piwik no script img

Verhältnis der EU zu AssangeDas Schweigen der Europäer

Die EU will sich eigentlich für den Schutz von Whistleblowern einsetzen. Im Fall Assange ist sie aber vor allem durch Zurückhaltung aufgefallen.

Assange mit Fussfessel in Bungay, Großbritannien 2011 Foto: Kirsty Wigglesworth/dpa

Brüssel taz | Eigentlich sollte die Nachricht von der Befreiung Julian Assanges lauten Jubel in Brüssel auslösen. Schließlich setzt sich die EU seit Jahren für den Schutz von Whistleblowern ein. Neuerdings hat sie sogar ein Medienfreiheitsgesetz, das auch Journalisten den Rücken stärken soll.

Doch als die Meldung um die Welt ging, kam aus der EU-Hauptstadt erst mal – nichts. Weder die für Medienpolitik zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova noch Behördenchefin Ursula von der Leyen hielten es für nötig, Assanges Freilassung und den offenbar zugrunde liegenden Deal mit den USA zu kommentieren.

Das Schweigen der Europäer ist nicht neu. Die EU hat noch nie einen Finger für den wohl prominentesten und wichtigsten Whistleblower gekrümmt. Selbst als Großbritannien noch Mitglied war, taten die EU-Kommission und die meisten deutschen und europäischen Politiker so, als ginge sie der Fall nichts an.

Man nahm Rücksicht auf die USA – und auf die schwedische Justiz, die Assange zunächst der Vergewaltigung beschuldigt hatte. Doch als die Anklage schließlich in sich zusammenbrach, änderte sich die Haltung der EU nicht. Auch das Europaparlament konnte daran nichts ändern.

Die EU-Abgeordneten haben Assange 2022 für den Sacharow-Preis nominiert – zusammen mit dem ukrainischen Volk und der Wahrheitskommission in Kolumbien. Gewonnen hat, wenig überraschend, die Ukraine und ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj. Danach herrschte wieder Funkstille in Brüssel.

Nur die Linke interessiert

Für den „Fall Assange“ interessierten sich nur noch Abgeordnete der Linken, wie die Irin Clare Daly, die es bei der Europawahl nicht mehr ins Parlament geschafft hat – oder der durchaus ernst zu nehmende Satiriker Martin Sonneborn, der sogar die Prozesse in London besucht hat.

Sonneborn war denn auch einer der Ersten, die die Meldung von Assanges Freilassung weiterverbreitet hat. Zu Wort meldete sich auch Fabio De Masi, der für das Bündnis Sarah Wagenknecht ins neue EU-Parlament einzieht – und Martina Michels, die medienpolitische Sprecherin der Linken.

Man habe erfolgreich „politischen Druck“ aufgebaut und Assanges Partnerin Stella Assange immer wieder nach Straßburg und Brüssel geladen, so Michels. Doch die Türen der EU-Kommission und des Ministerrats blieben ihr und ihrem Mann verschlossen. Die EU macht zwar viele wohlklingende Gesetze, wie etwas das Medienfreiheitsgesetz. Doch an der Umsetzung hapert es, wie das Versagen im Fall Assange zeigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen.

    Die Kommune

  • Hierzu auch ein sehr lesenswerter Taz-Artikel:

    》Unbefriedigende elf Seiten

    Im Wahlkampf setzte sich die Grüne Baerbock für JulianAssange ein. Als Außenministerin tut sie zu wenig für den inhaftierten Journalisten.

