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Deutsche Organisationen verlassen XHaut endlich ab!

Carolina Schwarz
Kommentar von Carolina Schwarz

Auf X gibt es momentan eine Austrittswelle. Soll man die Plattform nun den Rechten überlassen? Die Antwort ist leicht: Ja, der Ort ist verloren.

„Str + X“ ist der Kurzbefehl für Löschen auf der Tastatur. Könnte sich X mal zu Herzen nehmen Foto: Carlos Barria/reuers

U nd wieder eine weniger. Wer dieser Tage auf das X-Profil der österreichischen Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl klickt, erhält eine Fehlermeldung. Das Profil existiert nicht mehr. Strobl, die vor allem zu Rechtsextremismus und der Neuen Rechten arbeitet, wird seit Jahren auf der Plattform bedroht.

Jetzt scheint sie es nicht mehr auszuhalten. „Ich habe einen der schlimmsten Shitstorms erlebt, den ich je auf Twitter erlebt habe. Es waren vor allem unterirdische Kommentare über mein Aussehen, meine Stimme und meine Psyche. Nachdem das drei heikle Themen für mich sind, wollte ich mich dem nicht mehr aussetzen“, schreibt sie bei Bluesky.

Der Abschied von X, ehemals Twitter, ist ein quälend langsamer. Spätestens seit Elon Musk übernommen hat, wird das Ende der Plattform herbeigeschrieben – auch in dieser Zeitung. Immer mehr Privatpersonen, Politiker_innen und Institutionen haben sich zurückgezogen. Doch so richtig aufgegeben wurde X noch nicht. Einige harren weiter aus, andere, wie Strobl, meldeten sich ab und kamen dann doch wieder zurück. Doch die Argumente, diesen Raum zu erhalten, zählen nicht mehr.

Twitter war noch nie ein repräsentativer Debattenort, aber einige fanden hier interessante politische Diskussionen und Perspektiven, auf die sie in den klassischen Medien nicht stoßen konnten. Doch seit Langem schon ist die Plattform dafür unbrauchbar geworden. Nützliche Funktionen wurden abgeschafft, die Algorithmen verändert, Menschen, die sich um Moderation und Sicherheit kümmerten, wurden gefeuert, gesperrte rechtsextreme Accounts zurückgeholt.

Desinformationen, Hass und Hetze

X gleicht heute einem Haifischbecken voller Faschos und Trolle. Es ist ein Ort, wo Musk mit der AfD kuschelt und progressive Stimmen gemobbt und bedroht werden. Ein Raum für Desinformation, Hass und Hetze. Jede Nutzer_in, jeder Klick bedeutet mehr Geld und Macht für den Multimillionär, der mit antisemitischen Verschwörungserzählungen, rassistischen, trans- und frauenfeindlichen Takes Aufmerksamkeit generiert. Wieso sollte man sich dort noch freiwillig auf­halten?

Ein häufiges Argument ist, man dürfe die Plattform nicht den Rechten überlassen. Man müsse dort präsent sein, dem ganzen rechten Müll linke Inhalte entgegensetzen und sich hinter die Bedrohten stellen. Doch so richtig die Solidarität mit den Bedrohten ist, so falsch ist X als Ort dafür. Die Rechten haben ihn übernommen, Musk hat es so gewollt. Diejenigen, die sich dem entgegenstellen, dringen schon lange nicht mehr durch. Das hinzunehmen, mag schwer sein, aber es gibt dort nichts mehr zu gewinnen.

Das Vorhaben, den Ort als Debattenraum zu erhalten, gleicht dem Versuch, in einem bayerischen Bierzelt die Leute zu überzeugen, keinen Alkohol zu trinken, in einer Nazikneipe am Tresen über Menschenrechte zu streiten oder beim Rammstein-Konzert über Feminismus zu diskutieren. Es ist vergebene Liebesmüh. Denn die Algorithmen belohnen rechte Hetze und halten linke und progressive Stimmen klein.

Neue Orte suchen

Viel wichtiger wäre es, den Ort zu einem irrelevanten zu machen. Dafür müssen in erster Linie Meinungsmacher_innen aus Politik, NGOs und Medien sich andere Kommunikations- und Profilierungstools suchen.

Doch welche? Bislang hat sich keine der vielen Alternativen, von Mastodon über Bluesky bis Threads, durchgesetzt. Doch vielleicht muss es gar kein Nachteil sein, wenn die Debatten sich nicht auf eine Plattform konzentrieren, sondern an vielen Orten gleichzeitig stattfinden. Schon jetzt sind viele der Stimmen, die einige bei X vermissen, an anderen Orten präsent. Und vielleicht wird sich irgendwann eine der Alternativen durchsetzen, das liegt in der Hand aller.

Dass diejenigen, deren Aufgabe es ist, die Rechtsextremen und ihre Umtriebe journalistisch und wissenschaftlich im Blick zu behalten und die Gesellschaft darüber zu informieren, mit einem Account auf der Plattform bleiben, ist relevant. Für alle anderen kann es nur heißen: Haut ab! Es wird nur noch schlimmer.

