Varoufakis-Partei bei der Europawahl: Alleinstellungsmerkmal Palästina
Die Kleinpartei „Mera25“ kritisiert den Krieg in Gaza besonders vehement. Ihre Spitzenkandidatin Karin de Rigo hofft damit auf einen Achtungserfolg.
Es gibt dieses TikTok-Video von Nico Semsrott und Carola Rackete, wie beide den Wahl-O-Mat ausfüllen, es machte kürzlich im Netz die Runde. Der Satiriker – Erkennungszeichen: schwarze Kapuzenjacke – sitzt für „Die Partei“ im Europaparlament, die Aktivistin mit der Dreadlock-Frisur kandiert als Spitzenkandidatin für die Linkspartei.
„Ich habe ein bisschen Angst vor der Antwort“, sagt Semsrott, als er die letzte Taste für den Wahl-O-Mat drückt. Als das Ergebnis feststeht, richtet er die Kamera auf Rackete, die laut auflacht. Auf Platz eins ist deutlich zu sehen: „MERA 25 – Gemeinsam für Europäische Unabhängigkeit“, mit 97,3 Prozent Übereinstimmung zu ihren Eingaben. „Immerhin, die Linke ist auf Platz 2 gelandet“, sagt Semsrott trocken.
„Das war mutig von den beiden“, sagt Karin de Rigo über das Video. Die 38-Jährige ist die Spitzenkandidatin von MERA25. Die kleine Partei ist Teil der paneuropäischen Bewegung „Demokratie in Europa 2025“ (DiEM25), die vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis ins Leben gerufen wurde, und tritt in Deutschland, Griechenland und Italien an.
Bunte Plakate statt Kandidaten-Porträts
„Frieden“, „Solidarität“ und „Freiheit“ steht auf den bunten Plakaten der Partei, die stilisierte Figuren zeigen, die sich untergehakt haben. Eine hält eine Blume hoch, eine andere trägt einen Palästinenserschal, über ihnen schwebt eine Friedenstaube, dazu prangen Slogans wie „Freiheit für Palästina“,„Menschenrechte statt Deportationen“ und „Reiche für grünen Wandel zahlen lassen“. Anders als bei anderen Parteien sind keine Kandidaten abgebildet.
Karin de Rigo gibt der Partei ein Gesicht. Sie lebt seit vier Jahren in Berlin, zwei davon ist sie bei MERA25 aktiv. Zuvor hatte sie in der Schweiz gelebt, ursprünglich stammt sie aus Italien. Mit ihrer Biografie passt sie ideal zu der paneuropäischen Partei, die sich Internationalismus auf die Fahnen schreibt. Wie keine andere deutsche Partei protestiert MERA25 gegen den Krieg in Gaza und stellt sich klar auf der Seite der Palästinenser:innen.
Karin de Rigo gehörte auch zu den Veranstalter:innen des umstrittenen „Palästina-Kongresses“, der im April in Berlin stattfinden sollte, aber von der Polizei unter fragwürdigen Vorwänden aufgelöst und verboten wurde. Yanis Varoufakis sollte dort für eine Rede per Video zugeschaltet werden. Gegen ihn verhängten die deutschen Behörden ein Einreiseverbot, gegen das er jetzt klagt.
Waffenembargo gegen „Genozid“
Karin de Rigo spricht von einem „Genozid“; sie fordert einen Waffenstillstand in Gaza und keine Waffen mehr an Israel zu liefern. „Leider sind wir fast die einzige Partei, die diese Positionen vertritt“, sagt die Deutsch-Italienerin. Aber sie weiß: das gibt MERA25 ein Alleinstellungsmerkmal. „Wir geben allen, die sich bei anderen Parteien nicht zu Hause fühlen, eine Adresse“, sagt sie.
Klimaschutz und Gerechtigkeit sind die anderen großen Themen der Partei. „MERA25 hat Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit“, verspricht Johannes Fehr im Wahlspot seiner Partei, der Wirtschaftsingenieur ist ihr Vize-Spitzenkandidat. „Grüner Wandel durch erneuerbare Energien, ökologische Landwirtschaft und kostenloser Nahverkehr“, zählt er auf, außerdem „ein universelles Lebenseinkommen und Jobgarantien für alle sowie die Vergesellschaftung lebenswichtiger Güter“.
Im Widerspruch zur „Staatsräson“
Palästina ist das Thema, mit dem sich MERA25 in Deutschland jedoch am meisten abhebt. In Griechenland und Italien ist das Thema nicht so zentral. „Da gibt es keine Staatsräson, gegen die man sich abgrenzen muss“, sagt Karin de Rigo. Hier polarisiere das Thema. Doch für sie geht es um mehr: „Es geht nicht nur um Gaza, sondern um unsere Werte und unsere Demokratie“, sagt de Rigo. „Wenn wir Regierungen erlauben, alles zu tun, was sie wollen, dann werfen sie die Menschenrechte über Bord“.
Die bunten Plakate von MERA25 hängen vor allem in Universitätsstädten – in Bremen, Hamburg und Göttingen, Berlin, Leipzig oder Dresden. Dort gibt es Unterstützergruppen und Freiwillige, die sie aufgehängt haben. Bei den Europawahlen hofft Karin de Rigo auf einen Achtungserfolg.„Wir wollen realistisch bleiben“, dämpft sie zugleich die Erwartungen. „Ein Sitz wäre schon ein Erfolg.“
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