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Nach dem Attentat in SolingenRingen um ein bisschen Normalität

In Solingen versuchen Kanzler, Ministerpräsident und Oberbürgermeister am Montag die Bevölkerung zu beruhigen. Rechte kündigen Demos an.

Bundeskanzler Olaf Scholz dankt den Rettungskräften, die am Freitagabend im Einsatz waren Foto: Thomas Banneyer/dpa

Zum Wochenstart versuchen die Solingerinnen und Solinger ein Stück Normalität wieder zu finden in ihrer Stadt: Nach dem Messerattentat mit drei Toten am Freitagabend sind die Läden in der Innenstadt nun wieder geöffnet, die Straßen haben sich wieder belebt. Besonders voll ist es am Kirchplatz, wo auf einem Stadtfest der Angriff stattgefunden hatte. Hier warten am Montagvormittag etwa 200 Menschen auf den Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), auf Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und auf Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD).

Doch die Stimmung ist weiterhin gedrückt: Viele Bür­ge­r*in­nen sind besorgt und wütend. So auch der 28-jährige Masud Masto, der mit seiner Frau und seinem Kind auf den Kanzler wartet. Vor elf Jahren sei er aus Syrien nach Solingen gekommen, „um genau vor solchen Tätern“ sicher zu sein. Der Anschlag habe ihn tief betroffen gemacht: „Ich bin wirklich besorgt“, sagt er mit Tränen in den Augen. Auch die 80-jährige Ute Bartels will am Montag hören, „was die Politiker zu sagen haben“. Sie ist ebenfalls erschüttert. Der Abend des Anschlags sei sehr schrecklich gewesen: „Wer nicht in Solingen wohnt, kann sich glücklich schätzen“, findet die Rentnerin.

„Gibt auch die Guten“

Der Kanzler trifft etwas später als erwartet ein am Kirchplatz; zunächst hatte es ein Treffen mit dem Oberbürgermeister im Solinger Rathaus gegeben. Dann ging es weiter zum Tatort und zu den Rettungskräften, die am Freitagabend im Einsatz waren. Das Gespräch sei „tief bewegend“ gewesen, betonte Scholz. „Es ist mir ganz wichtig zu sagen: Es gibt immer auch die Guten, diejenigen, die in solchen Situationen zusammenhalten und versuchen, Menschenleben zu retten.“

Auch Wüst drückte seine Dankbarkeit gegenüber den Einsatzkräften aus, die trotz der schwierigen Lage am Abend des Anschlags hart gearbeitet hätten. „Das waren wirklich tolle Leute im Einsatz. Das sind diejenigen, die uns ausmachen“, ergänzte Scholz.

Gleichzeitig kündigte der Kanzler an, mit „aller Härte und Schärfe“ gegen diejenigen vorzugehen, die „das friedliche Miteinander von Christen, Juden und Muslimen“ gefährdeten. Konkret kündigte er eine Verschärfung des Waffenrechts an, insbesondere was den Einsatz von Messern betrifft. „Es soll und wird ganz schnell passieren“, sagte der Kanzler. Außerdem wolle man, auch durch konsequenteren Vollzug, die Abschiebezahlen weiter erhöhen.

NRW-Ministerpräsident fordert mehr Abschiebungen

„Ankündigungen alleine werden nicht reichen“, sagte Wüst. Er sprach sich für mehr Abschiebungen aus, unter anderem „nach Syrien, mindestens in Teilen, und nach Afghanistan“, sowie innerhalb Europas. Dafür brauche es jedoch Behörden, die ausreichend ausgestattet sind, unter anderem mit den nötigen rechtlichen Befugnissen.

Der Ministerpräsident wies darauf hin, dass es ein langer Weg sein werde, wieder ein Stück Normalität zurückzugewinnen, aber: „Wir werden uns nicht unterkriegen lassen“, so Wüst und erinnerte an den rassistischen Brandanschlag 1993 in Solingen, bei dem eine türkischstämmige Familie starb: „Diese Stadt weiß wie keine andere, wie lange so ein Weg ist, auch wieder unbeschwert zu sein.“

Wüst warnte auch vor den Demonstrationen in Solingen und riet dringend davon ab, das Geschehene „zu instrumentalisieren und diese Stadt erneut zur Bühne aggressiver politischer Kundgebungen zu machen“. „Lasst die Menschen und die Stadt ein Stück zur Ruhe kommen“, forderte er.

