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Stationierung von MittelstreckenraketenSPD streitet um Nachrüstung

Die SPD-Spitze stützt bei der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen Kanzler Scholz. Kritiker halten die Raketen für einen „gefährlichen Irrweg“

US-Marschflugkörper vom Typ Tomahawk Foto: imago

Im Jahr 2026 werden im Westen Deutschlands US-Marschflugkörper vom Typ Tomahawk, Luftabwehrraketen vom Typ SM-6 und Hyperschallwaffen stationiert werden. Die Marschflugkörper können auch nuklear bestückt werden, allerdings halten Experten das für eine theoretische Möglichkeit.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die Stationierung am Rande des Nato-Gipfels in den USA in einer Erklärung mitteilen lassen – als wäre es ein Detail, das keine Debatte benötigt. Eine Fehleinschätzung – in der SPD regte sich Widerstand. Fraktionschef und Abrüstungsexperte Rolf Mützenich warnte, dass die neuen Raketen „eine sehr kurze Vorwarnzeit“ hätten, in Russland als Bedrohung gesehen werden könnten und eine „unbeabsichtigte militärische Eskalation“ wahrscheinlicher machen würden.

Auch der Ex-SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und der Willy-Brandt-Kreis warnten vor einem neuen Rüstungswettlauf und vor Eskalationsrisiken. Außerdem gebe es keine Raketenlücke, die die Bundesrepublik allein mit den USA schließen müsse. Die vorhandene Abschreckung durch see- und luftgestützte Nato-Raketen reiche aus.

Das SPD-Präsidium hat sich hinter den Kanzler gestellt. Die Stationierung, heißt es, „ist eine Reaktion auf den eklatanten Völkerrechtsbruch Russlands in der Ukraine und trägt der Bedrohung Europas durch die massive russische Aufrüstung Rechnung“. Russland habe „nuklear bestückbare Raketen in Position gebracht, die nicht nur aus Kaliningrad, sondern weit aus dem rückwärtigen Raum Russlands bis nach Westeuropa reichen“.

Putin habe damit den Abrüstungsvertrag INF gebrochen. Das sei ein „massiver Angriff auf die bisherige europäische Sicherheitsarchitektur“, die Stationierung sei keine konfrontative Aufrüstung, sondern reine Verteidigung. Eine nukleare Bewaffnung der neuen Waffen sei „nicht vorgesehen“.

Das ist ein Unterschied zu der Nachrüstung in den 1980er Jahren. Damals ging es auch um eine vermeintliche Raketenlücke, auf die die Nato mit der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II reagierte. Die waren aber als Nuklearwaffen geplant. Damals endete der Rüstungswettlauf im INF-Vertrag, den die SPD nun einseitig durch Putin verletzt sieht.

„Krieg und Frieden“

Im Übrigen, so das SPD-Präsidium, werden die „völkerrechtlichen Verpflichtungen des Zwei-plus-Vier-Vertrags eingehalten“. Das bedeutet: Die US-Raketen werden nur in West-, nicht in Ostdeutschland stationiert. Die Betonung dieses Faktes ist auch auf die Wahlkämpfe in Ostdeutschland gemünzt. Dort macht vor allem das BSW gegen Waffenlieferungen an Kiew und die geplanten US-Raketen mobil. Parteichefin Sahra Wagenknecht erklärte die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am Dienstag kühn zu einer „Abstimmung über Krieg und Frieden“.

Es gibt in der SPD-Erklärung auch ein Angebot an interne KritikerInnen. Die SPD-Spitze will eine „offen geführte Debatte“, die allerdings nicht „von Konfrontation geprägt sein“ soll. Die SPD will „weiterhin Raum für den Dialog“ schaffen. Auch der Bundestag, der der Stationierung nicht zustimmen muss, werde sich mit der Stationierung der US-Raketen befassen.

Norbert Walter-Borjans, der die teils denunziatorische Kritik an Mützenich scharf kritisiert hatte, hält das für einen Erfolg. Die SPD-Spitze habe verstanden, dass man den Raketenbeschluss nicht „en passant und an allen vorbei vollziehen“ könne, so der Ex-SPD-Chef zur taz. Die US-Raketen, so Borjans, die nur in Deutschland stationiert werden sollen, seien ein „gefährlicher Irrweg“.

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21 Kommentare

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  • Es zeugt von einer gewissen Arroganz, wenn die SPD-Spitze so kurz vor den Wahlen im Osten deutlich macht, wie wenig sie sich um die Befindlichkeiten der ostdeutschen (SPD-)Wähler kümmert.



    Diese haben die SPD einst als Garanten für Frieden und Diplomatie gewählt.

    Gerade dort ist das Unbehagen und die Angst vor einem deutschen Kriegseintritt gegen Russland an der Seite der Ukraine ja besonders ausgeprägt.

    Hochmut kommt stets vor dem Fall.

    • @hsqmyp:

      "... die Angst vor einem deutschen Kriegseintritt gegen Russland an der Seite der Ukraine ..."

      Für diese Angst gibt es keine reale Grundlage außer den von den Afd&BSW geschürten Narrativen. Man muss den Putinpropagandisten aber nicht auch noch auf den Leim gehen, indem man sie indirekt bestätigt.

      Die Formulierung "SPD als Garanten für Frieden und Diplomatie" legt irgendwie nahe, als ginge die Aggression vom Westen aus. Auch das ist Wagenknecht-Sprech. Auf Putin selbst haben aber weder SPD noch die putintreuen Parteien irgendeinen Einfluss - wie ja nicht zuletzt Steinmeiers desaströs gescheiterte Politik seiner Außenministerzeit zeigt.

      Was man allerdings machen kann, ist, deutlich zu zeigen, dass man sich verteidigen kann und will und das auch hart und mit klaren Fakten kommunizieren. Man nennt das Abschreckung, und das war - nur zur Erinnerung an die Willy-Nostalgiker - auch historisch die Grundlage der Entspannungspolitik. Ansonsten könnte Putin - verleitet durch die AfDBSW-orchestierte Unterwerfungsbereitschaft - nämlich doch irgendwann auf die Idee kommen, die Belastbarkeit der NATO ganz praktisch im Baltikum zu testen. Und das wäre dann der Bündnisfall.

    • @hsqmyp:

      "...wie wenig sie sich um die Befindlichkeiten der ostdeutschen (SPD-)Wähler kümmert.



      Diese haben die SPD einst als Garanten für Frieden und Diplomatie gewählt."



      Ich irre mich bestimmt, aber gewählt wurde seinerzeit Helmut Kohl. Der war nicht in der SPD.

      • @Encantado:

        😆@HSQMYP hat ja auch von den SPD-Wählern in Ostdeutschland geschrieben.



        Dass die Ergebnisse aus Sicht der SPD schon seit der ersten gesamtdeutschen BTW alles andere als zufriedenstellend waren, dürfte klar sein … so dramatisch schlecht wie aktuell in Thüringen und Sachsen, wo es schließlich um den Wiedereinzug in die dortigen Landtage geht, war es für die SPD allerdings nie.

    • @hsqmyp:

      Unbehagen ist Bauchgefühl, und das kann irren. Was gibt es denn sonst für logische Alternativen zu den Raketen? Mal die Vereinigung /Fall der Diktatur zu Ende gedacht? Oder auch zum denken viel zu bequem? Ostdeutschland ist ja quasi zum "Nulltarif" zum freien Wunsch-Westen gekommen. Und das macht bequem?

  • "Die Marschflugkörper können auch nuklear bestückt werden, allerdings halten Experten das für eine theoretische Möglichkeit."

    NA dann ist ja gut wenn das nur theoretisch möglich ist. Ach kurze Frage, warum echauffieren wir uns immer bei Staaten wie Russland, Iran, Nordkorea, und Co. darüber das deren Waffen auch atomar bestückbar sind? Ist das dort nicht auch "nur theoretisch"...Bisher gibt es nur ein Land das diese Form des Krieges vorgenommen hat.

