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Kindergrundsicherung droht AusMehr Pragmatismus, bitte

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Kindergrundsicherung steht auf der Kippe. Mit einfacheren Mitteln könnte der Zugang zu Sozialleistungen für Kinder erleichtert werden.

Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im Bundestag Foto: Kay Nietfeld/dpa

D ie Kindergrundsicherung steht auf der Kippe. Das sollte nicht sein, denn irgendwas muss kommen, um die Lebenssituation von Kindern in armen Familien zu verbessern. Es sind kinderreiche, oft arme Familien, die uns demografisch gesehen die Zukunft retten werden in Deutschland.

Die sogenannte Kindergrundsicherung, so wie sie als Gesetzentwurf aus dem Hause der Grünen-Familienministerin Lisa Paus kommt, ist aber zu aufwendig im Umbau der Verwaltung. Der Entwurf muss geändert werden. Die Proteste, die sich an Paus richten, sind berechtigt, seitdem sie angekündigt hat, 5.000 zusätzliche Stellen schaffen zu müssen für die neuen Familienservicestellen.

Bei diesen Servicestellen sollen Eltern dann die Kindergrundsicherung beantragen, die aus zwei Komponenten besteht: Einmal soll ein „Garantiebetrag“ das bisherige Kindergeld ablösen. Zum Zweiten soll ein „Zusatzbetrag“ dann statt des bisherigen Kinderzuschlags oder des Bürgergelds geringverdienenden oder armen Familien zugutekommen. Die zweite Komponente ist abhängig von Bedarf und Einkommen der Familie.

Das heißt, die Eltern müssen weiterhin Anträge stellen, in denen sie ihre Wohnkosten angeben, ihr womöglich wechselndes Arbeitseinkommen, eventuelle Unterhaltszahlungen Dritter. Eine automatische Auszahlung der Leistung durch den Staat wird es nicht geben. Für Eltern im Bürgergeldbezug wären zudem weiterhin die Jobcenter zuständig, zu Recht wird daher vor „Doppelstrukturen“ in der Familienförderung gewarnt.

Einfachere Zugänge

Könnte man nicht auf einfachere Weise den Zugang zu Sozialleistungen erleichtern, was ja von der Familienministerin als ein Hauptmotiv für die Kindergrundsicherung genannt wird? Für den Kinderzuschlag zum Beispiel gibt es bereits den „Kiz-Lotsen“, eine Website der Arbeitsagentur, mit deren Hilfe Eltern schnell herausfinden, ob eventuell ein Anspruch auf diese Leistung besteht. Man sollte solche „Kiz-Lotsen“ auch in anderen Sprachen einrichten als nur in Deutsch und Englisch. Mehr fremdsprachige Formulare und entsprechendes Beratungspersonal für die Antragstellungen in den Jobcentern und bei den bisherigen Familienkassen der Bundesarbeitsagentur wären ebenfalls hilfreich.

Mit dem für die Kindergrundsicherung vorgesehenen Geld bliebe dann womöglich noch etwas übrig für Verbesserungen beim Bürgergeld für Kinder oder etwa die Förderung von Nachhilfe. All dies wäre dann allerdings eher ein „Kinderförderungs-Verbesserungs-Gesetz“ als die versprochene Kindergrundsicherung für alle. Tja. Ein falsches Versprechen, ein Markenname darf aber nicht zur Bürde werden. Jetzt müssen Prag­ma­ti­ke­r:in­nen ran.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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20 Kommentare

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  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen pro Person definieren und einführen, und schon wäre das Problem gelöst. Das scheitert nicht am "Geld", sondern an unserer Neidkultur, wo man dem anderen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnt, aber Superreiche bewundert, die Steuern "sparen", wo sie nur können.

  • >> "Es sind kinderreiche, oft arme Familien, die uns demografisch gesehen die Zukunft retten werden in Deutschland."

    Richtig. Und damit dies auch geschieht, ist in die Bildung der Nachkommen aller zu investieren und nicht in das bildungsferne Auskommen von Kindererzeugenden.

