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Stromversorgung in der UkraineZwischen AKWs und Blackout

Die Stromversorgung in der Ukraine wird fragiler. Im Winter sind große Ausfälle zu erwarten. Umweltschützer fordern einen Strategiewechsel.

Notbeleuchtung in Kyjiw während eines teilweisen Stromausfalls im Mai 2024 Foto: Thomas Peter/reuters

Kyjiw taz | Eines gilt als sicher in der Ukraine: Der nächste Winter wird schlimmer werden als der vergangene. Hatten im vergangenen Winter die Heizungen landesweit weitgehend funktioniert, könnte es diesen Winter zu großflächigen Ausfällen bei der zentralen Versorgung der Wohnungen mit Heizwasser kommen. Umweltschützer und Energieexperten fordern daher ein Umdenken der staatlichen Energiepolitik: weg von Großprojekten wie Atom- und Kohlekraftwerken, hin zu dezentralen Einheiten erneuerbarer Energiequellen.

Stechender Rauch hing einen ganzen Tag über der ostukrainischen Stadt Kriwi Rih. Über der Koksfabrik des Unternehmens Arcelor hatte sich eine dicke Rauchwolke gebildet, Anwohner klagten über einen stechenden Geruch, Halsbeschwerden und Kopfschmerzen. Ursache des Unfalls war eine wegen akutem Strommangel erforderliche Schnellabschaltung der Produktionsmaschinen des Werkes.

Mit derartigen Unfällen wird in der Ukraine in den nächsten Monaten noch öfter zu rechnen sein. In der Folge der Zerstörung von Einrichtungen der ukrainischen Energieversorgung durch Russland sitzen schon jetzt die meisten Bewohner des Landes jeden Tag für mehrere Stunden ohne Strom in ihren Wohnungen. Doch das Schlimmste kommt noch. Vor dem Krieg standen der Ukraine 53 Gigawatt Strom zur Verfügung, aktuell sind es nur noch 9, Tendenz fallend. Dies berichtet der ukrainische Energieexperte Maxim Bevz im Gespräch mit der taz. Er fürchtet eine humanitäre Katastrophe im bevorstehenden Winter in der Ukraine.

Mehrstündige Stromausfälle könne man noch ertragen, so der Experte, der als Projektmanager ein Jahrzehnt in der ukrainischen Gas- und Ölindustrie beschäftigt war, anschließend in Zusammenarbeit mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung Projekte betreute und sich in der Ukraine für den Ausbau der erneuerbaren Energien, eine dezentrale Energieversorgung und Energieeffizienz einsetzt.

Wenn es an Strom fehle, würden auch die Pumpen nicht bedient, die die Wohnungen zentral beheizen, so Bevz. Und auch die mit Strom bedienten Pumpen, die die Wohnungen mit Wasser versorgen, würden in großem Stil ausfallen. Und das bedeute, dass der Wasserhahn bei den Bewohnern höherer Stockwerke auf eine Umdrehung nicht reagiere, die Bewohner der oberen Stockwerke sich also das Wasser in den unteren Stockwerken werden holen müssen.

Neue AKWs

Zwar habe die Ukraine auch eigenes Gas. 2.500 Gasbohrstellen pumpen landeseigenes Gas in die Höhe. Doch es seien komplizierte und energieintensive Prozesse, die sicherstellten, dass die Gasnetze nur unter einem entsprechenden Druck funktionierten. Und zur Aufrechterhaltung dieses Drucks brauche man auch Strom. „Ohne Gas sind wir schnell in einer humanitären Katastrophe“, so Bevz.

Er kann nicht verstehen, warum die Ukraine jetzt auf neue Atomkraftwerke setzt. Diese verschlängen viel Geld und seien erst in einigen Jahren am Netz. „Doch wir müssen jetzt durch den Winter kommen. Ab dem 15. Oktober beginnt die Heizperiode. Wir haben nur noch gut drei Monate Zeit, um uns darauf vorzubereiten.“ so Bevz. Die Ukraine brauche mehr erneuerbare Energie. Diese sei auch nicht so anfällig auf russische Luftangriffe.

