Umstrittene A39 in Niedersachsen: Ein Minister baut vor
Der BUND klagt erneut gegen die geplante A39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg. Niedersachsen startet schon mal mit einer zweifelhaften Ortsumgehung.
Minister Lies bezeichnet die A39 als eines der wichtigsten Infrastrukturprojekte Niedersachsens, die Handelskammer Lüneburg/Wolfsburg sieht darin „das zentrale Verkehrsprojekt der Region“. Es erschließe „Deutschlands größten autobahnfreien Raum“, entlaste die vielbefahrene A7 und die Ortschaften, durch die sich heute die Laster schieben. Und nicht zuletzt erschließt die Autobahn diesen Raum für das VW-Werk in Wolfsburg.
Die Autobahn habe ein „ausgesprochen schlechtes Nutzen-Kosten-Verhältnis“, kritisiert der BUND. Im Bundesverkehrswegeplan 2030 ist für die gesamte 105 Kilometer lange Neubaustrecke ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 2,1 angeführt. Ein Gutachten im Auftrag der Grünen-Landtagsfraktion, das von sehr viel höheren Baukosten ausgeht, taxierte das Verhältnis 2016 auf 0,85 – der Nutzen wöge die Kosten also nicht auf.
Dazu kommt die Frage, ob so ein Projekt unter Umwelt- und Klimaschutzgesichtspunkten noch zeitgemäß ist. So wundert sich der BUND, dass der Bundesverkehrswegeplan zwar dem Grundsatz „Ausbau vor Neubau“ fröne, das Vorhaben aber trotzdem in den „vordringlichen Bedarf“ aufgenommen habe. Dabei seien EU-Vorgaben zur Strategischen Umweltprüfung nicht angewandt und umweltfreundliche Alternativen nicht geprüft worden.
Kommt überhaupt Geld vom Bund?
Beim Abschnitt 7 zwischen Ehra und Wolfsburg moniert der BUND konkret, dass die Folgen für das Weltklima nicht geprüft sowie das Flora-Fauna-Habitat-Gebiet Vogelmoor in den Plänen nicht richtig abgegrenzt worden sei. „Es fehlen nach wie vor belastbare Angaben zur Chloridbelastung zahlreicher Gewässerarten im Einzugsbereich der Kleinen Aller“, sagt Manfred Michel, Vorsitzender der BUND-Gruppe Gifhorn.
Vom Stand des Planverfahrens her ist der Abschnitt Ehra – Wolfsburg am weitesten unter den insgesamt sieben Bauabschnitten gediehen. Ob die Bundesregierung das Geld für die Autobahn bereitstellt, ist jedoch ungewiss. Sie findet sich nicht in der Liste der 144 Autobahnprojekte, die im März 2023 als von „überragendem öffentlichen Interesse“ eingestuft wurden. Die Liste ermöglicht es, dass die Gerichte mögliche Klagen gegen diese Vorhaben prioritär behandeln. Kleinere Mängel sollen nicht mehr zu einem gerichtlichen Stopp des Projekts führen.
Für den planfestgestellten Abschnitt 7 hat Wirtschaftsminister Lies mitgeteilt, dass er auf den sofortigen Baubeginn vorerst verzichte. Damit erübrige es sich für die Kläger gegen die A39 unter Führung des BUND, ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren anzustrengen, um den Bau zu stoppen. „Das hilft, die Gerichte zu entlasten“, teilte Lies mit. Die Klage wird also nur in einem Hauptverfahren abschließend verhandelt.
Lies verband den Aufschub aber mit etwas, das die Projektgegnerin Anne-Kathrin Schulze aus Ehra-Lessien als „üblen Taschenspielertrick“ bezeichnet: den Bau der Ortsumgehung nördlich an den Dörfern Ehra und Lessien vorbei. „Der Bau der Ortsumgehung soll jetzt gefühlt das A-39-Zeitalter in der Region einleiten“, sagt Schulze. Weil die Finanzierung der mindestens 1,6 Milliarden Euro teuren Autobahn fraglich sei, schaffe Lies mit dem Geld des Landes schon mal Fakten.
Als Ausgleichsmaßnahme wird ein Radweg zurückgebaut
Die Ortsumgehung kreuzt die A39, die zwischen Ehra und Lessien hindurchführen soll, und schafft die Voraussetzungen für eine aufwändige Anschlussstelle. Neun Millionen Euro soll sie nach Angaben des Landes kosten, zuzüglich 1,8 Millionen Euro Planungskosten – jeweils zu 70 Prozent vom Bund und zu 30 Prozent vom Land getragen. Das Geld des Bundes stehe bereit, sagt Ministeriumssprecher Florian Mosig. In diesem Herbst werde die Autobahn GmbH des Bundes das Projekt ausschreiben. Im Frühjahr 2025 solle mit dem Bau begonnen werden.
Dabei ist allen – auch dem Ministerium – klar, dass die Ortsumgehung nur im Zusammenhang mit der Autobahn sinnvoll ist, indem sie die Anschlussstelle ermöglicht. Denn aus Osten werde nach dem Scheitern einer Ortsumfahrung für Brome nicht viel Verkehr kommen und den Nord-Süd-Verkehr werde eine Ost-West-Ortsumgehung nicht aufnehmen.
„Wir brauchen eine Entlastung der Ortschaft“, sagt der stellvertretende Bürgermeister Ehra-Lessiens, Peter Albrecht (SPD). „Wir wollen, dass die Autobahn schnell kommt.“ Den zahlreichen Autobahngegnern wirft er vor, dass ihre Alternativvorschläge wegen der nötigen neuen Planungen einen jahrelangen Stillstand bedeuten würden. „Wenn die Autobahn jetzt platzt, fangen wir bei Null an“, sagt Albrecht.
Dabei nehmen die Planer auf die Bedürfnisse des Doppelortes wenig Rücksicht. Nach jetzigem Stand soll die Landstraße samt Radweg, die heute Ehra und Lessien direkt verbindet, als Ausgleichsmaßnahme für die Umgehungsstraße zu einem Schotterweg zurückgebaut werden.
Verschnupft zeigen sich die Grünen, weil Lies sie nicht über sein Vorhaben informiert hat. Denn am selben Tag, als der Minister seine Pressmitteilung verschickte, hätten die Grünen in Gifhorn sich über den Stand der Autobahnplanungen informiert und von nichts gewusst, erzählt die Kreistagsabgeordnete Loock. „Das ist ein Affront gegen die Grünen“, sagt Loock. Sie vermutet, der SPD-Mann Lies wolle sich wohl mit Blick auf die Landtagswahl im kommenden Jahr empfehlen.
In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, das Grünen-Treffen hätte in Ehra – Lessien stattgefunden, es war jedoch in Gifhorn.
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