    • @Koch:

      „…das bildungsferne Auskommen von Kindererzeugenden“

      Ihr Kommentar hat für mich etwas Beängstigendes. Selbst wenn ich berücksichtige, dass sozialpolitische Gedanken ernst zu nehmen sind, die für arme Kinder armer Eltern zuerst eine frei zugängliche Infrastruktur fordern, die sie in allen Bereichen in ihrer Entwicklung unterstützt.

      Da muss dann aber schon gefragt werden: Kann dabei das „Auskommen“ der Eltern, zumindest mit Beginn der Schulpflicht ihrer zahlreichen Kinder, außer Acht gelassen werden? Oder werden die wenn schon nicht von der Gesellschaft, dann doch "wenigstens" von den Kindern noch dringend gebraucht? Ist das gar nichts wert? Ach so, die Kita. Oder besser gleich nach der Geburt die Kinder zur Adoption frei geben?

      Interessant in diesem Zusammenhang der Taz-Artikel:

      *Programm für mehr Bildungsgerechtigkeit: Ampel beendet Gießkanne. Im Bundestag wird über das Startchancen-Programm diskutiert. Die einen sehen darin einen riesigen Erfolg, den anderen geht es nicht weit genug.*

      taz.de/Programm-fu...htigkeit/!6004052/

      „Vor gut zwei Monaten hatten sich Bund und Länder auf das 20-Milliarden-schwere Startchancen-Programm geeinigt. Das Geld geht an ausgewählte Schulen, teils zur Finanzierung baulicher Maßnahmen, teils aber auch zur freien Verfügung. Ein Chancenbudget soll außerdem genutzt werden können, um mehr Personal einzustellen, besonders im Bereich Schulsozialarbeit. Ziel ist mehr Bildungsungerechtigkeit vor allem an sogenannten Brennpunktschulen.“

      Man kommt halt um diese vermaledeite Armut nicht Drumherum.

    • @Koch:

      "... und nicht in das bildungsferne Auskommen von Kindererzeugenden."

      Was soll das denn bedeuten?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Koch meint sicher nicht bildungsfernes Auskommen was es sicher auch gibt, sondern bildungsferne Kindererzeugende. Ein Problem im Satzbau, so ist anzunehmen. Kurzum: Formulierung eines diskriminierenden Stereotyps.

        • @Tom Farmer:

          Der Satzbau ist nicht das Problem.

          "...bildungsferne Kindererzeugende..."

          ist das Problem. Was oder wer soll das bitte sein? Ist das eine neue Wortschöpfung zur Diffamierung von Eltern?

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Nein, das ist vermutlich so eine Kellerfaschisten-Hundepfeife. Soll wohl "Arme und Ausländer und so" implizieren.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Sie ist der Formulierung nach eine neu. Ihrer Art nach ist sie zumindest so alt wie Hartz 4. Bei der ja andauernden Debatte um die Armutsbekämpfung, zielte sie im politischen Sprechen der Akteure darauf, möglichst eine Trennung herzustellen in der Bewertung der Situation der armen Eltern in H4 und deren armen Kindern in den Bedarfsgemeinschaften. Einerseits konnten Forderungen nach Erhöhung der Regelsätze abgewehrt werden mit dem Argument, weil die „Hartz-Eltern“ dieses Geld für Alkohol, Zigaretten und Unterhaltungselektronik ausgeben würden. Andererseits konnte Armutskritik dadurch abgewehrt werden, dass man öffentlichkeitswirksam die Kinder der Bedarfsgemeinschaften „in Schutz“ nahm und sich sozialpolitisch profilieren konnte: Arbeitsministerin von der Leyen „bewilligte“ das „Bildungspaket“, eine Zusatzleistung für die Kinder. Sos sehr der Steuerzahlerbürger auch über die „Hartzer“ murrte – mit der Hilfe für KINDER waren die allermeisten einverstanden. Auch die, das Geld statt bei faulen Eltern in der Bildungsinfrastruktur sehen wollten. Es gibt weitere Beispiele.

