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Gericht urteilt über Palästina-DemosAntisemitismus nicht verboten

Ein Bremer Gericht erlaubt propalästinensische Demos mit gelockerten Auflagen. Der Slogan „Kindermörder Israel“ ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Unter strengen Auflagen erlaubt: Pro-palästinensische Kundgebung in Bremen im Oktober 2023 Foto: Markus Scholz/dpa

Hamburg taz | Die Bremer Justiz ist sich uneins bei der Bewertung propalästinensischer Kundgebungen. Nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts dürfen Demonstranten in den kommenden Wochen den Slogan „Kindermörder Israel“ verwenden und eine Karte Israels in palästinensischen Farben zeigen. Entsprechende Verbote des Ordnungsamtes hat das Verwaltungsgericht am Montag mit dem Hinweis auf das hohe Gewicht der Meinungsfreiheit im Eilverfahren für rechtswidrig erklärt (Az. 5 V 1013/24).

Das Verbot des Slogans „From the river to the sea – Palestine will be free“, welches das Verwaltungsgericht ebenfalls für rechtswidrig erklärt hatte, bleibt nun doch bestehen. Auf Beschwerde des Innensenators Ulrich Mäurer (SPD) setzte das Oberverwaltungsgericht (OVG) das Verbot am Dienstag wieder in Kraft.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts dürfte die bloße Verwendung dieser Parolen die öffentliche Sicherheit nicht beeinträchtigen. Inhaltlich seien sie durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die umfasse „auch Meinungen, die rassistisch, antisemitisch oder verfassungsfeindlicher Natur seien“. Nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist jedoch die Parole „From the river to the sea“ möglicherweise strafbar.

Wöchentliche Kundgebung geplant

Die propalästinensischen Kundgebungen sollen vom 2. Mai bis zum 13. Juni wöchentlich auf dem Bremer Grasmarkt stattfinden. Das Ordnungsamt hatte das mit der Auflage erlaubt, es dürften keine Kennzeichen von verbotenen Organisationen wie der Hamas gezeigt werden. Zudem seien Äußerungen verboten, die gegen Juden zum Hass aufstachelten.

Die Anmelder verwiesen auf die katastrophale Lage im Gazastreifen. Bei den israelischen Angriffen seien viele Zivilisten verletzt und getötet worden – auch Kinder. Das Verwaltungsgericht folgte diesem Hinweis: Der Ausspruch „Kindermörder Israel“ müsse nicht unbedingt mit dem Verschwörungsmythos assoziiert werden, wonach Juden Ritualmorde an Kindern begingen.

Im Oktober 2023 hatte das Verwaltungsgericht diesen Slogan sowie die Parole „From the river to the sea“ und das Ausmalen Israels mit palästinensischen Farben noch für problematisch gehalten und ein Verbot bestätigt. Dass es jetzt zu anderen Schlüssen gekommen ist, erklärt das Gericht mit dem zeitlichen Abstand. Der Nahost-Konflikt habe sich durch den israelischen Gegenangriff verändert. Deshalb könnten die Parole nicht mehr allein auf den Angriff der Hamas bezogen werden.

Das Verbot von „From the river to the sea“ rechtfertigt das OVG damit, dass die Parole ein Kennzeichen der Hamas sein könnte. Ob das so sei, könne zwar im Eilverfahren nicht geklärt werden. Anders als zuvor das Verwaltungsgericht entschied das OVG im Zweifel gegen die Demo-Anmelder.

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11 Kommentare

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  • 6G
    600539 (Profil gelöscht)

    Steckt doch alles schon im Titel



    „ Antisemitismus nicht verboten „ .

    Nein eine Demokratie muss eben nicht alles aushalten .



    Sondern auch liberale grunddemokratische Signale setzen , den Anfängen wehren .

    Und eben nicht so ein schreckliches mittelalterliches antisemitisches Ressentimment ( Juden Kindesmörder ) auch noch pushen .

    Ein gefundenes Fresssen für die Israelhasser , Terroristenversteher , Geschichtsverdreher , Schwurbler ..

    Nacher wenn das Kind dann in den Brunnen gefallen sind die Politiker, die Medien, die Masse ganz erstaunt und mokiert : Wie konnte sowas nur passieren ??

    Eben Genau so !

    Gutes Beispiel die nette Kalifats Demo in HH vor einer Woche ( die sich übrigens genauso vor einem Jahr an selber Stelle zutrug )



    .. aber wieder " Nein lassen wir sie mal , uns sind die Hände gebunden „



    Totschlagargument : Demokratie

    Welch Farce

    • @600539 (Profil gelöscht):

      "Und eben nicht so ein schreckliches mittelalterliches antisemitisches Ressentimment ( Juden Kindesmörder ) auch noch pushen."

      In dem Kontext habe ich eine Nachfrage, nicht speziell an Sie, aber vielleicht an die Allgemeinheit oder die taz-Redaktion: handelt es sich denn bei der (ekligen) Parole "Kindermörder Israel" tatsächlich um eine Bezugnahme auf die christlich-antijudaistische Gräuelpropaganda des Mittelalters? Ist das diskursanalytisch nachzuvollziehen?

      • 6G
        600539 (Profil gelöscht)
        @Kawabunga:

        JA , .. das denke ich definitiv !



        In anderem Gewand , oft kaschiert , modifiziert aber im Grunde das gleiche Gespenst , leider !



