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Umgang mit der HamasDer blinde Fleck der Antizionisten

Gastkommentar von Tobias Grießbach

Weder die Hamas noch die Palästinensische Autonomiebehörde stehen für Menschenrechte oder Freiheit. Die Sicht der postkolonialen Blase ist oft zu einseitig.

Mit diesem Outfit könnte die Person wohl nicht einfach so durch Gaza-City spazieren Foto: Quetzalli Nicte-Ha/reuters

Free Palestine“ ist ein Slogan, mit dem man nicht nur einen politischen Willen formuliert, sondern ein ganzes Weltbild transportiert und anzeigt, in welchem Sessel man im geopolitischen Salon sitzt, denn von wem Palästina befreit werden soll, liegt auf der Hand. Doch wie soll dieses freie Palästina denn eigentlich aussehen?

Tobias Grießbach

ist Konflikt­ethnologe, Veranstalter und Kulturnetzwerker. Er lebt seit 12 Jahren in Leipzig und verbringt viel Zeit in Israel und Palästina.

Man gewinnt den Eindruck, Palästina sei durch die postkoloniale Wahrnehmung und aufgrund seines Status als unterdrücktes Land moralisch integer und dementsprechend über alle humanitären Zweifel erhaben. Israel gilt als der alleinige Aggressor. Keine Besatzung = keine Hamas, so die verkürzte Gleichung. Warum fällt es der postkolonialen Blase nur so schwer, die Mächtigen Palästinas in die Kritik einzuschließen?

Drei politische Köpfe der Hamas verfügen zusammen über ein Vermögen von rund 11 Milliarden US-Dollar, während 53 Prozent der Bewohner des Gazastreifens in Armut leben. Bewaffneter Widerstand ist die Kernkompetenz der Hamas, aber damit nimmt sie eine Millionenbevölkerung ideologisch in Geiselhaft. Die Hamas blutet die eigene Bevölkerung aus, anstatt der überwiegend jungen Bevölkerung Sicherheit und Perspektiven zu bieten.

Ein Artikel der Times of Israel vom 11. Juni gibt Einblick das Nullsummenspiel der Hamas, nach welchem höchstmögliche zivile Opferzahlen in Gaza förderlich für sie seien. Abweichung oder gar offener Widerspruch gegen die Hamas-Doktrin werden unterdrückt. Die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland steht dem kaum nach. Es gibt keine unabhängige Opposition, JournalistInnen können nicht kritisch gegen die Führung berichten oder werden ermordet, wie der Journalist Nizar Banat.

Tatsache ist: Palästina und Israel müssen sich gegenseitig etwas anbieten, um zum Frieden zu finden. Und die Machthaber Palästinas müssen dem Wunsch ihres Volkes nach Menschenrechten, Freiheit und Würde nachkommen. Gerade dieser Umstand bleibt bedauerlicherweise ein blinder Fleck in der antizionistischen Sphäre.

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16 Kommentare

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  • "„Free Palestine“ ist ein Slogan, mit dem man nicht nur einen politischen Willen formuliert, sondern ein ganzes Weltbild transportiert ..." Das ist nicht korrekt, da der Slogan von verschiedenen Gruppen mit verschiedenen Weltbildern und mit verschiedenen Vorstellungen über die zukünftige Gestaltung eines freien Palästinas verwendet wird.

    "MAN gewinnt den Eindruck, Palästina sei durch die postkoloniale Wahrnehmung und aufgrund seines Status als unterdrücktes Land moralisch integer und dementsprechend über alle humanitären Zweifel erhaben." Herr Griessbach sollte das Personalpronomen "ich" benutzen statt des Indefinitpronomens "man", das suggeriert, es handle sich um die Allgemeinheit oder um alle, wenn er seinen subjektiven Eindruck wiedergibt. .

  • "Free Palestine" ist ein Witz und käme der Hamas und ihren Auftraggebern im Iran höchst ungelegen.

    Bisher wurde ein freies Palästina sabotiert bis zum Abwinken.

    Arafat bekam von Israel spätestens 1993 die Chance durch das Oslo-Abkommen sowie 2000 und 2001, Camp David und Taba, einen Palästinensischen Staat zu bekommen, mit 97 Prozent des Westjordanlandes plus Ost-Jerusalem plus Gaza. Abbas bekam 2005 mit Israels Rückzug aus Gaza die Chance und 2008 unter Olmert. Alles verpasst. Unverdrossen wird aber behauptet: Israel hätte sich seit jeher geweigert. Nein, die PLO ist gescheitert. Und erst recht Hamas.

    Aber will die Hamas überhaupt? Ist doch toll ein Volk wie die Palästinenser zu unterwerfen, insbesondere die Frauen. Ist da noch ein Unterschied zwischen Hamas und IS?

