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Harte Strafen für KlimaprotestBritische Aktivisten müssen in Haft

Die bisher längsten Haftstrafen für friedlichen Protest: Britische Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen müssen für bis zu fünf Jahre ins Gefängnis.

London, 18.Juli: Proteste vor dem Southwark Crown Court, wo das Urteil gegen fünf Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen fiel Foto: Vuk Valcic/imago

London taz | Fünf britische Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen sind am Donnerstagnachmittag von einem Londoner Schwurgericht zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Einer von ihnen, der Exctinction-Rebellion-Mitgründer Roger Hallam, muss sogar für fünf Jahre ins Gefängnis. Das Strafmaß ist womöglich das bislang höchste für gewaltfreie Protestaktionen im Vereinigten Königreich. Entscheidend dafür waren verschärfte Einschränkungen des Demonstrationsrechts durch die letzte konservative Regierung. In vorherigen Prozessen waren Klima-Ak­ti­vis­t:in­nen oft von den Geschworenen freigesprochen worden.

Die Aktivist:innen, drei Frauen und zwei Männer, die Sym­pa­thi­san­t:in­nen als die „Whole Truth Five“ bezeichnen, wurden wegen Aktionen im November 2022 schuldig gesprochen. Dabei waren Ak­ti­vis­t:in­nen von „Just stop Oil“ an verschiedenen Orten unter anderem auf Signalbrücken der Londoner Außenringautobahn M25 geklettert und hatten dort Banner aufgehängt.

Da die Straße aus Sicherheitsgründen über vier Tage gesperrt wurde, soll die Aktion mit 51.000 Stunden Verkehrsverzögerungen, die mehr als 700.000 Fahrzeuge betraf, zu wirtschaftlichen Folgeschäden von umgerechnet 900.000 Euro geführt haben. Für Polizeieinsätze entstanden zusätzliche Kosten in Höhe von über einer Million Euro.

Ein Polizist wurde bei einem Sturz vom Motorrad leicht verletzt und zwei LKWs waren in einem Unfall verwickelt. Verpasste medizinische Termine, Flüge, Beerdigungen listete die Staatsanwaltschaft ebenfalls als Konsequenzen der Aktion auf.

Zoom als Beweismaterial

Die Verurteilten hatten über Zoom potenzielle Ak­ti­vis­t:in­nen rekrutiert. Hallam hatte dort die größte Aktion in der britischen Geschichte gefordert, um damit die Öl- und Gasgewinnung in der Nordsee zu stoppen. Ein Mitschnitt des Zooms durch einen Undercover-Journalisten der rechten Boulevardzeitung The Sun wurde an die Polizei weitergegeben und diente als Beweismaterial. Zwei der Verurteilten wurden neben der M25 festgenommen, während andere organisatorische Aktionen leiteten.

Richter Christopher Hehir argumentierte in seinem Urteil, dass die Proteste bis ins Detail geplant waren und eine Verschwörung darstellten. Die Ak­ti­vis­t:in­nen seien zum Fanatismus übergelaufen und hätten sich als einzige berechtigte Ent­schei­dungs­trä­ge­r:in­nen verstanden, um den klimatischen Herausforderungen zu begegnen. Dabei hätten sie Störungen und Schäden ihrer Mit­bür­ge­r:in­nen in Kauf genommen.

Während des Prozesses hatte Richter Hehir außerdem die Zeit für Roger Hallams Verteidigungsplädoyer schließlich begrenzt. Hallams Ausführungen hatten sich an mehreren Tagen über mehrere Stunden hingezogen. In seiner Rede hatte er Ak­ti­vis­t:in­nen aufgerufen, mit Plakaten ins Gericht zu kommen. Zudem hatte er mehrmals richterliche Anweisungen ignoriert. Dreimal war er festgenommen worden. Hallam gab an, dass er seit der Aktion politische Lobbyaktivitäten bevorzuge und direkte Aktionen ablehne. Ak­ti­vis­t:in­nen, die Hallams Aufruf gefolgt waren, waren zunächst ebenfalls festgenommen worden, doch am Ende sah der Richter von einer Bestrafung ab.

Nach der Urteilsverkündung sprachen Eltern und Freunde der Verurteilten neben bekannten Politiker:innen. Auch der britische Naturprogrammmoderator Chris Packham, der Unternehmer Dale Vince, der ehemalige wissenschaftliche Regierungsberater David King sowie Greenpeace UKs Amy Cameron kamen zu Wort.

Berufung und Proteste

„Just stop Oil“ gab an, dass man Berufung einlegen wolle sowie mit Protesten und Aktionen weiter kämpfen werde. Clive Lewis, ein Unterhausabgeordneter Labours, der ebenfalls vor den Versammelten sprach, sagte der taz, dass er das Urteil als Travestie interpretiere – vor allem wegen des Strafmaßes, das friedliche Proteste schweren Kriminaldelikten gleichstelle.

Die Labour-Regierung müsse darauf reagieren und sicherstellen, dass die Ak­ti­vis­t:in­nen freigelassen würden. Er unterstütze ein Treffen von Ver­tre­te­r:in­nen der Verurteilten mit dem neuen britischen Generalstaatsanwalt. Zudem werde er das Thema im Parlament ansprechen. Die neue Labour-Regierung hatte in den vergangenen Tagen angekündigt, dass neue Gas- und Ölgewinnungsprojekte eingestellt würden – ein Schritt, den „Just stop Oil“ begrüßte.

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19 Kommentare

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  • Zu einer Zeit, in der Gewaltstraftäter aus Gefängnisplatzmangel Bewährungsstrafen bekommen, erhalten gewaltlose Aktivisten absurd lange Gefängnisstrafen...

