TV-Werbung zur Wahl des Europaparlaments: Politik in der Werbepause
Wir haben uns drei Werbespots zur Europawahl von FDP, SPD und BSW angesehen. Wer völlig freidreht und wer noch einmal Schach spielen lernen muss.
E in dramatisch ausgeleuchteter Tisch mit zwei Schachbrettern in roter und schwarzer Marmoroptik. Hände, die die Figuren zielgerichtet auf den Feldern bewegen und schließlich den König schachmatt setzen. Nein, wir sind hier nicht bei der Schachserie „Das Damengambit“ oder beim Politthriller „House of Cards“. Es ist der Wahlwerbespot der SPD für die Europawahl. Mit Bundeskanzler Olaf Scholz und EU-Spitzenkandidatin für die SPD, Katharina Barley, in den Hauptrollen. Sogar in identischen Outfits und Gesten. Scholz stärkt Barley den Rücken in der Wahlkampagne und sie stellen klar: „Wir sind Kanzlerpartei, wir sind Europapartei.“
Das dramatische Setting soll zeigen: „Die SPD kann anpacken“, oder wie die Stimme aus dem Off sagt: Europa brauche „Entscheiderinnen und Entscheider, die beim ersten Zug schon an den übernächsten denken.“ Leider sieht man bei Sekunde 29, dass die Schachfiguren etwas unüberlegt, man könnte auch sagen, falsch aufgestellt sind: Die Läufer stehen neben den Türmen und nicht wie korrekt neben Dame und König. Ob die Partei dafür die „Bedrohungen Europas“ im echten Leben in Schach halten kann?
Könnte man im Werbespot erfahren, wenn es nicht nur bei Buzzwords „Frieden und Sicherheit, Gerechtigkeit und Zusammenhalt“ bleiben würde. Inhalten hätte man mehr Raum geben und stattdessen die Bildgewalt etwas zurückschrauben können.
Die ist sowieso etwas drüber: Scholz und Barley als allmächtige Personen, die Schachfiguren bewegen? Man könnte ja meinen, eine wehrhafte Demokratie wächst eher durch gemeinsame Entscheidungen. Auch die heraufbeschworene Bedrohung „in vielen Feldern“ (im Video symbolisiert durch die schwarzen Schachfiguren) ist eigentlich eher ein Bild für populistischere Parteien. Immerhin ist der Werbespot nach genau einer Minute vorbei – im Gegensatz zu anderen größeren Parteien, die die erlaubte Länge von 90 Sekunden ausreizen. Bei der SPD bleibt also weniger Zeit, um etwas Falsches zu sagen. (Ann-Kathrin Leclère)
Wann Politische Werbung darf im Fernsehen grundsätzlich nur im Wahlkampf, ab vier bis sechs Wochen vor Bundestags- und Europawahlen, geschaltet werden. Dafür wird den Parteien je nach Größe und Fraktionsstärke im Bundestag Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) zugestanden. So erhält die stärkste Partei im Bundestag etwa viermal so viel Sendezeit wie kleine Parteien, die nicht im Bundestag vertreten sind. Damit es fair zugeht, darf aber jede zugelassene Partei, egal wie klein sie ist, mindestens zwei Spots im Wahlkampf mit einer Länge von einer bis eineinhalb Minuten ausspielen.
Wie viel Zusätzlich können Parteien Sendezeit für Werbespots im privaten TV kaufen. Während die Sendezeit im ÖRR kostenlos ist, müssen sie den Privatsendern die technischen Grundkosten erstatten. Wie viel die Spots tatsächlich kosten, hängt von Sender, Zeit und Länge der Spots ab. Da dafür aber gut und gerne vierstellige Beträge draufgehen, verzichten vor allem kleinere Parteien häufig darauf.
Was bringt’s Wahlwerbung im Fernsehen habe heute an Bedeutung verloren, sagt Wahlkampfexperte Frank Stauss. Für die Produktion von Werbespots im linearen Fernsehen werde nur ein Bruchteil des Wahlkampfbudgets ausgegeben. Wichtiger sei Werbung auf Social Media, auch die Plakatwerbung erlebe eine Renaissance. Dennoch dürfe man Fernsehen als Medium nicht unterschätzen, sagt Stauss. Denn in den Hauptsendezeiten – in denen die Wahlwerbespots laut Vorgabe der Landesmedienanstalten laufen müssen – würden immer noch mehrere Millionen Zuschauer:innen erreicht.