            Die Idee der Kindergrundsicherung dürfte älter sein als Hartz IV. Aber die Grünen sich davon zu distanzieren begannen, bot sich, in der nachträglichen „Analyse“ gesehen, deshalb von der eben genannten doppelgesichtigen Politik her an, sich zumindest für die armen Kinder soz.pol. stark zu machen. Und das, was die Idee angeht, mit guten Argumenten. Die „KG“ hätte als solche alle Kinder, auch die Hartz IV, umfasst, was den Maßstab bildete. Ihre Berechnungsgrundlage wäre, weil auch institutionell getrennt, zumindest etwas einer manchmal perfide zu nennenden Armutspolitik wie oben entzogen worden und hätte ein sichereres Fundament bekommen.



            Formulierungen wie hier vorgefunden, bleiben aber quicklebendig. Wenn es gilt, an sich erst mal anzuhörende Argumente für „weniger Geld für armen Kinder, mehr für ihre Infrastruktur“ zu untermauern. Denn die Eltern als Finanzverwalter…siehe oben u. Kommentar.

  • Weg mit der Giesskanne. Kitas kostenfrei für alle, mit Verpflegung. Schafft Entlastung für die Eltern und es könnten mehr Arbeiten.

    • @Stoffel:

      Pardon, abee "kostenfrei für alle", genau das ist "Gießkanne".



      Kostenveiträge, nach Einkommen gestaffelt - das wäre "weg mit der Gießkanne". Ist aber nicht so populär.

    • @Stoffel:

      Wenn es genug Erzieherinnen* gibt/gäbe. Wartezeiten auch in RLP, wo der Kitaplatz schon seit über 10 Jahren ab 2. Geburtstag kostenfrei ist.

  • Ganz genau so, Frau Dribbusch! Ich komme aus der Verwunderung über Frau Paus in dieser Sache nicht heraus - sie ist doch eigentlich erfahren genug, sich nicht so zu verstolpern.

    Man wird den Eindruck nicht los, dass auf Biegen und Brechen eine dem Familienministerium nachgeordnete Behörde geschaffen werden sollte. Weil dieses in einer kommenden Schwarz-Grïnen Regierung weiterhin grün bleiben dürfte, wohingegen das Arbeitsministerium/ / dir BA wohl wie gewohnt rot / schwarz bleiben (und zum umfärben zu groß sind)

  • 》Ein falsches Versprechen, ein Markenname darf aber nicht zur Bürde werden. Jetzt müssen Prag­ma­ti­ke­r:in­nen ran.《

    Nach allem, was ich inzwischen dazu gelesen habe, geht es im Kern gar nicht um sehr viel mehr als den Markennamen, mehr um ein Label.

    Welche Behörde nämlich das Geld für die Kindergrundsicherung auszahlt - es soll eben nicht auch das Jobcenter sein, auch wenn es wohl weiter die Eltern wären, denen das Geld ausgezahlt wird.

    Dass es dann noch Krach um die zusätzlichen 5000 Stellen gegeben hat, die erst fachgerecht von der Bundesagentur für Arbeit ermittelt worden sind, der dann aber Grünen-Parteichefin Lang mit einer Art 'Paperlapap, so viele werden es gar nicht' über den Mund gefahren wurde m.faz.net/aktuell/...unen-19639523.html , macht das Ganze auch nicht gerade seriöser...

  • Der Kinderzuschlag (künftig umbenannt in Kindergrundsicherung) für Familien mit Einkommen an der Grenze zum Bürgergeld ist schon jetzt ein Irrsinn. Bei drei Stellen (Wohngeldamt, Familienkasse, Jobcenter) sind dafür jeweils Anträge mit umfangreichen Nachweisen zu stellen, die Bearbeitung dauert Monate. Das Hauptproblem ist, dass jede der drei Behörden möglichst erst die Bescheide der andern beiden Stellen sehen will...

    Anspruch und Berechnung sind kaum nachvollziehbar, da dafür alle drei Sozialleistungen berechnet und miteinander abgeglichen werden müssen. Anders als beim Wohngeld gibt es daher aus gutem Grund auch keinen amtlichen Kinderzuschlagsrechner. Auch eine bessere Information kann das Problem mnicht reparieren.

    Die Weiterentwicklung des Kinderzuschlags zur Kindergrundsicherung ist daher von vornherein ein Fehlkonstrukt. Das hat auch die zuständige Abteilungsleiterin Vollmer im BMFSFJ erkannt und ihre Stelle dort verlassen



    www.tagesspiegel.d...idee-11480954.html

    Sinnvoller wäre es, stattdessen im bestehenden System das Kindergeld und den Kinderregelsatz zu erhöhen. Und den Unterhaltsvorschuss zu verbessern durch Abzug nur des halben statt des ganzen Kindergeldes und den Anspruch auf alle unterhaltsberechtigten Kinder auszuweiten auch über 18 Jahre, beides wie beim Mindestunterhalt.

    Und im Gegenzug die staatliche Förderung der Hausfrauenehe durch das Ehegattensplittung abzuschaffen. Dazu immer noch aktuell ein Beitrag von Frau Vollmer: library.fes.de/gmh.../2004-07-a-427.pdf

    • @stadtlandmensch:

      Danke für Verlinkung zu Artikel Tagesspiegel!

      Der stand bei mir zwar mal unter Bezahlschranke, dann wieder nicht.



      Man kann aber weitere Artikel dazu schnell per Suchmachine finden.

    • @stadtlandmensch:

      Deshalb sollten die Leistungen ja ursprünglich an einer Stelle zusammengefasst werden. Aber offensichtlich ist Frau Paus damit überfordert, einen praktikablen Vorschlag zu machen, der Bürokratie für Familien und den Staat verringert. Sie will die Bürokratie noch verstärken.

  • Falscher Ansatz



    Wenn man "Kinder Grund sichern" will, dann sollte man zuerst Kitas und Schulen wieder auf Vordermann bringen, Lehrmaterial und Inventar modernisieren, Lehrer(innen) und Kita-Kräfte dauerhaft und genügend einstellen, den Schulbus kostenlos machen, ein kostenloses Mittagsessen und Nachmittagsbetreuung inklusive Nachhilfe anbieten, mittels Sozialmitarbeitern dafür sorgen, dass Schulhöfe keine Orte für Schlägereien und Kriminalität mehr sind und der Unterricht nicht dauern ausfällt, sondern so sicher ist, dass die Eltern auch wieder arbeiten gehen können.



    All dies entlastet die Eltern finanziell und Arbeitstechnisch mehr als einfach mal wieder nur Geld mit der Gießkanne zu verteilen und hilft den Kindern eine Qualifikation zu erreichen, welchen ihnen später eine Armut erspart.



    Es ist eine der ganz wenigen Dinge, wo ich weitere 100 Milliarden Schulden (beschönigt "Sondervermögen") akzeptieren könnte. Aber kein Euro in Pauls Murkspläne, welchen wieder nur den Beamtenapparat aufbläht. Denn ihre neuen Beamten kommen den Kindern nicht zu Gute, Lehrer(innen) schon.

    • @Rudi Hamm:

      Alles was Sie aufzählen muss geschehen. Zusätzlich zur vernünftigen finanziellen Absicherung von Familien mit Kindern.

      Es handelt sich um zwei Säulen der gleichen Sache. Nur eine zu errichten, bringt nicht viel. Leider beschäftigen sich die verantwortlichen Politiker in Regierung und Opposition damit, beide Säulen gegeneinander auszuspielen.

      Das produziert Stillstand und bewirkt garnichts.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Vollkommen richtig dargestellt! Nur ist der Ansatz der sogenannten "Kindergrundsicherung" vollkommen in der derzeitigen Form vollkommen ungeeignet und bedarf der pragmatischen Besserung. Daneben - und nicht statt dessen - ist ein Ausbau der Bildung notwendig. Zumindest im letztgenannten Punkt ist die Ampel auf einem guten Weg.

  • "Tja. Ein falsches Versprechen, ein Markenname darf aber nicht zur Bürde werden."

    Das nenne ich doch mal einen guten Ansatz (!) Ich glaube nur nicht, dass ein solcher pragmatischen Ansatz noch in dieser Legislaturperiode kommt. Dafür haben wir derzeit einfach die falsche Ministerin.