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Buch über linken AntisemitismusTradierter Hass

Olaf Kistenmachers Studie zur Judenfeindschaft in der KPD der Weimarer Republik erzählt auch viel über den gegenwärtigen Israelhass.

Kistenmacher hat systematisch „Die rote Fahne“, das Organ der KPD ausgewertet Foto: imago

Im Zuge der antiisraelischen Proteste an den Universitäten ist das Problem des linken Antisemitismus wieder in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Während so mancher Konservative die Linke pauschal des Antisemitismus bezichtigt, verweisen viele Linke geradezu spiegelbildlich darauf, Judenhass sei ausschließlich ein rechtes Phänomen und die Gleichsetzung von Israelkritik mit Antisemitismus unerhört.

Anstatt dieses Spiegelspiel mitzuspielen, hat der Historiker Olaf Kistenmacher kürzlich einen instruktiven Band vorgelegt, der sich der „anarchistischen und kommunistischen Kritik der Judenfeindschaft in der KPD zur Zeit der Weimarer Republik“ widmet. Das ist äußerst bescheiden formuliert, denn eigentlich geht es um viel mehr, nämlich eine Aufarbeitung und Offenlegung antisemitischer Traditionslinien in der Linken.

Zwar ist Kistenmacher nicht der Erste, der sich dem Thema widmet, doch gerade weil er sich auf einen relativ kurzen Zeitraum konzentriert, ist seine Analyse erfrischend prägnant.

Wie in seiner 2016 erschienenen Dissertation basiert Kistenmachers Untersuchung auch im vorliegenden Band – neben vielen anderen ­Quellen – auf einer systematischen Auswertung der KPD-Zeitung Rote Fahne. Beim linken Antisemitismus handele es sich nicht um gelegentliche Ausrutscher, sondern um ein grundlegendes Problem kommunistischer Theorietradi­tio­nen. Insofern ist Kistenmachers Studie zwar historisch, hat aber ebenso mit unserer unmittelbaren Gegenwart zu tun.

Olaf Kisten­macher: „Gegen den Geist des Sozialismus“. ça ira-Verlag, Wien 2024, 156 Seiten, 23 Euro

„Kettenhund des englischen Imperialismus“

Wenn die Rote Fahne schon 1925 den Zionismus als „­Kettenhund des englischen Imperialismus“ geißelte, so war das bereits ein Ausdruck genau jener antiimperialistischen Ideologie, die auch heute noch trotzkistische, stalinistische und postkolonialistische Israelfeinde in den Gaza-­Encampments beseelt.

Der Antizionismus der Komintern ging so weit, zeigt Kistenmacher, dass sogar die antijüdische Gewaltserie im Mandatsgebiet Palästina, der 1929 insgesamt 133 vor allem nichtzionistische Juden zum Opfer fielen, von der Roten Fahne als Aufstand „gegen die Hintermänner des Zionismus“ gerechtfertigt wurde. „Die Schläge, die die arabischen Eingeborenen gegen die zio­nis­ti­sche Bourgeoisie und den zionistischen Faschismus in Palästina“ führten, so die KPD-Zeitung, seien gleichzeitig „Schläge gegen England“ und damit legitim.

Kistenmacher thematisiert neben diesem Antiimperialismus auch einen antisemitischen Antikapitalismus, der in einer Fetischisierung der Arbeit gründe. Zugleich zeigt er auf, dass solche ideologischen Verirrungen immer schon auch von links kritisiert wurden. Eingeschränkt positiv hebt der Autor Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Leo Trotzki hervor, denen er zumindest ein temporäres Pro­blem­bewusstsein bescheinigt.

Noch größer ist aber seine Bewunderung für anarchistische Autoren wie Franz Pfemfert, Emma Goldman, Alexander Berkman und Rudolf Rocker. Am interessantesten ist sicherlich die detaillierte Auseinandersetzung mit unbekannteren Autoren wie etwa dem tschechoslowakischen Kommunisten Otto Heller, der 1931 das Buch „Der Untergang des Judentums“ veröffentlichte, oder mit Joseph Berger, einem führenden Funktionär der Kommunistischen Partei Palästinas (PKP).

Gegenwärtige Ereignisse verstehen

Eine zentrale Erkenntnis des Buches lautet, dass der linke Antisemitismus – insbesondere der gegen Israel gerichtete – nicht auf die Erinnerungs- und Schuldabwehr nach dem Holocaust reduziert werden darf, sondern „an Vorstellungen anknüpfen“ kann, „die lange vor dem Zweiten Weltkrieg bestanden“. Insofern hilft Kistenmachers Buch auch, die gegenwärtigen Ereignisse besser zu verstehen.

Es bleibt zu hoffen, dass auch jene, die heute gegen den „Apartheidstaat Israel“ und den „zionistischen Siedlerkolonialismus“ wettern, sich einmal selbstkritisch mit der Geschichte des linken Antisemitismus befassen. Kistenmachers Buch könnte ein guter Einstieg dafür sein.

