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Nato-Einsatz im BosnienkriegDie Lehre von Go­raž­de

Gastkommentar von Alexander Rhotert

Schon vor der Kosovo-Intervention hat die Nato im Westbalkan eingegriffen und sogar einen Genozid verhindert. Aber der Frieden ist zunehmend gefährdet.

Ein Panzer als Friedensbote: Albanische Geflüchtete jubeln 1999 einem Nato-Panzer auf dem Weg in den Kosovo zu Foto: Boris Grdanoski/AP

D ieses Jahr markiert zum 25. Mal das Nato-Bombardement gegen Serbien und das damit verbundene politische Ende des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević. Dieser hatte ab 1989 versucht, große Teile Jugoslawiens für Belgrad zu vereinnahmen, um alle serbisch besiedelten Gebiete unter einem Dach zu vereinen. Dazu führte er vier Feldzüge mit der Jugoslawischen Volksarmee und paramilitärischen Gruppen gegen die Teilrepubliken Slowenien und Kroatien ab 1991, Bosnien und Herzegowina 1992 und die autonome Provinz Kosovo 1998.

Alexander Rhotert

forscht seit 1991 als Politikwissenschaftler zum ehemaligen Jugoslawien. Er war 20 Jahre unter anderem für die UN, Nato, OSZE, OHR und EU tätig, zumeist zur Friedensumsetzung auf dem West­balkan. Als Oberst­leutnant arbeitete er bis vor Kurzem als Interkultureller Einsatzberater der Bundeswehr für Auslands­einsätze.

In der Samstagsausgabe der New York Times schrieb der Premier Kosovos, Albin Kurti, einen bemerkenswerten Gastbeitrag: „Save NATO. It saved my homeland.“ Eine besondere Danksagung an die erfolgreichste Militärallianz der Geschichte für ihren Einsatz im Kosovo 1999. Dass die Nato bereits ab 1993 im Bosnien-Krieg immer wieder intervenierte und so viele tausend Menschenleben rettete und 1994 einen Völkermord verhinderte, ist weit weniger bekannt.

Die Nato hatte ihre Luftstreitkräfte ab 1993 den Vereinten Nationen (UN) angeboten. Deren Interventionen in Bosnien und im Kosovo sind grundlegend verschieden, denn die UN forderten die Nato in Bosnien immer nur als Ultima Ratio an. Im Gegensatz zur Kosovo-Intervention, wo die Nato „all in“ war und frei agieren konnte.

Im März 1993 begann das Nato-Engagement mit der militärischen Durchsetzung eines Flugverbots. Im Februar 1994 kam es dann zum ersten Kampfeinsatz in der Nato-Geschichte, als F-16-Maschinen vier serbische Kampfflugzeuge abschossen. Die Umsetzung des Flugverbots ist ein zu wenig gewürdigter Erfolg, denn die serbische Luftwaffe hätte weitaus größere Zerstörungen anrichten können als die serbische Artillerie. Dies hat unzähligen Zivilisten und Regierungssoldaten das Leben gerettet.

Der verhinderte Genozid

Im April 1994 wäre es ohne die Nato und die Androhung von umfassenden Luftangriffen fast zur Katastrophe gekommen. Die Truppen des serbischen Generals Ratko Mladić standen bereits am Ortsrand der ostbosnischen UN-Schutzzone Go­raž­de, in der über 60.000 Menschen lebten. Luftschläge auf serbische Stellungen und immenser politisch-­di­plo­ma­tischer Druck von USA und Nato verhinderten damals einen bevorstehenden Völkermord, der tragischerweise 15 Monate später in der nahegelegenen Enklave Srebrenica von serbischen Einheiten verübt wurde.

Wenn heute einige Politiker mehr Diplomatie zur Beilegung des Ukraine-Krieges fordern, hört sich das für die Opfer der Balkan-Krieg wie blanker Hohn an

Ein umfassenderes Nato-Engagement hätte noch unzählige weitere Menschenleben retten können. Der US-Luftwaffengeneral McPeak sagte bereits am 1. Mai 1993: „Geben Sie uns die Zeit, und wir werden über jede einzelne Artilleriestellung fliegen und diese ausschalten.“ Er strafte damit zögerliche Politiker, Diplomaten und Militärs Lügen. Hätten die UN auf McPeak gehört, wäre der Bosnien-Krieg schon im Sommer 1993 beendet und der Völkermord verhindert worden.

