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Demos gegen rechtsFliehen oder kämpfen?

Für Mi­gran­t:in­nen war Rassismus schon vor den Deportationsplänen eine Bedrohung. Die Demos sollten ein Anstoß sein, ihn im Ansatz zu bekämpfen.

Foto: Katja Gendikova

S eit der Aufdeckung rechtsextremer Geheimpläne zur Vertreibung und Deportation von Menschen aus Deutschland demonstrieren bundesweit Millionen Menschen gegen rechts. Unser Autor Cihan Sinanoğlu, Leiter des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors, ist einer von ihnen – er kritisiert die Verkürzung der Proteste auf Rechtsextremismus und plädiert für eine gerechte Sozial­politik für alle.

Am Abend vor den Enthüllungen durch Correctiv saß ich mit Freun­d*in­nen beim Abendessen zusammen und wir diskutierten wie so oft über den Rechtsruck in unserem Land. Wir hatten das Gefühl, die Gesellschaft stehe wie ein erstarrtes Kaninchen vor der Schlange und warte angesichts der Wahlprognosen nur darauf, von der AfD überrannt zu werden. Der starke Rechtsruck lässt viele meiner Freun­d*in­nen mit Einwanderungsbiografien sogar über eine Auswanderung nachdenken. „Fliehen, bevor es zu spät ist“, hörte ich auch an diesem Abend wieder. Uns alle treibt die Tatenlosigkeit von Politik und Zivilgesellschaft um – und unsere Liste möglicher Gründe für das Ausbleiben von Widerstand wurde an diesem Abend lang: Ignoranz, Verdrängung, Coronamüdigkeit, Resignation, Angst.

Andreas Schöttke
Cihan Sinanoğlu

ist Sozialwissen­schaftler. Seit Oktober 2020 leitet er am DeZIM-Institut die Geschäftsstelle des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors.

Und dann, am nächsten Tag, kamen die Enthüllungen des Netzwerks Correctiv – und plötzlich war er da, der Widerstand. Millionen Menschen gehen gerade auf die Straße, ein Querschnitt der Gesellschaft: Von Fridays for Future über Omas gegen rechts bis hin zu Kirchen und Gewerkschaften ist ein breites Bündnis entstanden. Mittlerweile haben sich fast 2.000 Organisationen und Initia­tiven dem Bündnis „Hand in Hand“ angeschlossen. Eine derartige Mobilisierung hat in Deutschland eine historische Dimension.

Verkürzung der Proteste auf Rechtsextremismus

Die Proteste sind richtig, wohltuend und wichtig, das sei zuallererst gesagt. Und dennoch haben sie einen blinden Fleck. Und dieser Fleck heißt Rassismus. Die meisten Proteste rufen auf zum „Kampf gegen rechts“, „gegen Rechtsextremismus“ und der „Verteidigung der Demokratie“. Es geht also nicht um eine konkrete Forderung, sondern lediglich um eine sehr allgemeine, sehr unanfechtbare Haltung. Menschen skandieren gemeinsam „Ganz Hamburg/Berlin/Göttingen hasst die AfD“ – eine Parole, die Rassismus eben nur dort verortet, bei der AfD. Das Problem: Rassismus ist nicht nur dort. Natürlich müssen Slogans immer verkürzen und vereinfachen, und breite Bündnisse müssen den kleinsten gemeinsamen Nenner finden – aber genau das macht es schwer, Forderungen zu stellen, die wirklich etwas bewirken.

Menschen skandieren Die ganze Stadt hasst die AfD – eine Parole, die Rassismus ausschließlich dort verortet, bei der AfD

Vielleicht sollte ich mich dennoch erst mal damit zufriedengeben, dass Millionen Menschen ­gegen rechts und gegen die AfD auf die Straße gehen. Wenn die Proteste ein paar Unentschiedene vom AfD-Wählen abbringen, wäre das schon ein Erfolg. Wenn sie bedrohten Menschen Mut machen, auch. Und wenn sie progressiven Kräften helfen, sich jetzt besser zu vernetzen, ist das auch wichtig für die kommenden Herausforderungen, die mit dem Rechtsruck in diesem Land einhergehen. Doch Zufriedenheit können wir uns im Moment nicht leisten. Denn Rassismus gibt es nicht nur bei der AfD.