    „Gezielte Irreführungen“, hatHannah Arendteinmal festgestellt, würden wir seit den Anfängen der überlieferten Geschichte „als legitime Mittel zur Erreichung politischer Zwecke kennen“. ObBundesaußenministerin Annalena BaerbockArendts 1972 erschienen Aufsatz „Die Lüge in der Politik“ kennt? Unklar. Ihre Äußerungen zu demvon der US-Regierung verfolgten australischen Journalisten Julian Asssangemachen sie dennoch zu einem Paradebeispiel für die Reflektionen von Arendt.《

    taz.de/Annalena-Ba...-Assange/!5966758/

  • Der Grat zwischen Whistleblower und Geheimnisverrat ist schmal. Wenn es gegen die USA geht, ist es auch ein klassischer Reflex der Linken eine Person in Schutz zu nehmen. Assange polarisiert dazu. Es fällt mir schwer bei den Veröffentlichungen und die Art und Weise (zB ohne Schwärzung) dieser, eine Lichtgestalt des Journalismus zu sehen. Die Verurteilung ist daher richtig. Daher verstehe ich, dass sie Europa nicht begeistert äußert. Würde man bei anderen Verurteilten ja auch nicht machen.

    • @Strolch:

      Es geht um drei verschiedene Aspekte: die Kriegsverbrechen, den Whistleblower und die Art und Weise, wie die Justiz von Schweden, England und den USA damit in solch unverhältnismäßigerweise umgegangen ist, daß sich selbst die FAZ hierzu in einem Kommentar entsprechend äußert. (bitte auch einmal den Gesamteintrag zu Assange bei Wikipedia hierzu lesen)

      All diese Aspekte lediglich auf den Aspekt Geheimnisverrat zu reduzieren, wird dem Ausmaß des Skandals und um Assange, der letztlich wirklich zu einem Justizopfer geworden ist, in keinster Weise gerecht.

    • @Strolch:

      Geht mir genauso.

      Dennoch oder vielleicht gerade deswegen wird er, vor allem auch in der taz verehrt wie ein Heiliger.

      Sankt Julian gegen die USA.

      • @Jim Hawkins:

        warum?



        Warum soll man gegenüber der USA Rücksicht nehmen und Passagen schwärzen? Eine Veröffentlichung ist eine Veröffentlichung, die Auswertung ist dann journalistische Arbeit hinterher.



        Bei einer selektiven Herausgabe wäre genau der gegenteilige Vorwurf erklungen. Ob Assange sympathisch arrogant oder sonstwas ist ist völlig irrelevant...!



        Der Vorwurf, weil es gegen die USA ginge, seien die Linken automatisch dabei..... ist ein Totschlagargument. Soll man bei den USA andere MAßstäbe anlegen, als bei anderen Staaten, die Verbrechen begehen?

      • @Jim Hawkins:

        Hier gibt es kritische Stimmen zu lesen und diese meinen, Julian Assange muss die gerechte Strafe verdienen, und Pressefreiheit hätte ihre Grenzen, wenn z.B. Soldaten in Gefahr wären.

        Also wird er nicht wie ein Heiliger verehrt. Sonst wären die Kommentare alle einseitig.

  • Die wohl ziemlich zwingende Schlußfolgerung muss wohl lauten: kein Journalist oder Whistleblower kann sich auf die schönen Worte aus EU Parlament oder Kommission verlassen. Hilfe kommt da allenfalls solange keine wirtschaftlichen oder politischen Interessen betroffen sind. Jede(r) wird sofort Gegenstand politischer Deals. Das ist vor allem für Menschen aus Russland bitter. Sicher wäre hier dann niemand.

  • Klasse! Ich freue mich dermaßen, dass ich groß zu träume wage: Vielleicht nimmt Russia Today jetzt sogar Assanges seinerzeitige PrimeTime Show wieder auf? en.wikipedia.org/wiki/World_Tomorrow

    Man wird ja noch träumen dürfen, an einem Tag, da die Pressefreiheit so einen Sieg erringt (ich zitiere Margarita Simonjan, meine zweite Ikone des Kampfes für Pressefreiheit).

