Leistungsexplosion bei Tour de France: Zaubermittel Zucker
Die schier unglaublichen Leistungen der Topfahrer bei der Tour de France werden mit einer Ernährungsrevolution erklärt. Was hat es damit auf sich?
NIZZA taz | Flaschen füllen ist vor einem Zeitfahren eine ganz besonders wichtige Angelegenheit. Die Ernährungsberater müssen an diesem Tag nicht nur die richtige Mischung aus Kohlenhydraten und Flüssigkeit finden. Sie müssen den Energiebedarf so perfekt austarieren, das genug Inhaltsstoffe in den oft aerodynamisch optimierten Trinkbehältnissen sind, aber auch, dass sie nicht zu viel einfüllen. Denn zu viel Getränk bedeutet zu viel Gewicht, und das muss eben auch vorwärts bewegt werden.
Und so konnte man unter anderem Kristof de Kegel, Ernährungsspezialist vom Team des Weltmeisters Mathieu van der Poel, vorm Zeitfahren so präzise wie einen Apotheker beim Flaschenfüllen beobachten. Was wie angewandte Wissenschaft aussieht, ist auch Wissenschaft, Ernährungswissenschaft eben. „Vor einigen Jahren dachten wir noch, ein Mensch kann etwa 60 Gramm Kohlenhydrate in der Stunde aufnehmen. Dann sagt der Magen: ‚Schluss jetzt.‘ Mittlerweile wurde herausgefunden, dass man mit der richtigen Mischung von Kohlenhydraten bis zu 120 Gramm pro Stunde verwerten kann. Manche Fahrer schaffen sogar noch mehr“, erzählt de Kegel der taz.
„15 Minuten nach Ende des Rennens weiß unser Koch schon, was jeder Fahrer braucht“
Das kann man gut und gern als Ernährungsrevolution bezeichnen. Kohlenhydrate bedeuten Energie, die in den Muskelzellen erzeugt wird und für Vortrieb über die Pedalen sorgt. Die doppelte Aufnahme von Brennstoff sorgt nicht gleich für zweifach schnellere Geschwindigkeit. Aber die neuen Rekordzeiten der Tour-Fahrer sind auch durch den Faktor Ernährung begünstigt.
Clever kochen
Bei den Teams hat sich deshalb ein strenges Kontrollregime über die Brennstoffzufuhr durchgesetzt. „Es gibt einen gut ausbalanzierten Ernährungsplan für jeden Tag, abhängig von der Charakteristik jeder Etappe. Wir sehen ganz genau, wie viele Kilojoules die Fahrer umgesetzt haben. Das können wir aus den geleisteten Wattwerten aus den Radcomputern ablesen. Wir wissen also, was sie geleistet haben. Und daraus ermitteln wir, was wir ihnen wieder zuführen müssen. 15 Minuten nach Ende des Rennens weiß unser Koch schon, was jeder Fahrer braucht. Und danach bereitet er das Abendessen vor“, erzählt Experte de Kegel.
Bei Team UAE Emirates geht man ähnlich wissenschaftlich heran. Herr über die Kohlenhydratzufuhr ist dort Gorka Prieto. Er kam ein Jahr nach Pogacar zum Team. Und wie Pogacar, 25, auf der Pressekonferenz am zweiten Ruhetag zugab, brauchte der unbestrittene Leader der Tour vier Jahre, um sich voll und ganz mit dem Ernährungsregime anzufreunden. Jetzt futtert er, was Prieto ihm vorgibt. Der Baske betont, dass vor allem der richtige Mix aus Glukose, also Traubenzucker und Fructose, Fruchtzucker, entscheidend ist: „Fructose wird im Körper auf anderem Wege verstoffwechselt als Glukose. Deshalb kann man beides parallel verarbeiten.“
Im Laufe der Saison verändert sich dieser Plan aber. „Wir variieren die Kohlenhydrataufnahme jedes Fahrers. In der frühen Präparationsphase im November und Dezember reduzieren wir die Kohlenhydrate. Die Fahrer leisten dort große Umfänge. Aber die Intensitäten sind vergleichsweise niedrig. Sie verbrennen dabei mehr Fett als Kohlenhydrate“, beschreibt Laura Martinelli, Ernährungsberaterin von Team Jayco den Prozess. Das ist die Saisonphase, in der das mittlerweile berühmt gewordene Zone-2-Training seinen Platz hat.
Dabei geht es darum, den Organismus auf den Fettstoffwechsel umzustellen. „Das macht deshalb Sinn, weil die Kohlenhydratspeicher im Organismus begrenzt sind. Die Fettoxidation ist im Kontrast dazu eher unbegrenzt. Und je länger man im Fettstoffwechsel fahren kann, desto später kippt es in den Kohlenhydratstoffwechsel“, erklärt Dan Lorang, Trainingswissenschaftler und Performance Director beim Team Bora.
Tadej Pogacars früherer Trainer Inigo San Millan teilte Trainingszonen nach Intensitäten ein. Dabei war Zone 2 am unteren Spektrum der Intensitäten angesiedelt, zeichnete sich aber durch maximale Fettverbrennung aus. Gewöhnt man den Organismus daran, rührt er die weniger gut speicherbaren Kohlenhydratreserven nicht an. Das Problem dabei ist nur: Je höher die Intensität auf dem Rad ist, desto mehr Energie muss von den Kohlenhydraten kommen. Ernährungsspezialist Prieto nennt dafür folgende Faustformel: „Bei Leistungen um die 200 Watt handelt es sich vor allem um Fettverbrennung. Bei 400 Watt oder darüber kann man von 99 Prozent Kohlenhydratstoffwechsel ausgehen.“
Beim Zeitfahren sind vor allem die Kohlenhydrate gefragt. Beim ersten Zeitfahren bei dieser Tour leistete Tadej Pogacar über knapp 30 Minuten 452 Watt. Da muss die Mischung in der Flasche stimmen.
Leser*innenkommentare
Willi Müller alias Jupp Schmitz
Na, erweiterte Apothekenrundfahrt, oder?
Lowandorder
@Willi Müller alias Jupp Schmitz …na logo sucre a tergo - aber bitte angewärmt!
Bin gespannt - wann die Auflösung kommt?!
Der Spiegel hatte vor Jahren nen umfassenden zum Doping: erwischt werden nur die - die sich die noch nicht nachweisbaren nicht leisten können •
(btw nen Hilfs-e-mot find ich lustiger -
Wenn sich das Rad post Sturz weiterdreht! Hett jet! Woll
Normal
Perkele
Und warum das alles? Wegen des Profits! Nichts anderes zählt - weder in dieser Sportart, noch beim Fußball oder gar Olympia. Ganz normale, durchschnittliche Menschen, die auch gern mal ein Wettrennen veransatlten stehen selbst auf niedrigster Ebene diesem Problem schon längst gegenüber. Es macht überhaupt keinen Spaß mehr -auch nicht auf dem Dorf- mal der lokalen Mannschaft zuzusehen oder ein kleines Radrennen zu organisieren - alles, wirklich alles ist profitorientiert. Von wegen "Volkssport". Ekelhaft.
Janix
Ich möchte ja so gerne annehmen, dass es allein das wäre.
Allein, mir fehlt der Glaube.
452 Watt sind schon kurzfristig für Normalmenschen kaum zu erreichen oder gar zu halten.
Uwe Kulick
Wenn es nur auf ein paar Watt mehr ankommt: In Zeitalter der Pedellecs ist theoretisch sogar "Doping des Fahrrades" möglich :-)
Spaß beiseite, der neue Superstar schafft bei 30 Minuten Zeitfahren eine Leistung von 0,615 PS (=452 Watt).
Hängt mit der zuckrigen Ernährung auch der Einsatz eines Diabetesmedikamentes bei Tourfahrern zusammen?
Martin Rees
Der Mensch als begeisternder Bioreaktor mit beneidenswert hoher energetischer Effizienz.
"Mittlerweile wurde herausgefunden, dass man mit der richtigen Mischung von Kohlenhydraten bis zu 120 Gramm pro Stunde verwerten kann. Manche Fahrer schaffen sogar noch mehr“, erzählt de Kegel der taz."
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Von Prof Andreas Michalsen hatte ich noch Worte zu "Normalos" im Ohr, das klang weit skeptischer.
Aber das ist eben das Besondere: Einige sind "gleicher als gleich", auch physiologisch🤔😉
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www.wndn.de/prof-d...her-laenger-leben/