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Umgang mit RassismusMutig mit eigener Schwäche

Mit Abwehr auf das Thema Rassismus zu reagieren, bringt uns nicht weiter. Viel sinnvoller ist, die eigene Haltung zu betrachten, auch wenn’s wehtut.

Mit den Problemen anderer zu jonglieren, fällt einem oft leichter Foto: Viennaslide/imago

E in Freund schickte mir vor einigen Tagen ein GIF. Es zeigt zwei gezeichnete Männchen. Das Männchen auf der linken Seite lächelt breit und jongliert entspannt mit vielen orangenen Bällen in der Luft. Das Männchen auf der rechten Seite versucht, einen einzigen riesigen orangenen Ball von der Erde hochzuheben. Das Gesicht ist schmerzverzerrt, der Ball scheint so schwer zu sein, dass er sich kein bisschen bewegt, sosehr das Männchen auch zieht und zerrt.

Unter dem gut gelaunten jonglierenden Männchen auf der linken Seite stehen die Worte: „Die Probleme anderer lösen“. Unter dem leidenden Männchen rechts die Worte: „Deine eigenen Probleme lösen“. An dieses GIF muss ich dieser Tage oft denken. Ich führe in letzter Zeit viele Gespräche über Rassismus in Deutschland. In diesen Gesprächen spüre ich oft Angst, Abwehr und Unsicherheit. Im Selbstbild des weltoffenen, toleranten Landes der Dichter und Denker, so mein Eindruck, kann, darf kollektiver Rassismus nicht existieren.

Kritik, Zweifel, Fragen haben wenig Raum. Spreche ich über Rassismus in Deutschland, sieht mein Gegenüber in mir oft die Anklägerin statt die politische Beobachterin, die ich bin. Rassismus wird ausgelagert, den gibt es bei Extremisten, bei der AfD, im Ausland, aber nicht bei uns. Wir sind „gut“ und wollen es auch bleiben. Wer dieses Selbstbild infrage stellt, wird ignoriert oder angegriffen.

Unwillkürlich denke ich im Vergleich dazu an die Gespräche, die ich im letzten Jahr zum Iran geführt habe. Trotz der Schwere des Themas – sexualisierte Gewalt, politische Repressionen, Hinrichtungen, Tod – flossen die Gespräche über den Iran leicht dahin wie ein sprudelnder Fluss. Ich nahm Empörung und Wut wahr über das, was im Iran passiert. Es schien gleichzeitig leicht, sich damit auseinanderzusetzen – denn es waren die Probleme anderer.

Eingefahrene Muster ändern

Es ging um ein fernes Land, in dem Frauen schlecht behandelt werden, das lässt sich leicht verdammen. Es ist einfach, sich Probleme anzuschauen, die nicht die eigenen sind; es erzeugt die Illusion, dass der eigene Schatten doch gar nicht so groß ist, wie man tief im Inneren, unbewusst, vielleicht fürchtet. Richtet sich der Blick nach innen, auf die eigenen Strukturen, auf den eigenen Schmerz, auf die eigenen Wunden, wird der sprudelnde Fluss zu einer zähen Masse, die sich kaum bewegen will.

Ich kenne eine ähnliche Dynamik aus meinem eigenen Leben. Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich jede Kritik, jede Auseinandersetzung, in der mein Handeln eine Rolle hätte spielen können, nicht aushalten konnte. Mein Selbstbild war das einer integren, hilfsbereiten, selbstlosen Person, deren Fehler Ausrutscher waren, aber nichts mit mir zu tun hatten. Wer dieses Selbstbild infrage stellte, wurde ignoriert oder angegriffen. Ich hielt mich für sehr aufgeklärt, glaubte, ich hätte meine Wunden aufgearbeitet.

Ich war für meine Freun­d:in­nen eine gefragte Beraterin, ich war gut darin, anderen bei ihren Problemen zu helfen. Nach außen war alles wunderbar. Im Inneren nicht. Ich verstand nicht, warum ich nicht weiterkam; bestimmte Muster nicht ändern konnte, andere Menschen verletzte, unruhig war, leicht aus der Fassung zu bringen, nicht in mir ruhte. Bis ich irgendwann das Glück hatte zu verstehen: Ich muss dorthin schauen, wo es wehtut. Richtig wehtut.

Ich schaute mir meine schlechten Seiten an, so ehrlich und schonungslos wie möglich. Ich arbeitete daran, sie als Teil von mir zu akzeptieren; zu verstehen, welchen Wunden sie entstammen. Ich erkannte: Je mehr ich sie ignorierte, umso größer wurde der Schmerz, der mit dieser Verleugnung einherging. Es war – es ist – ein langer Prozess, diese Seiten zu akzeptieren. Ich ziehe und zerre jeden Tag, wie das Männchen mit dem schweren Ball.