    Und für die postkoloniale Blase ist Israel ja nur ein Stellvetreter.

    Des verhassten Westens, Kolonialismus, Imperialismus, Kapitalismus etc.

    Iran weiß das. Konnte sich auf die antisemitische postkoloniale Blase verlassen und am 07. Oktober einen perfiden Angriff durch die Hamas starten.

    Netanjahu ist in die Falle gelaufen. Die Postkolonialisten ebenso.

    Der politische Sieg für Iran phantastisch.

  • Tja… wenn man auf diese Weise darauf schaut sieht es leider oft so aus, als könnte der Postkolonialismus eine Art "Western-Exceptionalism"-Problem haben.

  • "Tatsache ist: Palästina und Israel müssen sich gegenseitig etwas anbieten, um zum Frieden zu finden. Und die Machthaber Palästinas müssen dem Wunsch ihres Volkes nach Menschenrechten, Freiheit und Würde nachkommen."

    Tatsache ist auch, dass kein Staat das Recht hat die Zivilbevölkerung benachbarter Regionen unter dem Vorwand der Selbstverteidigung massenhaft zu töten.

    Solange das Morden nicht aufhört, ist es müßig, wechselseitige Schuldzuweisungen gegeneinander aufzuwiegen.

  • "Die Sicht der postkolonialen Blase ist oft einseitig"

    Die eigene "innere Gerichtsbarkeit" sagt mir, die Sache die ich vertrete ist gut, alles störende wird dabei ausgeblendet. Daraus resultiert dann meist ein Weltbild welches in ein klares Freund/Feind Schema gegliedert ist. Das auch die eigene Seite nicht frei von Makeln ist nimmt man dabei in kauf, denn es wird ja ein übergeordnetes Ziel verfolgt. Das Ergebnis ist, dass die eigene Wirklichkeit dem ideologischen Rahmen angepasst wird und prinzipiell gute theoretische Ansätze in der Praxis meist ins Leere laufen, da sie zusehends von den realen Gegebenheiten abweichen.

  • Prinzipiell völlig richtig. Geh ich komplett mit. Und doch wieder nur ein Teil dieses immerwährenden Ping-Pong Spiels.

    "Warum fällt es der postkolonialen Blase nur so schwer, die Mächtigen Palästinas in die Kritik einzuschließen?"

    Es ist ziemlich offensichtlich, dass beide Lager sich sehr schwer tun, mit einer differenzierten Betrachtung des Konflikts und ihrer Protagonisten. Der Artikel schlägt genau in die gleiche Kerbe. "Warum begreifen DIE ANDEREN nicht?" Grundübel der Betrachtungsweise des gesamten Konflikts. Davon ausnehmen würd ich die direkt Betroffenen vor Ort. In so einer Situation, oft mit immensen persönlichem Leid und Verlust verbunden, objektiv zu bleiben, ist sehr, sehr viel verlangt.

  • Der Postkolonialismus ist in den Händen aktivitischer WissenschaftlerInnen und AktivistInnen von einem wertvollen kritischen Theorieansatz zu einer Ideologie verkommen. Und Ideologie ist nunmal per defintionem was Griessbach da beschreibt. So nachvollziehbar der Wunsch nach einer politisierten Wissenschaft auf der Seite "der Unterdrückten" sein mag, die komplette Verflachung und Realitätsentkoppelung des Weltbildes einer gestandenen Philosophin wie Judith Butler ist eine deutliche Warnung wohin das führen kann.

  • Drei politische Köpfe der Hamas verfügen zusammen über ein Vermögen von rund 11 Milliarden US-Dollar, während 53 Prozent der Bewohner des Gazastreifens in Armut leben...

    Und Ende jeden Anspruchs, Antiimperialismus für sich zu reklamieren.

  • Die mit ihrem Outfit abgebildete Person unterstützt die Hamas?

    Wurde sie denn befragt?

    Ich Stimme dem Artikel ja zu was Teile der Protestbewegung angeht, nur ist es denn wirklich die Mehrheit der Protestierenden die sich mit der Hamas solidarisiert?

  • Danke für diesen unaufgeregte, wenn auch sehr kurze Analyse.

    In den etablierten Gruppen des Konflikts erkenne ich leider keinen Willen denselben dauerhaft zu lösen. Israels Konservative und die Fatah scheinen sich damit zufrieden zu geben ihn zu verwalten, die Hamas und andere quasi-faschistische Fanatiker haben ihn aus eigenen Interessen eskalieren lassen.

