesellschaft hat über 79 Jahre komplett versagt! Ein Versagen der Mitte der Zivilgesellschaft gab es in Deutschland schon einmal! Damals waren es fast ausschließlich nur Kommunisten, die von Beginn an gegen die fatalen Entwicklungen etwas getan hatten!

    • @Dr. Enseleit Jürgen:

      Es heißt "NIE WIEDER!", weil alles andere in die Katastrophe führen würde.

      Wo Sie da ein Versagen vermuten, sollten Sie schon genauer erklären, vor allem, wie man die Mitte der Zivilgesellschaft weiter zum Schutz der Freiheit und der Demokratie ermutigt.



      Und nein, es waren damals (vor 1933) nicht nur Kommunisten, sondern vor allem sehr mutige Leute, die versucht haben, sich dem Unheil entgegenzustellen. Damals hat die Mitte der Gesellschaft (wenn man die Zentrumspartei partout dazuzählen will) nicht einfach nur versagt. Sie hat aus Mangel an Courage die Katastrophe lieber geschehen lassen, als sich ihr zu widersetzen. Nur die verbliebenen Abgeordneten der SPD(!) haben 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz gestimmt (die Mitglieder der KPD waren verhaftet oder auf der Flucht).



      Im Notfall kann man Bundesländer jedoch unter Zwangsverwaltung stellen, wenn sie das Grundgesetz missachten. Das Grundgesetz gibt das her.

  • Es geht auch den meisten Menschen im Westen besser als vor 30 Jahren. Was soll das denn bitte für eine Kategorie sein? Die Menschen hier vergleichen mit den alten Ländern und nicht mit einem Zustand vor 30 jahren mitten in der Deindustralisierung und Ausplünderungsphase. Können wir uns mal wenigstens darauf verständigen, dass es bei dem sogenannten Opfernarrativ auch viele wahre Punkte gibt? Warum werden nicht Ungerechtigkeiten angegangen, statt nach Narrativen zu suchen, wie wir unsere Benachteiligung hier besser schlucken sollen?

    Die 40-60 jährigen die hier alle AfD wählen, haben meist ein ähnliches Problem. Nach langem Arbeitsleben winkt bald eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung. Private Altersvorsorge kann sich hier sowieso kaum jemand leisten. Erbschaften kennt man auch nur vom Hörensagen. Natürlich sind die damit unzufrieden und verstehen nicht wieso sie die gleichen Leistungen erhalten werden oder weniger wie Neuankömmlinge. Das ist vielleicht aus Sicht gut abgesicherter Akademiker mit Pensionsansprüchen irgendwie moralisch anrüchig, aber menschlich gesehen sehr nachvollziehbar.

    • @Šarru-kīnu:

      "Können wir uns mal wenigstens darauf verständigen, dass es bei dem sogenannten Opfernarrativ auch viele wahre Punkte gibt?"

      Echt? Welche denn?

    • @Šarru-kīnu:

      Völlig richtig! Ich bin ein Westler aus Hessen, aber ich sehe das mit Schrecken seit 1989 mit an. Ich hatte damals so gehofft, dass die DDR sich nicht einfach an die Bundesrepublik anschließt. Aber dann hat die Verlockung von DM, Mallorca, Golf etc. gesiegt. Und dann ist die gesammelte westliche Wirtschaft, alle möglichen halbseidenen Trickbetrüger über die darin völlig unerfahrenden DDR-BürgerInnen hergefallen. Und der dicke Kohl hat das Ganze auch noch orchestriert und dafür gesorgt, dass kein Stein auf dem anderen bleibt.

      Alles hat der Westen sich mit seinen gierigen Fingern angeeignet. Professorenstellen an Unis, Besitz von Grund und Boden, so gut wie alle Firmen wurden übernommen und/oder platt gemacht.

      Es ist eine Schande. Und die Regierung hat sich nie dafür auch nur entschuldigt - und zwar keine einzige Regierung. Nicht mal die Ost-Mutti Merkel. Sie haben sich gefeiert, wie toll sie die Wiedervereinigung doch gemacht haben. Als hätte Birne irgendwas dafür getan. Die Wiedervereinigung ist alleine Gorbatschow zu verdanken. Uns ist sie nur in den Schoß gefallen.

      Und jetzt: Faschismus.

      • @Jalella:

        "[...]Alles hat der Westen sich mit seinen gierigen Fingern angeeignet. Professorenstellen an Unis, [..] Alles hat der Westen sich mit seinen gierigen Fingern angeeignet. Professorenstellen an Unis, [...]"

        Die Art der Einheit wurde von den Ossis selbst bestimmt. Durch ihre Wahl von Helmut Kohl. UND vor allem, durch die Wiederwahl Kohls in 1994. Da wurde die Politik Kohls offiziell und unanfechtbar BESTÄTIGT.

        Es gibt also NULL Grund, für irgendjemand, sich zu entschuldigen.

        Aber ihr Beitrag zeigt mal wieder sehr schön, was das eigentliche Problem ist

        • @Kaboom:

          Die damals verantwortlichen Politiker (soweit sie noch leben) haben durchaus Grund, sich zu entschuldigen. Statt auf dem Wissensstand der umfangreichen DDR-Forschung in der alten Bundesrepublik zu agieren, hat man diese platt gemacht (z.B. GDI), ihre Erkenntnisse auf der Müllhalde entsorgt und dann Plattmacher ("Treuhand") in die neuen Bundesländer geschickt.



          Das hätte die Mehrheit der Wähler in den neuen Bundesländern 1994 quittieren können - hat sie aber nicht.



          "Die Wessis" sind an gar nichts schuld. Genauso wenig wie "die Ossis".



          In Rudolstadt findet jährlich das größte Folk-Roots-Weltmusik-Festival Deutschlands statt. Als langjähriger Dauergast kann ich nicht nachvollziehen, dass ausgerechnet in diesem Wahlkreis die AfD 37,0 % der Zweitstimmen und sogar noch mehr (37,5 %) Erststimmen erhalten hat.



          Das ist kein "Ossi"-Problem:



          In Coburg - einer Stadt mit dem größten Samba-Festival nach Rio de Janeiro - haben bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr auch überproportional viele AfD gewählt: 17,5 % der Zweitstimmen und 17,8 % der Erststimmen. Wenn man dort beim Samba-Festival ist, fragt man sich, wo dort die ganzen AfD-Wähler sind. Das geht einem beim Rudolstadt-Festival genauso.

    • @Šarru-kīnu:

      "Nach langem Arbeitsleben winkt bald eine Rente auf dem Niveau der Grundsicherung." Und dafür ist dann der böse Ausländer schuld? Die Leute würden demzufolge mehr Rente bekommen, würde es weniger/keine Ausländer geben? Sorry, dass ist absoluter Blödsinn. Beide Gruppen erhalten dasselbe weil sie beide am untersten Ende der Fahnenstange sind. Und statt dann hier der AfD nach dem Mund zu reden, die genau DAS weiter verschärfen wollen insbesondere für Deutsche (Ausländer/Geflüchtete soll es ja ab nen gewissen Zeit nicht mehr geben), sollte man sich mal überlegen wohin Gelder gehen. Korruption ist quasi kein Delikt welches Arbeitslose oder Geflüchtete begehen. Aber anstatt nach oben Rückgrat zu zeigen, tritt man lieber nach unten. Ist ja einfacher.

      "Das ist vielleicht aus Sicht gut abgesicherter Akademiker mit Pensionsansprüchen irgendwie moralisch anrüchig, aber menschlich gesehen sehr nachvollziehbar." Akademiker=Pensionsansprüche? Bin Akademiker aber in der Wirtschaft. Und trotzdem ist dieser Vergleich natürlich anrüchig. Weil hier zwei Gruppen ausgespielt und verglichen werden sollen, die aus völlig unterschiedlichen Töpfen ihre Existenz bezahlt bekommen.

    • @Šarru-kīnu:

      "...irgendwie moralisch anrüchig, aber menschlich gesehen sehr nachvollziehbar" - nee, isses nich'! Es ist mies denen, die nichts dafür können, die baseballschlägerförmigen Folgen des real existierenden Beitritts zum Geltungsgebiet des Grundgesetzes aufzubürden.

    • @Šarru-kīnu:

      Die immer noch vorhandenen Unterschiede zwischen Ost und West hinsichtlich Einkommen, Vermögen u.a. sind hier gut dargestellt:

      www.faz.net/aktuel...-ist-19931721.html

      • @Felis:

        Zum Thema BIP und Pro-Kopf-BIP der Bundesländer gibt es auch einen Wikipedia-Eintrag mit einer Übersicht über die Entwicklung seit 1991. Brandenburg, Thüringen und Sachsen sind die drei Bundesländer mit dem höchsten Gesamtanstieg in den letzten 33 Jahren (>300% seit 1991!).

        • @Aurego:

          Wenn 2 völlig unterschiedliche Ausgangsbasen verglichen werden, besagen Steigerungsraten gar nichts. Mein Vermögen letztes Jahr ist um 300% gestiegen, während der Millionär im Nachbarhaus nur eine Steigerung von 10% hatte und ich bin trotzdem noch ein Habenichts.

        • @Aurego:

          Was soll das denn heißen? Erstens ist das BIP kein Maß für den Wohlstand einer Gesellschaft, und zweitens ist ein Anstieg von 300% ein Leichtes wenn man bei quasi Null startet.

          Das BIP misst den Reichtum der Reichen. Dass die Boni der DAX Manager steigen, heißt noch nicht, dass nicht Millionen Kinder an der Armutsgrenze leben.

          • @Jalella:

            "Was soll das denn heißen? Erstens ist das BIP kein Maß für den Wohlstand einer Gesellschaft"

            facepalm ...



            bar.wikipedia.org/...uttoinlandsprodukt

            "Das BIP misst den Reichtum der Reichen."

            Das ist nun wirklich der peinlichste Satz, den ich seit Monaten gelesen habe.

            • @Kaboom:

              Wenn Sie den Gini-Index Deutschlands reduzieren wollen, müssen Sie Vermögen massiv besteuern. Solange sich dafür keine deutlichen Mehrheiten finden, werden die obersten 10% weiterhin über zwei Drittel des Vermögens verfügen. Aber was soll's, solange man selbst zu den obersten 10% gehört?

              • @Aurego:

                "Wenn Sie den Gini-Index Deutschlands reduzieren wollen, müssen Sie Vermögen massiv besteuern"

                Es wäre völlig ausreichend, die Finanzbehörden mit ausreichend Personal auszustatten. Schätzungen gehen von bis zu 130 Mrd Euronen p.a. aus, die dem Fiskus durch Steuerbetrug entgehen. Da muss man keinerlei Steuern erhöhen, und gibt gleichzeitig den Konservativen und Taliberalen keine Argumente in die Hand.

                • @Kaboom:

                  Der Steuerbetrug ist nur das Sahnehäubchen. Selbst wenn man ihn um ein Drittel reduziert, läuft die faktische Vermögens-Umverteilung von unten nach oben weiter. Die bekommt man nur durch konsequente Besteuerung von Vermögen in den Griff.

        • @Aurego:

          Aber bitte nicht die absolut-Zahlen vergessen. Von 1 auf 2 sind auch 100%, während von 250 auf 375 nur 50% sind. Trotzdem würde ich da lieber nur die 50% nehmen.

          • @Chris Ehl:

            Haben Sie sich die konkreten Zahlen denn angeschaut oder denken Sie sich hier einfach einmal irgendwelche irrelevanten Beispiele aus?