Auch der Solinger Bürgermeister Tim Kurzbach appellierte am Montag: „Lasst uns zur Ruhe kommen.“ Es gehe jetzt nicht nur um Solingen, „sondern unser Land“. Die Debatten sollten nicht „auf dem Rücken der Menschen dieser Stadt ausgetragen werden“, betonte der Bürgermeister. „Deswegen rufe ich noch einmal dazu auf, Respekt vor den Menschen dieser Stadt zu zeigen“. Man sei in Solingen gerade erst dabei, zu realisieren, was hier alles geschehen sei. „Wir sind noch lange nicht durch mit dem Schrecken der Ereignisse“, so der Bürgermeister.

Für den Montagabend sind in Solingen Kundgebungen des sogenannten „Solinger Widerstands“ angekündigt, einer Gruppe von Impf­geg­ne­r*in­nen und Rechtsextremen. Auch ­Gegendemonstrationen sind angemeldet.

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7 Kommentare

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  • Problematisch ist die nahezu uneingeschränkte Duldung nach



    abgelehntem Asylantrag. Das hinterläßt doch nur verunsicherte, perspektivlose



    und frustriere Menschen. Ehrlicher wäre eine klarere Asylpolitik mit mehr



    legalen Einwanderungsmöglichkeiten.

  • Ich erinnere mich an einen Besuch bei jüdischen Freunden in Israel: Wir waren in Haifa, mittags um 12 Uhr läuteten die Kirchenglocken, wir saßen in einem Restaurant, dass von einer arabischen Familie betrieben wurde und unterhielten uns alle miteinander über Gott und die Welt. Das ist meine Vision vom Vielfalt und friedlichem Zusammenleben. Ich bin naiv genug zu glauben, dass das möglich ist.

  • Weshalb um "Normalität" ringen? Sollten diese Taten nicht als Anlässe verstanden werden, die "bundesdeutsche Normalität" zu hinterfragen, zu prüfen und eventuell zu konstatiern, dass diese "Normalität" teil des Problems ist oder sein kann?

  • Ich finde das eilfertige SPD-Geraune "jetzt verbieten wir alle Messer allüberall aber wirklich" nur noch zum Fremdschämen peinlich. Wieder mal reine Symbolpolitik.



    Warum das nix bringt, habe ich anderswo geschrieben.



    Man braucht nur ein, zwei ordentliche Blutbäder anrichten - und schon kriegt man von der SPD eine Politik wie sie die Rechten gerne hätten. Und das Muster hat schon ein paarmal funktioniert.



    Irgendwo sitzt jetzt irgend jemand, der sich fragt: "Was muss man eigentlich machen, damit man von der SPD (oder auch der CDU) endlich ein sicheres Endlager für hochradioaktiven Atommüll bekommt - und das nicht erst 2070 ? Denn mit den "klassischen" Methoden funktioniert das seit einen halben Jahrhundert schon mal gar nicht.



    Ahnen Sie, was es dazu braucht....?

    • @Monomi:

      Ist Ihre parteipolitische Orientierung angesichts der Tragödie wirklich das Einzige, was Ihnen einfällt?

  • „das friedliche Miteinander von Christen, Juden und Muslimen“

    Und, was ist mit Menschen, die an noch was anderes, oder - so wie ich - an gar nichts glauben? So übernimmt man praktisch die IS-Diktion, wo ja auch von einem Angriff auf eine "christliche" Stadt die Rede war. Es war tatsächlich ein Angriff auf eine Stadt mit westlicher Kultur mit all ihrer Freiheit der individuellen Lebensentwürfe. Genau das, was Islamisten am meisten hassen.

    • @Matthias:

      Es gibt auf der Welt ein paar tausend Religionsgemeinschaften.



      Sind Sie tatsächlich der Meinung, dass die Aufzählung hier weiter hilft?



      Oder reicht es vielleicht doch aus, die zu erwähnen, die derzeit im Zentrum des Konfliks stehen?



      Es ist doch offensichtlich, was hier transportiert werden soll: Wir wollen ein friedliches Zusammenleben und Einzelne stehen nicht für die Gesamtheit der Religion, also auch muslimische Menschen sind Teil unserer Gesellschaft, wir wollen uns nicht trennen lassen, weil ein Einzelner einen Anschlag verübt.



      Das Sie sich selbst, angesichts der Tragödie, zurück gestuft fühlen, ist natürlich tragisch.