Mir stellt sich die Frage, welche transformative Kraft entsteht oder besser gesagt: verloren geht, wenn das Problem nur einer Partei zugeschoben wird. Denn die Proteste werfen auch die Frage auf, in welcher Verantwortung die anderen Parteien für die plurale Demokratie stehen.

Wenn wir so tun, als wäre Rassismus nur an den Rändern unserer Gesellschaft zu finden, oder diesen gar mit Rechtsextremismus gleichsetzen, gerät er als soziales Verhältnis aus dem Blick, ebenso wie die ökonomischen und sozialen Bedingungen, unter denen er entsteht. Wenn Rassismus nur als Einstellung begriffen wird, wird suggeriert, es brauche für Antirassismus auch nicht mehr als die richtige Haltung. Aber so einfach ist es leider nicht: Die AfD zu hassen reicht eben nicht, um Antirassist zu sein. Denn dann wäre Antirassismus nur ein moralisch aufgeladener, leerer, performativer Akt. Doch Antirassismus ist immer auch Demokratiearbeit und muss eine Kritik sozialer Verhältnisse, wie der Arbeits- und Wohnverhältnisse und der Gesundheitsversorgung aller Menschen, beinhalten, sonst verändert er nichts, sondern erhält lediglich den Status quo aufrecht.

Übernahme rechter Rhetorik stärkt Rechtsextremismus

Was sich im Rahmen der Proteste nicht slogantauglich skandieren lässt, ist, dass die AfD, unterstützt von anderen Parteien, strukturelle Probleme wie steigende Mieten, die Unterversorgung bei Zahnärzt*innen, die Bildungsungerechtigkeit oder Kinderarmut auf die Frage der Migration reduziert und schiebt. Und die Probleme dadurch nicht als strukturelle benennt, sondern als Symptome der vermeintlichen „Überfremdung“ darstellt. Dabei wird keine einzige Abschiebung diese Probleme lösen. Hier könnten beispielsweise die Miet­rechts­initiativen, Initiativen aus dem Gesundheitsbereich und Kinderschutzorganisationen die Proteste unterstützen, indem sie die rassistischen Narrative angreifen und die strukturellen Probleme in den Vordergrund stellen.

Kurz gesagt: Die Proteste sollten sich nicht nur gegen Rechtsextremismus richten, sondern gegen Rassismus. Denn der kommt eben leider nicht nur von rechts. Dafür braucht es erstens konkrete politische Forderungen und ein Ausbrechen aus dem alleinigen Fokus auf Migration und zweitens sowohl den Druck auf und die Anbindung in die wichtigen politischen Institutionen wie Parteien und Parlamente. Ohne diese werden die Proteste wirkungslos bleiben, zumindest politisch. Weil sie zu performativ, zu hülsenhaft sind. Und dennoch machen sie mir Hoffnung, als Vorboten gesellschaftlicher Veränderungen, die schon längst überfällig sind.

Und so diskutierten meine Freunde und ich beim nächsten gemeinsamen Abendessen über die Frage: Warum gerade jetzt? Und warum erst jetzt? Es ist nicht so, dass die Pläne der AfD zur Remigration neu wären. Oder ihr Rassismus. Im Gegenteil sogar, die Partei trägt ihre Vorhaben und Ideologie regelmäßig in Öffentlichkeit und Parlamenten vor.

Vielleicht liegt es daran, dass Betroffenheit sich gerade neu sortiert. Ein Viertel der hier lebenden Menschen hat selbst einen sogenannten Migra­tions­hintergrund. Die Zahl der Menschen, die inzwischen Migrationsbezüge durch Familie und Freundschaft haben, ist aber um ein Vielfaches höher. Sie alle wären, wenn auch auf unterschiedliche Weise, von den Remigrationsfantasien der Rassisten betroffen.

In der Studie „Rassistische Realitäten“ konnte gezeigt werden, dass ein Großteil dieser Gesellschaft bereits mit Rassismus in Berührung gekommen ist, sei es gegen sich selbst oder gegen Freunde, Familie, Bekannte. Rassismus ist längst kein Minderheiten- oder Randphänomen mehr. Die direkten und indirekten Erfahrungen mit Rassismus prägen das Leben der Menschen und damit die empfundene gesellschaftliche Relevanz für das Thema. Rassismus berührt und bewegt weite Teile der Bevölkerung. Solidarische, partnerschaftliche, familiäre, freundschaftliche und kollegiale Verbundenheit macht das Thema für alle bedeutend.

Die Proteste könnten sich also auch aus diesen postmigrantischen Verbindungen und Erfahrungen speisen und neue Formen des antirassistischen Widerstandes entwickeln. Solche, die konkret werden und die gesamtgesellschaftliche Betroffenheit von Migration und Rassismus ernsthaft zu bearbeiten vermögen und ein postmigrantisches Verständnis von Solidarität als Resultat hervorbringen. Oder einfacher gesagt: Wenn uns bewusst wird, dass wir alle betroffen sind, sind wir auch alle in der Pflicht. Nicht nur für ein „Nie wieder“, sondern vor allem für ein „Ab jetzt richtig“.

Wir brauchen eine gerechte Sozialpolitik für alle

Rassismus und Rechtsextremismus werden nicht allein durch ein Verbot der AfD verschwinden – obwohl ich ein solches Parteiverbot guthieße. Doch die Rechte wird sich neu formieren und organisieren. Wenn die anderen Parteien die AfD und ihr Gedankengut also nachhaltig politisch bekämpfen wollen, müssen sie klarstellen, dass nicht die Migration für soziale Probleme verantwortlich ist. Sondern die neoliberal ausgerichtete Politik der letzten 30 Jahre. Die effektivste Antirassismuspolitik wäre eine gute und gerechte Sozialpolitik für alle. Denn diese würde den Rassisten das Wasser abgraben, statt beim verzweifelten Blick auf die Umfragewerte, ihre Forderungen und Rhetoriken zu kopieren.

Es kann funktionieren – doch dafür braucht es mehr als engagierte BürgerInnen, die auf die Straße gehen und gegen rechts demonstrieren. Es braucht auch Parteien und Regierungen, die eine Vision einer gerechten und pluralen Migrationsgesellschaft entwickeln. Die anerkennen, dass wir alle direkt oder indirekt von Rassismus betroffen und auf unterschiedlichste Weisen mit der Migrationsgesellschaft verflochten sind. Die Migration als Chance begreifen, um unser Land zu modernisieren und zu demokratisieren.

Es kann funktionieren, das werde ich auch meinen Freun­d*in­nen beim nächsten Abendessen sagen. Denn selbst wenn ich den Impuls, momentan aus Deutschland fliehen zu wollen, gut nachvollziehen kann, darf dies nicht die Antwort auf den Rechtsruck sein. Die momentane kämpferische Grundhaltung in Deutschland macht Hoffnung auf Veränderung, doch die Proteste müssten jetzt weiter kanalisiert werden. Der Anfang ist gemacht.

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18 Kommentare

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  • @MACHIAVELLI, sehr gute Frage!

    Nebenbei kann man durchaus Stolz darauf sein, dass Deutschland für viele Menschen auf diesem Planeten, als Land ihrer Sehnsüchte gilt.

    Dass das an reale Grenzen stößt, liegt wie andere Probleme unseres Landes auch, nicht an Asylanten, Flüchtlingen oder Einwanderung, sondern an unserer Bräsigkeit, die ihren Ausdruck in von uns gewählten Politikern findet.

  • Danke Mathis Oberhof, sehr guter Kommentar. Meine Hochachtung.