    Meine Hoffnung liegt auf einem Neuanfang, der eigentlich nur aus der Zivilgesellschaft von Israel und Palästina hervorgehen kann, bestenfalls mit internationaler Unterstützung.

  • "Warum fällt es der postkolonialen Blase nur so schwer, die Mächtigen Palästinas in die Kritik einzuschließen?"

    Hier handelt es sich um eines der Kernelemente der postkolonialen Ideologie. Das Ausblenden ist unabdingbarer Bestandteil dieser manichäischen Sicht auf die Welt.

    Vereinfacht gesagt, der Westen ist böse, dekadent und agiert rassistisch gegenüber den Ländern und Menschen des "Globalen Südens". In dieser Vorstellung nutzt er den Unilateralismus und die Universalität der Menschenrechte als Waffe gegen die "natürliche Ordnung" der Unterdrückten.

    Angefangen mit Said hat dieser Wahnsinn über Foucault und Balibar Fahrt aufgenommen und mit Mbembe und Butler einen vorläufigen Höhepunkt erreicht.

    Das ganze Konstrukt kann nur durch Verzerrungen, Auslassungen und Verfälschungen realisiert werden.

    Butler etwa versteigt sich zu Äußerungen wie dieser:

    "Es sei eine »Karikatur, dass Frauen, Schwule, Lesben und trans Menschen in Palästina nicht frei und offen leben«"

    Jeder halbwegs informierte Zeitgenosse weiß, dass das eine glatte Lüge ist.

    • @Jim Hawkins:

      "Vereinfacht gesagt, der Westen ist böse, dekadent und agiert rassistisch gegenüber den Ländern und Menschen des "Globalen Südens". In dieser Vorstellung nutzt er den Unilateralismus und die Universalität der Menschenrechte als Waffe gegen die "natürliche Ordnung" der Unterdrückten"

      Ihre Darstellung verharmlost die tatsächlichen Machtstrukturen und rechtfertigt das Unrecht an den Schwächsten, indem Sie deren Unterdrückung als nebensächlich bzw. unreal und unveränderlich darstellen.

    • @Jim Hawkins:

      Wer sich intensiver mit der Thematik auseinandersetzen möchte, dem sei wärmstens das großartige Buch "Antisemitismus und postkoloniale Theorie" von Ingo Elbe ans Herz gelegt.

      Verlegt vom nicht minder großartigen Klaus Bittermann in der Edition Tiamat, in der auch das Gesamtwerk von Wolfgang Pohrt erschienen sind und die richtig gute Wiglaf-Droste-Biografie von Christof Meueler.

      Für mich war die Lektüre des Buchs von Elbe ein Augenöffner und ungeheurer Erkenntnisgewinn, ähnlich dem der 90-Jahre-Lektüre von Moishe Postones Essay "Nationalsozialismus und Antisemitismus".

      Die westlichen Gesellschaften stehen an einem Wendepunkt, der jüdische Staates in Stellvertretung "der Juden" soll vernichtet werden.

      Und fast keiner merkt es. Fast keinen juckt es.

      • @Jim Hawkins:

        Dieser Buchempfehlung kann ich mich nur anschließen.

  • Der Nahostkonflikt ist längst zum Machtkampf geworden: Der Westen gegen seine Gegner. Dass in Palästina keine westlichen Werte gelten, stört seine Unterstützer nicht, im Gegenteil. Der Westen, der "alte weiße Mann" hat mit seiner Zivilisation nicht nur Kontinente unterjocht, sondern beutet sie immer noch aus und zerstört den Planeten. Dass freie Demonstrationen und Versteigungen wie "Queers For Palestine" nur im Westen möglich sind, heißen die Gegner willkommen und arbeiten gleichzeitig daran, es zu zerstören, ein klassischer Akt Orwellschen "Zwiedenkens".

    Langsam wird mir klar, wie die Reiche dieser Welt, von Assyrien über Rom bis zur EU, untergingen: Ihre Völker genossen den Erfolg und vergaßen den Weg dorthin. So verloren sie alles. Nur das man es diesmal, wenn nicht die Orwellsche Dystopie der Vergangenheitskontrolle Wirklichkeit wird, minutiös nachlesen können wird.

  • Ich bin mir halt nicht sicher wie klein diese Blase der verwirrten antisemiten ist.



    Ein großer Teil der moslems teilt zumindest die Ansichten- ca. 10% der dt Bevölkerung?



    Und dann noch ca. 5% der Bevölkerung der Studenten und Professoren.



    Also ca 15% der deutschen? Nicht die Mehrheit, aber Zuviel.



    Aber dann haben Spanien, Irland und Norwegen grad die Hamas zusammen mit Palästina anerkannt, da steht also eine zumindest politische Mehrheit hinter terror und Unterdrückung.