    Das UK ist längst den Bach runter und alle Torypolitiker und -wähler haben ihren Anteil daran.

  • Kann es sein das der Richter selbst im Stau stand und nun seinen Unmuht kundtut?



    Das Strafmaß ist nicht zu rechtfertigen, das ist persönliche Selbstjustiz im Mantel eines Gerichts. Juristen sind nicht unabhängig, denn sie leben unter uns und leiden mit uns und auch mit sich.



    Doch, da die Justiz "unabhängig" ist, hilft hier nur noch eine Begnadigung durch den König. Ein kleiner Vorteil im Königreich GB.

  • Ja weil sie für die wirklichen Verbrecher schlicht nicht klug genug sind müssen nun andere die volle Härte Spuren .

  • Angesichts der aufgeführten Auswirkungen, sprich Folgeschäden, ist hier offensichtlich der Rahmen britischen Strafrechts ausgeschöpft worden.



    Emotion führt oft dazu, empfundene Härte mit schlichter Konsequenz gleichzusetzten, bzw. zu verwechseln.



    Zweck heiligt nicht jedes Mittel.

  • Das zeigt, was passiert, wenn es bei den Industriedikta... Industriegesellschaften ans Eingemachte geht.

    • @aujau:

      Nein das zeigt das wenn man Gewalt anwendet bestraft wird. Nötigung ist Gewalt. Ich habe noch nie gehört das friedliche Demonsranten von Zb. FFF festgenommen und bestraft wurden.

      • @Martin Sauer:

        Ich denke das sehen Sie zu simpel. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass die bloße körperliche Anwesenheit und ein daraus folgender psychischer Zwang nicht genug sind, um als Gewalt im Sinne des § 240 I StGB gesehen zu werden.



        Eine Drohung mit einem empfindlichen Übel sehe ich auch nicht. Das ganze ist eher minderkomplex.



        Und warum waren diese Menschen jetzt keine friedlichen Demonstranten? Weil Sie das gerne als Gewalt sehen möchten, was wie gesagt nicht ganz einfach ist?



        Wenn das einreissen würde bei uns wären mit nicht wenig Wahrscheinlichkeit Ihre friedlichen Demonstranten von FFF dran. Ich mag da jetzt nicht wetten ^^

      • @Martin Sauer:

        Nein, Aujau hat vollkommen recht. Das verschárfte Gesetz war tatsächlich von der neoreaktionären Lobbygruppe Atlas Network initiiert worden. Finanziert wird die von unter anderem Exxonmobil.de.wikipedia.org/wiki/Atlas_Network

        • @datensenke:

          Es gibt für die Einflussnahme der umweltschädlichen Industrie auch ein Beispiel aus den USA: Monsanto. Dazu gab es mal eine interessante Reportage über Saatgut. Weiterhin empfehlenswert: Der Film Let's make money".

  • 900.000 Mio. € Schaden? Also 900 Milliarden? Das wäre ein Drittel des jährlichen BIP des UK. Hört sich nicht richtig an.

  • taz: *Die bisher längsten Haftstrafen für friedlichen Protest: Britische Klimaaktivist*innen müssen für bis zu fünf Jahre ins Gefängnis.*

    Das hat nichts mehr mit einem Rechtsstaat zu tun. Das ist "Rechtsprechung" im Namen des klimaschädlichen Kapitalismus. Hoffen wir mal für den Richter am Southwark Crown Court in London, dass er keine Kinder und Enkelkinder hat, die ihm irgendwann - wenn der Klimawandel erbarmungslos zuschlägt - dieses Urteil sehr übel nehmen werden. Ich weiß natürlich, dass Richter nicht logisch denken dürfen, sondern sich an Gesetze halten müssen, aber wer Klimaaktivisten für viele Jahre ins Gefängnis steckt, nur weil sie eine CO2-Autobahn etwas lahmgelegt haben, der hält sich nur noch an die "Gesetze" der umwelt- und klimaschädlichen Wirtschaft. Die Gier nach immer mehr Wirtschaftswachstum, sowie ein skrupelloser Kapitalismus ('der nicht nur die Natur auffrisst'), hat die Menschheit fest im Griff und der klimaschädliche Wahnsinn ist außer Rand und Band.

  • "Sie sollen mehrere Jahre in Haft, weil sie einen Autobahnprotest organisiert haben."



    Nur deshalb, oder gibt es auch hier eine Vorgeschichte?

    • @weather2018:

      Weil sie vorsätzlich zehntausende Menschen genötigt haben, enormen Schaden verursachten und sich erkennbar ohne jede Einsicht über den Rechtsstatt stellen.

  • Von Siegerjustiz kann man da ja nicht sprechen.



    Denn bei der Klimakatastrophe kann es nur Verlierer geben.

    • @Bolzkopf:

      Entweder wir steuern um oder die Ökodiktatur kommt zu uns.



      Ahrtal lässt grüßen.

  • Die Bevölkerung hat ein Anrecht auf den Klimawandel und darauf von Hochwasser und Extremwetter eingeschränkt und gestört zu werden, aber nicht von Klimaktivisten. Ironie off.

    • @Core Persephone:

      "Die Labour-Regierung müsse darauf reagieren und sicherstellen, dass die Ak­ti­vis­t:in­nen freigelassen würden."

      Das wird die Regierung bestimmt nicht machen. Das sich die Regierung in Urteile einmischt oder vorgibt, das geht im Iran oder Rußland aber nicht in England.

  • Es wird Zeit das der König, auch ein aktiver Klimaakivist, sich einschaltet und die Verurteilten begnadigt.