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Herzinfarkt-TherapieGelobte Therapie vor dem Aus

Die körpereigene Abwehr beseitigt bei einem Herzinfarkt noch lebendige Herzzellen, weil sie diese für tot hält. Eine neue Therapie könnte helfen.

Das verletzte Herz Foto: Malte Müller

Jedes Jahr erleiden etwa 200.000 Menschen einen Herzinfarkt. Etwa 45.000 verlieren durch die akute Verengung der Koronararterie ihr Leben. Gelingt es allerdings, binnen zwei Stunden die verstopfte Stelle durch einen Ballonkatheter zu weiten, wird das Herz wieder mit Blut und damit auch mit Sauerstoff versorgt. In diesen Fällen nimmt das Herzmuskelgewebe in der Regel keinen großen Schaden und die Aussichten auf Genesung sind gut.

Anders sieht es aus, wenn die Akutversorgung erst später einsetzt. Dann beginnt die Leber, zu viele CRP-Moleküle zu produzieren. Dieses Protein ist an sich sehr nützlich und hat schon zu Zeiten der Dinosaurier geholfen, auf Entzündungsbakterien zu reagieren und abgestorbene Zellen zu entsorgen. Doch nach einem Herzinfarkt kann CRP fatale Wirkungen entfalten.

Noch lebendige Herzzellen werden dann fälschlich als sterbend identifiziert, weil sie aufgrund des Sauerstoffmangels viele Funktionen vorübergehend einstellen. Quasi bei lebendigem Leib werden sie abgeräumt – und erst dadurch entsteht ein dauerhafter Herzschaden. Die übriggebliebenen Zellen müssen jetzt härter arbeiten, sind überfordert, und damit beginnt der unaufhaltsame Teufelskreis einer Herzinsuffizienz, bei der die Leistungsfähigkeit des Organs immer weiter abnimmt.

„Bis vor Kurzem gab es in der Humanmedizin keine Möglichkeit, etwas gegen die hohen CRP-Werte zu unternehmen“, sagt Jan Torzewski, Kardiologe und Chefarzt am Klinikum Kempten. Seit 25 Jahren beschäftigen ihn diese Fragen. Viele große Pharmafirmen hätten vergeblich versucht, ein Medikament zu entwickeln, mit dem sich das CRP blockieren lässt, berichtet der 55-Jährige. Den Durchbruch habe dann das Medizinprodukt der kleinen Firma Pentracor aus dem brandenburgischen Hennigsdorf gebracht. „Derzeit gibt es kein anderes Verfahren in der Medizin, um diese Zellen zu retten“, so Torzewski.

Dabei wird das Blut der Pa­ti­en­t:in­nen durch einen Schlauch zu einem durchsichtigen Plastikgefäß geführt, das etwa so groß ist wie eine Mandarine. Der darin enthaltene weiße Stoff ist in der Lage, das CRP zu binden. Anschließend fließt das gereinigte Blut zurück in den Körper. 70 Herzinfarkt-Patient:innen hat Torzewski auf diese Weise bereits behandelt. „Die Erfahrungen mit der CRP-Apherese sind gut, es gab praktisch keine Nebenwirkungen“, bilanziert der Kardiologe. Auch andere Me­di­zi­ne­r:in­nen berichten von positiven Erfahrungen, und wissenschaftliche Studien belegen die Ergebnisse.

Es wird geprüft

Ahmed Sheriff, Geschäftsführer von Pentracor und Erfinder der Therapie, ist Immunologe und Biochemiker. „Als ich anfing, habe ich nie geglaubt, dass der Schaden nach einem Herzinfarkt auf null reduzierbar sei“, berichtet der 59-Jährige. Bevor er zum Unternehmer wurde, hat er an der Charité und im Universitätsklinikum Erlangen geforscht und die Geschäftsstelle der deutschen und europäischen Immunologiegesellschaften aufgebaut. Nach und nach verstand er die Zusammenhänge zwischen CRP, der Reaktion der Herzzellen auf den Sauerstoffmangel und ihrer Entsorgung. Seit 2014 ist sein Produkt in der EU zugelassen, seit 2019 war es auf dem Markt verfügbar.

Der Gemeinsame Bundesausschuss, das höchste Gremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, beschloss, dass das neue Produkt auf breiterer Ebene erprobt werden soll. Die Krankenhäuser konnten die Therapie bis zum Oktober 2023 mit den Krankenkassen abrechnen. Dann aber entwickelte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im vergangenen Oktober einen neuen Code für die CRP-Apherese und beseitigte dadurch die Kostenerstattung. Das hat auch die Anwendung der Therapie vorerst beendet.

Das Verfahren wird sich durchsetzen, denn es ist eine bedeutende Erfindung

Jan Torzewski, Kardiologe

Anfang des Jahres schrieb Ellis Huber, langjähriger Präsident der Berliner Ärztekammer, zusammen mit zehn Professoren, Oberärzten und Uniklinikdirektoren einen Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, dem das BfArM unterstellt ist. Die Mediziner äußern den Verdacht, dass das Institut „Opfer lobbyistischer Interessen“ geworden ist, und liefern auch konkrete Hinweise.

Lauterbach solle die Sache prüfen und „im Rahmen der Dienstaufsicht eine andere Entscheidung durchsetzen“, so ihre Forderung. Derweil sitzt Ahmed Sheriff in den verwaisten Räumen seines Labors und ist arbeitslos gemeldet. Nachdem der Investor wegen der Aktion des BfArM abgesprungen ist, musste seine Firma Insolvenz anmelden. Erfreulicherweise gibt es Interessenten, die sich beim Insolvenzverwalter um eine Fortführung bewerben.

„Das Verfahren wird sich durchsetzen, es ist eine bedeutende Erfindung“, ist Torzewski überzeugt. Das Interesse in den USA sei groß, weiß er aus seinen Fachkreisen. Der Kardiologe geht sogar davon aus, dass die CRP-Apherese auch noch bei anderen Krankheiten hilfreich sein wird.

30 schwerkranke Covid-Patient:innen mit Lungenfibrose wurden in seiner Klinik damit behandelt, auch an anderen Krankenhäusern gab es erfolgreiche Therapieverläufe, wie Studien belegen. Bei der Darmerkrankung Morbus Crohn und bei einer Sepsis spielen erhöhte CRP-Werte ebenfalls eine zentrale Rolle.

„Wir wollen ja keine Wunderheiler sein“, betont Torzewski. In allen Fällen brauche es das bewährte vierstufige Verfahren, um die Wirksamkeit einer medizinischen Innovation abzusichern. „Ich fände es aber sehr bedauerlich, wenn sich Deutschland diese Chance entgehen ließe“, fügt er hinzu.

Über ein halbes Jahr lang warteten er und seine Kollegen vergeblich auf Post von Karl Lauterbach – jetzt kam doch noch ein Brief. Es gäbe „keinen Anlass zur Beanstandung“ des BfArM-Vorgehens, steht dort. Zugleich wird aber auch mitgeteilt, dass eine befristete Kostenerstattung wegen des vehementen Nachfragens der Kardiologen nun wieder möglich sei.

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12 Kommentare

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  • Das Spektrum der Möglichkeiten ist vergleichsweise bunt, Stammzellen und Cardio-Patch sind auch erprobt worden.



    Die auch in diesem im Forum angesprochene Studien-Lage ist tatsächlich ein wesentliches Argument.



    /



    www.aerzteblatt.de...n-Herzmuskelgewebe

  • Bevor hier eine Kostenerstattung durch die Allgemeinheit erfolgt, sollte der Effekt doch bitte in eine randomiserten prospektivn Studie überprüft wird Die gibt es nicht. Das im Artikel verlingte Paper ist nur eine Beobachtungsstudie an wenigen Patienten, die keinerlei Schlissfolgerung über eine relevante Wirksamkeit zulässt.



    Verschwiegen wird auch, dass eine Apherese nicht ganz so nebenwirkungsarm ist, es ist ein sehr dicker Katheter an einer Halsvene erforderlich und die Patienten müssen zusätzlich Gerinnungshemmer bekommen.

    • @Ignaz Wrobel:

      Die CRP-Apherese wird in der Regel über periphere Armvenen venovenös durchgeführt und nicht über Halsvenen.

      Hier ein Link zu einem Leitartikel aus einer deutschen Ärztezeitschrift für Notfall und Intensivmedizin zur CRP-Apherese:



      link.springer.com/...s00063-022-00911-x

  • And the Nobel Prize for Medicine goes to...

  • Wäre schon die halbe Miete, wenn man die Adipositas-Epidemie erstmal besiegt.