    Komisch!

    Bei den Demos, bei denen ich war, ist für ein demokratisches und buntes Deutschland, basierend auf unserem Grundgesetz, auf Plakaten und in Reden, eingetreten worden.



    Staus, hervorgerufen durch Kolonen von Reisebussen mit Demonstranten, sind mir nicht aufgefallen, stattdessen schienen mir viele zu Fuß, oder wie ich, mit dem Fahrrad gekommen zu sein.



    Es waren auch keine "Konsorten" vor Ort, sondern besorgte Menschen, manche Politiker, die meisten nicht.

    Die Anzahl von nahezu 4 Millionen friedlichen und besorgten Menschen kleinreden zu wollen ist schlicht dreist. Wie oft gab es mehr, an verschiedenen Orte und zu verschiedenen Zeiten sowie nicht zentralistisch organisiert.

    Bitte hier keine rechten Narrative verbreiten.

    Danke

  • Fliehen wohin? Millionen Migranten in Deutschland sind Flüchtlinge oder die Kinder von Flüchtlingen, wo sollen die hinfliehen?

  • Sehr guter Essay. Ein wesentlicher Bestandteil für gesellschaftlichen Fortschritt ist die "Gleichberechtigung". Man sollte hier ansetzen und Bürgern mit Migrationshintergrund mehr Rechte einräumen um an der politischen Gestaltung des Landes teilhaben zu können. Dafür ist ein Wahlrecht unabdingbar. Gebietet aus meiner Sicht der Anstand, schließlich zahlen sie hier auch ihre Steuern ergo müssen sie auch ein Recht auf Mitbestimmung haben. Und da die politische Währung nuneinmal Wählerstimmen sind, würde ein Wahlrecht auch den politischen Fokus neu ausrichten.

    Einen Rechtsruck kann man derzeit bei fast allen westlichen Nationen beobachten. Diese Situation ist aber nicht neu, sie tritt immer dann auf, wenn die breite Masse glaubt, den Herausforderungen der Zeit nicht mehr gewachsen zu sein. Das bestärkt den Wunsch nach Ordnung und Stabilität und dafür ist man nur allzu gerne bereit die persönliche Verantwortung an einen Interessensvertreter zu deligieren. Das sich dafür nicht immer die "seriösesten" Parteien und Persönlichkeiten anbieten, kann man derzeit sehr anschaulich in Ungarn, Italien oder den Niederlanden beobachten. Und leider auch zusehends in Deutschland.

    Von Menschen mit Migrationshintergrund würde ich mir wünschen, dass sie sich noch intensiver in die Diskussionen einbringen, mehr Teilhabe (auch bei Demonstrationen), lauter werden und Widerspruch leisten. Von einem Großteil der "Bio Deutschen" würde ich mir wünschen, dass sie die Mauern in ihren Köpfen einreissen und Vorurteile abbauen. Da das aber ein quälend langer Prozess ist, wäre es für den Anfang schon ein Fortschritt, wenn sie Rassismus überhaupt ersteinmal erkennen würden. Der kommt nämlich schon bei kleinen Alltagsgegebenheiten, wie zum Beispiel die Vergabe eines Arzttermins, vor.

    Und das Entscheidende ist, dass die "Anständigen" ihre Stimme erheben und ein Zeichen setzen, ob gegen Feinde der Demokratie, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus oder Diskriminierung von Queer etc.

    • @Sam Spade:

      “Von Menschen mit Migrationshintergrund würde ich mir wünschen, dass sie sich noch intensiver in die Diskussionen einbringen, mehr Teilhabe (auch bei Demonstrationen), lauter werden und Widerspruch leisten.”



      Es ist ja immer nur ein überschaubares Segment der Gesellschaft, das gegen Rassismus und Faschismus und für Demokratie auf die Straße geht. Noch schwieriger ist es, die unterschiedlichen politischen Forderungen wie die nach sozialer Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit mit den aktuellen Protesten gegen Rechts zusammenzubringen - obschon jedem Menschen mit kritischem Bewusstsein klar sein müsste, dass sie zusammengehören.