„Russland hat gar nicht so viele Raketen und Drohnen, wie wir Solarzellen haben“ argumentiert er. Auch Greenpeace kritisiert die nicht ausreichende Bereitschaft der ukrainischen Regierung, der erneuerbaren Energie in der Ukraine zum Durchbruch zu verhelfen. Die Ukraine könnte in den kommenden drei Jahren fünfmal mehr Solarenergie installieren, als die Regierung im sogenannten „Ukraine-Plan“ bislang vorsieht.

Zu diesem Ergebnis kommt eine von Greenpeace beauftragte Studie „Solarenergie-Marshallplan für die Ukraine“ des Wirtschaftsberatungsunternehmens „Berlin Economics“. Dieser weitaus stärkere Ausbau würde helfen, die Energiekrise des Landes zu bewältigen, und er wäre ökonomisch vorteilhaft.

Mehr Solarenergie

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen von Berlin Economics kommen zu dem Schluss, dass ein Ausbau der Solarenergie in der Ukraine bis 2027 insgesamt 3,6 Gigawatt neu installierte Leistung liefert, also fünfmal mehr, als der „Ukraine-Plan“ mit erwarteten 0,7 Gigawatt vorsieht. Bis 2030 könnte die installierte Leistung bei der Solarenergie sogar auf insgesamt 14 Gigawatt gegenüber heute (5,6 Gigawatt) anwachsen, so Greenpeace unter Berufung auf die Studie.

Und in einem weiteren von Greenpeace in Auftrag gegebenen Gutachten kommt das Institute for Sustainable Futures an der Technischen Universität in Sydney zu dem Schluss, dass das Land nur ein Hundertstel seiner Landesfläche nutzen müsste für erneuerbare Energien, um den gesamten Strombedarf mit Solar- und Windenergie zu decken. Ja, es ließe sich sogar ein Überschuss erzielen und 20.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Zum Vergleich: der geplante Bau von vier AKW wird, so der Atomkonzern Energoatom auf seinem Telegram-Kanal, nur 9.000 neue Arbeitsplätze bringen. 60-mal höher, als die ukrainische Regierung schätzt, so Andree Böhling von Greenpeace, sei das Potenzial für Solarenergie in der Ukraine.

Noch überzeugender wirken konkrete Hilfen beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Über ihre Tochter „DEG Impulse“ ko-finanziert die DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH jetzt ein Vorhaben des deutschen Mittelständlers A. Reiter GmbH, der an seinem ukrainischen Standort eine Photovoltaikanlage installiert.

Die Anlage soll im Jahr 600.000 kWh grünen Strom erzeugen und so den Produktionsbetrieb am Standort sicherstellen. Zudem soll ein Drittel der erzeugten Solarenergie in das ukrainische Stromnetz eingespeist werden. Die Firma investiert dazu selbst rund 494.000 EUR, die DEG steuert aus Mitteln des develoPPP-Programms des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ebenso viel bei.

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11 Kommentare

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  • Klingt nicht so ganz durchdacht ....

  • "Umweltschützer und Energieexperten fordern daher ein Umdenken der staatlichen Energiepolitik: weg von Großprojekten wie Atom- und Kohlekraftwerken, hin zu dezentralen Einheiten erneuerbarer Energiequellen."



    Großartige Idee: mitten im Krieg die Energieversorgung grundsätzlich umbauen. Klingt nach einem absoluten Erfolgsrezept; hat ja schließlich in den nicht im Krieg befindlichen Ländern schon ausgezeichnet geklappt.

    • @Encantado:

      Dieses ist ein leider Krieg der guten"Geschichten" - ob etwas am Ende funktioniert ist gar nicht wichtig. Es klingt einfach gut und gerade bei vielen der linken Unterstützern in Westeuropa sorgt so ein Ansatz für viel Sympathie.

    • @Encantado:

      Ich frage mich, was Menschen wie Sie antreibt, zu kommentieren. Einfach mal rumpöbeln ohne ggf. den Artikel überhaupt gelesen zu haben?