    • @Chris Ehl:

      Theoretisch ist ein VW Bus nuklear bestückbar. Praktisch gibt es derzeit keine nuklearsprengköpfe für den Tomahwak und die Entwicklung der Variante dei die tragen könnte ist eingestellt.

      Daher nein die sind nicht nuklear bestückbar.

  • Ich bin begeistert, wie viele Militärexperten hier kommentieren)).

    Im Ernst: Die Stationierung, die bereits weit vor dem Ukraine - Krieg in der Planung war, wird in einem Nebensatz verkündet? Ernsthaft? Sind wir dann noch ein selbstbestimmendes Land? Warum wird der Diskurs vermieden? Und die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Stationierung ab. Interessiert das die Regierung?

    • @Jens Barth:

      "Warum wird der Diskurs vermieden? Und die Mehrheit der Bevölkerung lehnt die Stationierung ab. Interessiert das die Regierung?"



      Im Beamtensprech und in der Regierungsdenke ist das Wort "Sachzwänge" vielleicht kennzeichnend, aber für viele mit Verstand und Weitsicht ist der Mangel an Diskurs ein Grund für Unverständnis und ein sicheres Zeichen kurzsichtiger Erwägungen.



      Die nächsten Landtags-Wahlen waren wohl offensichtlich kein entscheidendes Kriterium für den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Entscheidung.

    • @Jens Barth:

      Es gibt in sehr vielen Bereichen stabile Mehrheiten, die von den deutschen Regierungen ignoriert wurden und werden.



      Leider gehört die Frage der Kriegsbeteiligung nun auch dazu.

      Die Friedensbewegung, die hier früher einmal korrigierend hätte eingreifen können, wurde von Politik und Medien diskreditiert.



      Wenn einer Bischöfin die Moral abgesprochen und der Rest als unwidersprochen als „Lumpenpazifisten“ verunglimpft werden, ist es bis zum Kriegseintritt nicht mehr weit.

  • Der Westen hat den kalten Krieg gewonnen, weil er auf Waffen (PershingII) gesetzt hat und sich von ruZZischen Drohungen nicht einschüchtern ließ. Das ist auch heute die einzig richtige Antwort.

  • Biden bleibt auf US Linie wie Ronald Reagan 1982 beim Nato-Doppelbeschluss Pershing II, Cruise Missels auf deutschem Boden zu stationieren, damals UdSSR, heute Russland ökonomisch dadurch totzurüsten, dass Putin in US Falle tappt, wie von ihm bereits angekündigt, auf Stationierung von US Marschflugkörpern, mit Stationierung vergleichbarem Waffensystem folgt. Damals wie heute ist Bundesregierung assistierend zu Diensten. Raketen bei Fuß, was mit der EU Friedens Fazilität zur Unterstützung der Ukraine im aufgezwungenen Krieg mit Russland erst einmal gar nichts zu tun hat

    • @Joachim Petrick:

      Jetzt müssen nur noch Gas-, Kohle-, Ölpreise in Keller gehen, was für Biden nicht zu früh geschehen darf, weil er bis zum US Präsidentschaftswahltermin 5 Nov 2024 einerseits durch anhaltend hohe Öl-, Fracking Gas- Preise anderseits anhaltend hohe Rüstungsexporte US Handelsbilanzdefizit herunter prügeln will, wodurch Putin noch ein Zeitfenster bleibt im Ukrainekrieg, bis sie dann fallen die Preise von Gas. Kohle, Öl unter russischen Produktionskostenpreis. Dann ist es für Russland heute 2024 wie für UdSSR 1991 kurz vor deren Auflösung in einzeln autonome Republiken durch in Keller gefallene Preise, Versiegen der Einamequellen Gas, Kohle, Oil, heute um so mehr durch Klimatransformation, mit deren Argument China durch E Mobil Überproduktion den Weltmarkt schwemmt, Putins Weg ins Dilemma sinkender Preise für fossile Energieträger mit beschleunigen könnte und tut, was bisher von EU als Strategie gegen Ukrainekrieg ignoriert, USA sogar kontraproduktiv durch 100 % Zoll auf Pekings E Autos auf US Markt massiv verhindert wird

  • Dazu muss es eine Volksabstimmung geben!



