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Foto: Maurice Kohl/plainpicture

Süchtig nach KetaminEin ziemlich neues Leben

Das Narkotikum Ketamin wird als Droge auf den Clubtoiletten gehandelt. Unser Autor war erst fasziniert, dann abhängig. Die Geschichte einer Rettung.

E s ist frühmorgens, Heiligabend 2022. In zwei Stunden fährt der Zug zu meiner Familie, die Tasche ist fertig gepackt, meine Tüte mit Geschenken vorbereitet, es kann losgehen. Ich habe mir vorgenommen, meine Drogen zu Hause zu lassen. Dann plötzlich: Herzklopfen, Panik. Schaffe ich das, unbewaffnet in die Heimat, zu all den alten Gefühlen, Konflikten, dem Unausgesprochenen? Ich fange an zu schwitzen, Gedanken rasen in meinem Kopf. Zeit für eine dicke Line Ketamin. Ich entspanne, setze mich auf die Couch. Und verpasse meinen Zug.

Erst als mein Vater mich eigentlich schon am Heimatbahnhof abholen sollte, traue ich mich zu schreiben, dass ich es nicht geschafft habe. Per Whatsapp sage ich ab, schiebe es auf meine fehlende Energie wegen arbeitsintensiver Tage, wegen psychischer Erschöpfung – nur von meinem Drogenproblem, dem eigentlichen Grund, schreibe ich nichts.

Dabei bin ich zu diesem Zeitpunkt längst schwer abhängig von Ketamin, einem Narkosemittel, das weltliche Gefühle betäubt, die Seele auf einen Trip durchs Universum mitnimmt und schließlich zum Ich-Verlust führt. Körper und Geist entfernen sich je nach Dosis immer weiter voneinander. Im extremen Fall fühlt es sich an, als habe sich der eigene Körper aufgelöst und der Geist rase durch das Weltall, heimgesucht von einem Meteoritenschauer aus Erkenntnissen über existenzielle Zusammenhänge.

Vertieft im Keta-Rausch hat eine Freundin von mir zwei Stunden auf meinem Badezimmerboden gesessen und mit ihrer toten Mutter gesprochen. Danach konnte sie mit diesem traumatischen Verlust abschließen. Eine andere Freundin kam im K-Hole zu der Erkenntnis, dass der frühe Tod ihrer Schwester die Wurzel ihrer Depression ist. Und auch ich hatte während eines Trips das Gefühl, „telepathisch“ mit meinen biologischen Eltern, die ich nie kennengelernt habe, zu kommunizieren.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Doch mit der Zeit hat sich die Droge für mich zu einem Dämon entwickelt. Und deshalb sitze ich an diesem Heiligabend einfach weiter auf meiner Couch in Berlin und trippe vor mich hin, statt bei meiner Adoptivfamilie zu sein. Es sind Momente wie diese, in denen ich aus meinen Rauschträumen aufwache und erkenne: Nichts ist okay.

Deshalb schreibe ich diesen Text auch unter Pseudonym. Ketamin hätte fast mein Leben ruiniert und ich möchte nicht, dass mein neuer Arbeitgeber weiß, dass ich bis vor Kurzem süchtig danach gewesen bin.

Kristalline Parallelwelten

„Pferdebetäubungsmittel“ – unter diesem Spitznamen ist Ketamin zum Superstar auf den Clubtoiletten geworden. Denn Keta wird für die Schmerzbetäubung von Tieren verwendet, aber auch in der Notfallmedizin. 1962 wurde es zum ersten Mal synthetisiert mit dem Ziel, ein Narkotikum zu finden, das keinen Effekt auf die Atmung und die Herzfrequenz hat. Bereits im Vietnamkrieg wurde es zur Behandlung verletzter US-Soldaten eingesetzt. Die Weltgesundheitsorganisation führt es in ihrer „Liste der unverzichtbaren Medikamente“ auf. Keta ist strukturell verwandt mit seinem LSD-ähnlichen Vorgänger PCP Phencyclidin, kurz PCP, der auch Angel Dust genannt wird.

Ketamin fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Wer illegal damit handelt, verstößt gegen das Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz (NPSG). Ketamin ist mit 20 bis 30 Euro pro Gramm sehr teuer. Vor allem in den Metropolen wird es wegen seiner unmittelbaren und verlässlichen Rauschwirkung hoch gehandelt. Wenn nach zwanzig Stunden Durchfeiern nichts mehr wirkt, auf Ketamin ist immer Verlass. An­fän­ge­r:in­nen putschen sich mit der meist als Pulver eingenommenen Substanz für den nächsten Tanz auf, bei dem sie ganz in sich versinken und es nur noch sie und die Musik gibt.

Fortgeschrittene vertiefen sich in bedeutungsschwere Deeptalks mit anderen Keta-Konsument:innen, Profis ziehen sich komplett in sich selbst zurück, hören auf, mit der Außenwelt zu kommunizieren, und wirken wie Charaktere in einem Computerspiel, bei dem die Game­r:in den Controller weggelegt hat.

Dabei hat der Stoff – maßvoll konsumiert – durchaus seine positiven Seiten, auch das gehört zum Gesamtbild. Ärz­t:in­nen erproben Keta seit Längerem auch zur Behandlung von Depressionen und suizidalen Gedanken. In klinischen Studien zeigt sich ein belegbarer positiver Effekt schon nach Stunden. For­sche­r:in­nen arbeiten noch daran, zu entschlüsseln, wie sich die antidepressive Wirkung im Gehirn ganz genau erklären lässt.

Auch bei mir ist Ketamin zunächst ein Gamechanger. Plötzlich sind meine Depressionen verschwunden, wenn ich high bin, fange ich an, verschiedene Dinge über mich und die Welt zu begreifen. Anfangs macht mich das durchaus zu einer spannenden und angenehmen Gesellschaft.

Dem Körper schadet ein exzessiver Konsum allerdings schnell. Zwar macht Ketamin nicht physisch abhängig wie etwa Nikotin, aber eine Gewöhnung tritt ein, durch die man die Dosis erhöhen muss. Eine psychische Abhängigkeit kann entstehen. Der Stoff greift die Nieren an, führt zu irreparablen Schäden der Harnwege und Inkontinenz. Auf emotionaler Ebene kann es gleichgültig machen gegenüber weltlichen Banalitäten und der eigenen körperlichen Unversehrtheit.

Und auch wenn Ketamin unter bestimmten Voraussetzungen bei Depressionen hilft, kann ein Langzeitkonsum wiederum später zu Depressionen führen. Das Hirn verlernt sozusagen, Stresssituationen nüchtern auszuhalten. Wird Ketamin nicht richtig zerkleinert, zieht man sich scharfkantige Kristalle durch die Nase, welche das sensible Innenleben schädigen – Nasenbluten ist da noch die harmloseste Folge. Auf Dauer wird die Nasenscheidewand immer weiter abgetragen. In extremen Fällen kann das kristalline Pulver ein Loch in diese reißen.

Einer Studie aus Taiwan zufolge könnte früher Ketaminkonsum sogar die Gehirnentwicklung beeinflussen. Laut den For­sche­r:in­nen bilden sich durch den Konsum Hirnzellen zurück, und das bei jungen Kon­su­men­t:in­nen stärker als bei älteren. Betroffen sind Bereiche des Hirns, welche für komplexe Leistungen wie etwa die Verarbeitung von räumlich-visuellen Informationen und das Abrufen episodischer Erinnerungen zuständig sind.

Auf der Suche nach Identität

Wenn ich darüber nachdenke, bin ich eigentlich schon mein ganzes Leben suchtaffin. Meine biologische Mutter ist während der Schwangerschaft abhängig von Medikamenten, und schon früh wird mir deshalb ein angeborener Hang zu Suchtverhalten prophezeit. Als Adoptivkind lerne ich meine „echten“ Eltern nie kennen, was mir bis heute zu schaffen macht. Hinzu kommt, dass ich in eine deutsche Familie hineinadoptiert werde. Da mein biologischer Vater afrikanische, meine biologische Mutter osteuropäische Wurzeln hat, sehe ich nicht besonders deutsch aus. Ich bin fast das einzige dunkelhäutige Kind in meiner 150.000-Seelen-Heimatstadt, und da ich die Frage „Wo kommst du her?“ nie genau beantworten kann, entwickle ich eine Identitätskrise. Ich fühle mich weder dazugehörig noch ganz ausgegrenzt. Am Ende werde ich nie richtig Teil einer Gruppe, einer Clique.

Dazu die üblichen Nachwirkungen von Adoptionen wie fehlendes Urvertrauen und massive Bindungsprobleme. Meine Liebesbeziehungen halten bis heute im Schnitt etwa ein halbes Jahr, auch wenn ich mich nach einer tieferen Verbindung zu einem anderen Menschen sehne.

In meinem Heimatort fühle ich mich stets ein bisschen wie ein Alien unter lauter Eingeborenen. Mit 14 Jahren fange ich an, mich dem Alkohol hinzugeben. Meine überdurchschnittliche Toleranz sorgt dafür, dass ich immer etwas mehr als andere trinke und immer ein wenig länger auf Partys bleibe. Und am nächsten Tag gleich wieder Lust auf mehr habe. Ein paar Jahre später kommt das Kiffen hinzu, und beides in Kombination schießt mich regelmäßig derart ins Nirwana, dass oft unangenehme Abstürze mein Partyleben begleiten.

Erst mein Umzug nach Berlin mit Mitte zwanzig gibt mir das Gefühl, vielleicht doch nicht so ganz allein auf dieser Welt zu sein. Berlin gilt als Hauptstadt der „Misfits“, also jener, die nirgendwo reinpassen. Da fühle ich mich zum ersten Mal richtig angekommen, vielleicht sogar verstanden.

Aber so einfach ist es nicht. Berliner Beziehungen funktionieren oft über kollektives Trauma-Bonding. Erlebter Schmerz ist der erste vereinende Faktor vieler Communities. Zur Selbstvergewisserung ist dies Seelenbalsam, zum Aufbau stabiler sozialer Kontakte reicht es oft aber nicht.

Und so sind auch meine ersten Jahre in der Millionenmetropole eher geprägt von Freundschaften, die sich vor allem aus gemeinsamen Einzelinteressen speisen, nicht aus echter Verbundenheit: sei es durch das gemeinsame politische Interesse, den gleichen Musikgeschmack oder irgendetwas anderes. Die ideelle Gesamtfreundin finde ich nicht so recht, romantisch oder platonisch. Ich fühle mich – wieder – vereinzelt.

Bis meine damalige Partnerin mich eines Tages mit auf eine Technoparty nimmt und mir meine erste Line Speed unter die Nase hält. Es ist zwar nicht mein erstes Cluberlebnis, aber meine erste Technoparty auf Chemie. Und wow, was soll ich sagen: Ich fühle mich wie neugeboren. Dass dies rückblickend den Anfang meines schleichenden Absturzes markiert, kann ich damals nicht wissen.

Es ist mein Einstieg in die Welt der Chemikalien. Und mein Ausstieg aus der Welt alltäglicher Banalitäten. Nun kann ich die Nächte durchfeiern und trotzdem morgens relativ frisch auf der Arbeit erscheinen. Die Wochenenden werden zu endlosen Exzessen, freier und oft belangloser Sex mischt sich mit einer nicht enden wollenden Schar neuer Bekanntschaften, manchmal Freundschaften. Clubbing wird mir zur zweiten Natur und das Loch in meiner Seele, welches nach Erfüllung giert, verstummt für immer längere Zeiten.

Irgendwann aber flaut die Kurve ab. Ecstasy und MDMA fordern Tage nach dem Konsum ihren Tribut: Sie verschießen körpereigene Glückshormone, bis die Reserven leer sind, die Folge sind depressive Katertage, die so grau wie die Partys bunt sind. Ich will das nicht mehr. Und dann kommt Ketamin.

In den USA wird Ketamin bereits in den siebziger Jahren populär. Zunächst als Straßendroge, irgendwann taucht es auf den Dancefloors der Technoclubs auf. In meiner Generation taucht es Mitte der Zehnerjahre auf und gilt als die sagenumwobene nächste Stufe nach den standardmäßigen Partydrogen wie Speed, Koks und Pillen.

Ketamin ist übrigens auch unter Hu­man­me­di­zi­ne­r:in­nen sehr beliebt, sie und ihre Ve­te­ri­närs­kol­le­g:in­nen schmuggeln es flaschenweise aus Krankenhäusern und Praxen raus, nutzen es zum Eigenkonsum und verkaufen es weiter. Auch über illegale Wege aus der Pharmaindustrie und das Internet gelangt der Stoff auf den Markt. Im ZDF-Magazin „Frontal 21“ berichtete ein Dealer, Ketamin online lange aus China bestellt zu haben.

Mit dem Asphalt verschmolzen

Meine erste Begegnung mit Ketamin ist etwa 7 Jahre her und ziemlich skurril: Mit meinen besten Freun­d:in­nen treffen wir uns damals eines sonnigen Samstagnachmittags bei einer Bekannten. Unser Plan ist, erst ein wenig vorzuglühen und dann gemeinsam auf eine Technoparty zu fahren. Ich habe bis dahin noch nie Keta genommen. Aber weil es so etwas wie die nächste Stufe nach Speed und Ecstasy darstellt, finde ich das spannend und will es unbedingt ausprobieren. Aber dann bekomme ich im vorletzten Moment doch noch kalte Füße und verweigere die angebotene Line.

Erst als das Taxi schon auf dem Weg zu uns ist, greife ich zu – es ist eine Portion, die selbst gestandene Use­r:in­nen in die Schranken gewiesen hätte. Ich schnappe mir einen Strohhalm, vernichte die Line in einem lässigen Schwung und tue so, als sei dies für mich reine Routine. Als Erstes fällt mir der Geschmack auf. Nicht toxisch-chemisch wie Speed, nicht den Kotzreiz triggernd wie Ecstasy und MDMA. Sondern irgendwie gut, fast erfrischend.

Danach muss alles ganz schnell gehen: Schuhe anziehen, Jacken überwerfen und die Treppe hinunterspurten, schließlich ist das Taxi schon fast angekommen. In der Eile habe ich gar keine Zeit, mich mit der unmittelbaren Wirkung des Narkotikums zu befassen. Erst als ich aus dem Treppenhaus auf die Straße trete, beginnt sich irgendetwas zu verändern.

Ich schaue umher und entdecke plötzlich eine Art Kolosseum, es könnte auch die Fankurve eines Fußballstadions sein. Auf jeden Fall blicke ich auf Hunderte Köpfe und Körper, die sich in einer Masse hin und her bewegen, eng zusammengequetscht auf einer Art Stadionrang. Ich kann Gesichtszüge erkennen, alle blicken in eine Richtung, wiegen ihre Köpfe hin und her und scheinen in Aufruhr zu sein.

Foto: Xueh Magrini Troll

Ich bin überwältigt von dem überraschenden Anblick. Bis ich durch das ankommende Taxi aus meinem Ketatraum gerissen werde und erkenne, dass ich eine gewaltige Baumkrone angestarrt habe und dass es Blätter und nicht Menschen sind, die da im Wind wanken. Mit letzten Geisteskräften schiebe ich mich in das Großraumtaxi und versinke endgültig im K-Hole: also in dem Zustand maximalen Rausches, in dem sich Körper und Geist maximal voneinander entfernen.

Ich weiß, dass ich nun ein Riesenproblem habe. Als der Wagen hundert Meter von der Clubschlange entfernt anhält, hieven mich meine Freun­d:in­nen schmunzelnd von meinem Sitz. Ich kann noch „Ich komme gleich nach“ sagen und stehe starr mitten auf dem Bürgersteig. Meine Gliedmaßen verweigern jede Zusammenarbeit, es scheint, als seien meine Füße mit dem Asphaltboden verschmolzen – mein erster Keta-Trip, mein erstes K-Hole, da ist es also.

So unangenehm diese Erfahrung im Nachhinein ist: Ich bin begeistert. Hat man so etwas schon erlebt? Geist, Seele, Wirklichkeit, Universum, Ich, Über-Ich – all dies verschmilzt zu einem somnambulen Ringelreihen atemberaubender Schönheit. Erkenntnisse regnen vom Himmel, die Kreativität sprudelt, das Leben ist schön. Und das Beste: kein Depri-Kater. Von da an wird Ketamin zu meinem regelmäßigen Begleiter in endlosen Clubnächten. Wenn ich schon meine Identitätskrise nicht auflösen kann, so habe ich doch wenigstens einen Anker gefunden, der mich durchs Leben manövriert.

Trippen auf der Couch

Heute muss ich erkennen, dass mich exakt dieser Anker ganz langsam in die Tiefe gezogen hat. Es mag übertrieben dramatisch klingen, aber: Ich fühle mich von Keta betrogen. Wie in einer toxischen Beziehung, bei der man irgendwann erkennt, dass der Partner die eigene Liebe nie wirklich erwidert hat.

Aus den überschwänglichen Joyrides durch Kreuzberger Nächte werden mit der Zeit narkotische Sessions des Vor-sich-hin-Dämmerns. Aus kreativen Meteoritenhageln, die den Geist beflügeln und Kunst wie von selbst erschaffen, wird mittelmäßige Selbstergriffenheit. Aus dem geselligen Gast wird ein in sich gekehrter Sonderling, dessen geistiges Innenleben nur noch für ebenbürtige Kon­su­men­t:in­nen decodierbar ist. Aus dem zuverlässigen und kümmernden Freund, der ich war, wird ein dauerbetäubter Egomane, der im Rausch zu toxischen Rundumschlägen neigt und seine engsten Freun­d:in­nen irritiert bis vergrault.

Meine beste Freundin, mit der ich jahrelang mehrmals die Woche Zeit verbracht habe, manchmal jeden einzelnen Tag, redet heute nicht mehr mit mir. Im Rausch bin ich besessen davon gewesen, ihre Probleme zu lösen, von denen sie mir erzählt: Ich erschaffe wilde Theorien über ihr schwieriges Verhältnis zu ihrer Familie und ihre Probleme beim Dating. Ich tue dies in bester Absicht, nur ist das für sie sensibelstes Terrain und meine Keta-induzierten Interventionen ein Affront. Das verstehe ich erst viel später und ich hoffe, sie kann mir eines Tages vergeben.

Aus zwei Gramm an Wochenenden wird ein Gramm pro Tag, auch alleine, ohne jedes Ziel oder jeden Plan. Statt auf dem Dancefloor trippe ich nun auf meiner Couch, melde mich kaum noch bei irgendwem und verbringe die nüchterne Zeit hauptsächlich im Bett in stundenlangen Fieberträumen. Sicher geglaubte Jobs schicken Absagen, Rechnungen türmen sich auf, die Schulden bei Dealern und Freun­d:in­nen wachsen an. Liebesbeziehungen zerbrechen, die Depressionen kommen wieder. Als ich es nicht einmal mehr an Weihnachten zu meiner Familie schaffe, stelle ich mir endgültig die überfällige Frage: Fuck. Wie bin ich da nur reingeraten?

Meine Keta-Schulden erdrücken mich nun, sie sind im mittleren fünfstelligen Bereich. Und je erdrückter ich mich fühle, desto mehr Keta ziehe ich. Ein Teufelskreis, der mir bewusst ist.

Foto: Xueh Magrini Troll

Irgendwann kann ich auf das dauernde „Ich mache mir Sorgen“ meiner Freun­d:in­nen nur noch antworten: „Ich mir auch“. Als ich eine fristlose Kündigung vom Vermieter in letzter Sekunde abwenden kann und mein Bruder zu einem unangekündigten Interventions-Besuch nach Berlin kommt, weiß ich, so geht es nicht weiter. So kann, so darf es nicht weitergehen. Allein, mir fehlt die Kraft, um daraus auszubrechen. Bis sich meine langjährige Freundin Viola meldet und mir, Stand jetzt, das Leben rettet.

Sie ist Erzieherin in einer Kita und ist damals in etwa auf dem gleichen Junkie-Level wie ich. Sie erzählt mir von ihrem Plan, einen stationären Entzug zu machen: Für zwei Wochen würde sie in die Psychiatrie gehen, um von ihrer Sucht loszukommen.

Auch Viola sieht zu diesem Zeitpunkt anders aus als zu der Zeit, in der ich sie kennengelernt habe. Wie ich hat sie sichtbar an Gewicht verloren, die Wangen sind leicht eingefallen, und sie hat ein neues Tattoo. Ab und zu treffe ich sie zufällig, wenn ich mir abends mein Gramm Ketamin bei meinem Stammdealer abhole, natürlich in gleicher Mission.

Ihre Entzugspläne nehme ich interessiert, aber doch widerstrebend zur Kenntnis. Wenn sie das macht, was bedeutet das für mich? Wird es dann nicht auch für mich langsam Zeit, etwas zu verändern?

Wenn man süchtig ist und noch ein bisschen Restverstand besitzt, spielt man zwangsläufig diverse Exit-Szenarien durch. Wie man ab sofort Sport machen, wieder mehr rausgehen oder andere Dinge machen will, die nichts mit konsumieren zu tun haben. Vom Gedankenkonstrukt zur Verwirklichung ist es allerdings ein großer Schritt, und ich bin Viola unendlich dankbar, dass sie mir diesen vorweggenommen hat und ich sozusagen in ihre Fußstapfen treten konnte.

Denn als sie nach einigen Wochen aus dem Entzug herauskommt, ruft sie mich an und erzählt mir begeistert von der positiven Erfahrung. Wie nett und verständnisvoll das Personal gewesen sei, wie aufbauend das tägliche Programm und wie viel besser sie sich nun fühle. Ich rufe sofort die Seite des Krankenhauses auf und melde mich. Weil Feiertage bevorstehen, dauert es nicht lange, bis ich eine Zusage für einen der sonst begehrten Plätze bekomme.

Angst vor den eigenen Abgründen

Einen Monat später stehe ich mit gepackten Taschen an der Rezeption, um mich aufnehmen zu lassen. Ich bin aufgeregt, die Nacht davor konnte ich kaum schlafen, habe eine Panikattacke bekommen und angefangen zu heulen. Weil ich Angst vor der fremden Umgebung habe, Angst vor den eigenen Abgründen, Angst davor, das alles nicht zu schaffen. Es ist ein Gefühl, das ich lange erfolgreich verdrängt habe. Teils mit Selbstbetrug, teils mit Intoxikation. Aber nun gibt es kein Zurück mehr. Ich werde auf die psychiatrische Station gebracht und weil ich noch auf mein Zimmer warten muss, soll ich schon mal im Gruppenraum Platz nehmen. Dort treffe ich auf die anderen Bewohner:innen, mit vielen von ihnen werde ich die nächsten zwei Wochen verbringen.

Das ist es also: Psychiatrie. Auf den ersten Blick wirken hier alle normal, wenn es so was gibt. Ich werde freundlich, fast herzlich empfangen und offenherzig nach „meiner“ Substanz gefragt. Es ist eine gemischte Station, mit Depressions-Patienten und Süchtigen. Ich bin überraschenderweise der einzige Ketamin-Abhängige, die anderen sind meist auf Schmerzmitteln wie Tilidin oder Tramadol, auf Alkohol, Kokain oder Schlaftabletten. Einer von uns, vielleicht knapp 30 Jahre alt, ist seit 18 Jahren auf Heroin und anderem Straßenzeug wie Crack.

Für mich läuft der kalte Entzug erstaunlich gut. In meiner Wachzeit verschwende ich kaum einen Gedanken an die Droge, außer wenn ich in Gruppentherapien darüber spreche. Ich stehe um 7 Uhr morgens auf, esse viel, denke nach, rede mit Ärztinnen und Therapeuten und gehe um 22 Uhr ins Bett. Ein Lifestyle, den ich mir noch Tage zuvor nie hätte träumen lassen.

Apropos träumen: Genau dahin haben sich meine Entzugserscheinungen interessanterweise verdünnisiert. Spüre ich am Tag kaum eine Regung, die mich an Ketamin erinnert, so dominieren sie nachts meine Träume, in einer Intensität, die aus Träumen filmrealistische Langsequenzen macht. Ich träume davon, Keta zu kaufen, es aufzubereiten, es zu konsumieren. Mit der Zeit allerdings wird der Inhalt weniger explizit: Dann taucht Keta zwar noch auf, ich nehme es aber nicht mehr. Irgendwann spüre ich nur noch das „craving“, also das starke Verlangen danach. Bis irgendwann auch diese milde Variante aufhört und ich nachts meine Ruhe habe.

Tagsüber sitzen wir in Gruppen zusammen und erzählen uns unsere Suchtgeschichte. Mal im Beisein einer Therapeutin, mal nur unter uns. Je­de:r von uns muss während der Zeit einen entsprechenden Aufsatz schreiben, und über den eigenen Konsum und die Gründe dafür reflektieren. „Schonungslos“ sei meiner, wird mir nach meinem Vortrag anerkennend gesagt, ich bekomme viel Anerkennung für meine Offenheit und merke, dass das auch auf einer Suchtstation keine Selbstverständlichkeit ist.

Ich sehe, wie die Augen meiner Ärztin immer größer werden, je mehr ich aufzähle, was ich schon alles genommen habe: Speed, Koks, Mephedron, Cannabis, MDMA, Ecstasy, 2CB, Pilze, natürlich Keta und noch einiges anderes

Bei den privaten Eins-zu-eins-Sitzungen mit Ärztinnen wird mir die Absurdität meines Konsums immer wieder vor Augen geführt. Es ist eine Sache, sich mit anderen Junkies auszutauschen. Etwas anderes ist es, „Außenstehenden“ die Liste an Drogen und die Frequenz, in der man sie nimmt, aufzulisten.

Ich sehe, wie die Augen meiner Ärztin immer größer werden, je mehr ich aufzähle, was ich schon alles genommen habe: Speed, Koks, Mephedron, Cannabis, MDMA, Ecstasy, 2CB, Pilze, natürlich Keta und noch einiges anderes. Und während ich das tue, dämmert mir, dass ich in einer eigenen Realität lebe, die kein Dauerzustand sein kann. Ich fühle mich gut, befreit, weil mir dieser Gedanke in dieser Klarheit bisher selten gekommen ist und weil ich nun Menschen um mich herum habe, mit denen ich das besprechen kann, ohne verurteilt zu werden.

Auch der Austausch mit den anderen Patienten bringt mir viel. Vor allem Ältere haben oft sehr extreme Erlebnisse hinter sich und viel verloren. Ein Mann zum Beispiel hat durch Koks- und Alkoholkonsum seine Ehe zerstört, den Kontakt zu seiner Tochter verloren, seine Karriere verspielt, und ist nun bankrott und einsam. Das will ich nicht für mich, sage ich mir, und spüre eine neue Motivation, endlich etwas zu ändern. Ich will leben und am Leben teilnehmen. Das habe ich hier verstanden.

Ich fühle mich frisch, clean, gewappnet

Nach zwei Wochen Klinik will ich fast nicht mehr nach Hause – so sehr sind mir meine Mitbewohner:innen, die Belegschaft und überhaupt das Krankenhaus ans Herz gewachsen. Immerhin, ich fühle mich frisch, clean und gewappnet für die Zeit danach, in der es gilt, den ersten Achtungserfolg einzutüten. Vorsorglich habe ich schon vor meiner Krankenhauszeit alles, was an Konsum erinnert, aus meiner Wohnung verbannt: Ziehröhrchen, leere Tütchen, Plättchen zum Zerkleinern. Als ich zurück nach Hause komme, empfängt mich eine saubere Wohnung, die sich irgendwie nach einem neuen Leben anfühlt.

Ein paar Wochen später meldet sich Viola, die mir ursprünglich von der Krankenhaustherapie erzählt hat. Sie ist rückfällig geworden. Die zwei Wochen haben für sie nicht gereicht. Auch von gemeinsamen Freunden bekomme ich besorgte Nachrichten über sie und komme ins Grübeln. Viola hat sich mittlerweile für einen zweiten Aufenthalt entschieden, wozu ich sie beglückwünscht habe. Und auch ich bin jederzeit bereit, meine Therapie zu wiederholen.

Während ich dies hier schreibe, bin ich seit etwas mehr als vier Monaten „clean“ von Ketamin. Okay, nicht ganz: Einen Rückfall hatte ich. Aber ich bin geneigt, diesen als Ausrutscher zu deklarieren. Seit meinem Entzug war ich mehrfach wieder in Technoclubs, auch, um mir zu beweisen, dass ich mich nicht künstlich isolieren muss, um ein Leben ohne K zu führen. Das hat viele Male auch sehr gut funktioniert, bis ich eines frühen Morgens in einer Club­toilette doch schwach geworden bin und die angebotene Line Ketamin gezogen habe. Eine Ausnahme, dachte ich mir, und etwas tiefer in mir drin dachte ich: „Was für eine lahme Ausrede.“

Es hat sich nicht mal gelohnt, die Wirkung war milde und hat meine Stimmung nicht gehoben, stattdessen machte ich mir am nächsten Tag Vorwürfe. Rückfälle gehören dazu, auch das habe ich während meiner Therapie gelernt. Und ich hoffe, es bleibt mein einziger.

Abgesehen davon bin ich stolz auf mich. Stolz, weil ich selbstständig in den Entzug gegangen bin. Stolz, weil ich plötzlich wieder Dinge des alltäglichen Lebens hinbekomme: Ich sage keine Verabredungen mehr grundlos ab, ich schaue regelmäßig in meinen Briefkasten und öffne die Post, ich habe endlich wieder einen Job und aufgehört, ständig Notlügen zu erfinden, um meine Situation vor anderen zu verschleiern. Meine depressiven Episoden sind immer weniger geworden, ich flüchte mich bei Konflikt- und Stresssituationen nicht mehr in tagelangen Schlaf. Ich habe acht Kilo zugenommen, wirke nicht mehr abgemagert und dehydriert.

Freun­d:in­nen gratulieren mir zu dem Schritt, auch sie sind stolz auf mich. Und weil meine Familie nun auch im Bilde ist, zeigt sie viel mehr Verständnis für mich als vorher.

Aber natürlich habe ich auch viele mir nahestehende Menschen verletzt. „Ich hoffe, du schaffst es irgendwann einmal, Verantwortung für dich selbst zu übernehmen“ – das war das Letzte, was meine damals beste Freundin zu mir gesagt hat, bevor ich nie wieder von ihr gehört habe. Gestern war ihr Geburtstag, der erste seit Langem, den wir getrennt voneinander verbringen. Es bricht mir das Herz. Ich hoffe, sie irgendwann wiederzusehen. Nüchtern, emotional stabil. Nicht toxisch. Nicht high.

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52 Kommentare

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  • Lieber Autor,

    erst einmal möchte ich Ihnen weiterhin alles gute Wünschen. Aber vor allem (extra einen Account erstellt ;) sagen, dass ich den Artikel wirklich, wirklich gut geschrieben finde! Lange nicht mehr einen so interessanten und schön zu lesenden Text erfahren. Danke dafür!

    • @blafasl:

      Herzlichen Dank zurück!

  • Der Artikel ist perfekt geschrieben und mir gefällt auch die Länge und der Detailreichtum. Darüber Schreiben ist Sinnkonstitution und der erste Schritt der Besserung. Sie werden es schaffen - und hoffentlich Inspiration und Hilfe für zahllose andere sein, welche sich in einer ähnlichen Situation befinden!

  • Hallo Joel,



    danke für deine klaren und interessanten Ausführungen ! Ich finde , du sollst auf jeden Fall lernen, an Dich und deinen Gott zu glauben. Sorry für das mit Gott, ich bin eigentlich nicht gläubig, aber manchmal verstehe ich auch nicht, wieso und wie auch immer ich seit über 20 Jahren clean leben kann, und das ganz gut, ohne große Schulden, mit netten Arbeitskollegen und meiner Wohnung und ohne Liebesbeziehung. Leider ! Aber es gibt nur einen Grund clean zu bleiben ! Bei mir ist es ich selbst, bei Dir ist Du selbst ! Es ist auch relativ sch...egal durch welche Scheiße du noch gehen musst, ist meine Erfahrung. Und davon kann ich bücher schreiben....Suchtkrankheit ist eine der wenigen Krankheiten , wo man stärker werden kann durch das durchleben von Schwierigkeiten und Krankheiten! Daher noch meinen Rat: Suche dir Selbsthilfe- Gruppen und finde Freunde, achte auf deinen Vitamin D im Blut (Das war einer der Widrigkeiten in meinem Leben, weshalb ich Cannabis und später Alkohol "brauchte... ) Da der Mensch auch ein Bewegungstier ist, versuche dir Bewegung zu gönnen. Ich brauche mein Schwimmen, und das ist tatsächlich ein Jungbrunnen für Körper Geist, wenn man sich daran gewöhnt hat !! Auch bei nervösen und depressiven Stimmungen. Mir hat meine höhere Macht nur duch Beharrlichkeit geholfen pö a pö heraus zu finden , was mit mir auch körperlich so leidensmäßig los ist, und die (mehrere) Ärzte mir die Hilfe versagten !! Nebenbei bin ich auch eine Kind einer Shoah- Überlebenden , die nicht ganz geistig gesund war, und die uns aber in mehrere Pflegestellen gab, wo ich meine ersten Pflegeeltern lieben lernte, und ich mit 8 Jahren da weg musste. Trotzdem habe ich mit den beiden Kontakt behalten bis zuletzt, weil ich sie sehr geliebt habe...



    Also: Mach Dein Ding ohne Stoff, und mehr guten Blues oder "Element of Crime" ;)

    • @Fritz Dorn:

      Danke für den Rat, ich kann‘s gebrauchen.

  • Ich hab null Ahnung was Chemie angeht, aber eine Frage:

    Was hat es auf sich mit der "tollen Kreativität" und den "tollen Erkenntnissen"?

    Kann die ein "erfahrener" Mensch mal beispielhaft und konkret aufschreiben?

    • @sanity could be emailed:

      Das ist unbedingt typisch für "Chemie", und geht auch mit Alkohol und Nikotin oder anderen Psychedelischen Drogen. Anfangs Leistungssteigerung und gesteigerte Fantasie = "Kreativität" , und das Gefühl und Gedanken, alles und die ganze Welt zu verstehen = "tolle Erkenntnisse"....



      Genauso wie ein Lach-flash auf Canabis, kann man so was nur sehr bedingt verbal beschreiben....

  • Hi!

    Ich kann einiges gut nachvollziehen. Ich bin inzwischen 42 Jahre alt und nehme seitdem ich 15 Jahre alt war Drogen. Angefangen mit Hasch, zu Speed, MDMA und die letzten 12 Jahre Kokain in Verbindung mit exessivem Alkoholkonsum.



    Verschuldet habe ich mich zum Glück nicht, ich hab früh angefangen selbst zu verkaufen.



    Naja, nun bin ich seit 16 Monaten Drogenfrei (außer Nikotin), ich hatte mir erst eine Selbsthilfegruppe gesucht und dann institutionelle Hilfe geholt, die bis heute andauert. Nächste Woche habe ich den Termin zur Maßnahmen-Verlängerung.



    Ich kann Dir nur raten suche dir weiter Hilfe, für mich wären 2 Wochen, auch wenn diese sicherlich intensiv waren, nicht genug gewesen.



    Du hattest dein Leben lang einen guten Grund Drogen zu nehmen, und den Grund gibt es wahrscheinlich immernoch.



    Ich hatte früh geglaubt verstanden zu haben, warum ich Drogen brauchte. Ich kann Dir sagen, die Antwort auf diese Frage ändert sich monatlich, je mehr ich durch die mir gegebene Hilfe verstehe, wie ich bin.



    Also geh diesen Weg weiter. Ich weiß genau, was Du meinst, wenn Du von der Angst vor den eigenen Abgründen, dem eigenen Schmerz, schreibst.



    Ich bin bis heute nicht bereit mich einigen meiner Gefühle zu stellen, aber ich bin zuversichtlich, dass ich es schaffe und das dann irgendwann der Zeitpunkt da ist, wo ich einen guten Grund habe so klar wie möchlich zu sein.



    In diesem Sinne, Peace!

  • Wow, ich selbst hab zwar außer ein wenig Alkohol in der Jungend noch nie was anderes konsumiert, habe diesen wirklich einmalig formulierten Artikel aber extrem interessant gefunden. (habe ihn v.a. deshalb gelesen, weil ein ganz lieber Freund jahrelang von Extasy und ähnlichem abhängig war, was ich mir gar nicht vorstellen konnte, weil wir ihn erst jahre nach seinem entzug kennengelernt haben).

    Ich hoffe SO SEHR, dass du es schaffst und ich bin überzeugt, dass du mit dieser Offenheit in deinem Beitrag vielen Abhängigen Mut gemacht hast! ♥

  • Ich habe meinen Partner an Ketamin verloren.



    Daher weiß ich wie viel Stärke dazu gehört mit einer Sucht aufzuhören und clean zu bleiben. Wenn jemand an einer Sucht stirbt, dann ist nicht nur ein Leben kaputt, sondern auch dass vieler seiner Liebsten wird nie wieder wie vorher. Ich wünsche dir viel Kraft und dass du weiterhin stark bleibst.

    • @LuMoon:

      Mein herzliches Beileid.

  • Lieber Autor,



    der Text ist wirklich gut geschrieben. Was am Ende deutlich zu kurz kommt: mit vier Monaten und einem Rückfall sind Sie sind noch deutlich im Hochrisikobereich. Eloquenz ist etwas Wunderbares, schützt gegen Sucht aber rein gar nicht. Für jeden, der sich mit Sucht auskennt, bleibt an diesem bewegenden und offenen Text zum Schluss etwas unbehaglich: nach jahrelanger Sucht ein paar Wochen Einsicht und Umkehr, schon ist die Sache geschafft. Süchtig bleibt man lebenslang (Suchtgedächtnis), gar nicht zu sprechen von den anderen psychischen Themen, die zur Sucht geführt haben. Wenn es hundert Schritte bis zu einer stabilen Abstinenz braucht, haben Sie schätzungsweise dreieinhalb getan. Vielleicht wäre therapeutische Begleitung sinnvoll, gerade wenn Sie bereits so gute Erfahrungen gemacht haben. In Berlin gibt es auch sehr gute ambulante (!) einjährige Entwöhnungstherapie (z. B. Kokon oder Kibo).



    Der Weg ist lang, ich wünsche Ihnen dafür Klarheit und Konsequenz.

    • @mouou:

      Liebe*r Mouou,

      keine Sorge, ich bin durchaus nicht der Ansicht, ich wäre über den Berg: Ich schrieb ja, nun gelte es, den Achtungserfolg "einzutüten". Damit meine ich n natürlich, dass mein Weg nun erst beginnt.

      Viele Grüße

      Joel

      • @JoelB:

        Lieber "Joel",



        das freut mich! Vielen Dank für die Antwort & alles Gute!



        Beste Grüße,



        mouou

    • @mouou:

      Das dachte ich mir beim Lesen auch. Auf der anderen Seite ist jeder Weg zur Abstinenz anders und nicht alle durchs professionelle Hilfesystem getragen. Man kann es von außen nicht unbedingt beurteilen, wie stabil eine Abstinenz ist. Insgesamt klingt es in diesem Artikel noch sehr danach, dass das Thema nicht ausreichend Ernst genommen wird. Ich hoffe, dass wir nicht Recht behalten, dem Autor alles Gute!

      • @Hannes B.:

        Danke für Ihre Sorgen, natürlich habe ich mich auch um anschließende Betreuung gekümmert. Das hatte hier schlicht wegen der Zeichenbegrenzung keinen Eingang gefunden.

        Viele Grüße

        Joel

      • @Hannes B.:

        Zustimmung! Ich hoffe auch auf ein follow-up in zwei Jahren, das mich widerlegt.

  • Als ich vor mittlerweile 16 Jahren Therapie in der Tagesklinik gemacht habe,dauerte diese im Schnitt drei Monate,daran schlossen einige Monate wöchentliche Gruppentherapietreffen an.So wie ein paar Jahre in Selbsthilfegruppen(Narcotics Anonymous). Wobei ein paar Jahre vor meiner Zeit,die Therapien ,stationär oder Tagesklinik,auch noch doppelt so lang waren. Ich weiß nicht wie heute der Krankenkassenstandard ist,doch 14 Tage in der Klinik ist eigentlich nur "Entgiftung". Über Nachsorge verliert der Autor auch kein Wort.Wenn das der gegenwärtige Standard ist ,dann gute Nacht.

    • @Mustardmaster:

      Stimmt ! Früher wurde sogar auf Alkoholismus bis zu 6 Monate Entwöhnungsbehandlung in Suchtkliniken von den Kassen /Rentenanstalt übenommen. Inzwischen sollte das die Hälfte und weniger sein ?!?

    • @Mustardmaster:

      Sehr wichtiger Hinweis. Danke!

  • Ich bin jetzt 51 und habe außer gelegentlich Alkohol und irgendwann mal ein wenig Cannabis noch nie irgendwelche Drogen zu mir genommen. Ich habe einen Job, der mir Spaß macht, auch wenn er manchmal stressig ist und ich nicht reich werde. Ich bin gesund und einigermaßen fit. Ich habe Menschen, die mich mögen. Trotzdem bin ich manchmal depressiv (Manches hat halt nicht geklappt.) und ich stelle mir die Frage nach dem Sinn des Lebens.

    Trotzdem hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie das Gefühl, dass mir irgendwelche Drogen bei den echten Herausforderungen des Lebens weiterhelfen können, verglichen mit den Effekten von Sport, Schlaf, Freundschaften, Hobbys, Reisen, guter Ernährung. Hab ich was verpasst?

    • @fhirsch:

      TEIL 2



      Drogen sind Teil dieser Welt, waren immer Teil einer Gemeinschaft (Zucker ist nix anderes) nur das die Einnahme von Drogen als Teil einer spirituellen Praxis definiert wurde (indigene Völker). Je funktioneller die Welt wurde (Industrialisierung, Kriege mit Maschineneinsatz, Geld wichtiger als alles andere) desto stärker der Drang dem zu entkommen oder es auszuhalten. Bei den weltweit vorhandenen Ureinwohnern entstanden Suchtprobleme extremster Form, nachdem ihre Volksgruppe erniedrigt, entmachtet, ihrer Kultur entrissen, verachtet, ignoriert, beleidigt, unterdrückt und offentlich geschändet, ihre Kinder ihnen entzogen wurden, sich alle selbst missachten mussten!



      Kolonialismus, Rassismus trugen natürlich auch ihren Anteil daran und tragen noch heute dazu bei.



      Es ertragen, etwas tragen – in sich – in seiner Seele – in seinem Leben benötigt Erholungspause. Und genau dann kann es dazu kommen, das man kompensiert – immer wieder, immer öfter, immer mehr!



      Ich finde den Artikel SUPER - DANKE, Du, der ihn schrieb, solltest ihn in deinem Wohnungsflur aufhängen – ihn regelmäßig lesen, samt der Leserreaktionen! TOI TOI TOI



      Und nicht vergessen, ein Rückfall kann sein – du kannst inzwischen mehr! Don’t give up!

    • @fhirsch:

      Lieber FHirsch Huhn und alle anderen, der Begriff wurde schon genannt - das Zellbewusstsein speichert ab! So ist es sehr oft der Fall, das biologische Eltern ein Suchtverhalten/eine Unfähigkeit mit Traumen umzugehen vererben; Epigenetik genannt! (Das bezieht sich nicht nur auf Suchtverhalten). Falls es kein direktes biologisches Elternteil gab, würden wir ein "schwarzes Schaf" im Familienstammbau finden! Sehr interessant als solches. Wenn wir uns Nachfahren anschauen, deren Familienstammbäume hier in D langfristig über mehrere Generationen ansässig waren, hatten wir den 1. und 2. Weltkrieg, die extatischen 20ziger ...alles Zeiträume in denen viel Drogen jeglicher Art konsumiert wurden, als körperl. und seelische Wundversorgung, gegen Hunger und vieles andere zu erfassen. Um Kinder vor Süchten zu schützen, ist der Umgang mit der Gefühlswelt absolut wichtig, das Sprechen darüber ebenfalls und das Refexionsarbeit zum Alltag eines Menschen in Gemeinschaft gehört!

    • @fhirsch:

      Ja, den Anstand zu erkennen, dass Menschen die Probleme haben, nicht mit "bin auch manchmal ein bisschen depressiv" belästigt werden sollten.



      Ihre Melancholie ist in keinster Weise mit einer echten Depression zu vergleichen.



      Seien Sie einfach froh, dass es Ihnen gut geht, und verzichten Sie darauf, andere lächerlich zu machen, nachdem diese Ihnen ihr Herz ausgeschüttet haben.

      • @Herma Huhn:

        Ich mache niemanden lächerlich, und Sie zitieren mich mit Absicht falsch.

        Ich möchte ernsthaft die Frage beantwortet bekommen, ob jemand denkt, dass es irgendeinen positiven Effekt von Drogen gibt, der nicht letztendlich doch bloß eine Flucht vor persönlichen Problemen darstellt (für welche sich niemand schämen muss, weil alle Menschen Probleme haben).

        • @fhirsch:

          Kann ich beantworten - und es gibt keine Pauschalantwort. Es gibt Menschen die brauchen Drogen, um im Alltag klar zu kommen, weil sie Problem entfliehen müssen. Und es gibt Menschen, die konsumieren Drogen um sich in bestimmten Momenten einen "Kick" zu geben. Dies kann Alkohol sein, die Zigarette, der Joint oder eine Linie Koks. Ich bevorzuge Letzteres. Mein Leben ist darüber hinaus aber Ihrem sehr ähnlich.

  • Du sprichst mir aus der Seele! Vielen vielen Dank für diesen Artikel! Das ist wirklich perfekt beschrieben! Bleib stark und danke unendlich dass du mir dadurch Kraft gibst!

    • @Lo Belt:

      Das freut mich sehr, dir viel Erfolg auf deinem Weg!

  • Wie denkt denn der Autor über die Legalisierung von Cannabis? Glanz er, das dieser Schritt die Jungen Menschen noch eher in eine Drogenkarriere treibt? Wird unsere Jugend dadurch verheizt?

    • @Arno Dittmer:

      Canabis macht nicht Süchtig und ist auch nicht schädlich, wie z.B. der legale Alkohol!!!

    • @Arno Dittmer:

      Ich halte die Entkriminalisierung für gut, den laxen gesellschaftlichen Umgang damit für bedenklich. Weed ist nicht harmlos, im Gegenteil, es kann schwere Psychosen auslösen.

      Ich kiffe daher seit vielen Jahren nicht mehr und werde auch nie wieder anfangen.

      Viele Grüße

      Joel

  • Danke für diesen persönlichen und auch mir sehr nahegehenden Artikel!



    Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute.

    • @Emmo:

      Ganz lieben Dank!

      Viele Grüße

      Joel

  • Lieber Autor,



    bleib clean. Die stoffgebunden Süchte gleichen sich. Finde den Sinn des Lebens dort, wo er ist. Im Leben selbst.



    Mit anderen Süchten, Spielsucht etwa, habe ich keine Erfahrung.

  • Ich bin ebenfalls sehr beeindruckt. Toller Text, gut und von Herzen geschrieben.

    Alles Gute!

  • 9G
    94799 (Profil gelöscht)

    Clubs, Clubs und der ganze Stuß der damit zusammenhängt - gibt es nicht auch noch ein richtiges Leben?



    Man lebt nur einmal - wenn man das begriffen hat sollte man sich ein Lebensumfeld schaffen indem man sich gut fühlt durch eigene Kreativität auf der Basis von handwerklichem und/oder geistigem Tun. Und sich nicht verführen lassen von zB. "dazu gehören müssen", erhabener Kirchen-/ Marschmusik, Harmoniebedürfnissen usw.. - wohin das führen kann siehe auch Eltern-/Großelterngenerationen die sich mehrheitlich von den NAZI's einlullen liessen.

    • @94799 (Profil gelöscht):

      Mitunter waren Eltern und Großeltern sogar selber Nazis, lieber Herr Hackenberg.



      Die flotte Marschmusik war hinsichtlich ihrer ideologischen Entwicklung wahrscheinlich gar nicht mal sooo entscheidend, schätze ich.

    • @94799 (Profil gelöscht):

      Och,nach bald 40 Jahren Clubbesuch bin ich da anderer Meinung. Aber wie immer,es kann alles gebraucht,aber auch Missbraucht werden.

  • Schönes Bon-mot von Charlie Munger zum gleichen Thema zuletzt gelesen: "Ich habe in den Jahrzehnten meines Lebens noch nie jemand getroffen, dessen Leben sich durch übermäßige Vermeidung eines solch trügerisch Weges zur Selbstzerstörung, verschlechtert hätte."

    • @Tom Farmer:

      Und was wollen Sie uns - und vor allem der AutorIn - damit sagen?

      • @Emmo:

        Äh, dem Autor die selbst gewonnenen Erkenntnisee bestätigen, und hoffen, dass er das für sich nun stabil in eine bessere Zukunft überführt.



        So irgendwie.

  • "In klinischen Studien zeigt sich ein belegbarer positiver Effekt schon nach Stunden."



    der ist eben nicht belegt; dazu:



    www.science.org/co...nusual-trial-finds



    www.counterpunch.o...depressant-coffin/

    • @Jutta57:

      Sehr interessant, würde an der Stelle allerdings anmerken das die besagte Studie noch nicht peer reviewed wurde. Außerdem weiß ich zwar nicht, ob das, das Ziel der Studie war, aber ich frage mich wie Hilfreich ihre Erkenntnis in einem tatsächlichen Therapie-Kontext wäre. Immerhin wurde, wenn ich das richtig verstanden habe, das Ketamin und das Placebo während einer Anästhesie verarbreicht. Ich lese gerade das Buch "Higher Self-Psychedelika in der Psychotherapie" von Dr. Gregor Hasler worin er beschreibt, wie Patienten aktiv durch den Trip geführt werden. Ich nehme an, das diese Begleitung oder zumindest das wache erleben des Zustandes für einen sinnvollen, nachhaltigen Nutzen der Therapie mit einer solchen Droge nicht unwichtig ist.

    • @Jutta57:

      Danke für die interessanten Quellen.

  • Danke für das Geschriebene. Ich finde es wichtig für ´´draussen ´´…



    Ich habe an mich früher gedacht beim lesen. Meine Hemmung (wurde mehrmals durchbrochen) Richtung Chemie zu konsumieren.



    Ich hab an meine Tochter gedacht, meine Dauermessage an sie ´´ keine Chemie ´´



    Sie ist in Berlin. Wenn die Pflaster woanders schon heiß sind dafür, sind sie in Berlin heißer.



    Sie hat mir immer wieder gesagt: Mama, ich bin doch nicht blöd.



    Ich: Ich weiß. Trotzdem: Keine Chemie.



    Fast wie ein Mantra.

    Ich war neugierig und es war mir immer wieder unheimlich, hat mich nicht weiter an sondern abgestoßen. Dann wieder neugierig.



    Auch jetzt noch krass, das alles.

  • Lieber Autor*,

    Respekt! Da ich selber weiss wie belastend und lähmend Geldsorgen sein können, würde ich mich gerne in Ihre Schuldenabzahlung einbringen. Vielleicht kann die Taz eine Crowdfundingmöglichkeit organisieren..



    Viele Grüße und alles Gute

    • @tom meq:

      Damit habe ich nun nicht gerechnet – wir könnten uns mal per Email darüber unterhalten?

      Viele Grüße

      Joel

    • @tom meq:

      Finde ich eine gute Idee. Ich würde zwar auch mitmachen, aber bezweifel, dass das von der TAZ aus machbar ist.



      Liest das hier jemand von euch TAZlern?

  • Wow, was für eine offene, reflektierte, mitreißende Geschichte. Großartige Analyse des Berliner Misfits Dilemmas, kenne ich persönlich auch. Kann verstehen, wie der Autor in diesen Strudel geraten ist und habe viel Respekt davor, dass er es raus geschafft hat. Er klingt wie jemand, der das durchzieht und sein Leben ändert. Viel Erfolg dabei! / PS: Jetzt verstehe ich endlich wovon die Songs "Keta und Krawall" (Ikkimel) und "Pferdeenergie" (Shoki) handeln :D

    • @Manic:

      Was heißt hier Berlin?! Die Meisten kommen doch gar nicht von hier und machen in Ihrer maßlosen Blödheit Berlin erst zu einem Drogenplatz. Schönen Gruß von einer alten Berlinerin. Ich sage Ihnen wir echten Berliner sind von diesem Gedöns was um Berlin gemacht wird mehr als entnervt!!!

    • @Manic:

      Vielen Dank.