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Krieg in Darfur eskaliertWarnung vor Völkermord

Der UN-Sicherheitsrat konstatiert starken Anstieg ziviler Opfer in bewaffneten Konflikten. UN-Beauftragte schlägt für Sudans Westregion Darfur Alarm.

Ein Flüchtling aus Darfur in Tschad zeigt Bilder seiner ermordeten Angehörigen, Juli 2023 Foto: Zohra Bensemra / reuters

Berlin taz | Die gegenwärtige Lage ist von allen Anzeichen eines Völkermordrisikos gezeichnet, und es gibt belastbare Vorwürfe, dass dieses Verbrechen bereits begangen worden ist“: Mit dieser Beschreibung der Situation in Sudans Westregion Darfur hat die UN-Sonderbeauftragte für Völkermordprävention, Alice Wairimu Nderitu, am Dienstag bei den Vereinten Nationen Alarm geschlagen.

Anlass war eine für alle UN-Mitgliedsstaaten offene Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats über den Schutz von Zivilisten in bewaffneten Konflikten, mit dem entsprechenden UN-Jahresbericht als Vorlage. Das Dokument nennt die Lage von Zivilbevölkerungen in Konfliktgebieten weltweit im vergangenen Jahr „durch und durch düster“, mit einer Zunahme der bestätigten zivilen Toten um 72 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Hauptgrund dafür sei der Konflikt in Gaza – aber es gebe auch 219.000 Tote und Verwundete in der Demokratischen Republik Kongo sowie 12.260 Tote und 33.000 Verwundete in Sudan.

Die Eskalation des Krieges zwischen Sudans Regierungsarmee und der paramilitärischen Miliz RSF (Rapid Support Forces) bereitet derzeit am meisten Sorgen. Schätzungen zufolge sind in der Region Darfur bereits viel mehr Zivilisten getötet worden, als von der UN gezählt. Die Kämpfe fokussieren sich derzeit auf El Fasher, die einzige der fünf Provinzhauptstädte Darfurs unter Regierungskontrolle.

Beide Seiten treffen auch zivile Ziele

Beide Kriegsparteien sind in El Fasher präsent, die Regierung im Stadtzentrum und im Westen und Süden, die RSF im Norden und Osten. Die Stadt ist Zufluchtsort für Hunderttausende Kriegsflüchtlinge aus anderen Regionen; 1,8 Millionen Menschen drängeln sich in der Stadt und den riesigen Flüchtlingslagern drumherum.

Genozid passiert nicht über Nacht. Genozid ist Teil eines Prozesses

Alice Wairimu, UN-Beauftragte für die Prävention von Völkermord

Am 10. Mai begann die RSF, Armeepositionen in El Fasher zu bombardieren, worauf die Armee mit Luftangriffen auf RSF-Stellungen antwortete. Beide Seiten treffen dabei auch zivile Ziele. Das Hilfswerk Ärzte ohne Grenzen berichtete am Dienstag, in El Fashers einzigem noch funktionsfähigen Krankenhaus seien seit Beginn der Kämpfe 707 Verwundete eingeliefert worden; 85 von ihnen seien inzwischen gestorben.

Dass die RSF El Fashers die Zivilbevölkerung aufgerufen hat, sich „von Kampfzonen fernzuhalten“, und die Einrichtung „sicherer Korridore“ zur Flucht anbot, erscheint wie ein schlechter Witz. Sudanesische Beobachter verdächtigen die RSF, deren Vorgängermiliz Janjaweed vor 20 Jahren mutmaßlich Genozid an aufständischen Volksgruppen in Darfur verübte, erneut massive ethnische Säuberungen anzustreben.

Am Montag starben nach einem Bericht des Informationsdienstes „Darfur 24“ acht Menschen, als die RSF den zentralen Markt von El Fasher beschoss. Am Dienstag wurde das Vertriebenenlager Abu Shouk bombardiert. Am Sonntag waren RSF-gehaltene Stadtteile fast pausenlos von Sudans Luftwaffe bombardiert worden, meldete der unabhängige Radiosender Dabanga. Zivilisten seien auf der Flucht aus der Stadt. Gesicherte Versorgungswege gibt es nicht, ebenso wenig Strom und Wasser.

