piwik no script img

Kein Antifaschismus in der RAIWas Meloni nicht hören will

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Italiens Ministerpräsidentin möchte nicht an den Faschismus erinnert werden. Der Schriftsteller Antonio Scurati hat das nun zu spüren bekommen.

Meloni tritt gern im staatlichen Fernsehen auf. Soll es etwa nur ihr gehören? Foto: Tania/Contrasto/laif

I rgendwann kurz nach 20 Uhr, am letzten Samstagabend, tritt Antonio Scurati vor die Kamera, spricht seinen kurzen Monolog zum 25. April, dem „Tag der Befreiung“, an dem Italien jedes Jahr den Aufstand der Partisanen, die endgültige Niederlage der deutschen Nazi-Besatzer und ihrer faschistischen Komplizen unter Benito Mussolini im Jahr 1945 feiert.

So war es geplant. Doch nein, Scurati trat nicht vor die Kamera des Polit-Talks „Che sarà“, der auf dem dritten Kanal des Staatssenders Rai ausgestrahlt wird. Kurzerhand war er ausgeladen worden, waren seine Worte zum Faschismus nicht mehr gefragt: die Worte des Erfolgsautors der Trilogie „M.“, in der er den Bogen vom Aufstieg Mussolinis in den frühen 20er Jahren bis zum Eintritt Italiens in den Zweiten Weltkrieg schlägt.

Auch am Samstag wollte Scurati wieder einen Bogen schlagen, vom Mussolini-Faschismus zur heute amtierenden Regierung der Postfaschistin Giorgia Meloni. Sein Text hob an mit der Ermordung des sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti durch Duce-Schergen in Rom, im Jahr 1924, vor akkurat 100 Jahren, und er fuhr fort mit der Erinnerung an das Massaker im März 1944, dem in Rom 335 Zivilisten zum Opfer fielen, gerichtet von den Nazis als Rache für einen Partisanenanschlag, der 33 deutsche Soldaten das Leben gekostet hatte.

Es war nur eines der zahlreichen von deutscher Hand, doch unter Mithilfe der italienischen Faschisten verübten Massaker, die 1944 auf italienischem Boden stattfanden. Immer, so Scurati, von seinen frühen bis zu den späten Jahren, sei der Mussolini-Faschismus „während seiner ganzen Geschichte ein unheilbares Phänomen systematischer mörderischer politischer Gewalt“ gewesen.

„Neofaschistische Herkunftskultur“

An diese Feststellung wollte der Schriftsteller eine Frage knüpfen, die ihn dann wahrscheinlich den Auftritt in der Samstagssendung kostete: „Wollen die Erben jener Geschichte dies endlich einmal anerkennen?“ Und dann geht er mit Ministerpräsidentin Meloni ins Gericht, die versuche, „die Geschichte umzuschreiben“, die „ihrer neofaschistischen Herkunftskultur“ treu bleibe.

Bloß zu „den einfach nicht zu verteidigenden Schreckenstaten (der Judenverfolgung)“ sei Meloni auf Distanz gegangen, ansonsten lade sie alle Untaten bei den deutschen Nazis ab, statt auch von der Komplizenschaft des italienischen Faschismus zu reden. Und sie schaffe es einfach nicht, auch nicht am 25. April, auch nur einmal das Wort „Antifaschismus“ in den Mund zu nehmen.

Scurati trifft da den Kern der Erinnerungs- oder besser gesagt der Amnesiepolitik Melonis und ihrer Partei Fratelli d’Italia. Schon in ihrer Antrittsrede als Ministerpräsidentin im Oktober 2022 – nur drei Tage vor dem 100. Jahrestag von Mussolinis Marsch auf Rom, den sie mit keinem Wort erwähnte – hatte sie zwar die Rassegesetze von 1938 gegeißelt; doch weder damals noch auch bei anderen Gelegenheiten gelang es ihr, den banalen Schluss zu ziehen, dass zu einem Verbrechen auch ein Verbrecher gehört: Über Mussolini ist Meloni nie ein böses Wort über die Lippen gekommen.

Der „Aktivist“ hat Redebedarf

Dass jetzt aber Scurati mit bösen Worten über den Duce auf Sendung gehen wollte, versetzte offenkundig einige Meloni-Getreue im Rai-Management in helle Aufregung. Erst am Samstagnachmittag erfuhr die Moderatorin des Polit-Talks, Serena Bortone, dass der von ihr eingeladene Gast nicht kommen werde. Bortone machte den Vorfall sofort mit einem Instagram-Post öffentlich und fügte hinzu, sie habe aus dem Management keine plausible Begründung für die Ausladung erhalten.