      Und - seien wir ehrlich - es sind natürlich immer die gleichen Gesichter, die man auf der Straße sieht. D.h., bei der aktuellen Bewegung sieht es etwas anders aus, da wurden tatsächlich Menschen mobilisiert, die sonst noch nie in dieser Form demonstriert haben. Aber genau deshalb fürchte ich, die ganze Sache wird wieder im Sande verlaufen, spätestens dann, wenn sich bei den kommenden Wahlen in diesem Jahr eben keine negativen Effekte für die AfD zeigen.



      Da unterscheiden sich Menschen mit migrantischen Wurzeln halt nicht von solchen mit autochthonen. Individualisierung und neoliberale Agenda haben in den letzten Jahrzehnten überall ihre Spuren hinterlassen - die Leute frönen dem schrankenlosen Konsumismus und egozentrischen Individualismus auch dann noch, wenn ihresgleichen schon das Fell über die Ohren gezogen wird. Wenigstens darin sind sich - zynisch gesprochen - alle Menschen gleich.

      • @Abdurchdiemitte:

        Stimme ich voll und ganz mit ihnen überein. Nur, man soll die Hoffnung nie aufgeben und deshalb habe ich es auch als ganz persönlichen Wunsch dargestellt.

    • @Sam Spade:

      "Man sollte hier ansetzen und Bürgern mit Migrationshintergrund mehr Rechte einräumen um an der politischen Gestaltung des Landes teilhaben zu können. "

      Die Option existiert doch bereits seit Jahrzehnten. Eine Forderung nach bereits Bestehenden ist höchst unsinning.

      Wenn man Kritik an der konkreten Regelung hat, dann muss man auch selber konkret werden.

      • @Rudolf Fissner:

        Wäre mir neu das Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland dauerhaft sesshaft sind, aber nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, hierzulande ein Wahlrecht haben. Darauf bezog sich die Aussage, die Sie etwas aus dem Kontext gerissen haben, wie im nächsten Absatz nachzulesen.

        • @Sam Spade:

          Mitgestaltung hat erheblich mehr Facetten als ein Kreuzchen alle paar Jahre...

  • Richtig. Total abstoßend, mit Menschen (Scholz und Konsorten) zusammen zu demonstrieren, die diese Asylpolitik ("Abschiebungen im großen Maßstab) propagieren und umsetzen. Da wird leicht abgeschwächte AfD Politik längst gemacht, nur eben von den vermeintlich "Guten".

    Und das Schlimmste daran ist, dass der inzwischen normale Sprachgebrauch wie "so schnell und viel wie möglich abschieben" etc. dafür sorgen, dass sich in der normalen Bevölkerung schon wieder emotional die reflexartige Verbindung von "Migrant = schlecht" verfestigt.

    Ich muss gestehen, dass ich nur einmal mit auf so einer Demo war und es dann mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte, praktisch mit Leuten wie Scholz und Faeser zusammen zu demonstrieren. Meine Intention bei der Demo ging nicht nur gegen die AfD, sondern auch gegen die Politik der Bundesregierung.

    Ich sehe hier eine große Gefahr für Deutschland - schon immer geneigt, Fremdes zu hassen - dass sich die frühere positive Entwicklung zu Multiulti und Toleranz wieder umgekehrt. Und einen nicht unerheblichen Beitrag leisten die Grünen, die früher mal die Bastion gegen Ausländerhass waren. Heute nicken sie ohne zu zögern Gesetze ab, die für Grüne noch vor 10, 20 Jahren undenkbar gewesen wären.

    Währet den Anfängen! "Nie wieder!" ist nicht jetzt, sondern das war vor 20 Jahren.

  • Natürlich wird der Mangel an Wohnraum, arztterminen und kitaplätzen durch Zuwanderung verschärft. Das ist ein totales politisches versagen, aber trotzdem Realität.