      Es geht um die Stromversorgung im kommenden Winter und die stark beschädigte Infrastrukur. Und da scheint mir eine Solaranlage, die in einigen Stunden installiert ist, auch wenn sie nachts keine Strom liefert, sinnvoller zu sein als auf den Neubau von AKWs in 10-15 Jahren zu warten.

      • @Anna Bell:

        Die Kritik ist berechtigt. Zum Glück gibt es genügend Kritik an Russland, jedoch gibt eher r zu wenig (berechtigte) Kritk an der Ukraine. Träumereien mögen schön sein, jedoch helfen sie nur bedingt weiter.



        AKWs sind auch keine wirkliche Lösung. Mittelfristig wird es nur eine realistische Möglichkeit geben, um die Zerstörung der Energiestruktur zu stoppen - Verhandlungen mit Russland, so ideologisch falsch es erscheinen mag. Man war da in Frühjahr 22 schon Mal weiter:

        www.nzz.ch/interna...beenden-ld.1827138

        Zumindestens zeigen die inzwischen alle zugänglichen Dokumente von der Verhandlungen, dass die Möglichkeit bestehen könnte sich mittelfristig mit dem Agressor Russland zu einigen vermutlich jedoch leider zu anderen Konditionen als ursprünglich angedacht.

  • Märchenstunde



    "....nur ein Hundertstel seiner Landesfläche nutzen müsste für erneuerbare Energien, um den gesamten Strombedarf mit Solar- und Windenergie zu decken."



    Schon mal was von dem Begriff Dunkelflaute gelesen? Scheinbar nicht.



    Im Winter hat es kaum Sonne, die im Sommer erzeugten GWh kann man leider immer noch nicht bezahlbar bis zum Winter speichern. Das spüre ich schon mit meiner Solaranlage+Wärmepumpe, das ist in der Ukraine auch nicht anders.



    Trotzdem wäre der schnellere Ausbau von PV richtig, auch wenn der im Winter nur bedingt hilft. Windräder sind das ganze Jahr über nützlich, aber nicht zu jeder Stunde in jedem Tag nützlich. Bei Schneefall liefert die PV 0% und meist herrscht dann auch Windstille.

    • @Rudi Hamm:

      "Märchenstunde"

      Sie haben vollkommen Recht. Jedoch sind das "Geschichten", die viele Unterstützer hören wollen. Es geht in diesem Krieg leider nicht oft um Wahrheit, Praktikabilität oder Pragmatismus.

    • @Rudi Hamm:

      Nachts stellen die Solarparks einfach auf Mondlicht um. Lunarparks eben.



      Und die Mondphasen diskutieren wir einfach weg. Dann passt das schon.

    • @Rudi Hamm:

      Verstehe auch nicht, weshalb hier nur auf Solarenergie, nicht auf die Windenergie und Speicherung eingegangen wird.



      Zum saisonalen Problem der Solarenergie lässt sich aber noch festhalten: bei richtiger Mischung aus Sonne und Wind (-energie), ist die Erzeugung übers Jahr sehr konstant, jedenfalls stellt es sich so für Deutschland dar, gehe davon aus, dass es sich in der Ukraine ähnlich gibt.



      Insofern ist es nicht notwendig auf Grund der Dunkelflaute von "Märchenstunde" zu sprechen. Die Speicherung für kurzfristige Brückenschläge muss vorhanden sein, man muss allerdings nicht die Sonnenenergie in den Winter retten.

      • @Schleicher:

        Ich vermute, weil die verlinkte Studie sich im Wesentlichen auf Solar fokussiert. Aber die Leute bei Greenpeace/Uni Sydney sind ja auch nicht blöd und haben das auch untersucht, findet sich z.B. hier:

        www.greenpeace.de/...e-ee-potenzial.pdf

      • @Schleicher:

        Mag ja sein, dass die Erzeugung sehr konstant ist.



        Dafür wird im Winter mehr geheizt.



        Reicht der Windstrom dafür auch noch?