Gift für die ganze Gesellschaft

Ich lerne, zuallererst Mitgefühl für mich zu haben. Gerade wegen der Dinge, die ich falsch mache, mit denen ich andere verletze, mich selbst verletze. Ich lerne, diese Seiten von mir zu akzeptieren. Um die Scham darüber zu nehmen. Um sie dann bearbeiten zu können, um es besser machen zu können. Was ich nicht sehe, kann ich nicht verändern. Nur so konnte ich mich auf den Weg machen, eine bessere Version meiner selbst zu sein.

Kann man einen individuellen Weg mit dem eines ganzen Landes vergleichen? Diese Frage kann ich nicht beantworten; gleichzeitig komme ich nicht umhin, die Abwehr, die Angst zu erkennen, die damit einhergehen, wenn es darum geht, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Gerade, wenn es um den eigenen Schatten geht. Es scheint ein Muster bei uns (oder bei vielen von uns) Menschen zu sein – und betrifft so auch die ganze Gesellschaft.

Wenn ich über Rassismus in Deutschland spreche, tue ich das zuallererst, weil ich sehe, wie viele Menschen seit Jahrzehnten durch rassistische Narrative, die allgegenwärtig sind, verletzt wurden und werden. Von rassistischer Gewalt ganz zu schweigen. Aber auch, weil rassistische Narrative Gift für die gesamte Gesellschaft sind. Sie treiben auseinander, sie öffnen Tür und Tor für antidemokratische und autoritäre Kräfte. Sie schwächen die demokratische Resilienz einer Gesellschaft.

Niemand kann dieses Land zwingen, sich mit seinen Strukturen auseinanderzusetzen – sich ehrlich damit auseinanderzusetzen. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit sich selbst mag schmerzhaft sein. Nur gibt es ohne Schmerz kein Wachstum, keine Verbesserung, keine Heilung. Wenn man diese Verbesserung möchte, gibt es keinen anderen Weg. Es geht nicht nur um die Menschen, die mit internationaler Biografie in diesem Land leben. Sondern um die ganze Gesellschaft.

Wenn mich heute jemand kritisiert, gehe ich nicht in Abwehr oder Scham. Ich versuche neugierig zu sein, ich höre zu, auch wenn es weh tut. Vor allem bin ich dankbar. Weil ich sonst meine Fehler, meine Wunden nicht erkennen würde. Und so stehen auf meinem persönlichen GIF heute auf beiden Seiten grinsende und jonglierende Männchen. Es gelingt mir nicht immer. Aber ich versuche es. Und das ist, glaube ich, schon mal was.

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Gilda Sahebi
Ausgebildet als Ärztin und Politikwissenschaftlerin, dann den Weg in den Journalismus gefunden. Beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, Medizin und Wissenschaft, Naher Osten.
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10 Kommentare

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  • Das erinnert mich an die großartigen Schlussworte von Dr. Samuel Finnix (Michael Keaton) in der Serie Dopesick, die ich gestern zu Ende geschaut habe.



    Nichts lohnt sich mehr, als dahin zu schauen, wo es wehtut.

  • ganz so wie es Kinder tun. Unreflektiert die Fehler anderer ansprechen, dass was Erwachsene nicht mehr tun oder nur versteckt hinter blumigen Formulierungen und deshalb auch kaum jemand ein Gefühl für die eigenen Fehler entwickeln kann.



    Ob das nun gut ist, keine Ahnung auf jeden Fall fällt mir das bei Kindern immer auf, da wird hemmungslos der Ausrutscher des anderen angesprochen, dann folgt Ärger, dann ist gut. Entweder sie reden nicht mehr miteinander oder es wird sich wieder vertragen. In beiden Fällen bleibt aber etwas hängen, dass da etwas war, was dem anderen Kind missfiel. Es gab eine Rückmeldung über die eigene Rolle.



    Und das tun Erwachsene kaum, Fehler anderer werden oft weggelächelt und verdrängt. Wie gesagt, keine Ahnung, ob dass gut oder schlecht ist, in jedem Fall fehlt bei Erwachsenen viel mehr die Rückmeldung des eigenen Verhaltens.



    Der Streit den Kinder haben können, mit den Mitteln und Möglichkeiten der Erwachsenen... da ist es schon sinnvoll Ausgleich zu finden, hat aber auch seinen Preis.

  • Alice Miller: Am Anfang war Erziehung



    Anja Meulenbelt: Scheidelinien.

    Dort lassen sich viele Erklärungen für das Problem finden

    • @aujau:

      Einen hab ich noch auf YouTube:



      "This Muslim Israeli Woman is the



      Future of the Middle East.



      Nicht komplett zum Thema Rassismus, aber sehr sehenswert.

  • Richtiger menschlicher Ansatz finde ich.



    So berechtigt und notwendig auch das Anliegen für sich genommen ist, so unnötig schwer macht man es sich, wenn man dogmatisch die etablierten antirassistischen Argumentationsmuster aus den USA übernimmt.

    Der Ansatz, dass rassistische Strukturen etwas charakteristisch "weißes" (deutsches/europäisches) seien, heißt letztlich Rassismus zu einem "Rassenmerkmal" der Deutschen zu erklären. Das ist ist moralisch wie interlektuell so dermaßen unterwältigend, dass auch wohlwollende Akteure sich zurückhalten.

    Die häufige Zusammenarbeit beim dem Thema mit rechten migrantischen Organisationen passt dazu ins Bild...

    • @Chris McZott:

      Aha soso.



      Inwiefern macht "man" es sich schwer? Wer soll dieses "man" denn sein?



      Rassismus ist eine Diskriminierungsform (Herkunft, Haut-, Haarfarbe, Name, Sprache...) durch welche Menschen abgewertet werden und konkrete Nachteile erlangen, dadurch entsteht ein gesellschaftliches Machtverhältnis. Alltagsrassismus kann schon schwere Traumata hervorrufen, struktureller Rassismus (Wohnungssuche, Schule, Beruf, Polizeigewalt, Reisefreiheit, Fluchtursachen...) sowieso.



      Also inwiefern sind hier "weiße/deutsche" Menschen in Bezug auf Herkunft "Rasse" von betroffen? Ja in dem achso üblen Neukölln sind deutsche Schüler*innen in der Minderzahl und machen Diskriminierungserfahrungen und wenn du als !Tourist! nach Ägypten reist und herumknauserst weil jemand für eine Kameltour einen zu hohen Preis verlangt und du dann beleidigt wirst, ist das bestimmt kein tolles Gefühl. Mit Rassismus hat das aber alles nichts zu tun.



      Wir leben nunmal in dieser Welt und in dieser ist "weißsein" der Standard, wird als normal angesehen, du wirst als Individuum betrachtet, du erleidest keinen strukturellen Rassismus und und und. Wenn du nicht (an)erkennst dass "weiß" sein ein Privileg ist, machst DU (und viele andere) es dir unnötig schwer antirassistische Arbeit zu leisten.



      Dass die USA mit der Sklaverei eine nochmal spezielle Geschichte hat ist klar, aber auch dort sind die weißen ehemalige Europäer (Kolonisatoren) und die Menschen aus Afrika, die nach Europa kommen sind auch Kinder aus gebeutelten Länder und Kolonialgebieten.



      Rassismus hat System und betrifft keine "weißen" (wohlgemerkt ist das ein politischer Begriff, es geht nicht um die persönlich), sondern wird von Ihnen ausgeführt, reproduziert, oder auch einfach nicht hinterfragt. Wenn du dich von dem Begriff persönlich angegriffen fühlst, dann hast du den Appell des Artikels nicht verstanden, auch wenn du es am Anfang angibst getan zu haben. Du gehst nicht da hin wo es richtig weh tut..

      • @Eleander:

        "Rassismus hat System und betrifft keine "weißen""



        Wer aufgrund ethnischer Herkunft zwischen Menschen Unterschiede macht, handelt bereits rassistisch.



        Genau das ist der Punkt, den Chris McZott vermutlich meinte, und in dem ich ihm voll und ganz beipflichte.

        • @Encantado:

          Oh weh.



          Das ist einfache Täter-Opfer-Umkehr.



          “Weiß” ist wie gesagt ein politischer Begriff für eine gesellschaftliche Machtposition, durch die man nicht benachteiligt wird. Es get nicht um jeden einzelnen Menschen mit heller Hautfarbe, sondern eine gesamtgesellschaftliche Situation, in welcher „weiße“ Menschen gegenüber people of colour verschiedenste Privilegien haben (siehe oben).



          “Die Würde des Menschen ist unantastbar”, Gleichbehandlungsgesetz, usw. theoretisch gibt es viele Versuche allen Menschen gleiche Rechte zu zusprechen. Die Realität sieht leider anders aus. Natürlich gibt es Unterschiede in der Behandlung von Menschen je nach ethnischer Herkunft, diese Unterschiede sind da, die mache nicht ich. Und diese Unterschiede aufzuzeigen soll Rassismus sein? Also komm, denk nochmal nach…

  • Da ist was dran. Es regt sehr zum Refektieren an - auf mich selbst!

  • Danke, großartig und auch empathisch.



    /



    Ich zitiere gerne aus Brechts Werk:



    Kinderhymne



    Strophen 2-4

    "2. Daß die Völker nicht erbleichen



    Wie vor einer Räuberin



    Sondern ihre Hände reichen



    Uns wie andern Völkern hin.

    3. Und nicht über und nicht unter



    Andern Völkern wolln wir sein



    Von der See bis zu den Alpen



    Von der Oder bis zum Rhein.

    4. Und weil wir dies Land verbessern



    Lieben und beschirmen wir's



    Und das Liebste mag's uns scheinen



    So wie andern Völkern ihrs."

    Klingt auch als Lied gut, von Kindern aus Augsburg gesungen:



    youtube.com/watch?...gdI&feature=shared