Was Bei der inhaltlichen Gestaltung sind die Parteien frei. Es muss nur eindeutig Wahlwerbung sein und gegen geltendes Recht darf nicht verstoßen werden. Das traf die MLPD: In ihrem Werbespot für die diesjährige Europawahl zeigten sie das Cover eines Buches, das die Spitzenkandidat:innen der Partei veröffentlichten. Das BVfG entschied: Wahlwerbung ist das nicht. (jfr)
Einfach freidrehen
Wäre dieser Wettkampf der Wahlwerbespots ein illegales Straßenrennen, hießen die Siegerinnen FDP und Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Gleich zu Beginn des Spots erwecken die vorbeirauschenden Blitzlichter den Eindruck, man würde mit 200 Sachen durch die Innenstadt brettern. Gerade im Vergleich zur Konkurrenz, deren Spitzenpolitiker träge vor einem Schachbrett (Scholz) oder spätabends für die Nation kopfzerbrechend am Schreibtisch sitzen (Habeck), ist dieser Spot einfach superduperdynamisch.
Das liegt nicht nur an der allgemeinen Flottigkeit dieser Partei, die so oft so wirkt, als wäre es ihr scheißegal, was das Ziel ist und ob es ein gutes Ziel ist – Hauptsache, sie rast vor allen anderen los, drückt das Gaspedal durch, bremst nicht ab und rast auch nach der Ziellinie einfach immer weiter. Politik ohne Tempolimit!
Es liegt auch an der Form dieses Spots, der sich dadurch von den anderen abhebt: Statt auf reale Bewegung ihres Personals zu setzen, die durch ihr unbeholfenes Auftreten vor Kamera eh nur an Laienschauspieler bei Richterin Barbara Salesch erinnern, präsentiert die FDP aneinandergereihte Standbilder. Das abwechselnde Rein- und Rauszoomen verstärkt die Rastlosigkeit zusätzlich, mit der ein Bild schnell auf das andere folgt: Strack-Zimmermann im Porträt, ein Stachelschwein, Strack-Zimmermanns Haare, ihr Kinn, ein Streichholz, eine Ukraine-Fahne, Strack-Zimmermann vor Mikros in einem Bus, vor Mikros woanders, als Kind, als junge Frau auf dem Mofa, als Erwachsene auf dem Motorrad. Im Auto. Auf einer Fähre. Aaaahhhhh…
Die Sätze ihres äußeren inneren Monologs, der selbstkritisch daherkommen soll, kommen gegen die Reizüberflutung kaum an. Wer nicht schon beim zweiten Satz aus der Kurve geflogen ist, fliegt spätestens beim dritten. Aber Sprache braucht ja eh nur, wer sich mit Inhalten herumschlägt. Das Ende fühlt sich dann auch an wie das schmerzhafte Erwachen nach einer exzessiven Nacht, die eigentlich einmal sehr zuversichtlich begonnen hatte. (Volkan Ağar)
Auch für Deutschland!
Ein neues Produkt zur Stimmenanlage ist auf dem Markt: Da muss die Drücker:innenkolonne sich erst mal in die Arbeitskleidung, Kostüm und Anzug schmeißen und an der Tür klingeln: Schönen Guten Tag, wir kommen vom Bündnis Sahra Wagenknecht und sind seriös. Nicht minder praktisch-proper ist, dass als Wahlspot einfach der Wahlkampfauftakt zusammengeschnitten wird: ein halb leeres Auditorium, mit konzentriert mitschreibenden Journalist:innen (man wird ernst genommen) und anonymem Klatschen aus dem Hintergrund (man wird ersehnt).
Gehen tut es bei dieser Europawahl nicht nur um Europa, sondern „auch um Deutschland“, sagt Sahra Wagenknecht. „Auch um Deutschland“ ist auf jeden Fall erlaubter als „Alles für Deutschland“. Wenn dann Spitzenkandidat Thomas Geisel die Bühne betritt und sagt, „Europa wurde gegründet als Friedensprojekt“, dann rechnet man auch nur ganz kurz mit dem Versprechen, dass dieses Europa alles tun werde, um die von Putin überfallenen Menschen in der Ukraine zu beschützen – aber um die geht es natürlich nicht, es geht Geisel um uns, um die „europäischen Interessen in der Welt“; die laut BSW-Programm insbesondere darin liegen, Menschen auf der Flucht vor den Verhältnissen an den EU-Außengrenzen oder gleich in Drittländern festzusetzen.
Die eigentliche Frage beim Auftritt der Parteivorsitzenden Amira Mohamed Ali – Stichwort kaputte deutsche Infrastruktur – ist dann, ob die Fernbedienung funktioniert, um das Schaubild für „die große Frage“ einzublenden: „Abstieg oder Aufbruch?“ Das ist geschickt gesetzt. Denn dass wir uns im Abstieg befinden, ist die gemütliche Phrase, die bei geselligen Zusammenkünften in Deutschland immer dann fällt, wenn es darum geht, tatsächliche Veränderung um jeden Preis zu verhindern. Zum Schluss versichert Sahra Wagenknecht, dass das Bündnis Sahra Wagenknecht dafür einsteht, dass „in unserem Land endlich eine Alternative entsteht“ – endlich auch für Deutschland eben. (Ambros Waibel)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus