Vorwürfe gegen Ukrainer: Haftbefehl nach Nord-Stream-Anschlag
Nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines gibt es laut Berichten einen Haftbefehl gegen einen Ukrainer. Politiker loben den Ermittlungserfolg.
BERLIN taz/afp/dpa | Seit fast zwei Jahren wird gerätselt, wer den Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline verübt hat. Laut Medienberichten verdichtete die Bundesanwaltschaft nun einen Verdacht und verhängte einen Haftbefehl gegen einen Ukrainer – der bisher aber nicht festgenommen werden konnte.
Mehrere Politiker*innen lobten den Ermittlungserfolg. „Es ist erfreulich, dass es endlich erste Ermittlungsergebnisse und einen Haftbefehl in Sachen Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline gibt. Das hat ja lange genug gedauert“, sagte der SPD-Sicherheitspolitiker Ralf Stegner der taz. Es habe in dieser Sache „reichlich Verschwörungstheorien, abenteuerliche Räuberpistolen und angebliche Beweise für eine ‚False Flag‘ Operation“ gegeben. „In einer Demokratie handeln Ermittlungsbehörden unabhängig von gewünschten Ergebnissen – deshalb ist der Fortschritt zu begrüßen“, erklärte Stegner. „Hoffentlich ist die vollständige Aufklärung der Umstände und Täter dieses Terroranschlags bald in Sichtweite.“
Auch die Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic sagte der taz, sollten die Berichte zutreffen, wäre das „ein großer Erfolg für unsere Ermittlungsbehörden“. Der Generalbundesanwalt sei „hartnäckig weiter am Ball geblieben“, auch nachdem Schweden und Dänemark die Ermittlungen zu dem Fall Anfang des Jahres bereits eingestellt hatten. „Es ist ein wichtiges Signal, dass unser Rechtsstaat bei solch herausragenden Straftaten Ausdauer beweist und alles versucht, diese restlos aufzuklären“, so Mihalic.
Die beiden Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 waren am 26. September 2022 durch mehrere Sprengungen in der Nähe der dänischen Ostseeinsel Bornholm beschädigt worden. Durch Nord Stream 1 floss zuvor russisches Erdgas nach Deutschland, Nord Stream 2 war wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und der folgenden politischen Auseinandersetzungen noch nicht in Betrieb.
Die Behörden mehrerer Länder nahmen Ermittlungen zu dem Fall auf, darunter auch die deutsche Bundesanwaltschaft. Mittlerweile stellten Dänemark und Schweden die Verfahren ein. Die Bundesanwaltschaft aber ermittelte weiter. Und laut Berichten von Die Zeit, ARD und Süddeutsche Zeitung erwirkte sie bereits im Juni einen Haftbefehl gegen den Ukrainer Wolodymyr Z., ein Tauchlehrer, dessen letzter Aufenthaltsort in Polen gewesen sein soll. Er konnte von den Behörden aber bisher nicht festgenommen werden, wo er sich aktuell befindet sei unbekannt.
Der Beschuldigte soll die Vorwürfe bestreiten
Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft wollte sich zu den Berichten nicht äußern. Man kommentiere grundsätzlich keine Medienberichte, sagte sie der taz.
Zeit, ARD und Süddeutsche berichten, der Verdächtige habe sich in einem Telefonat überrascht über die Vorwürfe gezeigt. Er bestritt dort, an den Anschlägen beteiligt gewesen zu sein. Weiter unklar ist, wer den Anschlag in Auftrag gab. Die ukrainische Regierung bestreitet, dies getan zu haben.
Nach Recherchen der drei Medien stehen auch zwei weitere ukrainische Staatsangehörige unter Tatverdacht – darunter eine Frau. Sie könnten als Taucher die Sprengsätze an den Pipelines angebrachten haben. Die nun veröffentlichten Informationen stützen sich demnach auch auf „Hinweise eines ausländischen Nachrichtendienstes“.
Bisherige Ermittlungen hatten eine Segeljacht namens Andromeda im Visier gehabt, auf der im Juli 2023 Sprengstoffspuren entdeckt wurden. Es wurde vermutet, dass die „Andromeda“ möglicherweise zum Transport des Sprengstoffs für die Sabotage zum Einsatz kam.
Die Verantwortung für die Anschläge sorgt seit zwei Jahren für Spekulationen und politische Vorwürfe. Die Grünen-Politiker Mihalic kündigte an, unabhängig von den Ermittlungen im Bundestag weiter darauf zu drängen, das „längst überfällige“ Kritis-Dachgesetz zum Schutz der Kritischen Infrastrukturen „nun endlich zügig zu beraten“. Hier bestehe „offensichtlich dringender Handlungsbedarf“, so Mihalic zur taz.
Der Text wurde am 14. August 2024 um 10 Uhr aktualisiert.
Leser*innenkommentare
Normalo
Es war wohl eine der strategisch sinnloseren Kommandoaktionen der Geschichte: In der Energiebranche waren die Pipelines zu dem Zeitpunkt längst abgehakt: Es war allen Insidern klar, dass nach dem russischen Überfall und seinen darauffolgenden Erpressungsversuchen durch sie nie (wieder) Gas fließen würde. Der Unwert der Sprengung ist also nur symbolischer Natur.
Trotzdem ist es natürlich spannend herauszufinden, wer dahintersteckt. Sollten die verdächtigen Ukrainer es gewesen sein, reduziert das den Kreis der wahrscheinlichen Hinterleute gewaltig. Denn nur Wenige außerhal der Ukraine hätten ein Interesse daran, die Anschläge gerade von Uktainern durchführen zu lassen. Schaumer mal...
Vigoleis
Wenn unter den bisher mutmaßlich Verantwortlichen für die Pipeline-Sprengung ein Land überhaupt kein Interesse daran haben konnte, dann war es (natürlich neben MVP) Russland (auch wenn ich dem Land bisher und weiterhin jede nur denkbare schlimme Handlung zutraue).
Wenn in dem Artikel jetzt erwartungsgemäß Herr Stegner, einer der Anti-Ukraine-Bedenkenträger in der SPD, zwischen den Zeilen geradezu triumphiert, ahne ich nichts Gutes für die zukünftige Ukraine-Unterstützung durch die Bundesregierung (Also: Wenn der Ukrainer geheimdienstmäßig sogar Gasleitungen in die Luft jagt, kann der Russe so schlimm nicht sein).
Nichtsdestotrotz bin ich auf die Schlusspointe des Nord-Stream-Krimis gespannt.
Normalo
@Vigoleis Kleiner Widerspruch: Auch für Russland hatte der Erhalt der Pipelines keinen wirklichen Wert mehr. Die Projekte waren schon mausetot, und das wussten auch die Russen.
Thorsten Kluge
Das würde ja ganz Gut in das Puzzle passen. Da war ja schon die Segelyacht an Bord derer wohl Taucher gewesen sind. Anscheinend war dieser Ukrainer dort mit an Bord.
Das er dann in Polen abgetaucht ist und die Polen anscheinend es nicht für nötig gehalten haben ihn auf Antrag festzunehmen passt auch ins Bild. Schließlich waren die Polen ja schon vor Jahren extrem Sauer auf die Nordstream, da wir dann von der durch Polen gehenden Pipeline unabhängig geworden wären. Damit wäre Polen für Russland erpressbar geworden und es wäre auch ein Druckmittel der Polen gegenüber Deutschland verloren gegangen. Das nun die Polen offensichtlich EU-Recht eiskalt missachten und dem Typen helfen spricht Bände.
D. MEIN
Und das vor den wichtigen Landtagswahlen.
So was aber auch....
Werner2
Man lese einmal zum Vergleich den Artikel vor einem Jahr
taz.de/Anschlag-au...ipelines/!5918517/
"Einige Hinterbänkler sehen trotzdem die Chance, aus den Vermutungen Profit zu schlagen. Über „Terrorismus mit Staatshilfe“ spekuliert etwa Ralf Stegner und behauptet, die Medienberichte legten nahe, dass „Putin es nicht war“. Er raunt über „politische Turbulenzen, die sich gewaschen haben dürften“."
"„Es ist ein wichtiges Signal, dass unser Rechtsstaat bei solch herausragenden Straftaten Ausdauer beweist und alles versucht, diese restlos aufzuklären“
Nein, das ist ja wohl selbstverständlich. Wieviele Milliarden wurden hier versenkt?
Beobachter0123
Zwei polnische Taucher waren es, Lolek und Bolek.
Machiavelli
Ich glaube Stegner sollte sich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, ein Haftbefehl ist noch kein Schuldspruch und für wenn der Beschuldigte gearbeitet hat wenn er es den war weiß auch keiner.
Sybille Bergi
Ich kann mir kaum vorstellen, dass der Mann das alleine und ohne staatliche Unterstützung hinbekommen hat.
Wenn sich herausstellt, dass staatliche Akteure verwickelt sind, wäre das eine echte diplomatische Krise.
Suryo
@Sybille Bergi Warum? Es handelte sich entgegen der hartnäckigen Behauptungen der Russlandfreunde nicht um deutsche Infrastruktur. Es fand nicht mal in deutschen Hoheitsgewässern statt. Und es war schon gar kein Terroranschlag, wie Stegner faselt.
Echte diplomatische Schwierigkeiten bewirkte das sture Festhalten Deutschlands an der Pipeline. Selbst Frankreich war dagegen.
Suryo
"Terroranschlag", Herr Stegner?
Terror?
Wer wurde denn durch dieses Ereignis in Angst und Schrecken, also Terror, versetzt?
EffeJoSiebenZwo
@Suryo Ähm, ziemlich viele Leute, die sich Sorgen darüber gemacht haben, wie (1) sie ggf. ohne ausreichend Gas durch den Winter kommen werden, (2) hoch ihre Heizungskosten ausfallen werden?
Terror muss ja nicht unbedingt was mit Tod und Verletzung zu tun haben, in jedem Fall aber mit Angst (s.o.).