        Antijüdische Ressentiments halten sich seit biblischen Zeiten bis in die Gegenwart hartnäckig .

        de.wikipedia.org/w...mische_L%C3%A4nder

  • >So wie die Aufgabe des Gaza-Streifens gegen Frieden? Hat ja gut geklappt.<

    Ich erinnere mich noch an einen taz-Artikel über die Rettung von Tieren aus dem Gaza-Zoo. Der Gaza-Streifen ist im Prinzip ein riesiges Flüchtlingscamp. Die Menschen dort haben keine Perspektiven. Das ist sicher nicht nur Schuld der Israelis. Die Regelmäßige Zerstörung von Infrastrukturanlagen und die Begrenzung der wirtschaftlichen Entwicklung ist aber sicher Schuld der Israelis. Warum hat Gaza z.B. keinen Hafen?

    Schuld der Israelis ist aber sicher das Verhalten der Siedler im Westjordanland. Was hat ein israelischer Hirtenjunge mit seiner Herde im Westjordanland zu suchen?



    Man braucht ihn deswegen sicher nicht gleich umbringen - aber das sind doch vom Staat geduldete gezielte Siedler-Provokationen.

    Die teilweise rechtsextreme teilweise ultraorthodoxe Netanjahu-Regierung steht einer Verständigung mindestens genau so entgegen wie die Hamas-Kämpfer.

  • 4G
    42798 (Profil gelöscht)

    Die Gerichte beweisen wieder einmal, dass kein Verständnis dafür herrscht, wie Antisemitismus funktioniert. Wer erst von Antisemitismus spricht, nachdem Schüsse fallen, verharmlost nicht nur Ressentiments, sondern macht sich mit antisemitischem Gedankengut gemein – und wird so diskursiver Brandstifter.

  • Das ganze hat einen faden Beigeschmack. Einmischung der Politik in Justizangelegenheiten ist absolut unangemessen und widerspricht der Gewaltenteilung. Auch Proteshaltungen eines Regierungsmitglieds an einem Gerichtsurteil können schon eine Form der Beeinflussung sein. Den Protest hätte der Innensenator besser in seiner Funktion als Privatmann kundgetan.

    Rechtlich dürfte bei der Urteilsfindung des OVG das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Meinungsfreiheit Pate gestanden haben.

    Ob die Bezeichnung "Israel Kindermörder" dadurch gedeckt ist, wage ich zu bezweifeln und denke das andere Gerichte in Deutschland dieses anders beurteilen würden.

    Die Landkarte Israels mit palästinensischen Farben auszumalen ist dagegen ein unmissverständliches Statement und daher zu recht zu untersagen.

    Insgesamt eine traurige Entwicklung in Deutschland, wenn es nicht mehr möglich zu sein scheint eine Demonstration ohne Hassbotschaften auszurichten.

    Für die Unterstützung der Palästinenser zu demonstrieren ist ein hehres Anliegen, dieses quasi mit der Vernichtung eines anderen Staates zu verbinden deligitimiert die gesamte Sache. Leider!

    • @Sam Spade:

      >Vernichtung eines anderen Staates zu verbinden delegitimiert die gesamte Sache. Leider!<

      Die Existenz Israels ist zu recht deutsche Staatsräson.

      Das Existenzrecht eines palästinensischen Staats wird von Israel bestritten. Immer mehr besetzte Gebiete werden annektiert oder zumindest von Israelis besiedelt.

      Die Erwartungshaltung, dass die Palästinenser die eigene Entrechtung akzeptieren und die Besatzungsmacht als rechtmäßig anerkennen, liegt neben der Sache.

      Eine Anerkennung Israels durch die Palästinenser kann nur Zug um Zug gegen die Respektierung der Rechte der Palästinenser eingefordert werden.

      Leider.

      • @testen:

        "Das Existenzrecht eines palästinensischen Staats wird von Israel bestritten. "



        Wird es? Wie war das immer wieder mit den Teilungsplänen und Zwei-Staaten-Lösungen, die von Israel akzeptiert und von palästinensischer Seite grundsätzlich abgelehnt wurden? Wie war das mit der kompletten Überlassung des Gaza-Streifens an die Palästinenser?



        "Die Erwartungshaltung, dass die Palästinenser die eigene Entrechtung akzeptieren und die Besatzungsmacht als rechtmäßig anerkennen..."



        Ich frag mich immer noch, wer den Gaza-Streifen seit 2005 besetzt hielt...



        "Eine Anerkennung Israels durch die Palästinenser kann nur Zug um Zug gegen die Respektierung der Rechte der Palästinenser eingefordert werden."



        So wie die Aufgabe des Gaza-Streifens gegen Frieden? Hat ja gut geklappt.

        • @Encantado:

          Es wird bestritten. Dazu einfach mal die offiziellen Israelischen Reaktionen der letzen Jahren lesen, wenn die Palästinenser international irgendwo mehr Anerkennung gesucht haben.

  • Eine Demokratie hat dies auszuhalten. Und inhaltliche Auseinandersetzung bitte, Verbote, nein danke.

    • @Ernie:

      "Verbote, nein danke."



      Grundsätzlich richtig.



      Aber: Spielregeln der Auseinandersetzung müssen sein. Wer diese nicht einhält, muss mit Sanktionen rechnen, zu denen eben auch Verbote gehören können.



      Mal so ganz allgemein gesprochen.