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Illustration: Oliver Sperl

Deutsche Bauteile in russischen WaffenDer globalisierte Krieg

Trotz Sanktionen gegen Russland stecken in Waffen, die im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt werden, Teile aus aller Welt – oft auch aus Deutschland.

A ls am 5. Oktober 2023 um 13.15 Uhr im Dorf Hrosa in der Region Charkiw die Rakete einschlägt, erlebt die Ukraine den bis dahin opferreichsten Angriff des Jahres. Getroffen werden ein Lebensmittelgeschäft und ein Café. Das Café ist voll, eine Trauerfeier für einen gefallenen Soldaten findet gerade darin statt. 59 Menschen sterben, darunter ein sechsjähriges Kind. Internationale Medien schreiben, der Angriff habe das Dorf quasi „ausradiert“.

Die Rakete, die an diesem Tag über Hrosa niedergeht, gehört zu den modernsten des russischen Militärs: ein Marschflugkörper des Typs Iskander-K. Er ist knapp acht Meter lang, fliegt bis zu 500 Kilometer weit und kann mit bis zu 500 Kilo Munition beladen werden, mit konventionellen oder Atomgefechtsköpfen.

Entwickelt wurde der Raketentyp vom staatlichen russischen Unternehmen KB Maschinostrojenija. Ausgestattet ist er mit einem Radarhöhenmesser und einem Satellitennavigationssystem – und mit jeder Menge Technik aus Schweden, Japan, der Schweiz, den USA und Deutschland. Komponenten von Toshiba finden sich darin, genauso wie von Texas Instruments oder der deutschen Firma Harting aus Nordrhein-Westfalen. So hat es der ukrainische Militärgeheimdienst HUR recherchiert.

Bauteile aus 31 Ländern und von 29 deutschen Unternehmen

Die ukrainischen Behörden entdecken immer wieder Bauteile westlicher Firmen in russischen Waffen, Panzerfahrzeugen und militärischer Ausrüstung. Der Geheimdienst listet diese Teile auf einer Webseite öffentlich auf: Sie stammen aus 31 Ländern, darunter auch Nato- und EU-Staaten. Aus Deutschland finden sich 29 Unternehmen auf der Liste.

Die Angriffsdrohne Shahed-136 ist eine Drohne iranischer Bauart. Sie wird mittlerweile auch in Russland hergestellt Illustration: Oliver Sperl

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Deutsche Technik steckt demnach in russischen Aufklärungsdrohnen wie der Orion-10 und der Granat-4, in Angriffsdrohnen der Typen Lancet, Shahed und Lastochka-M, in einer ballistischen Rakete vom Typ KN-23/KN-24, in Grad-Raketen, in Kommunikationstechnik, in gepanzerten Fahrzeugen wie einem ZSA-T Linza und im Kampfhubschrauber Ka-52 Alligator.

Seit der russischen Invasion in die Ukraine ist der Export von Rüstungsgütern und solchen, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können – sogenannten Dual-Use-Gütern –, nach Russland sanktioniert. Warum finden sich trotzdem deutsche und westliche Bauteile in russischen Waffen auf dem ukrainischen Schlachtfeld?

Die taz hat alle aufgelisteten deutschen Unternehmen um eine Stellungnahme gebeten. Die Antworten ähneln sich: Keines der Unternehmen will willentlich zum Krieg gegen die Ukraine beigetragen haben. Viele verweisen darauf, dass sie ihr Russlandgeschäft nach der Invasion im Februar 2022 eingestellt haben, dass es sich um ältere Bauteile handelt, um Massenware, die millionenfach in die Welt exportiert wird oder um Standardtechnik, die auch in Haushaltsgeräten wie Waschmaschinen verbaut ist.

Der KamAZ-63968 Typhoon-K ist ein gepanzerter Transporter für bis zu 16 Soldaten. Er soll auch gegen Minen schützen Illustration: Oliver Sperl

Die Firma Harting, deren Teile die Ukrainer unter anderem in dem Marschflugkörpersystem Iskander-K fanden, erklärte der taz: „Wir haben uns zu jeder Zeit an alle Sanktionsvorgaben gehalten und alles dafür getan, unseren Sorgfaltspflichten nachzukommen.“ Bei den Leiterplattensteckverbindern, die in einer Iskander-K gefunden wurden, handele es sich um „standardisierte, millionenfach hergestellte Commodity-Produkte“.

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Harting konnte die Produktionscodes der vom Militärgeheimdienst HUR gezeigten Komponenten zurückverfolgen: Sie stammten aus den Jahren 2007, 2011 und 2012, also lange vor der russischen Invasion in die Ukraine und den westlichen Sanktionen gegenüber Russland. Allerdings enthält die Auflistung des ukrainischen Geheimdienstes auch Artikel anderer Firmen, die eindeutig nach dem Februar 2022 produziert und nach Russland gelangt sein müssen – und damit einen Sanktionsbruch darstellen können.

Benjamin Hilgenstock ist Sanktionsexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und Ökonom an der Kyiv School of Economics. Für ihn beweisen die gefundenen Bauteile, dass Russland seinen Krieg auf Basis westlicher Komponenten führe. Er hat mit Kollegen zusammen Handelsströme nach Russland ausgewertet und dabei festgestellt, dass Russland heute noch genauso viel Geld für den Import kriegswichtiger Güter ausgibt wie vor dem Februar 2022.