  • Danke für den Artikel.



    "Wenn die anderen Parteien die AfD und ihr Gedankengut also nachhaltig politisch bekämpfen wollen, müssen sie klarstellen, dass nicht die Migration für soziale Probleme verantwortlich ist. Sondern die neoliberal ausgerichtete Politik der letzten 30 Jahre."



    Ich wünschte Journalisten, Moderatoren von Talkshows wäre das bewusster, so dass sie nicht ständig das alte Narrativ unterstützen. Wir (gemischte Familie) möchten nämlich auch nicht auswandern müssen, aber denken jeden Tag daran, wie wir das ggf. in ein paar Jahren organisieren könnten und in welchem Land es bessere Bedingungen für uns gibt. Das ist einfach nur traurig.



    Wie kann den Wählern klar werden, dass nur Solidarität weiterhilft und nicht die Migranten für sie gefährlich sind, sondern gerade die Politik, die sie verbal diffamiert, rechtsradikale Vorfälle zu wenig aufklärt, zu Zwangsarbeit aufruft, etc.



    Das sollte auch jedem CDU Wähler klar sein. So wie mit Migranten umgegangen wird wird man immer auch die kinderreichen, Kranken etc. behandeln.



    Ich wünschte mir auch einen solidarischeren Spd-Kanzler, denn das war ja die Kampagne mit der die SPD Wählerstimmen bekommen hat. Damit es für alle im Land wieder Hoffnung geben kann.

  • SO GEHT DAS NICHT!



    Ich habe in den letzten drei Wochen die größten, aber vor allem die schönsten, die kreativsten, die beeindruckensten Demonstrationen meines Lebens erlebt. Ich bin begeistert und habe große Hoffnung, dass endlich deutlich wird, wer die Mehrheit ist! Aber ich bin auch traurig: jeden Tag meldet sich eine diskriminierter Gruppe und ist enttäuscht, dass diese Bewegung der Millionen zu wenig für ihre Interessen eintritt. Linken geht es zu wenig gegen den Kapitalismus, Juden geht es zu wenig gegen den Antisemitismus, arabischen Menschen geht es zu wenig um die Solidarität mit unschuldig getöteten Zivilisten im Gaza, POC geht es zu wenig um die Diskriminierung durch Rassismus, manchen Frauen geht es zu wenig gegen das Patriarchat. Ich kann euch alle verstehen und eure Verletzungen. Und dennoch sage ich: so geht das nicht! Dies ist eine Bewegung die nur von einem Ziel geeint ist: gegen die Faschisten der AfD. No Passaran, sie dürfen nicht durchkommen. Über alles andere werden wir weiter streiten, streiten müssen, um den richtigen Weg. Werden uns besser kennenlernen, werden lernen müssen zuzuhören, werden lernen müssen, uns in die Verletzungen der jeweils anderen Gruppe einzufühlen. Aber erst müssen wir gemeinsam an der Gemeinsamkeit festhalten: die Höckes die Gaulands die Weidels werden nicht durchkommen! No passaran. Das schafft die Grundlage, dass wir weiter streiten können. Über Gerechtigkeit und Überwindung des Kapitalismus, über Gleichberechtigung und die Überwindung des Patriarchats, über Rassendiskriminierung und Überwindung des Rassismus, über Antisemitismus und das Existenzrecht Israels und über die vielen anderen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Voraussetzung dafür ist Demokratie. Wir kämpfen nicht für gemeinsame Meinung der Millionen, sondern für eine Gesellschaft in der Meinungsstreit möglich bleibt!. Für Diversität einzutreten, heißt auch für die Diversität der Meinungen! Bitte lasst uns versuchen, diesen Unterschied auszuhalten!

    • @Mathis Oberhof:

      Na, Sie schreiben gerade so, als wäre mit diesen Protesten das (zivilgesellschaftliche) Rad gerade neu erfunden worden.