Wenn heute einige Politiker „mehr Diplomatie“ zur Beilegung des Ukraine-Krieges fordern, hört sich das für die Opfer der Balkan-Krieg wie blanker Hohn an, denn damals herrschte das Primat der Diplomatie über drei Jahre vor.

Mit gebundenen Händen

Ohne die Autorisierung der UN-Führungsspitze konnte die NATO nicht eingreifen. Dieses „dual-key-system“ verminderte per se jedwede militärischen Erfolgsaussichten. Die militärischen und politischen Repräsentanten des UN-Generalsekretärs, der Japaner Yasushi Akashi und der französische General Bernard Janvier, waren Gegner von Luftangriffen.

Erst Stunden nach dem finalen Vorstoß auf Srebrenica bewilligten sie als Alibi-Aktion einen Nato-Angriff: Als Mladićs Mördertrupp bereits die Stadt eingenommen hatte, griffen zwei F-16-Flugzeuge an, nachdem Dutzende Maschinen stundenlang vergeblich auf den Einsatzbefehl im „stand-by“ in der Luft gewartet hatten. Der niederländische F-16-­Einsatzleiter, Jouke Eikelboom, kommentierte bitter: „Uns wurde erst erlaubt einzugreifen und das Feuer zu löschen, als das Haus bereits komplett abgebrannt war. Es war, als müssten wir mit einer auf dem Rücken festgebundenen Hand kämpfen.“

Der serbische Genozid änderte alles. Die USA übten immensen Druck auf die UN aus, um Luftangriffe zu genehmigen. Als serbische Einheiten Ende August 1995 drei Granaten auf den Marktplatz Sarajevos feuerten und damit 38 Menschen ermordeten und über 150 verletzten, war die Stunde der Nato gekommen. Nach zwei Wochen Luftangriffen beendeten Mladićs Truppen die längste Belagerung einer Hauptstadt. Die Nato kann stolz sein, die ersten zwei Kriege in Europa nach 1945 beendet und somit in Bosnien unzählige Leben gerettet und im Kosovo einen zweiten Völkermord verhindert zu haben.

Milošević' Erben

Knapp 30 Jahre danach sieht sich Bosnien abermals mit einer potenziellen Sezession konfrontiert. Seit Jahren bereitet der ultranationalistische Serbenführer Milorad Dodik die Abspaltung des von ihm kontrollierten und serbisch-dominierten Landesteils, der Republika Srpska (RS), vor. Unterstützt wird Dodiks Zündeln durch Belgrad und Moskau. Dodik hat, vorbei an den legitimen und multiethnischen Streitkräften des Landes, beträchtliche paramilitärische Verbände aufgebaut und mit Kriegswaffen ausgerüstet. Einen Teil dieser lässt er alljährlich bei einer verfassungswidrigen Paramilitärparade zum Gründungstag der RS aufmarschieren, vorbei an russischen Diplomaten, verurteilten Kriegsverbrechern und Belgrader Regierungsvertretern.

Sollten Dodik und Vučić mit der Schaffung eines Großserbiens erfolgreich sein, bekämen sie unter den Serben Heldenstatus

Obwohl der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, der ehemalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, letztes Jahr angekündigt hatte, dass es diese illegale Parade so nicht mehr geben werde, tat er nichts, um sie zu verhindern. Es fehlt nicht mehr viel zur Unabhängigkeit der RS und den Anschluss an Serbien. Damit würden Dodik und der serbische Präsident Aleksandar Vučić das von Milošević 1991 begonnene Projekt eines Großserbiens vollenden. Unter den allgemein sehr geschichtsbewussten Serben bekämen Dodik und Vučić somit Heldenstatus.

Russlands Botschafter drohte Bosnien bereits zweimal mit einem „Ukraine-Szenario“. Da es so scheint, als wolle Schmidt sich nicht zu sehr mit den Vertretern eines zukünftigen großserbischen Staats anlegen, gibt es nur eine Option, um Dayton und somit Bosnien zu retten: die signifikante Aufstockung der EU-Friedensmission Eufor-Althea. Die EU sollte präventiv handeln – solange dies noch möglich ist.

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11 Kommentare

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  • Der NATO-Einsatz gegen Serbien war völkerrechtswidrig, da kein UN-Mandat vorlag. Die NATO verletzte Artikel 2 der UN-Charta: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt."