Allerdings zahle Russland für die einzelnen Güter mittlerweile erhebliche Aufschläge, sodass es de facto weniger dieser Teile importiert. Es brauche mittlerweile auch länger, Bauteile zu besorgen – und diese hätten teils auch eine schlechtere Qualität. Dennoch, sagt Benjamin Hilgenstock, gelangten immer noch viel zu viele dieser Bauteile nach Russland. „Wenn diese Bauteile nicht so leicht nach Russland kämen, wäre es für Russland schwieriger, diesen Krieg zu führen.“

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Einige westliche Firmen machten es sich zu leicht mit der Behauptung, sie könnten nicht kontrollieren, dass ihre Ware nicht in Russland lande, sagt Hilgenstock. „Jede Lieferkette lässt sich kontrollieren, wenn man es nur will.“ Von der These, dass gefundene Komponenten in Russland aus Haushaltsgeräten ausgebaut werden könnten, hält er nicht viel. Die meisten Teile seien über Länder wie China oder Kasachstan noch einfach und direkt zu kaufen und die Hersteller wüssten das.

Hilgenstock verweist auf die Finanzbranche: Genauso wie es den Banken mittlerweile gelingt, ihre Finanzströme nachzuvollziehen, müssten auch Unternehmen ihre Lieferketten überwachen. Dazu gehöre auch, dass die Unternehmen ihre Vertriebspartner und Zwischenhändler besser kontrollierten.

Das ist es auch, was die Ukraine mit ihrer Auflistung erreichen will: Die Unternehmen sollen öffentlich unter Druck gesetzt werden, ihre Lieferketten zu untersuchen. Und die westlichen Staaten sollen ihre Exportkontrollen verbessern.

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8 Kommentare

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  • Das wirklich hässliche ist, dass zumindest einige deutsche Firmen offenbar mit allen Tricks versuchen, die Russland-Sanktionen zu umgehen, um mit der Lieferung von Teilen noch weiter GEschäfte zu machen, von denen sie wissen müssen, dass sie in russischen Waffen verbaut werden.



    Wenn Geschäftsführer dabei erwischt werden könnten, dann muss die Gesetzeslage dafür vorbereitet werden, sie für lange Jahre wegzusperren. Im Augenblick gäbe es vermutlich nur Geldstrafen oder Bewährungsstrafen für die Umgehung von Exportkontrollen oder Verletzung von Sanktionsregeln. Landesverrat ist nicht im Tableau.

    • @Monomi:

      Umgehen von Sanktionen sollte als Hochverrat klassifziert werden = lebenslang ins Gefängnis und Einzug des Vermögens.

      • @Machiavelli:

        Nun, das Problem ist



        a) Die Verhältnismäßigkeit der von Ihnen gewünschten Strafen. Da sehe ich grundsätzliche Menschenrechtliche Bedenken.



        b) Im Grunde versuchen die Sanktionen etwas, was sich nicht durchsetzen lässt, schon gar nicht bei einem großen Land wie Russland. Sie müssten nicht nur jeden Erstverkauf überwachen, sondern auch jeden Weiterverkauf. Und das nicht nur für militärische, sondern auch Dual Use-Güter (Motto: Schraube einen Chip aus dem Laptop und in eine Rakete). Dann dürften Sie also nichts mehr in Länder verkaufen, die mit Russland Handel treiben. Und auch nicht mehr in Länder, die mit diesen Ländern Handel treiben. Oder die mit diesen Ländern Handel treiben, die mit Ländern Handel treiben, die mit Russland Handel treiben. Also eigentlich mit niemandem mehr.



        Und dann haben sie nur den legalen Handel ausgetrocknet. Und mit Gold (das die Russen fördern) lässt sich sicher gut schwarz handeln.

        • @Kartöfellchen:

          "Dann dürften Sie also nichts mehr in Länder verkaufen, die mit Russland Handel treiben. Und auch nicht mehr in Länder, die mit diesen Ländern Handel treiben. Oder die mit diesen Ländern Handel treiben, die mit Ländern Handel treiben, die mit Russland Handel treiben. Also eigentlich mit niemandem mehr. " Die Länder dürfen kaufen aber halt in der gleichen Masse wie vor dem Krieg. So haben die Briten das erfolgreich mit Deutschland in zwei Weltkriegen gemacht.

  • Derart umfangreiche Exportkontrollen für Kleinstartikel, die nicht ausschließlich militärische Funktion haben, kann man zwar fordern, sind wirtschaftlich nicht darstellbar.

    • @insLot:

      Zum Artikel selbst möchte ich noch sagen, dass ich diesen ausgesprochen informativ und gut recherchiert finde.

      Auch wenn es sicher Firmen gibt, die gezielt wegschauen, sollte man die Kreativität der Einkäufer nicht unterschätzen, welche es den Herstellern der einzelnen Komponenten sicher nicht leicht machen, den Verbleib ihrer Waren nachzuvollziehen.

  • Ich kann auch kaum verstehen wie so etwas möglich ist



    Da bestellt ein in Kaufrausch verfallener Eskimo 1oo Hydraulikpumpen für seine Klimageräte an seinen 100 Iglus, nur um am Ende zu bemerken, dass er gar keine Iglus hat. Da nun niemand mehr den Fehlkauf zurück nimmt muss dieser arme Mensch doch irgend was machen. Nord Korea, China, Indien und auch Russland überbieten sich, um ihm aus der Patsche zu helfen. Da kann man doch nicht murren bei so viel Hilfsbereitschafft. Und woher hätte der Hydraulikpumpenproduzent auch nur ahnen können das Iglus keine Klimageräte benötigen, schon keine nicht existente? Plötzlich findet sich das Gerät im Panzer wieder. Es hätte wirklich niemand ahnen können das Wirtschaft immer einen Weg findet. Hat sich seit den Höhlenmenschen nichts verändert.



    ( veralteter Begriff Eskimo lediglich als Beispiel verwendet)

    • @Ramaz:

      Bei wie vielen Käufen geben Sie dem Verkäufer Auskunft, zu welchem Zweck Sie die erworbene Wahre einsetzen?