      Sorry, ich will Ihren Enthusiasmus nicht ausbremsen oder Sie irgendwie demotivieren - im Gegenteil freue ich mich sehr über die vier (?) Millionen Menschen auf deutschen Straßen in den letzten Wochen -, aber wenn man seit Beginn der Achtzigerjahre schon so einige soziale Kämpfe “auf dem Buckel” hat, sieht man die Sache möglicherweise nüchterner, vielleicht auch abgebrühter (weil man eben auch die vielen erlittenen Niederlagen mit “einpreist”). So ist das eben.



      Und natürlich darf nicht vernachlässigt werden, die verschiedenen Facetten des Anlasses (Correctiv-Enthüllungen) mit zu bedenken, der jetzt so viele Menschen empört und auf die Straße treibt. Es geht eben auch immer um soziale Gerechtigkeit, um Rassismus und Antisemitismus etc. - das darf/muss (!) von den verschiedenen, an den Protesten beteiligten Gruppen auch zum Ausdruck gebracht werden.



      Vielleicht passt auch ein Vers der in den Achtzigern bekannten Folk-Gruppe “Zupfgeigenhansel, die deutsche Interpretation eines alten italienischen Gewerkschaftsliedes (Text Dieter Süverkrup):



      “Im wesentlichen Falle, da brauchen wir uns alle, auf diesem Erdenballe, damit er nicht zerknalle. Schiebt alle Streitigkeiten für eine Weil’ beiseiten, und lasst uns drüber streiten, dereinst in Friedenszeiten.”

    • @Mathis Oberhof:

      Guter Kommentar!

  • Wir haben seit 2008 eine anhaltende Kapitalismuskrise, ausgelöst durch die Finanzkrise und durch Niedrigzinsen verlagert z.B. auf die Mieten. Wir haben aber auch einen anschwellenden Kulturkampf durch (noch) nicht Mehrheitsfähige "progressive" Themen, die genauso kompromisslos und agressiv auf der jeweiligen Agenda stehen wie die Ablehnung der Gegenseite. Wir haben auch feindliche Mächte, die ihre jahrzehntelange Erfahrung in Meinungsmanipulation und Kontrolle durch gesellschaftliche Spaltung, weitgehend unbehelligt in den "sozialen" Medien" und durch Unterwanderung unserer Strukturen ausleben und die oben erwähnten Grundkonflikte anheizen.



    Aktuell sehe ich unsere westlichen Demokratien als sehr gefährdet an. So bedroht wie noch nie. Und keine Besserung in Sicht. Die AfD ist Symptom dieser Entwicklungen. Ein Verbot zerschlüge



    nur vorübergehend Organisationsstrukturen.

  • Ich studiere an der Kunsthochschule in Halle. Allein in den letzten drei Wochen kam es hier zu vier rassistischen Überfällen. Dazu wurde eine feministische Demo zum Frauenkampftag mit Pyrotechnik beworfen, die Teilnehmer beschimpft. Als Mensch mit Migrationshintergrund muss man sich dort wirklich überlegen, wann man das Haus verlässt. Und das ist noch eine Großstadt, ich will nicht wissen, wie´s anderswo aussieht. Ich würde mir wirklich wünschen, dass die taz mal eine Reportage macht über die Situation in Halle, gerade vor dem Hintergrund des Anschlags dort.

  • Danke. Ihr Artikel ist so wichtig.



    Es ist wirklich schwer zu verstehen warum auch viele Medien das nicht zu verstehen scheinen:



    "Wenn die anderen Parteien die AfD und ihr Gedankengut also nachhaltig politisch bekämpfen wollen, müssen sie klarstellen, dass nicht die Migration für soziale Probleme verantwortlich ist. Sondern die neoliberal ausgerichtete Politik der letzten 30 Jahre."



    Warum wird darüber so gut wie nie gesprochen? Vielleicht weil die Jounalisten und Talkmaster ihr eigenes Narrativ überdenken müssten?



    Ich hoffe Ihr Artikel gibt einen Anstoss zum Umdenken.