Rassistischer Angriff in Sachsen: Mitten in Dresden, mitten am Tag
Beim Bummel durch die Innenstadt wird eine Schwarze Dresdnerin tätlich angegriffen. Der Fall zeigt auch, was sich seit den 90ern verändert hat.
An diesem Samstag im April kaufte die 60-Jährige also einen Blumenstrauß und bummelte noch etwas in der Innenstadt, um das warme Wetter zu genießen. Sie setzte sich auf eine Bank, legte die Blumen kurz neben sich ab und telefonierte mit einer Freundin – als sich plötzlich ein Mann vor sie stellte, ihr ins Gesicht schlug und sie rassistisch beleidigte.
Das berichtet Maria S. ein paar Tage später. Sie ist mit der taz zurückgekehrt zu jener Parkbank, stellt sich etwa 20 Zentimeter davor. „So nah stand er, zehn Minuten lang, ohne etwas zu sagen“, erzählt sie. Um sie herum schlendern Menschen mit Einkaufstüten über die Prager Straße.
So wie an jenem Samstag. Eine belebte Fußgängerzone, viele Geschäfte, keine Autos. Ein paar Jugendliche rasen mit Elektrorollern herum. Maria S. sagt, sie sei gern hier. Und sie will erzählen, was ihr passiert ist. Ihr Fall lässt erahnen, was sich in den vergangenen 30 Jahren in Sachsen verändert hat – und was noch nicht. Maria S. ist nicht ihr richtiger Name.
Unvermittelt schlug er zu
Als der Mann direkt vor ihr stehen blieb, drehte Maria S. zunächst den Kopf weg und telefonierte weiter. „Ich hatte Angst aufzustehen“, erklärt sie. Auf Portugiesisch schilderte sie ihrer Freundin am Telefon die bedrohliche Lage. Sie hoffte, der Mann würde einfach weggehen, wenn sie ihn ignorierte. So wie sie Beschimpfungen oft überging. Dass er alkoholisiert war, bemerkte sie zunächst nicht. So vergingen zehn Minuten. Dann schlug er unvermittelt zu. „Er hat gerufen: ‚Was hast du hier zu suchen, was willst du hier?‘ Im ersten Moment habe ich gar nicht verstanden, was er meint.“
Geschockt stand sie auf, das Handy weiter am Ohr. Als Schwarze Frau kannte sie es, dass Rassisten sie beleidigen. Aber zugeschlagen hatte schon lange keiner mehr. Doch der Täter holte nochmals aus. Ihr Handy fiel auf dem Boden, er trat drauf. In dem Moment zogen zwei Passanten den Angreifer zurück. „Wenn die zwei Männer nicht gewesen wären, ich weiß nicht, was noch geschehen wäre“, sagt Maria S. und schüttelt den Kopf. Wenig später nahm die Polizei den Täter fest.
Ein typischer Fall rassistischer Gewalt, meint Andrea Hübler. Sie ist Geschäftsführerin der Opferberatung RAA (Regionale Arbeitsstellen und Angebote für Bildung, Beratung und Demokratie) in Sachsen. „Mit so etwas haben wir leider täglich zu tun: Im öffentlichen Raum, unerwartet und alkoholisiert“, berichtet sie. 2023 zählte man in ganz Sachsen 248 rechtsmotivierte Übergriffe. Bei mehr als der Hälfte (129) war Rassismus das Motiv. Die Zahlen veröffentlichte die RAA Sachsen Mitte April. Der Fall von Maria S. wird erst in der nächsten Statistik auftauchen. „Wir gehen aber von vielen Fällen aus, die uns nicht bekannt sind“, sagt Hübler.
Wenn die Polizei von rassistischen Übergriffen berichtet, spielt Alkohol dabei häufig eine Rolle – wie beim Angriff auf Maria S. Nicht überraschend, findet Andrea Hübler: „Alkohol enthemmt. Aber das entschuldigt nichts.“ Auslöser seien neben der persönlichen Einstellung eher andere Faktoren, etwa eine zugespitzte öffentliche Debatte. Der Umgang mit Geflüchteten sei zum Beispiel so ein Thema, „das seit 2015 nie weg war“, sagt Hübler.
Rassisten fühlen sich bestärkt
Der Sachsen-Monitor 2023 zeigte zuletzt, dass rassistische und nationalistische Einstellungen in der Bevölkerung deutlich zugenommen haben. Laut der repräsentativen Studie stimmten zum Beispiel rund zwei Drittel (64 Prozent) der Befragten der Aussage zu, Deutschland sei in einem „gefährlichen Maß überfremdet“; 24 Prozentpunkte mehr als beim Sachsen-Monitor 2021/2022.
Wenn Betroffene von Rassismus negativ im öffentlichen Fokus stünden, fühlten sich Rassist:innen bestärkt. Auch die Wahlerfolge rechter Parteien hätten einen solchen Effekt. Unter diesen Umständen steige das Risiko für Gewalt, auch am helllichten Tage, auch in der Öffentlichkeit, erklärt Hübler.
Das eine sind eher spontane Übergriffe im Alltag, daneben beobachten die Opferberatungsstellen auch gezielte Angriffe von Neonazigruppen, die sich auch gegen Linke und andersdenkende Menschen richteten, mit dem Ziel, sie einzuschüchtern. Das zeige sich in den Landkreisen Görlitz und Zwickau, sowie ganz konkret „in Bautzen, wo Neonazis Jugendliche in einem Jugendklub umstellten und massiv bedrohten“, berichtet Hübler. Neonazigruppen hätten in den vergangenen Jahren wieder stärker Mitglieder in Sachsen rekrutiert – besonders Jugendliche.