  • Danke für diesen Artikel. Sehr informativ uns wichtig finde ich.



    Es ist völlig unverständlich wie die (S)PD das Bundesgesundheitsministerium nutzt, um großen Pharmaunternehmen den Weg ebnet. Auch die Entscheidung zur Abschaffung der Preistranzparenz von Arzneimitteln ist einfach nur eine Geldschaufel für die Unternehmen.



    Ich habe das Gefühl Karl Lauterbach, der sich in der Pandemie als wissenschaftsorientiert und faktenbasiert gezeigt hat, ist nur noch ein Fähnchen im Wind. Gegen die ökonomischen Interessen der Pharmalobby scheint er überhaupt nicht gewappnet zu sein.

    Eine Aussage am Artikel ist jedoch unverständlich:



    "Dann aber entwickelte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im vergangenen Oktober einen neuen Code für die CRP-Apherese und beseitigte dadurch die Kostenerstattung." Wieso resultiert aus einem neuen Code die Beseitigung der Kostenerstattung?

    • @oBrien:

      Die Kodierung im Gesundheitssystem und die Kostenerstattung sind unabhängig zu betrachten. Die CRP-Apherese hatte einen Code und konnte bereits kostenerstattet werden. Durch den Transfer auf einen anderen Code bei unkorrektem (bei einem bereits erstatteten Verfahren) Nicht-Transfer der Kostenerstattung, kann man einer innovativen Therapie leicht den Todesstoß versetzen.

  • Sehr geehrte Frau Jensen, ich würde mir eine gründlichere Recherche wünschen. c-RP (c-reaktives Protein) ist seit langem als ein Marker im Blut für Entzündungen bekannt. Bei akutem Herzinfarkt schnellt er in der Höhe, fällt aber bald wieder ab. Diagnostisch wichtig, prognostisch wertlos. c-RP ist übrigens immer bei akuten Entzündungen erhöht. Die Apherese ist ein Verfahren der Blutwäsche und unterliegt dem dem Genehmigungsverfahren über den Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte (GBA). Wenn das BfArm eingreift, ist also etwas negatives passiert. Ich vermute: Bewerbung über IGL-Leistung ohne ausreichend fundierte Studienlage. Wenn Pentracor überzeugt ist, die richtige Apherese anzubieten, muss sie dazu Studien aufsetzen und die Wirksamkeit nachweisen. Das dient der Sicherheit der Patienten. Leider sind seit ca 2015 viele unseriöse Firmen auf dem Markt der Apherese mit fragwürdig fundamentierten Heilversprechen. Hätten sie ein echtes Interesse, würden sie in Studien investieren. Es gibt etablierte, vom GBA genehmigte Apherese-Systeme, wie H.E.L.P. von B/Braun Avitum, DALI von Fresenius oder das System von Kaneka. Nur H.E.L.P. senkt c-RP deutlich, durch Studien belegt.

    • @Gerald Stegemann:

      Alle genannten Verfahren außer der CRP-Apherese entfernen unspezifisch Proteine aus dem Blut/Blutplasma. Darunter oft auch einen gewissen Anteil des CRP. Die Entfernung der weiteren Blutkomponenten ist bei instabilen, antikoagulierten Patienten allerdings eher ein Problem.

      In sehr vielen Publikationen wurde der prognostische Wert des CRP für die Größe des Schadens durch den Herzinfarkt bereits nachgewiesen.

      Die Pathophysiologie (der molekulare Mechanismus), welcher für die CRP-abhängige Entsorgung des Myokards sorgt, ist bereits im Detail beschrieben.

      Dem Kommentator scheint auch entgangen zu sein, dass zahlreiche Studien mit CRP-Apherese durchgeführt wurden und werden.

      Der Gemeinsame Bundesausschuss hat der CRP-Apherese bereits ein positives Potential für den Herzinfarkt (STEMI) bescheinigt.

      Ja, das Negative hinsichtlich des BfArM war die entscheidende Beeinflussung durch einen hochrangigen Mitarbeiter eines anderen Aphereseunternehmens. IGeL-Leistung ist falsch spekuliert.

  • "liefern auch konkrete Hinweise."

    Was für Hinweise sind das?

    • @Arne Babenhauserheide:

      Emails des Lobbyisten an verschiedene Ärzte/Wissenschaftler, in der er sein drängen auf die Entscheidung des BfArM beschreibt.

  • Was soll das?