    Das ist sehr gefährlich und darf nicht einfach so entschieden werden.

    • @D. MEIN:

      Angesichts des offenkundig mangelnden Sachverstandes in der Debatte (wie auch in anderen Fragen) und der vorhandenen falschen Prämissen und irrationalen Ängste bin ich sehr froh, dass es hier keine Volksbefragung gibt und damit den Lügnern von AFD und BSW und Querdenkern keine zusätzliche Bühne geboten wird.

    • @D. MEIN:

      Das ist jetzt aber ein satirischer Kommentar, oder?

      Falls nicht, dann wäre ich mit dem Ruf nach Volksabstimmung vorsichtig. Man kann die nämlich nicht nur für solche Fragen fordern, die einem gerade in den Kram passen. Und man müsste dann auch die Ergebnisse anderer Abstimmungen ohne Protest akzeptieren, wenn es zum Beispiel um das Bürgergeld oder Begrenzung der Migration geht.

  • "Putin habe damit den Abrüstungsvertrag INF gebrochen. Das sei ein „massiver Angriff ..."



    Auslaufen lassen, einseitig kündigen, alles passt offenbar in den Rahmen der Erzählung, warum ein vernünftiges Instrument nicht taugt in den Händen Unvernünftiger.



    /



    Quelle tagesschau.de



    "INF-Vertrag mit Russland endet offiziell



    Stand: 02.08.2019 09:31 Uhr



    Mit dem Rückzug der USA endet heute offiziell der INF-Vertrag mit Russland über nukleare Abrüstung im Mittelstreckenbereich. NATO und Europa sind besorgt. Außenminister Maas warnte vor einer neuen Aufrüstungsspirale."



    Mit Fantasie oder dem Siebten Sinn könnte das auch als (sich selbst erfüllende) Prophezeiung durchgehen, aber hier war die Weichenstellung schon vorher offensichtlich. Streitäxte wie Tomahawks fallen nicht einfach vom Himmel, Raketen stehen nicht einfach da.



    Wehmut kommt schon auf:



    www.bpb.de/kurz-kn...akte-von-helsinki/

  • Die Diskussion in der SPD über die Stationierung von US-Raketen zeigt, dass es in der Partei unterschiedliche Ansichten zur Sicherheitspolitik gibt. Während Kanzler Scholz und die Parteispitze die Entscheidung als notwendige Reaktion auf die Bedrohung durch Russland sehen, warnen andere, dass dies zu mehr Spannungen und einem neuen Wettrüsten führen könnte. Es ist wichtig, dass die SPD diese Debatte offen und ehrlich führt, anstatt sie einfach durchzuwinken. Denn die Entscheidung könnte weitreichende Folgen für den Frieden in Europa haben.

    Viele Grüße Andreas

  • Die nukleare Bewaffnung der Raketen ist nicht nur nicht vorgesehen sie ist so gar nicht möglich. Das Programm zur Entwicklung von Nukelar tomahwak Raketen ist eingestellt wäre auch ein andere tomahwak version. Nuklear bewaffnen ließen die sich nur wenn man neu einen nuklearen Sprengköpfe für sie entwickelt. Kann man machen man kann auch nukleare Sprengköpfe für Silvesterrakwtem entwickeln. Nur warum sollte man das tun? Es geht hier um konventionelle Abscreckung bis die Raketen aus dem Elsa Progeam entwickelt sind. Das werden europäische cruise missiles. Die sind in ein paar Jahren soweit.

  • Was ein Glück, dass die Linken innerhalb der SPD demnächst nichts mehr zu sagen haben

  • Vorschlag: Russland entfernt sämtliche Nuklearwaffen von Kaliningrad und dafür werden keine Tomahawks und Hyperschallraketen bei uns stationiert. SM-6 würd ich behalten, das sind Defensivwaffen. Die bedrohen nur die, die angreifen wollen.