    Auch wenn dieser Einsatz aus humanitären Gründen erfolgte, bleibt er doch völkerrechtswidrig.



    Was bleibt vom Völkerrecht, wenn Militärbündnisse oder starke Staaten selbst beschließen, die Souveränität anderer Staaten aus „guten Gründen“ mit Gewalt zu verletzen?



    Hatte nicht Russland den Angriff auf die Ukraine mit ähnlichen „guten“ Gründen gerechtfertigt?



    Oder morgen bilden Iran, Syrien und Libanon eine Militärallianz, um aus „guten“ Gründen in Gaza einzugreifen, um weiteres Sterben zu verhindern, weil es einen Anfangsverdacht auf einen Genozid gibt?

    • @thinktankgirl:

      Mir ist nicht bekannt, dass Putin sich für seinen Krieg gegen die Ukraine auf den seinerzeitigen Nato-Einsatz als Rechtfertigung bezogen hat. Warum auch, schert ihn das Völkerrecht doch keinen Deut, wie ihn ja auch Verträge nicht interessieren. Mit Tschetschenien, Georgien, Donbass und der Krim hat er ohnehin seine eigenen "Präzedenzfälle" geschaffen.



      Alles völkerrechtswidrig, hat hier im Westen praktisch keinen interessiert, weder die Bundesregierung, noch die Linken/Altlinken. Von denen habe ich da nie Protest oder auch nur die leiseste Kritik daran gehört. Eher im Gegenteil Rechtfertigungen und Unterstützung Russlands.



      Außerdem ist es mehr als offensichtlich, dass Putin in der Ukraine kein Blutbad verhindern, sondern es gerade anrichten will.

      Im Gazakrieg bzw. dem Nahost-Konflikt ist der Iran von Anfang maßgeblich involviert als Unterstützer von Hamas, Hisbollah u.a.



      An Völkerrecht war und ist man dort auch nicht sonderlich interessiert.

    • @thinktankgirl:

      Und doch schreien vor allem Linke am lautesten wenn irgendwo auf der Welt ein Regime Massenmorde begeht und der Westen nur zusieht.

  • Sehr gute Zusammenfassung der Situation auf dem Balkan in den 90ern im Zusammenhang mit dem NATO-Engagement - das ohne das amerikanische Engagement leider undenkbar gewesen wäre, was ein Armutszeugnis für Europa war. Leider sind wir knapp 30 Jahre später als Europäer immer noch nicht weiter...

  • Bin nicht ganz einverstanden mit dieser Darstellung, denn auch die anderen Konfliktparteien tragen Mitschuld im Sinne ethnisch-nationalistischen Zündelns, auch zb die deutsche Regierung durch die vorschnelle Anerkennung der slowenischen und kroatischen Sezession, aber ich danke dem Autoren für solche mutigen Sätze:



    "Die Nato kann stolz sein, die ersten zwei Kriege in Europa nach 1945 beendet und somit in Bosnien unzählige Leben gerettet und im Kosovo einen zweiten Völkermord verhindert zu haben."



    Da kräuseln sich den glaubensbasierten Altlinken, die sich ihr Weltbild in den 70ern oder 80ern des letzten Jh. erarbeitet haben und dieses seitdem verbissen gegen die sich wandelnden Realitäten da draußen verteidigen, doch mindestens die Fußnägel.

    • @dites-mois:

      . . . wie wahr, wie wahr ! In diesem Sinne einen besonderen Gruß an Rolf Mützenich und Ralf Stegner . . .

  • Es bleibt ein Dilemma: Nichteinmischung kann auch Frieden und Recht bewahren (die Ausgestaltung beim Kosovo mit Scharpings imaginärem Hufeisen war wohl ein unguter Präzedenzfall für andere und schob Serbien endgültig in den falschen Kosmos). Einmischung kann jedoch auch viele Menschen vor nationalen "Säuberern" schützen. Wenn ich rote Linien ziehe, muss ich auch etwas tun.



    Die RpblkSrpsk ist ein kaum verhohlener Nationalistenhaufen - wie robust man deren Manöver durchkreuzt, ist eine offene Frage; die Konflikte sind zugekleistert, nicht gelöst.



    Und manchmal werden Vertreibungen sanktioniert, manchmal nicht.



    Bleiben wir aber universal, das ist am ehesten durchzuhalten.

