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Schwere Vorwürfe gegen Letzte GenerationKli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen angeklagt

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin wirft fünf Mitgliedern der Letzten Generation die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Ein Bündnis ruft zum Protest auf.

Kriminell oder kriminalisiert? Die Letzte Generation, hier bei einer Demonstration Foto: Jan Woitas/dpa

Neuruppin dpa | Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat Anklage gegen fünf Mitglieder der Klimaschutzgruppe Letzte Generation wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung erhoben. Das teilte die Behörde am Dienstag mit. Sie hatte rund eineinhalb Jahre lang ermittelt.

Die Angeklagten sollen mehrere Attacken gegen Anlagen der Ölraffinerie PCK Schwedt und eine Ölleitung im Nordosten Brandenburgs und in Mecklenburg-Vorpommern verübt haben. Es geht außerdem um Aktionen am Hauptstadtflughafen BER und im Museum Barberini in Potsdam. Seit Dezember 2022 prüfte die Staatsanwaltschaft Neuruppin den Verdacht, es gab Durchsuchungen in mehreren Bundesländern.

Auch die Generalstaatsanwaltschaft München ermittelt seit gut einem Jahr gegen fünf Klimaschutzaktivisten der Gruppe Letzte Generation wegen des Verdachts, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu sein, und gegen zwei weitere wegen Unterstützung. Auch die Staatsanwaltschaft Flensburg führt ein entsprechendes Ermittlungsverfahren.

Die Staatsschutzstrafkammer des Landesgerichts Potsdam muss nun entscheiden, wann der Prozess gegen die fünf Umweltaktivisten beginnt. Die Letzte Generation sprach stets von einem Einschüchterungsversuch und beklagte, ihr Protest solle zu Unrecht kriminalisiert werden.

Bündnis plant Demo gegen Anklage

Am Dienstag sagte einer der Angeklagten laut Mitteilung der Letzten Generation: „Was für ein vernichtendes Signal an alle Menschen, die sich in dieser Menschheitskrise friedlich engagieren, uns als kriminelle Vereinigung vor Gericht zu zerren.“ Für diesen Mittwoch rief das Bündnis „Menschen gegen Öl“ zu einer Versammlung am Washingtonplatz in Berlin auf.

Die Staatsanwaltschaft in Neuruppin teilte am Dienstag mit: „Der Tatvorwurf betrifft die Beschuldigten als Mitglieder einer Teilgruppe der ‚Letzten Generation‘, die sich in Differenzierung zur gesamten Gruppierung der ‚Letzten Generation‘ zur Begehung von Straftaten einigen Gewichts bereit erklärt und sich an diesen beteiligt haben.“

Es bestehe hinreichender Tatverdacht, dass sie mit anderen Mitgliedern dieser Teilgruppe „übereinkamen, über einen längeren Zeitraum, der zumindest bis Mai des Jahres 2023 andauerte, gemeinsam und zum Teil unter strikter Aufgabenverteilung Straftaten, die zumindest im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind, zu begehen“. Es geht um Straftaten im Zeitraum von April 2022 bis Mai 2023. Neben dem Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung handelt es sich auch um die Störung öffentlicher Betriebe, Nötigung und Sachbeschädigung.

Nach Störaktionen waren Ermittler im Dezember 2022 mit Durchsuchungen in mehreren Bundesländern gegen die Mitglieder der Letzten Generation vorgegangen. Das Verfahren der Staatsanwaltschaft Neuruppin hatte eine kontroverse politische Debatte ausgelöst. Grüne und Linke kritisierten das Vorgehen gegen die Letzte Generation. Dagegen sahen Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen und Justizministerin Susanne Hoffmann (beide CDU) nach der Razzia Anhaltspunkte für eine kriminelle Vereinigung gegeben.

Die Angeklagten sollen – in wechselnder Beteiligung – im Mai und im Oktober 2022 laut Anklagebehörde für Manipulationen an einer sogenannten Schieberstation und einer Zwischenpumpstation zur Ölversorgung der Raffinerie PCK in Schwedt verantwortlich sein. Das Unternehmen PCK sowie die Mineralölverbundleitung GmbH seien geschädigt worden.

Die Staatsanwaltschaft listete mehr als zehn Fälle auf. Neben Störaktionen in Schwedt, Grünheide und Seefeld in Brandenburg gab es auch Störungen in Woldegk und Borrentin im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte.