    Es ist eine Schande, dass 2022 "das ukrainische Volk" den Sacharow-Preis eingeheimst hat, wo es doch dieses Volk laut Assanges Quellen (siehe Mueller-Bericht zum GRU-Hack 2016) ja gar nicht gibt. Spätestens wenn die Sache geritzt ist mit der Ukraine, kann JA den Preis vermutlich haben.

  • Nicht zu vergessen Patrick Breyer, der sich u.a. auch mit Stella Assange getroffen hat.

    Angeblich sollen ja auch andere (ehemalige und aktive) aus der Piratenbewegung Kontakte haben. Birgitta Birgitta Jónsdóttir zum Beispiel ...

  • Herzlichen Dank an die taz, dass zumindest ihr den Finger in die Wunde legt!

  • Shame on You Miss von der Leyen. Aber vermutlich weiß sie eh nicht was ein Whistleblower ist.

  • Die EU samt der deutschen Aussendarstellerin sollten sich in Grumd und Boden schämen. Ebenso die SPD und die Grünen insgesamt!



    Pfui Teufel!

    • @M. S.:

      Das ist doch nun wirklich nichts neues. Vietnam, Schwamm drüber. Afghanistan, Schwamm drüber. Guantanamo, Schwamm drüber. Assange....sie wissen schon. Die Liste geht eigentlich noch etwas länger.

  • Diese Nachricht war mir einen Champagner wert - endlich ist er frei!



    Er hat auch ziemlich alles richtig gemacht. Kriegsverbrechen gehören unzensiert veröffentlicht. Die Presse muss für unsere Freiheit dieses Recht behalten. Dies ist jetzt nicht nur in Gefahr, sondern nicht mehr existent.



    Wir werden es vielleicht nochmals erleben, wenn wieder jemand neues so viel Mut besitzt und sich gegen die Mächtigen der Welt stellt. Derjenige wird gejagt werden auf unserem Planeten. Auch in unserer EU.

    Die Lügen und der Kriegswahnsinn von Bush und & Co wurden nun auch endlich ganz aktuell im neuen Buch von Steve Coll: „The Achilles Trap“ sehr gut transparent dargestellt.

    Der Deal ist ein fauler, doch die letzte und wohl einzige Lösung das Julian diesen menschenverachtenden Wahnsinn lebend übersteht.

    Herzlichen Dank Julian, für Deinen Einsatz für Dein offenes Eintreten zur Aufdeckung von Kriegsverbrechen und anderem amtlich kriminellem Ungehorsam.



    Dein Leben in Freiheit möge noch lange anhalten, trotz der erlittenen Schäden durch die menschenverachtende Behandlung der USA und GB.

  • Wir haben da komplett versagt. Wie auch im Fall Snowden.

    Jedes einzelne EU-Land und alle zusammen

  • Die EU hat überhaupt keine Kompetenz im Bereich des Whistleblowing. Daran ändert auch das Medienfreiheitsgesetz nichts. Jedes einzelne Mitglied kann dazu selbst Stellung nehmen. Dabei können die Reaktionen durchaus unterschiedlich ausfallen.

    • Eric Bonse , Autor des Artikels, EU-Korrespondent
      @DiMa:

      Hat sie wohl, seit 2019

      de.wikipedia.org/w...isgeberrichtlinie)

      • @Eric Bonse:

        Diese gilt nur für Verstöße gegen das Unionsrecht und geht nicht darüber hinaus. Hierdurch wird die Kompetenz der EU nicht erweitert.

  • Wichtiger Artikel, jetzt schon völlig unterbewertet. Abgesehen von täglichem PR- und Marketing - welche Werte steuern uns tatsächlich wohin?

    • @BierzeltLeitkultur:

      Das ist sehr einfach zu beantworten: Alles (!) ws den Profiten dient! Und das führt uns direkt in Katastrophen: dramatisch wachsende soziale Ungleichheit, Klimakatastrophe, Migrationsprobleme in ungeahntem Ausmaß und Schwächung der Demokratie. Wir sind schon auf einer Schnellstraße dort hin....