    • @Janix:

      “…unguter Präzedenzfall …“



      Stacheldraht in Schmierseife verpackt!

      Auch wenn le Petit cheflereporter Peter Unfried in Gefolge von sei - Weltpolitiker van de Grii Soß BMW-Josef Fischer anderes insinuieren will! Newahr.



      NEIN! Schlands erster Kriegseintritt post WK II - war - entgegen der öffentlichen Bekundungen von Schröder Fischer Scharping et al. verfassungs&völkerrechtswidrig •



      Normal

      • @Lowandorder:

        . . . richtig ! Aber - Ausschließliches Ziel der Luftoperation ALLIED FORCE war es, die jugoslawische Regierung unter ihrem Präsidenten Slobodan Milosevic zur Annahme des Interim-Abkommens von Rambouillet zur Beendigung der exzessiven Gewaltanwendung serbischer Kräfte gegen albanisch-stämmige Bewohner des Kosovo zu zwingen. Wie sieht Ihre Gewichtung aus, wenn Völkerrecht und Menschenrecht derartig in Konflikt geraten, dass der normative Bruch des Völkerrechts der einzige Weg ist , dem Menschenrecht Geltung zu verschaffen ? Das Völkerrecht selbst positioniert sich hier mit der, unmittelbar auf die Ereignisse des Jugoslawien-Konflikts folgenden Aufnahme der R2P in das völkerrechtliche Normengefüge nicht perfekt aber doch ziemlich wegweisend..

        • @Isandlwana:

          Sach mal so: Kam gegen 11:00 ins Gericht (wg Vertretung eines Kollegen:



          Du bist dabei. Eilantrag Bewohner Beograd & Zemun!



          Weil auf Frage später taz-Kongress “da haben wir durch die Bank geschlafen!“ Friedrich Küppersbusch - haben wir - aufgrund der falschen Verlautbarungen der Bundesregierung - mit vielen Kautelen - am Ende des Tages - die Teilnahme der BW im Rahmen der NATO mit höherrangigem Recht “grenzwertig“ für vereinbar gehalten! Schonn.



          Als wir Tage später die wahren Hintergründige erkannten - waren wir uns unisono einig: getäuscht haben wir falsch entschieden!

          kurz - Dieses von Ihnen skizzierte Spannungsverhältnis müssen sie als Richter gemäß ihrem Verfassungsauftrag einer rechtlichen Lösung zu führen! Das ist nicht beliiebig!



          Sondern Recht&Gesetz und ihr Job •

          & genau deswegen zu Jürgen Habermas in Fjutscher2 “Kann der Westen weg?“ Lovando =>



          “ : & wenn Sie - als Nichtjurist derart freihändig in einer derart gravierenden Fragestellung unterwegs sind!

          Sehen Sie das nem altgedienten Häberle-Schüler nach - sollten Sie doch etwas genauer schauen - wen Sie da en passant als berufene Stütze anziehen. Woll.

          Professor Christian Tomuschat …



          ff & Rest

          • @Lowandorder:

            ff & Rest

            Professor Christian Tomuschat ist als gutachtenfreudig hinlänglich bekannt - aber - anders als zB ein mir bei “Recht in Zeiten des Terrors“ gut in Erinnerung gebliebener Michael Geistlinger - wahrlich nicht die hellste Kerze auf der 🎂 !* Gelle



            Nein. Herr Jürgen Habermas - sonst wie immer alles 🦆🦆🦆 - aber hier - gewogen und zu leicht befunden!

            Weil schlicht falsch • “



            Das naturellement einem Bellizisten clandestin le petit cheflereporter Peter Unfried - im Fahrwasser der griiSoß seines Weltpolitikers Josef Fischer! Der zudem - mit GasPromGerd als Kanzler - erneut! die Öffentlichkeit anlässlich Irakkrieg hinters Licht geführt hat - skrupellos weil sie wiedergewählt werden wollten: Schland 🇩🇪 war Kriegspartei •

            unterm—— bereits dort =>



            taz.de/Debattenkul...undestag/!6021514/ noch was ausführlicher ! Woll

            kurz - Soll mal reichen - mit Allgemeinplätzen kommt frauman nicht weiter - ja da beginnt “Glatteis“ Gefahr ja Willkür! Der Begründungszwang etc. - verhindert regelmäßig die größten “Ausreißer“!