Berichte über jahrelange Überwachung: Israel soll IStGH bespitzelt haben

Geheimdienste überwachen Recherchen zufolge seit Jahren das Weltstrafgericht. Sogar mit Drohungen sollen sie versucht haben, Ermittlungen zu stören.

Karim Khan gestikulierend im Gespräch mit zwei weiteren Personen.

Ihm wird heimlich auf die Finger geschaut: IStGH-Chefankläger Karim Khan Foto: reuters

BERLIN taz | Es war ein Novum, aber keine Überraschung, als der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vergangene Woche mitteilte, er habe Haftbefehle nicht nur gegen Hamas-Führer beantragt, sondern auch gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Gallant. Seit Wochen schon hatten Medien darüber berichtet – auch unter Berufung auf israelische Regierungskreise.

Wie nun bekannt geworden ist, wusste Israel offenbar sogar sehr genau Bescheid, was in Den Haag vor sich ging. Laut Recherchen der israelischen Magazine +972 und Local Call sowie des britischen Guardian haben israelische Geheimdienste seit neun Jahren eine Überwachungskampagne gefahren.

Ziel der Überwachung war es demnach, ein Vorgehen des Gerichts gegen israelische Entscheidungsträger mit verschiedenen Strategien zu verhindern – inklusive Drohungen. Die Recherchen erklären auch, warum Khan vergangene Woche in seiner Mitteilung forderte, dass „alle Versuche, die Mitarbeiter des Gerichts zu behindern, einzuschüchtern oder unangemessen zu beeinflussen, unverzüglich eingestellt werden“.

Im Mittelpunkt der Überwachung standen den Recherchen zufolge Khan und dessen Vorgängerin Fatou Bensouda. Geheimdienste überwachten demnach Khans Kommunikation routinemäßig. Bensouda soll sogar Drohungen erhalten haben, mit dem Ziel, dass sie ihre Ermittlungen nicht weiterverfolgt.

Ex-Mossad-Chef Yossi Cohen hat ihr laut Guardian gedroht: „Sie wollen nicht in Dinge verwickelt werden, die Ihre Sicherheit oder die Ihrer Familie gefährden könnten.“ Bensouda hatte 2021 offiziell Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in den palästinensischen Gebieten eingeleitet, zuvor aber bereits jahrelang Vorermittlungen geführt.

Das Interesse galt auch palästinensischen Zeugen

Im Visier hatten die Dienste aber nicht nur große Fische. Dutzende Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen, UN-Mitarbeitende und IStGH-Personal sollen überwacht worden sein. Besonders sticht hervor, dass das Interesse auch Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen galt, die für den Gerichtshof Zeugenaussagen machten. Zudem standen palästinensische NGOs, die dem IStGH Informationen lieferten, im Fokus. Dabei handelt es sich um einige der NGOs, die Israel 2021 als Terrororganisationen listete.

An der Kampagne beteiligt waren den Recherchen zufolge mehrere israelische Geheimdienste: der Armee-Geheimdienst, der Inlandsgeheimdienst Shin Bet und der Auslandsgeheimdienst Mossad. Die Recherchen basieren laut +972 auf Interviews mit Ge­heim­dienst­ler*innen und Re­gie­rungs­be­am­t*in­nen sowie ehemaligen Mitarbeitenden des IStGH und Di­plo­ma­t*in­nen.

Ein weiteres interessantes Detail der Recherchen ist, dass die Überwachungskampagne nicht allein vom Sicherheitsapparat aus ging. Im Gegenteil: Laut +972 hat sich Netanjahu persönlich sehr für die Kampagne interessiert und den Geheimdienstteams sogar Anweisungen für die Überwachung von IStGH-Mitareitenden gegeben. Eine Quelle soll gesagt haben, Netanjahu sei „besessen“ gewesen, herauszufinden, welche Materialien der IStGH erhalten habe.

Netanjahus Büro erklärte, die Berichte enthielten „viele falsche Anschuldigungen, die Israel schaden sollen“. Das Magazin +972, das in den letzten Wochen mit exklusiven Recherchen für Schlagzeilen gesorgt hat, war 2018 Gegenstand einer Beschwerde Israels gegenüber Deutschland gewesen. In einem Schreiben, das die taz bekanntmachte, hieß es, die Förderung von +972 durch die Heinrich-Böll-Stiftung widerspreche israelischen Interessen. Mittlerweile fördert die Stiftung das Magazin nicht mehr, pflegt aber eine partnerschaftliche Beziehung.

Internationale Justiz bereitet Israel Sorgen

Der IStGH hat 2021 Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in den palästinensischen Gebieten eingeleitet. Dabei ging es anfangs unter anderem um den israelischen Militäreinsatz in Gaza 2014, aber auch um mögliche Verbrechen seitens palästinensischer Akteure. Die Kämpfe damals dauerten 50 Tage, 2.250 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und mehr als 70 Israelis wurden getötet. Amnesty International warf beiden Seiten Kriegsverbrechen vor.Israel erkennt den IStGH nicht an, Palästina ist aber seit 2015 Vertragsstaat.

Die Recherchen zeigen, welche Sorgen die internationale Justiz der Führung in Israel bereitet, wo man offenbar der Ansicht ist, mit der Bedrohung durch radikale palästinensische Gruppen und ihren internationalen Unterstützern nicht im Rahmen des Völkerrechts fertig zu werden.

Die palästinensische Führung und NGOs setzen zunehmend auf internationales Recht. Die jüngsten Entwicklungen seit Beginn des Gazakriegs – etliche Klagen vor dem IStGH und dem Internationalen Gerichtshof (IGH) – dürften sie darin bestärken. Israel wirft der palästinensischen Seite daher „lawfare“ vor: Internationales Recht werde instrumentalisiert, um Israel zu delegitimieren.

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