Die kam dann, auch wenn sie nicht besonders plausibel war, von dem für die Programmplanung von Informationssendungen Verantwortlichen Paolo Corsini. Corsini war im letzten Dezember aufgefallen, nicht nur weil er bei der Großveranstaltung „Atreju“ der Meloni-Partei als Moderator aufgetreten war, sondern weil er dort penetrant von „unserer Partei“ und von sich selbst als deren „Aktivist“ geredet hatte.

Der „Aktivist“ hatte jetzt mitzuteilen, Scurati habe mit 1.800 Euro ein zu hohes Honorar verlangt. Dumm nur, dass sich die Rai mit dem Schriftsteller derweil auf ein Honorar von 1.500 Euro geeinigt hatte – ein Salär, das zuvor auch anderen in der Sendung präsenten Autoren gezahlt worden war. Dumm auch, dass es in einer internen Mail der Rai heißt, Scurati sei „aus verlegerischen Gründen“ gecancelt worden.

„Meine Gedanken zum Schweigen bringen“

Quasi in Echtzeit brach deshalb am Samstagnachmittag ein Sturm der Entrüstung über Italien herein. Zahlreiche Websites posteten Scuratis Text, im Fernsehen verlas ihn nicht nur die Moderatorin Bortone; auch in einer anderen Sendung des TV-Privatkanals La7 wurde der Text rezitiert.

Und selbst Giorgia Meloni persönlich postete ihn schließlich auf Facebook, um zu unterstreichen, dass ihr Zensur völlig fernliege. Doch als geübte Postfaschistin mochte sie in der üblichen Opfermanier einfach nicht auf die Frontalattacke gegen die Linke und Scurati verzichten. Die Linke, behauptet die Regierungschefin, „bauscht auch heute einen Fall auf“, „die Rai antwortet, dass sie es einfach abgelehnt hat, für eine Minute Monolog 1.800 Euro (das Monatsgehalt vieler Arbeitnehmer) zu zahlen“.

Scurati erwiderte umgehend, auch dieser Meloni-Post sei eine „verleumderische Aggression“, denn er sei nicht des Geldes wegen ausgeladen worden, sondern weil es darum ging, „meine Gedanken zu Faschismus und Postfaschismus zum Schweigen zu bringen“.

Wenigstens dieses Ziel haben Melonis Schildknappen in der Rai nicht erreicht. Der Akt der Zensur wurde zum Aufmacher in allen Medien, und Scuratis Monolog wurde hunderte Male publiziert.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Vielleicht hätte man in diesem Zusammenhang auch erwähnen können, dass sich die Rechte - in diesem Fall hauptsächlich Politiker der Lega - inzwischen auch in die Vergabe des wichtigsten Literaturpreises einmischen, weil ihnen der antifaschistische Roman einer nominierten Autorin, Valentina Mira, nicht passt.



    Diese erhält inzwischen u.a. Morddrohungen.

  • Nur der Vollstaendigkeit halber:

    Der Effekt, dass ein Loesch- oder Leugnungsversuch die Verbreitung nur verstaerkt, wird als "Streisand-Effekt" bezeichnet. Siehe de.wikipedia.org/wiki/Streisand-Effekt



    Der Artikel enthaelt zahlreiche Beispiele. Aber anscheinend lesen Spindoktoren nicht Wikipedia...

  • Der Vollständigkeit halber sollte man allerdings erwähnen, dass das Interesse an einer Aufarbeitung des Faschismus nicht nur bei den Postfaschisten äußerst gering ist, sondern insgesamt kennzeichnend für große Teile der italienischen Gesellschaft.

    Bereits 1946 hat die italienische Regierung ein sehr großzügiges und großzügig gehandhabtes Amnestiegesetz erlassen, die sog. Amnistia Togliatti. Benannt nach dem damaligen Justizminister Palmiro Togliatti, 1947-1964 Generalsektretär des PCI. Die italienische Amnesiepolitik hat hier begonnen.

    • @Schalamow:

      "Die italienische Amnesiepolitik hat hier begonnen."

      Man muss sie aber doch nicht noch heute so weiterführen oder sogar noch verschärfen.

      • @BrendanB:

        Nö, das wollte ich mit meinem Kommentar auch nicht sagen.

  • Dieser Geschichts-Revisionismus in Italien entspricht dem, was Herr Höcke und seine rechten Genossen der AfD bei einem Machterhalt bei uns vorhaben - siehe Höckes Äußerungen.