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13 Kommentare

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  • Eigentlich ist es ganz einfach. Einen linken Antisemiten kann ich ebenso wenig ausschließen wie einen queeren Menschen bei den Rechten.



    Antisemitismus und Homophobie haben eines gemeinsam. Es ist menschenverachtend. Das ist die Quintessenz. Dabei ist es völlig egal welche Farbe der Scheißhaufen hat.

  • Die Kritik von Linken und Menschenrechtlern sowie von Palästinensern in Palästina und im Exil bezieht sich zunächst mal auf die Besatzung und hat mit Juden und Jüdinnen erst mal gar nichts zu tun.

    Die Kritik würde genau so ausfallen, wenn in Israel ausschließlich christliche Schweden oder Hinduistische Inder leben würden und diese dieselbe Politik fahren würden, wie Israel.

    Kritik ist Kritik, ad hominems sind ad hominems. Wer das durcheinander wirft, kommt in eine theoretische Konfusion, die gerne politisch und für wissenschaftlich unseriöse Stellungnahmen missbraucht werden kann.

  • Gehen wir mal als Arbeitshypothese bescheiden davon aus, dass ähnlich wie bei anderem Rassismus wir es alle auch in uns haben.



    Wie bedacht und reflektiert wir damit umgehen, das ist dann der Punkt.



    Nicht alles ist gleich auch "Antisemitismus", manches schon.

    Soll doch jede und jeder Spagettimonsteranhänger sein, Atheist, Muslim, Jude, Kathol- oder Evangele, ... an den FC Saarbrücken glauben oder an den persönlichen Engel Heinz - wenn es eben anderen nicht schadet, ist das persönliche Freiheit. Und empirisch wohl gesünder allemal als etwa an die Überlegenheit einer 'germanischen' 'Rasse' zu glauben.

    Inhaltlich: Es gibt da noch den Punkt, dass Stalin Antisemitismus im innerparteilichen Machtkampf etwa gegen Trotzki ausnutzte, sogar kurz vor seinem Tode fabulierte Stalin da noch.

  • Marx und die „Judenfrage“

    Als Beweis für den Antisemitismus des Juden Karl Marx wird gern dessen Schrift „Zur Judenfrage“ aus der Asservatenkammer hervorgeholt, dabei verkennend, daß es sich hierbei um eine polemische Replik auf den tatsächlichen Antisemiten Bruno Bauer handelt, dessen von Marx kritisch paraphrasierte antisemitische Thesen nun kurzerhand dem Kritiker selbst in den Mund gelegt werden (I. Stützle). Der Haupteinwand von Marx gegen Bauer betraf dessen These, die Juden müßten bereit sein, für ihre Emanzipation ihre Religion aufgeben. Nicht die Juden, so Marx, müßten ihren Glauben aufgeben, um sich zu emanzipieren, sondern umgekehrt der Staat selbst müsse sich von jeglicher Religion frei machen. Für Marx war Judenemanzipation letztlich nur möglich als Emanzipation von aller Religion schlechthin (D. Claussen). In der „Heiligen Familie“ hat er den Grad der politischen Judenemanzipation zum Gradmesser für den zivilisatorischen Entwicklungsstand eines Staates schlechthin erklärt. (H. Brunkhorst; vgl. M. Krauss, Jude, Antisemit und Hassobjekt, in: Jüdische Allgemeine, 27.4.2018)

    Das ist mithin nun nachgerade das Gegenteil von Antisemitismus à la Luther, Stöcker u. Streicher

  • Judentum und Arbeiterbewegung

    Zitat: „Kistenmacher thematisiert neben Antiimperialismus auch einen antisemitischen Antikapitalismus“

    Da ist sie wieder, die ebenso beliebte wie geschichtsvergessene Diskursfigur von der Identität von Antisemitismus und Kapitalismuskritik, dabei die Tatsache ignorierend, daß seit Beginn der Arbeiterbewegung unter deren Führern jüdischstämmige Persönlichkeiten überproportional vertreten waren: „Allen voran sind hier der Frühsozialist und Pionier des Zionismus Moses Hess sowie der ebenfalls aus jüdischer Familie stammende Karl Marx zu nennen. Die deutsche Arbeiterbewegung stellte einen politischen Emanzipationsraum, in dem Juden sich ohne Vorbehalte ge-



    genüber ihrer Herkunft beteiligen konnten.“(J. Hirsch, Jüdische Emanzipation u. die Arbeiterbewegung vor 1933)

    Auch „für die Zeit vor dem 2. Weltkrieg ist eine überproportional hohe Beteiligung von Menschen jüdischer Herkunft an der Arbeiterbewegung feststellbar. Beide prägte das Streben nach Emanzipation. Besonders im östlichen Europa entwickelten sich jüdische Arbeiterorganisationen, die gegen doppelte Unterdrückung als Proletarier und Juden kämpften.“ (Börner et al, Judentum u. Arbeiterbewegung)

    • @Reinhardt Gutsche:

      Da ist mit keinem Wort von einer „Identität von Antisemitismus und Kapitalismuskritik“ die Rede. Es gibt nun mal regressive Formen der Kapitalismuskritik, die sich auch heute noch in vermeintlich antikapitalistischen Diskursen finden.



      Ein gängiges Beispiel wäre etwa die Verherrlichung des „produktiven Unternehmers“ bei gleichzeitiger Verteufelung des Finanzkapitals. Bei den Nationalsozialisten hieß das „schaffendes und raffendes Kapital“, diese Denkfigur findet sich aber auch in linken Diskursen.



      Auch personalisierende Kapitalismuskritik, bei der es sich eigentlich nur um Kapitalistenschelte handelt, ist immer nur einen Katzensprung vom Antisemitismus entfernt.



      Wenn hier von einer „Fetischisierung der Arbeit“ die Rede ist, dann könnte damit entweder gemeint sein, dass Arbeit an sich (also unabhängig von der kapitalistischen Produktionsweise) als Quelle des Werts interpretiert wird, oder dass Teile der Arbeiterbewegung dazu neigten das „Reich der Notwendigkeit“ zu verherrlichen. Beide Positionen sind ziemlich problematisch.



      Gerade wer Marx gelesen hat, sollte wissen, dass solche Formen der Kapitalismuskritik fehlgehen.

  • Ist ja alles schlüssig, aber viele moderne Linke haben mit dem Kommunismus nix am Hut. Der Kommunismus hat kaum noch Relevanz. Da ist dann auch nicht mehr viel mit anknüpfen. Das sind vielleicht ein paar in die Jahre gekommene Altlinke. Wenn ich Leute von der DKP sehe bin ich immer wieder verwundert das es sie noch gibt und es sind nur wenige. Antisemitismus geht durch alle Bevölkerungsschichten mit variierenden Erklärungsmodellen. Islamhass führt auch bei manchen zu Solidarität mit Israel und wenn das Thema mal erledigt ist, kommt auch deren Antisemitismus wieder zum Vorschein. Durch die Art der Berichterstattung und wird zunehmend alles was links und Israelkritisch ist als antisemitisch abgestempelt. Das mag auf Teile zutreffen, aber diese Verallgemeinerung schwächt die Demokratie zu Gunsten Marktradikaler und Rechter. Ohne die Fähigkeit der Differenzierung wird uns Antisemitismus noch lange beschäftigen.

    • @Andreas J:

      Ähm, also wer sich "links" nennt, alte Kommunisten-Phrasen verwendet, alte Kommunisten-Symbole verwendet oder alte Kommunisten-Argumente nutz, der ist für mich ein Kommunist. Auch wenn er sich nicht so sieht.

      So wie das bei den "Rechten" ist, wer da visuell oder wörtlich Nazi-Symbole, Phrasen und Worte verwendet, der ist eben ein Nazi. Auch wenn er sich nicht so sieht.

      Wem das nicht passt, der sollte sich einfach mal überlegen wie er sich selbst bezeichnet - und ob sich damit unpassend in eine furchtbare Tradition setzt.

      Ententest, kennste, kennste, wa?

      • @der Sperling:

        Ähm, und wie viele machen das? Im linken Spektrum gibt es viele Weltanschauungen. Ich bezeichne mich als links und bin für eine gemeinwohlorientierte Marktwirtschaft, bin Selbständig, ehrenamtlich sozial Tätig, überzeugter Demokrat und strebe nach einem möglichst herrschaftsfreien Leben. Alles mit dem Kommunismus nicht vereinbar. Sie haben eine simple und reduzierte Vorstellung von Links.

  • Ich habe mal eine Frage: Anhänger welcher Partei sind den zu Weimarer Zeiten NICHT durch Judenhass aufgefallen? Damals war Antisemitismus weit verbreitet und die Norm: in JEDER Gesellschaftsschicht.

  • Die Rechten haben es geschafft, von den Hohmanns und Gedeons abzulenken und die Linken als Antisemiten zu framen… und alle machen mit.

    Das wird böse enden.

    • @B. Iotox:

      Ja, die Rechten wollen die eigenen Leichen in den Kellern der Linken und Menschenrechtler unterbringen, was auch eine Revision des geschichtlichen Begriffes des Antisemitismus bedeutet.

      Nietzsche hat diese Methode als "Umwertung aller Werte" charaktierisiert.

      D.h. man macht aus rechts links und aus links rechts. Siehe dazu auch das bezeichnende Interview mit dem Ehepaar Klarsfeld, welches nun zum FN und Marine Le Pen übergelaufen ist:

      taz.de/Archiv-Suche/!6016087/

    • @B. Iotox:

      Exakt !