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Europaweite Bürgerinitiative gestartetSolidarische Abbrüche in der EU

150 Gruppen fordern eine bessere gynäkologische Versorgung. Dafür sammeln sie unter dem Motto „My Voice My Choice“ eine Million Unterschriften.

Petition statt Demonstration – für ein Recht auf bessere gynäkologische Versorgung Foto: Pacific Press/imago

Berlin taz | Einen kostenfreien und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen für alle Eu­ro­päe­r:in­nen – das fordert die Bürgerinitiative „My Voice My Choice“. Mit einer Unterschriftensammlung möchte der Zusammenschluss von mehr als 150 Organisationen die Versorgungslage in der Europäischen Union verbessern. Ziel der Kampagne sei es, einen europäischen Solidaritätsmechanismus zu schaffen, erklärte die Gynäkologin Annika Kreitlow bei der Vorstellung der Kampagne am Mittwoch in Berlin.

Die Art und Weise, wie über unseren Uterus verhandelt wird, ist ein Spiegel davon, wie frei und sicher wir als Frauen in dieser Gesellschaft sind

Luisa Neubauer, Mit-Initiatorin von „My Voice My Choice“

20 Millionen Frauen in Europa haben laut den Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen keinen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen. In vielen Ländern sei die Versorgungslage zudem nur sehr dünn. Mit der Unterschriftenaktion will die Vereinigung erreichen, dass die EU-Kommission finanzielle Unterstützung für Mitgliedstaaten bereitstellt. Über diese Gelder soll dann in den Ländern, in denen Schwangerschaftsabbrüche breiter verfügbar sind, auch Hilfe für jene Menschen angeboten werden, die in ihren Heimatländern sonst kaum Zugang zu einem Abbruch haben.

Dies würde ermöglichen, in einen anderen EU-Staat zu reisen, um dort einen sicheren Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Nach Angaben der Initiative reisen etwa auch mehr als tausend Frauen jährlich von Deutschland in die Niederlande, um dort einen Schwangerschaftsabbruch auch noch nach der zwölften Woche durchzuführen – Aufwand, den sich längst nicht jede leisten kann.

Kritik an Abtreibungsgesetz in Deutschland

„Die Art und Weise, wie über unseren Uterus verhandelt wird, ist ein Spiegel davon, wie frei und sicher wir als Frauen in dieser Gesellschaft sind“, sagte Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die auch hinter der Initiative steht, bei der Vorstellung am Mittwoch.

Eine Million Unterschriften benötigen die Organisationen, damit das Anliegen bei der EU-Kommission vorgelegt wird. Bisher haben europaweit 300.000 unterzeichnet. Die In­itia­to­r:in­nen haben sich vorgenommen, die Unterschriften bis zur Europawahl am 9. Juni zu sammeln, haben jedoch ein Jahr Zeit, das Ziel zu erreichen.

Die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen kritisieren unterdessen auch, dass die Bundesregierung bislang nichts unternimmt, Abtreibungen aus dem deutschen Strafgesetzbuch zu streichen. „Das deutsche Abtreibungsgesetz stigmatisiert den Schwangerschaftsabbruch mit Absicht und steht im Widerspruch zu internationalen Gesundheitsrichtlinien“, sagte Stephanie Schlitt von der Organisation Pro Familia.

Eine Kommission zu reproduktiver Selbstbestimmung legte Mitte April Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) einen Bericht vor, in dem sie eine Abschaffung oder eine grundlegende Änderung des Abtreibungsparagrafen 218 empfahl.

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7 Kommentare

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  • "@DIMA der Formaljurist."

    Vielen Dank für das Lob! Gerade die Einhaltung von Verfassungs- und Kompetenzfragen sind eine ganz wesentliche Säule der demokratischen Grundordnung.

    "Gesetze sind dazu da, sich weiterzuentwickeln -- wie die Gesellschaften denen sie dienen."

    Da stimmen wir vollkommen überein. Dann sollte die Unterschriftensammlung jedoch darauf abzielen, dass der EU zunächst die Kompetenz für das Gesetzgebungsvorhaben eingeräumt wird. Nach einer entsprechenden Diskussion und der Zustimmung aller Mitgliedsländer könnte sich die EU dann inhaltlich damit auseinandersetzen, ggf, auf der Basis einer zweiten Unterschriftensammlung.

    Dann passt es auch mit dem Erwartungshaltungsmanagement.

    Auf keinen Fall dürfen Sie mich derart verstehen, dass ich die EU ablehne. Die EU ist eine ganz hervorragende Institution (auch wenn ich die Ost-Erweiterung damals für einen Fehler gehalten habe und immer noch halte).

    Nur weil die EU kein Staat ist, sondern lediglich ein Gebilde mit eingeschränkter Gesetzgebungsbefugnis ist es wichtig, vor jedem Vorhaben die Gesetzgebungskompetenz zu überprüfen.

    Das wird in Brüssel leider nicht gehandhabt, zumal insbesondere die Abgeordneten und Kommissionsmitglieder daran kein gesteigertes Interesse haben.

  • @DIMA der Formaljurist.

    Gesetze sind dazu da, sich weiterzuentwickeln -- wie die Gesellschaften denen sie dienen.

    Sonst wär'n wir noch bei den Kapitularien [1] von Karl des Grossen.

    Oder lese ich bei Ihnen zwischen den Zeilen, dass Sie die EU nicht mögen und deshalb immer dann vorpreschen, wenn "die EU keine Gesetzgebungskompetenz" hat? Old Style AfD? Die Gute Alte Zeit von Bernd Lucke, vielleicht? Back to the EWG?

    Keine Ahnung. Aber auffällig.

    [1] de.wikipedia.org/wiki/Kapitularien

  • Für Regelungen betreffend Schwangerschaftsabbruch hat die EU überhaupt keine Gesetzgebungskompetenz. Das ist alleinige Angelegenheit der jeweiligen Mitgliedsländer. Was soll das also?

    Die Kommission kann die Unterschriften entgegennehmen, die Zuständigkeit prüfen und dann kommentarlos ab damit in die Tonne.

    • @DiMa:

      Das is aber überhaupt nicht das Anliegen. Es werden keine gesetzgeberische Reformen in jeweiligen Ländern gefordert, sondern ein Finanzierungsschirm für Frauen auf dem gesamten Gebiet der EU.



      Es wird nichts in die Tonne geworfen, glücklicherweise.

    • @DiMa:

      Auch wenn die EU keine Handhabe haben mag, wird sie sich verhalten müssen. 1.000.000 Unterschriften kann man in die Tonne hauen. Die dazugehörigen 1.000.000 Stimmen wird man aber nicht einfach überhören können.

      • @NurFürDieKommentareHier:

        Die EU (insbesondere das EU Parlament) befasst sich ständig mit irgendwelchen Angelegenheiten, für die ihr keine Kompetenz übertragen worden ist.

        Durch diese Konturlosigkeit entsteht das Gefühl der Allzuständigkeit und damit werden Erwartungen hervorgerufen und bestärkt, welche die EU schlichtweg nicht einhalten kann. Aus meiner Sicht ist das das größte Risiko für die EU.

        Wir haben keine "Vereinten Staaten von Europa".

    • @DiMa:

      "Was soll das also?"



      Aufmerksamkeit. Die wichtigste Währung im politischen Prozess.



      Der nächste Schritt ist dann der Druck auf die jeweiligen Regierungen mit der Begründung 'selbst die EU sieht hier Handlungsbedarf'.