Vor wenigen Tagen haben 49 deutsche Organisationen, darunter die Ärzte der Welt und die Kindernothilfe, zum Internationalen Tag gegen Hate Speech ihre Accounts deaktiviert. Ein Schritt in Richtung der Irrelevanz der Plattform. Mögen den 49 viele nachfolgen.

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Carolina Schwarz
Ressortleiterin taz zwei
Ressortleiterin bei taz zwei - dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt hauptsächlich über intersektionalen Feminismus, (digitale) Gewalt gegen Frauen und Popphänomene. Studium der Literatur- und Kulturwisseschaften in Dresden und Berlin. Seit 2017 bei der taz.
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19 Kommentare

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  • "...oder beim Rammstein-Konzert über Feminismus zu diskutieren."



    Tja, das Eigentor hat man sich selbst geschossen, Feminist*innen sind früher durchaus auf Rammstein-Konzerte gegangen, durch das massive Pushen nicht hinreichend belegter Vorwürfe hat man diesen das innerhalb der eigenen Peergroup unmöglich gemacht.

    Zur Sache: X hat, schon, als es noch Twitter hieß, aus meiner Sicht der Debattenkultur in vielerlei Hinsicht schweren, vielleicht irreparablen Schaden zugefügt. Die Verkürzung von Debatten, die Abkapselung sozialer Gruppen und die Isolation gegenüber abweichenden Meinungen sind dort gang und gäbe, auf allen politischen Seiten. Dort ist, aufgrund der Kürze der Nachrichten, ein gescheiter "Dunk" viel mehr wert als ein gutes Argument. Das rechte Ekel diese Plattform nun übernommen haben, könnte man auch als Chance begreifen, diesen "Störenfried" endlich aus der Debattenkultur zu verbannen - in der Hoffnung, diese dadurch zu verbessern.

  • Das Problem ist, dass gefühlt 90% aller Politiker, Journalisten, Firmen und Entscheider, die in sozialen Netzwerken aktiv sind eben auf Twitter und nicht auf YouTube, Facebook und Mastodon schreiben und folglich auch lesen.

    Soll man diesen historisch so gewachsenen Raum komplett den Rechten und Botnetzwerken überlassen? Wie die anderen dazu bewegen, ebenfalls zu wechseln?

  • Wirklich besorgniserregend ist inzwischen das Muster: Was mit Twitter-X passiert ist, kann mit jedem "sozialen Netzwerk" passieren. Die meisten sind entweder in der Hand eines grenzwertigen Milliardärs (ja, MZ gehört dazu...) oder können von interessierten Gruppen, Einzelpersonen übernommen werden - und das sind wohl nie "demokratisch gesinnte" Personen oder institutionen. Bestenfalls Renditejäger. Spannend wird's wenn ein Zuckerberg auf die Idee käme, zu verkaufen. zB an Chinesen. Unwahrscheinlich, aber möglich.



    Der Kern des Problems sind aber die Algorithmen. Die als "Geschäftsgeheimnis" zu schützen, das verleiht diese ungeheure Macht, denn damit können Menschen manipuliert und deren Köpfe interessengesteuert eingesetzt werden. Denn es können ja auch Avatare eingesetzt werden.



    Solche Netzwerke dürfen nur noch mit offenen Algorithmen arbeiten. Und die müssen gegen Änderungen geschützt werden.



    Aber machen wir uns nix vor: Selbst wenn es in Europa so käme: Der Rest der Welt hat dazu kaum noch die Macht.

  • Twitter zu verlassen, hat noch einen weiteren Vorteil: Ohne ausreichende Marktdurchdringung, d.h. breite Nutzerbasis, sind die Pläne von Elon Musk zum Scheitern verurteilt, Twitter/X zur "Everything-App" umzubauen (Shopping, Zahlungsdienste, Identitätsmanagement, ...). Und damit verhindert man wiederum zuverlässig, dass sich noch mehr nicht legitimierte Macht in den Händen von Elon Musk konzentriert. Ein Twitter/X, dass einer westlichen Kopie von WeChat entspricht, wäre nämlich eine Gefahr ganz anderen Kalibers.

  • Wenn man was gegen den Mainstream bewirken will, muss man auch da sein wo die breite Masse ist!

  • Das gesamte Internet bräuchte einen Neustart mit Bedingungen, welche die heutigen Auswüchse in vielerlei Richtungen unmöglich machen.



    Früher habe ich Perry Rhodan gelesen, heute habe ich andere Phantasien.

    • @Erfahrungssammler:

      Wir brauchen keinen Neustart. Es müssen nur mehr Leute die existierenden Mittel nutzen, statt wieder der nächsten zentralisierten Plattform auf den Leim zu gehen, die sobald es an Finanzierung geht, wieder der enshittification anheimfallen wird.

      Mastodon schützt dagegen. Bluesky nicht.

      Ein guter Einstieg ist der Kommunikations-Teil der Digitalen Selbstverteidigung:

      digitalcourage.de/...gung#kommunikation

      • @Arne Babenhauserheide:

        Weil mehr Leute das nicht tun würden, bräuchten wir einen Neustart.

        Aber erfahrungsgemäß würde er wegen fehlender Lernfähigkeit mit ziemlicher Sicherheit nichts bringen.

  • Als noch Twitter Jack Dorsey war, fand ich das eine sehr schlechte Idee.Wie kann mensch einem Privatunternehmen (deren Struktur zutiefst undemokratisch ist!) so viel Macht übertragen?

    Unter Musk -- good riddance.

    Und doch muss ich, wenn jemensch von Twitter nach Bluesky (wieder Dorsey!) umzieht an Brechts Mutter Courage denken, die, nachdem sie ihre Katrin, ihr liebstes Kind bitterlich beweint -- doch weiter mit Ihrem Krämerwagen dem Krieg hinterherzieht.

    Threads? Zuckerberg? Echt jetzt? Müssen wir das überhaupt in Betracht ziehen? Nochmal: Echt jetzt?

    Mastodon (oder besser, das ganze Fediverse [1]) könnte schon ein Ansatz sein. Es ist aber noch früh.

    [1] en.wikipedia.org/wiki/Fediverse

  • Ich war erstaunt über den Antisemitismusvorwurf gegen Musk



    Meine Suche brachte mich über den hier verlinkten Link zu



    taz.de/Elon-Musk-und-die-AfD/!6009023/

    Dort stand etwas zu "Stattdessen verbreitet er antisemitische Verschwörungstheorien und transphobe, sexistische Ansichten" verlinkt auf



    taz.de/Der-Rechtsl...lon-Musk/!5962309/

    wenn ich aber dann unter diesem Link nach antisemitsischen Äußerungen suche, finde ich nichts. Vielleicht kann man das ja ein wenig besser kommunizieren, was da nun genau gemeint ist.



    Sollte eine genauere Beschreibung nicht möglich sein, wird hier das gemacht, was man der anderen Seite vorwirft: man verbreitet Hass und Desinformation, und dies auch noch mit den schlimmst möglichen Vorwürfen



    Sorry, dies so sagen zu müssen

    Die fehlende Genauigkeit fällt immer wieder auf, wenn Wissemschaftler ohne Dr als Experten ausgewiesen werden (?) und wird auch Frau Strobl auf dem Wikipedia Eintrag (neben viel Lob) angekreidet. "Pfahl-Traughber hält ( ) für informativ, empfindet es aber wegen fehlender genauerer Erörterung als zu oberflächlich. Auch würden die von den Autoren aufgestellten Definitionen nicht zu allen Objekten passen"

    • @Werner2:

      Verstehe ich Sie recht: Sie erwarten von Medien die über antisemitische Äußerungen berichten, diese Äußerungen auch gleichzeitig zu propagieren?



      Interessant! Fordern Sie das auch bei anderen Themen? Damit man "sich selbst ein Bild machen" kann? CSAM vielleicht?

      • @B. Iotox:

        Verstehe ich Sie recht - für Sie sind Nachrichten ohne jegliche Belege in Ordnung? Sie vertrauen also zu 100% den Bewertungen, die Ihnen andere mitteilen?



        NATÜRLICH sollten besagte Äußerungen nicht weiter zirkulieren und weiter propagiert werden. Es muß aber einen Mittelweg geben, so daß man sich selbst ein Bilde machen kann. DAS heißt dann mündiger Staatsbürger und nicht mündiger Nachplapprer.

      • @Frank Ropen:

        Danke!

      • @Frank Ropen:

        das ist kaum ein Beleg für den Antisemitismusvorwurf, eher ein Zirkelschluss. Die Tagesschau beruft sich auf die Anti-Defamation League, der lustigerweise selbst "Antisemitismus" (wem nicht) vorgeworfen wurde und wird. (de.wikipedia.org/w...Defamation_League)



        Ich kann dem Kommentar von Werner2 nur zustimmen.

  • strg+x ist nicht löschen sondern ausschneiden um etwas dann wieder woanders einzusetzen, genauso wie es mit rechten Diskursen passieren wird, sobald eine, oder mehrere, Plattformen Twitter endgültig ersetzen.

  • Auf X muss man halt selber zensieren. Wenn man konsequent hass blockiert verschwindet er ja auch. Was der Algorythmus nicht unterscheiden kann ist ob man jetzt für oder gegen etwas ist. Für ihn gibt es nur "etwas". Also man darf nicht "gegen krieg" sondern muss "Für Frieden" sein.

  • Von Elmo musk X zu Suckerberg Threads? Ne danke

    Mastodon ist zwar ganz OK. Ich brauche aber keine Linux granularität in einer App auf der Oberfläche von einem Dienst auf einem Server, der nicht bei mir steht.

    Bluesky ist da wesentlich gradliniger. Höre immer wieder, dass sehr an mit Einstellungen basteln muss für ein optimales Erlebnis. Das eine Mal als ich es brauchte hat blocken völlig ausgereicht. Seitdem kein Probleme mehr. Bis jetzt hatte ich außerdem nur von Wissenschaftlern gehört die zu bluesky sind, was ich von mastodon nicht behaupten kann. Außerdem fand ich den Ton immer sehr angenehm.