Fans von Taylor Swift in Wien: Die brave Revolution der Swifties
Für die Fans war die Absage der Wiener Taylor-Swift-Konzerte ein Schock. Alle wollen sie trösten und sind gerührt von den netten, moralischen Kids.
D ie drei geplanten Wien-Konzerte von Taylor Swift wurden bekanntlich wegen einer Attentatsdrohung abgesagt. Angesichts von Southport, wo drei Kinder bei einem Taylor-Swift-Tanzkurs getötet wurden, muss man froh sein, dass ein mögliches Blutbad verhindert wurde. Was nach der Absage passierte, verdient jedoch eine gesonderte Betrachtung. Denn das war durchaus bemerkenswert.
Die Fans, die Swifties, erlebten die Absage nicht einfach nur als Enttäuschung, sondern als regelrechten Schock. Schockiert waren sie aber nicht nur wegen der Attentatspläne – was klar ist. Auch die Absage der Konzerte war ihnen ein Schock.
Und da beginnt das Erstaunen des Betrachters – also jener, die nicht im Swift-Universum leben und von außen auf das Geschehen blicken. Wenn es schon erstaunlich ist, dass die Absage eines Konzerts für die Fans eine Katastrophe darstellt, so ist die Reaktion der Gesellschaft noch erstaunlicher.
Da waren die unmittelbaren Politiker-Statements. Diese schlugen alle genau in diese Fan-Kerbe: eine herbe Enttäuschung. Eine tiefe Enttäuschung. Herzzerreißend. Ich konnte ganz viele Herzerl brechen hören. Ein Traum ist geplatzt. So lautete der Tenor quer durch das Parteienspektrum. Da waren die diversen „Trostangebote“ an die Enttäuschten – ob Museen, Schwimmbäder oder Gastronomie, alle öffneten den Swifties ihre Türen.
Die Katastrophe des Nicht-Stattfindens
Und da waren die Medienberichte, die das Wort von der „Trauer(!)bewältigung“ ausgaben. Die Gesellschaft hat also unmittelbar die Perspektive der Fans übernommen und nicht nur die Attentatsdrohung, sondern auch das Nicht-Stattfinden eines Popkonzertes als Katastrophe anerkannt. Und dann kam der Umgang der Swifties mit der Situation – dies war gewissermaßen angewandter „Swift-Spirit“. Gemeinsames Singen. Durch die Straßen ziehen. Sich versammeln. Zentraler Ort des Versammelns – ein Baum in einer Wiener Straße, die so heißt wie eine besungene Straße in Greenwich Village, wo das Idol einmal gewohnt hat.
Ein wesentliches Moment von Künstlerlegenden ist die Mythisierung des Künstlerlebens: Ein retrospektiver Blick – ein Blick vom Erfolg aus auf die Stationen des Lebens. In dieser Perspektive wird jedes Detail bedeutsam. Wie etwa ein Straßenname. Es ist dies eine Aufwertung der Banalitäten des Lebens, an der man als Fan teilhat.
Die Fans versammeln sich aber nicht nur. Wesentliches Element des Swift-Kults sind die vielzitierten selbst geknüpften Freundschaftsbänder, die dabei getauscht werden. Ihnen kommt eine zentrale Rolle zu. Die Bänder sind Metaphern für die gegenseitige Verbundenheit der Fans. Durch das Tauschen wird diese Verbundenheit vollzogen: Im Zirkulieren der Bänder stellt sich die Gemeinschaft der Swifties her.
Und genau da setzt die Reaktion der Erwachsenen ein: Sie sind gerührt. Gerührt von diesen netten, moralischen Kids. Gerührt von dieser braven Rebellion. Das sind die Kinder, die wir haben wollen: bewegt, aber nicht exzentrisch. Leidenschaftlich, aber ohne Ekstase. Dionysisch, aber ohne Rausch. Die kreischenden Beatles-Fans fand keiner rührend. Anders als diesen jugendfreien Exzess. Dazu passt, dass das Idol kein Machorocker ist, sondern eine Frau.
Überschuss an Emotionen
Der wahre Exzess der Swifties aber ist ihr Überschuss an Emotionen. Das ist das hemmungslose Ausleben ihres Teenagertums. Dieses besteht darin, die eigene Gefühlswelt mit der Welt zu verwechseln. Für die jugendlichen Fans ist das angemessen. Die gerührten Erwachsenen aber folgen ihnen dabei. Angesichts einer immer grausameren Welt werden ihnen die Kids zum Spiegel einer besseren Welt. Engagement und Leidenschaft werden dabei ins Harmlose, ins Belanglose verschoben. Ist das unsere vielbeschworene Lebensweise?
Ein kollektiver Eskapismus, dem die Adoleszenz Prototyp und Versprechen einer besseren Welt ist. Modell einer Vergesellschaftung als Safe Space, wo alle sich lieb haben. Das ist die heutige Utopie, die die Erwachsenen – wie schon bei Fridays for Future – über ihre Kids ausleben. Die Rührung der Erwachsenen angesichts der Swifties ist eine kollektive Re-Teenagerisierung.
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