Beim UN-Sicherheitsrat monierte die kenianische UN-Sonderbeauftragte Alice Wairimu, anders als für den Einsatz von Kindersoldaten oder für sexualisierte Kriegsverbrechen gebe es für die Prävention von Völkermord keine jährliche UN-Bestandsaufnahme. Sie forderte, das zu ändern.

„Genozid passiert nicht über Nacht“, sagte sie. „Genozid ist Teil eines Prozesses, der gut geplant, vorbereitet und ausgeführt wird.“ Dies zeige sich aktuell in Sudan.

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13 Kommentare

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  • Na, dann werden wir doch sicherlich demnächst besetze Unis und pro-Darfur-Demos in ganz Europa sehen.

    Oder reicht der Platz nicht, weil schon überall Demos gegen den Genozid Chinas an den Uighuren laufen?

  • Globale Vergleiche sind in diesem Sektor "Menschenrechte und Humanität" immer problematisch, aber wer immer gegen ICC und Karim Khan polemisiert, der IStGH ist nicht einäugig.



    www.icc-cpi.int/ne...situation-darfur-1

  • Ein Völkermord wird beobachtet und niemanden interessiert es. Es gibt keine Solidaritätskundgebungen, Friedensaufrufe oder Campusbesetzungen. Klar, das Verbrechen geschieht irgendwo in Afrika - aber da ist ja dauernd irgend Krieg, da kann man halt nichts machen. Ich hoffe nur, dass nicht irgendwelche Geostrategen in der Bundesregierung wieder meinen, man müsste mal wieder die Bundeswehr in ein neues Abenteuer schicken.

  • "Hauptgrund dafür sei der Konflikt in Gaza – aber es gebe auch 219.000 Tote und Verwundete in der Demokratischen Republik Kongo sowie 12.260 Tote und 33.000 Verwundete in Sudan."

    Gibt es Anträge für Haftbefehle? Vorwürfe wegen Genozid?

    Camps auf den Campus der Unis weltweit? Demos? Offene Briefe? Aufrufe zum Boykott?

    Nichts, Rein gar nichts. Weil Israel nichts, rein gar nichts damit zu tun hat.

    Die postkolonialen Ideologen kennen keine Täter, die nicht weiß sind.

    • @Jim Hawkins:

      Und ein Nachfrage: Inwiefern sehen Sie bei den Konflikten beispielsweise im Kongo einen Zusammenhang mit dem Kolonialismus? Nur dann ist überhaupt die Kritik gerechtfertigt, dass postkoloniale Studien diese Konflikte zu wenig berücksichtigen.

      Die Schuster sollten bei ihren Leisten bleiben.

      Oder wollen, Sie dass alle sich mit allem beschäftigen? Sollen Forscher des Nationalsozialismus sich damit auch beschäftigen? Würden Sie bei Forschenden über den Nationalsozialismus auch den Satz "Ideologen der Nationalsozialismusforschung kennen keine Täter, die nicht weiß sind" raus hauen?

    • @Jim Hawkins:

      "Die postkolonialen Ideologen kennen keine Täter, die nicht weiß sind."

      Da bringen Sie aber einiges Durcheinander. Es ist der kolonialistische Blick, der diese Genozide unter den Teppich kehrt.

    • @Jim Hawkins:

      "Die postkolonialen Ideologen kennen keine Täter, die nicht weiß sind."



      Nur mal zur Info. Der Hauptakteur im aktuellen Konflikt im Kongo ist Ruanda, mit dessen Hilfe auch Deutschland sich seiner Flüchtlinge entledigen will. Der Sudan war auch Partner Europas In der Bekämpfung von Flüchtlingen und wurde finanziell unterstützt. Auch mutmaßliche Kriegsverbrecher. Da gibt es jede Menge "weiße Täter". Interessiert hier aber weder politisch, noch dem Großteil der Medien. Das nun postkolonialen Gruppen anzuhängen, (obwohl sie ungehört darauf aufmerksam machten), um ihren Protest gegen Israel zu deskreditieren und ihnen gar Rassismus gegen Weiße zu unterstellen, ist schäbig!

      • @Andreas J:

        Der ruandische Staat spielt eine wichtige Rolle. So einfach ist es aber nicht. Auch die FDLR, die Wazalendo und das kongolesische Militär, sowie weitere Gruppierungen begehen Kriegsverbrechen. Aber eigentlich bestätigen Sie doch den Beitrag von Jim Hawkins, Kongo und Sudan interessieren keinen. Uneinig sind Sie sich nur darüber, was der Grund für das Desinteresse ist. Von Rassismus gegen Weiße hat niemand gesprochen. Dass postkoloniale Theorien in ihrer Erklärung der Welt nicht mehr dem Zahn der Zeit entsprechen, sollte Ihnen aber nicht entgangen sein. Beim "Pro-Palästina-Lager", bei Campus-Protesten lässt sich aber eindeutig eine Durchdringung mit postkolonialer Theorie beobachten. Unter der Schablone sind gewisse Konflikte sichtbarer, andere weniger. Nichts anderes führt Jim Hawkins auf.

        • @Turban:

          Natürlich ist Postkolonialismus Thema. Das aber als Ideologie abzutun, die nur weiße als Täter kennt ist diskreditierend und abwertend, nur weil die Meinung einen nicht in den Kram passt. Da hilft auch kein Schönreden. Beschäftigt euch ernsthaft damit bevor ihr Urteilt.

    • @Jim Hawkins:

      Wir hatten in 2023 im April einen Monat in dem arabische Milizen im Südsudan mehr Zivilisten getötet haben, als es bisher Opfer in Gaza gab. Ich habe im TAZ-Archiv in dem Zeitraum genau 2 Artikel dazu gefunden. Es generiert eben weniger Klicks und 0 Kommentare wie jeder Beliebige der zig täglichen Israelartikel.

    • @Jim Hawkins:

      Der Vergleich hinkt. Der deutsche Staat hat deutlich mehr Einfluss auf das, was Israel tut, als das was im Sudan passiert. Deutschland liefert keine Waffen an den Sudan und stellt sich dort nicht bedingungslos hinter das Morden, sondern dagegen. Was genau man aus dem Sudan, einer periphären Neokolonialwirtschaft, wirksam boykottieren könnte, wüsste ich auch nicht. Die Proteste gegen Israel haben einen materiellen Zweck, der hier nicht gegeben ist.

      • @homonym:

        Und der Einfluss, den die BRD auf Israel hat, ist zumindest fraglich. Israel ist in keinem Maße abhängig von deutschen Waffen. Selbst die USA, von denen Israel auf vielen Ebenen abhängig ist, tut sich schwer seinen Einfluss auf die israelische Regierung und ihren Kurs in Gaza geltend zu machen. Kurz: Kritik am brutalen Vorgehen Israels in Gaza ist vollkommen berechtigt und angebracht. Die Vehemenz, mit welcher das durch bestimmte Gruppierungen geschieht und gleichzeitige Ignoranz anderer Konflikte, wo die Gemengelage vermeintlich nicht so gut in postkoloniale Denkmuster passt, ist jedoch offensichtlich und, wer das nicht sieht, will es nicht sehen.

      • @homonym:

        Das ist falsch. Deutschland hat zuletzt 2022 Waffenexporte in den Sudan genehmigt. Wie man in anderen Artikeln der TAZ lesen kann, ist der Sudan "vollgepumpt" mit deutschen Waffen. Auch mit der DR Kongo bestehen enge Beziehungen, der aktuelle Präsident Tshisekedi ist ein strategischer Verbündeter, auch, wenn es hier eher um wirtschaftliche Beziehungen geht. So bestätigt Ihr Kommentar ja den Beitrag von Jim Hawkins, der Kongo und Sudan interessieren einfach niemanden. Tod, Vertreibung und Genozid werden für die Region als normal angesehen. Warum der Palästina-Konflikt relativ gesehen so viel Aufmerksamkeit erhält, können Sie sich selber beantworten.