Zudem werden die Umweltaktivisten wegen eines Angriffs auf ein Gemälde des Impressionisten Claude Monet im Museum Barberini in Potsdam angeklagt. Laut Staatsanwaltschaft wird der Wert des Bildes „Getreideschober“ auf 111 Millionen Euro geschätzt. Die Letzte Generation sprach im Herbst 2022 von einer Attacke mit Kartoffelbrei.

Auch die Blockierung von Start- und Landebahnen am Flughafen BER wird ihnen zur Last gelegt sowie ein Farbangriff auf ein Privatflugzeug mit einem Schaden von rund 90.000 Euro, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte.

Die Letzte Generation will nach eigenen Angaben unter anderem den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, stärker gegen die Klimakrise vorzugehen. Die Gruppe wurde vor allem wegen Straßenblockaden bekannt, bei denen sich Mitglieder auf dem Asphalt festklebten. In Berlin kam die Senatsjustizverwaltung nach einer Überprüfung 2023 zu dem Ergebnis, dass die Klimagruppe nicht als kriminelle Vereinigung eingestuft wird.

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6 Kommentare

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  • Die politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen, die uns tatenlos und sehenden Auges in die Klimakatastrophe laufen lassen, werden nicht angeklagt. Wo kämen wir da hin wenn profitieren plötzlich kriminell würde. Wie Ungerecht.

    • @Papi:

      Den Punkt mit der politischen Verantwortung will ich einfach nicht verstehen. Die Politiker machen mehr oder weniger genau das, wofür sie gewählt werden. Politisch verantwortlich sind die Wähler.

      Das gilt sowohl für die Frage klimarelevanter Themen, als auch für die Frage der Regelungen des Strafrechts.

      Jeder Wahlberechtigter kann die Chance beim kommenden nächsten Urnengang nutzen und sich neu entscheiden.

  • Ob dies auch bei den "CumEx-Banden" so sein wird?

    • @Gerhard Krause:

      Sicher - natürlich nur soweit mensch sich daran erinnern kann, ist doch klar! Mensch ist doch kein Unmensch.

    • @Gerhard Krause:

      Da häkt doch der "vergessliche" Olaf die Hand drauf und schickt die zuständigen Staatsanwälte in Pension.

  • taz: **Die Staatsanwaltschaft Neuruppin wirft fünf Mitgliedern der Letzten Generation die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. [...] Am Dienstag sagte einer der Angeklagten laut Mitteilung der Letzten Generation: „Was für ein vernichtendes Signal an alle Menschen, die sich in dieser Menschheitskrise friedlich engagieren, uns als kriminelle Vereinigung vor Gericht zu zerren.“**

    Der klimaschädliche Kapitalismus wehrt sich eben mit allen Mitteln, damit der Wahnsinn nicht aufhört. Eine kriminelle Vereinigung ist zum Beispiel die Mafia, aber bestimmt keine harmlosen Klimaschützer, die sich auf Straßen und auf Flugplätzen festkleben und den Verkehrsfluss mal für kurze Zeit zum Stillstand bringen. Was redet die Staatsanwaltschaft da eigentlich von 'Tätern' und 'Straftaten'? Die wahren Täter, die seit Jahren den Klimawandel mit CO2 füttern, die kennt man doch. Vielleicht sollten Staatsanwälte mal den 'Guardian' abonnieren, denn der Guardian hat vor einiger Zeit über echte kriminelle Vereinigungen einen Artikel geschrieben. Der 'Guardian' hatte nämlich aufgedeckt, dass große und mächtige Konzerne weltweit viele Milliarden US-Dollar in neue Projekte fließen lassen, mit denen sie die Erderwärmung ohne Skrupel weiter beschleunigen werden.

    Drastische Strafen für Klimaschutzaktivisten werden ja schon seit einiger Zeit gefordert (und man möchte die 'Letzte Generation' auch sehr gerne zu einer "kriminellen Vereinigung" stempeln), aber wer fordert eigentlich endlich mal drastische Strafen für die Verursacher des Klimawandels, die das Leben und die Zukunft unserer Kinder und Enkelkinder mit ihrer Gier nach noch mehr klimaschädliches Wirtschaftswachstum auch weiterhin frech in Gefahr bringen? Wann wird die Justiz eigentlich endlich einmal etwas gegen die wahren Täter unternehmen?