Der Mann, der Maria S. angriff, war mit 53 Jahren schon älter, wenn auch nicht weniger aggressiv. Nach dem Angriff sei sie vor allem wütend gewesen, sagt Maria S. und zeigt auf die Prager Straße: Sie sei immer gern in die Fußgängerzone gegangen, ob zum Shoppen oder um Geburtstage ihrer Kinder in einer Pizzeria zu feiern. Aber: „Jetzt fühle ich mich nicht mehr sicher.“ Selbst die Blumen für Jorge Gomondai hat sie noch nicht zu seinem Gedenkstein gebracht.
Tödlicher Sturz aus der Straßenbahn
Gomondai kam 1981 als 18-jähriger Vertragsarbeiter in die DDR. Rund 17.000 Menschen verließen damals Mosambik für eine Ausbildung in Europa. Die DDR hatte einen entsprechenden Staatsvertrag mit Mosambik geschlossen. Am Ende mussten die mosambikanischen Arbeiter:innen oft die unbeliebten Jobs übernehmen, die SED-Diktatur behielt bis zu 60 Prozent ihres Lohns ein. Bis heute fordern Mosambikaner:innen von der Bundesregierung eine Entschädigung.
Bis zur Wende arbeitete Gomondai im Fleischkombinat Dresden, wie das Projekt gegenuns.de recherchiert hat. Danach verlor er zwar den Job, doch während die meisten anderen Vertragsarbeiter:innen abgeschoben wurden, versuchte er in Deutschland zu bleiben.
Am 31. März 1991 stiegen erst er, dann eine Gruppe Neonazis in dieselbe Straßenbahn. Unklar ist, ob er aus der fahrenden Bahn gestoßen wurde oder versuchte, vor den Neonazis zu fliehen. Aber den schweren Verletzungen des Sturzes erlag er am 6. April 1991.
Maria S. kannte Gomondai und besuchte zwei Tage nach seinem Tod den Gedenkgottesdienst in Dresden. „Als wir aus der Kirche kamen, warteten da viele. Und die schrien nur: ‚Ausländer raus, Ausländer raus.‘“ Die Neonazis im Alltag seien damals sehr bedrohlich für Schwarze gewesen. „1991 war die Zeit, in der Wohnheime von Migranten angegriffen wurden und es viel Brandstiftung gab“, erzählt sie. Auch Maria S. erlebte Angriffe. Die Polizei habe nie geholfen.
Maria S. über die Polizei
In den Jahren danach habe Maria S. vor allem verbale Attacken erlebt. Selbst wenn sie später mit ihren drei Kindern unterwegs war, seien sie rassistisch beleidigt worden. „Einmal in der Straßenbahn hat ein Mann gesagt: ‚Es stinkt hier.‘ Darauf hat mein Sohn gesagt, ‚Hättest du deinen Mund nicht aufgemacht, dann hätte es auch nicht gestunken.‘ Da war der Mann baff“, erzählt Maria S. und lächelt stolz.
Sie fühlte sich zum ersten Mal ernst genommen
Die schlechte Erfahrung mit der Polizei prägt sie bis heute. Auch am 6. April, nachdem der Mann sie auf der Prager Straße geschlagen hatte, wollte sie die Beamten nicht rufen. „Der war ja weg. Dann hätte ich in sechs Monaten ein Schreiben bekommen, dass die Ermittlungen eingestellt werden, weil der Täter nicht gefunden wurde“, erklärt sie.
Doch dann sei der Mann wiedergekommen und sie habe doch die Polizei gerufen. „Das war das erste Mal, dass sie meinen Fall richtig aufgenommen haben.“ Sie habe sich ernst genommen gefühlt – eine gute Erfahrung, sagt sie. Später hätten sie noch zwei Polizisten nach Hause begleitet, ihr Beratungsangebote empfohlen und weitere Hilfe angeboten.
Das freut auch Andrea Hübler. Das sei noch nicht selbstverständlich, obwohl sich das Problembewusstsein der Polizei spürbar verändert habe. Mittlerweile sei die Polizei auch verpflichtet, auf Beratungsangebote hinzuweisen. „Da wurde mit Gesetzen nachgebessert und auf Grundlage von EU-Richtlinien wurden Opferrechte gestärkt“, sagt Hübler.
Maria S. habe zudem Glück mit ihrem Umfeld, erzählt sie. Ihre Kinder unterstützen sie, ein Sohn holt sie nun nach der Arbeit ab, damit sie nicht allein mit der Straßenbahn fahren muss. Auch ihre Chefin habe bereits angeboten, sie könne sie nach Hause fahren. „Sie hatte davon in den Nachrichten gelesen. Viele Kollegen von mir haben gefragt, wie es mir geht und auch Hilfe angeboten.“
Ihre Tochter macht sich allerdings Sorgen. Sie ist in Dresden aufgewachsen, arbeitet heute in Köln. Dort erlebe sie weniger Rassismus. Gerade jetzt, vor der Landtagswahl in Sachsen, wo die AfD in Umfragen konstant über 30 Prozent liegt, wünsche die Tochter sich, dass ihre Mutter wegzieht. Doch Maria S. möchte nicht weg aus Dresden. „Ich verstehe mich so gut mit meinen Freunden, den Nachbarn, den Kollegen. Das sind so gute Leute. Die würde ich woanders nicht finden. Ich liebe Dresden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Folgen des Koalitionsbruchs
Demokraten sind nicht doof – hoffentlich
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal